Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 LA 354/11

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich gegen den Umfang der Kürzung seiner Versorgungsbezüge nach einer Ehescheidung.

2

Der im Jahr 19... geborene Kläger, dessen Ehe im Jahr 1994 geschieden wurde, war vor seinem Eintritt in den Ruhestand zum 1. Januar 2001 als Polizeihauptkommissar tätig. Bei der Ehescheidung begründete das Familiengericht zu Gunsten seiner Ehefrau eine Anwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung. Diese Anwartschaft berechnete das Familiengericht nach dem Eintritt des Klägers in den Ruhestand auf der Grundlage eines Ruhegehaltes von 71,75 Prozent seiner ruhegehaltfähigen Dienstbezüge neu. Tatsächlich erhielt der Kläger bei seinem Eintritt in den Ruhestand ein Ruhegehalt von 75 Prozent, das in mehreren Schritten, letztmalig zum 1. Januar 2012, auf 71,75 Prozent abgeschmolzen wurde. Die Beklagte kürzte das Ruhegehalt um einen Betrag in Höhe der - an die Entwicklung der Versorgungsbezüge seit Ruhestandsbeginn angepassten - Anwartschaft. Bei dieser Anpassung des Kürzungsbetrages ließ sie das Abschmelzen des Ruhegehaltes auf 71,75 Prozent unberücksichtigt. Unter anderem hiergegen wandte sich der Kläger.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Die Beklagte habe das Abschmelzen der Versorgungsbezüge des Klägers (§ 69 e BeamtVG) bei der Berechnung des Kürzungsbetrages zu Recht unberücksichtigt gelassen. Dieses Ergebnis beruhe auf einer teleologischen Reduktion des § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG. Reduziere man nämlich den Kürzungsbetrag um die Anpassungsfaktoren gemäß § 69 e BeamtVG, obwohl das Familiengericht den Versorgungsausgleich bereits aufgrund der abgesenkten Versorgung berechnet habe, komme es zu einer doppelten Berücksichtigung der Absenkung. Dies führe zu einer unberechtigten Privilegierung des Klägers. Mit seinem Zulassungsantrag macht der Kläger demgegenüber geltend, der Wortlaut des § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG lasse die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene teleologische Reduktion nicht zu.

II.

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Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg, weil die Zulassungsgründe, auf die sich der Kläger beruft, teilweise bereits nicht hinreichend gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt sind und im Übrigen nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

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Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

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Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

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Gemessen daran bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass das Abschmelzen der Versorgungsbezüge des Klägers (§ 69 e BeamtVG) nicht bei der Anpassung des Kürzungsbetrages gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG zu berücksichtigen ist.

8

Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG werden die Versorgungsbezüge des Beamten um einen nach § 57 Abs. 2 oder 3 BeamtVG berechneten Betrag gekürzt, wenn durch Entscheidung des Familiengerichts - wie im Fall des Klägers - Anwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden sind. Der Kürzungsbetrag berechnet sich gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG aus dem Monatsbetrag der durch die Entscheidung des Familiengerichts begründeten Anwartschaften. § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG sieht weiter vor, dass sich der Kürzungsbetrag von dem Zeitpunkt des Eintritts des ausgleichspflichtigen Beamten in den Ruhestand an erhöht oder vermindert, und zwar in dem Verhältnis, in dem sich das Ruhegehalt vor Anwendung von Ruhens-, Kürzungs- und Anrechnungsvorschriften durch Anpassung der Versorgungsbezüge erhöht oder vermindert. Mit anderen Worten ist der Kürzungsbetrag an die Entwicklung der Versorgungsbezüge anzupassen.

9

Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Versorgungsträger gemäß § 225 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verpflichtet ist, die ihm entstehenden Aufwendungen des Trägers der Rentenversicherung aufgrund von Rentenanwartschaften, die durch Entscheidung des Familiengerichts begründet worden sind, zu erstatten. Da sich die gesetzliche Altersrente - ebenso wie die Versorgungsbezüge - dynamisch entwickelt und sich demzufolge die Aufwendungen des Versorgungsträgers stetig ändern, ist auch der Kürzungsbetrag dynamisiert, allerdings nicht nach rentenversicherungs- sondern nach beamtenversorgungsrechtlichen Grundsätzen (vgl. Plog/Wiedow, BBG, § 57 BeamtVG Rn. 214 ).

10

Die in § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG vorgesehene Dynamisierung des Kürzungsbetrags erfasst grundsätzlich jede Anpassung der Versorgung, darunter auch die aufgrund der Anpassungsfaktoren gemäß § 69 e BeamtVG (vgl. Brinktrine, in: Kugele, BeamtVG, 2011, § 57 Rn. 14; Strötz, in: GKÖD I, § 57 BeamtVG Rn. 34 ). Dabei geht die Vorschrift allerdings mindestens implizit davon aus, dass der Kürzungsbetrag, also der Monatsbetrag der durch die Entscheidung des Familiengerichts begründeten Anwartschaft, nur um diejenigen Anpassungsfaktoren zu erhöhen oder zu verringern ist, die nicht bereits im Rahmen der familiengerichtlichen Entscheidung berücksichtigt worden sind. Das lässt sich mittelbar schon dem Wortlaut des § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG entnehmen: In der Vorschrift ist die Rede davon, dass sich der Kürzungsbetrag in dem Verhältnis erhöht oder verringert, in dem sich die Versorgungsbezüge verändern. Gesetzlich vorgesehen ist damit ein Gleichklang zwischen Rentenanwartschaft und Versorgungsbezügen. Ein solcher Gleichklang wäre nicht gegeben, wenn - wie der Kläger meint - die Anpassungsfaktoren des § 69 e BeamtVG bei der Bestimmung des Kürzungsbetrages ungeachtet der Tatsache zu berücksichtigen wären, dass das Familiengericht diese Faktoren - im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 26.11.2003 - XII ZB 30/03 -, juris Rn. 9 ff.) - bereits in seine Bemessung der Anwartschaft eingestellt und demzufolge einen abgesenkten Ruhegehaltssatz von 71,75 Prozent zugrunde gelegt hat. Im Gegenteil käme es - wie das Verwaltungsgericht überzeugend dargelegt hat - zu einer doppelten Berücksichtigung der Anpassungsfaktoren des § 69 e BeamtVG, für die jede sachliche Rechtfertigung fehlt (vgl. auch Strötz, a. a. O., Rn. 34, 41; im Ergebnis auch Brinktrine, a. a. O., Rn. 14, sowie die Durchführungshinweise des Bundesministeriums des Innern zu § 57 BeamtVG, RdSchr. D II 3-223 325/9 vom 19.6.2003).

