Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 LZ 254/17
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 3. März 2017 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
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Die Kläger sind Staatsangehörige der Russischen Föderation armenischer Volkszugehörigkeit. Im Dezember 2014 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten im Januar 2015 einen Asylantrag.
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Das Bundesamt hörte die Kläger zu 1. und 2. am 16. November 2015 persönlich an. Sie gaben an, es gebe für sie keine Gründe, die gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot sprächen. Es gebe auch keine Gründe, die für die Bemessung der Dauer des Verbots wichtig seien.
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Durch Bescheid vom 11. November 2016 lehnte das Bundesamt das Asylbegehren der Kläger insgesamt ab. Unter Ziffer 6 des Bescheides befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte das Bundesamt u. a. aus, die Dauer dieses gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes werde gemäß § 11 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalles festgesetzt und dürfe grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten. Die Kläger verfügten im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären.
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Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 3. März 2017 insgesamt abgewiesen. Insbesondere sei die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes unter Ziffer 6 des angefochtenen Bescheides nicht zu beanstanden. Das Bundesamt habe unter Beachtung von § 11 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes im Ermessenswege entschieden. Unter Zugrundelegung des in § 114 VwGO geregelten gerichtlichen Prüfungsumfangs seien Ermessensfehler nicht erkennbar. Das Bundesamt habe erkannt, dass es die Befristungsentscheidung im Wege der Ermessensausübung zu treffen habe. Dies komme in dem angefochtenen Bescheid hinreichend deutlich zum Ausdruck. Die Dauer des streitgegenständlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes von 30 Monaten liege innerhalb der Fünfjahresgrenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz. Das Bundesamt habe von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
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Das Bundesamt habe im Rahmen der Anhörung die Kläger zu 1. und 2. nach gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot sprechenden Gründen und für die Bemessung des Verbotes wichtige Gründe gefragt. Die Kläger hätten solche jeweils verneint. Daher habe das Bundesamt keine individuell schutzwürdigen Belange der Kläger bei der Festsetzung der Frist zu berücksichtigen gehabt. Die Bemessung der Frist an der Hälfte des in § 11 Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz geregelten Zeitraum sei vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. In einem solchen Fall sei für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht erforderlich, den Ausschluss sämtlicher anderer Zeiträume unterhalb der Höchstfrist im Bescheid zu begründen.
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Am 14. April 2017 haben die Kläger die Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil insoweit beantragt, als die Befristungsentscheidung zur Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides unbeanstandet geblieben sei. Die Berufung sei zuzulassen. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Von grundsätzlicher Bedeutung sei
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die in Mecklenburg-Vorpommern obergerichtlich und höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage, ob Befristungsentscheidungen nach § 11 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz ohne nähere Begründung eine Befristung in der Mitte des gesetzlichen Rahmens vornehmen dürften.
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In der angegriffenen Entscheidung stelle das Bundesamt fest, dass Umstände, die zu einer kürzeren Befristung führen könnten, nicht ersichtlich seien. Warum gerade eine Befristung auf 30 Monate erfolge, werde nicht mitgeteilt. Es erscheine so, als sei die Behörde der Auffassung, den Mittelwert nicht näher begründen zu müssen. Dies sei aber rechtsirrig. Jede belastende Behördenentscheidung sei begründungspflichtig. Soweit das Verwaltungsgericht seine Auffassung darauf stütze, allgemeinpräventive Gesichtspunkte könnten das von der Behörde gefundene Ergebnis stützen, so verkenne das Gericht, dass dieses Argument irrelevant sei. Der Verwaltungsgerichtsbarkeit sei verwehrt, eigene Ermessenserwägungen an die Stelle der Erwägungen der Behörde zu stellen. Im Ergebnis fehle eine individuell stützende Ermessensbegründung.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, dem allein geltend gemachten Zulassungsgrund, zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylgesetz - AsylG -).
