Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 M 111/10
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin - 5. Kammer - vom 15. April 2010 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, gegen den Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 15. April 2010 abgelehnt. Es hat darauf abgestellt, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch i.S. des § 123 Abs. 1 VwGO nicht glaubhaft gemacht hat. Seine Abschiebung sei nach der im Eilverfahren angezeigten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich und es sprächen auch keine dringenden humanitären oder persönlichen Gründe für seine weitere Anwesenheit im Bundesgebiet vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens (§ 60 a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG).
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Die dagegen erhobene Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Änderung des angefochtenen Beschlusses.
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Ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) liegt nicht vor. Die dem Antragsteller wohl versehentlich - bisher - nicht bekanntgegebene Entscheidung über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist aktenkundig vor der Entscheidung in der Sache erfolgt.
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Die Behauptung der Beschwerde, das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, ein effektiver Schutz aus Art. 8 Abs. 1 EMRK erwachse nur dann, wenn bestehende Bindungen in der früheren Heimat des Ausländers vollständig aufgegeben seien, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat sowohl in der abstrakten Formulierung seines Prüfungsmaßstabs wie auch in der Einzelfallprüfung zutreffend und im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.01.2010 - 1 B 25/09 -, zit. nach juris Rn. 4) das Ausmaß der Verwurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer "Entwurzelung" verbundenen Folgen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK ermittelt, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewichtet und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abgewogen.
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Soweit der Antragsteller gegen den erstinstanzlichen Beschluss einwendet, es bestehe ein rechtliches Ausreisehindernis aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, weil der Antragsteller seit 2003 in Deutschland lebe, "wesentliche Teile seiner Familie, nämlich seine Geschwister, Cousins und auch ein Onkel ebenfalls in Deutschland leben und arbeiten" und er in den Arbeitsmarkt integriert sei, greift die Beschwerde nicht durch.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass die bloße Tatsache eines langjährigen Aufenthalts in Deutschland einen Ausländer nicht zu einem sogenannten faktischen Inländer macht und dass weder von einer vollständigen Integration des Antragstellers in das hiesige wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben im Sinne einer Verwurzelung auszugehen ist noch sich eine Entwurzelung von seinem Heimatland feststellen lässt. Auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung wird insoweit Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Im Übrigen ist das Beschwerdevorbringen, es sei "selbstverständlich" und "naturgemäß so, dass die in Deutschland sich festigenden Bindungen automatisch bedeuten, dass die Bindung an das frühere Heimatland lockerer wird" nicht geeignet, eine Entwurzelung des Antragstellers i.S. der Regelung des Art. 8 Abs. 1 EMRK hinreichend glaubhaft zu machen, weil es einerseits auf generellen und nicht zwingenden Erwägungen beruht und andererseits nicht auf die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die der Ausgangsbeschluss gestützt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
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Auch hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die in dem Schreiben des Antragsgegners vom 11. März 2010 enthaltene Monatsfrist mit dem die Abschiebung des Antragstellers angekündigt wurde, § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG nicht zuwiderläuft. Dem Beschwerdevorbringen, es müsse im Ermessenswege ein angemessener Zeitraum für die Bemessung einer Ausreisefrist ermittelt werden, der nicht kürzer als drei Monate sein dürfe, überzeugt nicht. Denn im zugrundeliegenden Einzelfall beruhte die erfolgte Ankündigung der Abschiebung nicht einmal auf einem Widerruf eines Aufenthaltstitels, sondern bezieht sich auf einen Zeitpunkt nach Ablauf der Geltungsdauer der Duldung (am 15. April 2010). Der Gesetzgeber hat aber mit der Änderung des § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 2007, S. 1970) ausdrücklich nur die Widerrufsfälle mit der Ankündigungsfrist von zudem auch nur einem Monat privilegieren wollen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.03.2010 - 8 ME 47/10, zit. nach juris Rn. 4 mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/5065, S. 188). Für die Fälle des Ablaufs der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels kann daher weder generell noch unter Berücksichtigung des hier zugrundeliegenden Einzelfalls von dem Erfordernis einer längeren Ankündigungsfrist ausgegangen werden.
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Schließlich greift auch der Einwand, das Verwaltungsgericht habe die im Eilverfahren anzuwendenden Maßstäbe im Hinblick auf die Betroffenheit einer Rechtsposition aus der europäischen Menschenrechtskonvention verkannt, nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat - im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - die Erfolgsaussichten der Hauptsache verneint und dementsprechend bereits nicht in eine Folgenprognose eintreten müssen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 1x
- 1 B 25/09 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 122 1x
- Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 ME 47/10 1x
- § 60 a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 2x