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Nach der ständigen Rechtsprechung beider für Verfahren des Asylrechts zuständiger Senate ist der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) dann hinreichend dargelegt, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert wird, die entscheidungserheblich ist und - zusätzlich - dargetan wird, warum sie klärungsbedürftig und von grundsätzlicher Bedeutung ist. Der Antragsbegründung muss entnommen werden können, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer bestimmten Rechts- oder Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen und es deshalb erforderlich ist, dass sich das Berufungsgericht noch einmal klärend mit der aufgeworfenen Frage auseinandersetzt. Dazu bedarf es einer substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen ein von dem Verwaltungsgericht eingenommener Rechtsstandpunkt bzw. die vom Verwaltungsgericht festgestellten Tatsachen zweifelhaft geworden sind. Die Zulassungsschrift muss sich daher etwa durch Benennung aktueller Erkenntnisquellen oder gerichtlicher Entscheidungen mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag nicht.
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Die oben genannte, von den Klägern formulierte Frage rechtfertigt die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Die nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3.16 –, juris Rn. 65 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 27.16 –, juris) ist im vorliegenden Fall ordnungsgemäß getroffen worden. Auch die hierfür gegebene Begründung erscheint im vorliegenden Einzelfall hinreichend. Damit stellt sich die als grundsätzlich angesehene Frage im vorliegenden Fall gerade nicht.
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Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbot handelt es sich jeweils um eine Einzelfallentscheidung, bei der die persönlichen Belange des Betroffenen an einer Wiedereinreise und dem erneutem Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu berücksichtigen sind (vgl. VGH München, Beschluss vom 6. April 2017 – 11 ZB 17.30317 -, juris Rn. 12, mit weiteren Nachweisen). Dieses Ermessen hat der Beklagte gesehen, wie sich aus den oben zitierten Passagen des angefochtenen Bescheides ergibt. Von einem Ermessensausfall kann daher nicht die Rede sein.
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Eine Unvollständigkeit der Ermessensentscheidung kann nicht angenommen werden. As Bundesamt hat nur diejenigen persönlichen Gründe in die Abwägung einstellen können, die ihm auch bekannt geworden sind. Ausweislich der Anhörung sind die Kläger zu 1. und 2. auch hierzu befragt worden. Sie haben lediglich vorgetragen, sie hätten keine individuellen Gründe, die die Befristung beeinflussen könnten. Damit sind auch für den Senat keine weiteren Gründe erkennbar, die in die Abwägung hätten eingestellt werden können.
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Die vom Bundesamt gewählte Rechtsfolge, nämlich die Befristung auf die Hälfte der in der Regel möglichen Fünfjahresfrist, ist in einem Fall, der sich durch keinerlei Besonderheiten auszuzeichnen scheint, eine nahe liegende Rechtsanwendung, die damit einer gerichtlichen Nachprüfung der Ermessensbetätigung standhält. Dies entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des VGH München: Es ist nicht zu beanstanden, wenn sich das Bundesamt in Fällen, in denen keine nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz zu berücksichtigenden individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit die in § 11 Abs. 3 Satz 2 Aufenthaltsgesetz festgelegte Höchstfrist zur Hälfte ausschöpft (VGH München, Beschluss vom 6. April 2017 – 11 ZB 17.30317 –, juris Rn. 16).
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Inhalt und Umfang der Begründung von Ermessensentscheidungen richten sich nicht nach allgemeinen Maßstäben, sondern nach den Umständen des Einzelfalles. Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können auch bei der Fristbestimmung nach § 11 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz nicht festgelegt werden. Auch aus diesem Grunde ist es nicht zu beanstanden, wenn sich das Bundesamt in den Fällen, in denen keine individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet (VGH München, Beschluss vom 28. November 2011 – 11 ZB 16.30463 – juris, Rn. 4).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
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Hinweis:
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG, § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Mit der Bekanntgabe dieses Beschlusses wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Referenzen
- § 80 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- VwGO § 114 1x
- §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)