11

Ein weiteres Argument für die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts kommt hinzu: Sinn und Zweck des § 57 BeamtVG ist es zu verhindern, dass der Dienstherr durch die Ehescheidung des Beamten bezüglich der gesamten Versorgungsaufwendungen höher belastet wird, als wenn sich der Beamte nicht hätte scheiden lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.1.1987 - BVerwG 2 B 49.86 -, juris Rn. 2; BVerfG, Beschluss vom 9.11.1995 - 2 BvR 1762/92 -, juris Rn. 21). Vereinfacht ausgedrückt soll der Beamte deshalb Versorgungsbezüge in der Höhe verlieren, in der sein geschiedener Ehegatte eine Rente erhält. Bezieht der geschiedene Ehegatte eine die Anpassungsfaktoren berücksichtigende (niedrigere) Rente, wirkt sich dies für den Ruhestandsbeamten in Form eines geringeren Kürzungsbetrags gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG aus. Das gesetzlich erwünschte Gleichgewicht ist hergestellt. Würden demgegenüber die Anpassungsfaktoren des § 69 e BeamtVG bei der Bestimmung des Kürzungsbetrages gemäß § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG erneut berücksichtigt, würde das gesetzgeberische Ziel verfehlt. Da sich der Kürzungsbetrag weiter verminderte, überstiege die Summe aus Rente und Versorgungsbezügen - typisierend betrachtet - die Versorgungsbezüge, die ein vergleichbarer nicht geschiedener Beamter erhielte. Das ist mit dem eindeutigen Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren.

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Vor diesem Hintergrund steht auch der Wortlaut des § 57 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG der hier vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegen. Dabei lässt der Senat offen, ob sich das gefundene Ergebnis noch im Rahmen der Auslegung anhand des Sinns und Zwecks der Vorschrift bewegt oder aber - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - das Ergebnis einer teleologischen Reduktion ist. Eine solche teleologische Reduktion - also eine Beschränkung des Anwendungsbereichs einer Rechtsnorm in einer Weise, die Sachverhalte, die nach dem Wortlaut der Norm an sich erfasst wären, aus dem Anwendungsbereich ausschließt - wäre auch dann zulässig, wenn der Wortlaut der Vorschrift - wie der Kläger meint - eindeutig wäre. Eine reine Wortlautinterpretation, die den Sinn und Zweck einer Vorschrift außer Acht lässt, gebietet auch das Verfassungsrecht nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30.3.1993 - 1 BvR 1045/89 u. a. -, juris Rn. 67; Beschlüsse vom 19.8.2011 - 1 BvR 2473/10 u. a. -, juris Rn. 21).

13

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Rechtslage auch nach dem Inkrafttreten des Niedersächsischen Beamtenversorgungsgesetzes (Gesetz vom 17.11.2011, Nds. GVBl., S. 422 - NBeamtVG) zum 1. Dezember 2011 nicht anders zu beurteilen ist. Gemäß § 89 Abs. 2 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 4 NBeamtVG erhöht oder vermindert sich der Kürzungsbetrag bis zum 30. November 2011 gemäß § 57 Abs. 2 Satz 2 und 3 BeamtVG in der am 31. August 2006 geltenden Fassung. Es bleibt mithin insoweit bei der Anwendung von Bundesrecht. Die zum 1. Januar 2012 eingetretene letzte Anpassung der Versorgung erfolgt gemäß § 89 Abs. 3 i. V. m. § 88 Abs. 10 Satz 1 NBeamtVG; diese Anpassung bleibt bei der Bemessung des Kürzungsbetrages gemäß § 89 Abs. 2 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 NBeamtVG ebenfalls unberücksichtigt.

14

Nicht nachzuvollziehen vermag der Senat schließlich den weiteren Einwand des Klägers, es sei nicht erkennbar, ob das Familiengericht seiner Bezügeverminderung ausreichend Rechnung getragen habe. Das Familiengericht hat in seinem Beschluss vom 2. September 2009 einen Ruhegehaltssatz von 71,75 Prozent zugrunde gelegt. Eine unberücksichtigt gebliebene Verminderung der Versorgungsbezüge ist demzufolge nicht ersichtlich.

15

Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.

16

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, das heißt überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Die besonderen Schwierigkeiten müssen sich auf Fragen beziehen, die für den konkreten Fall und das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind, nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind und durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt worden sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 124 Rn. 9).

17

Gemessen daran fehlt es bereits an einer genügenden Darlegung dieses Zulassungsgrundes durch den Kläger. Der Kläger behauptet zwar, der Fall weise „tatsächliche und rechtliche Neuigkeiten“ auf, lässt aber eine Begründung im Einzelnen vermissen.

18

Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

19

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Das ist nur dann zu bejahen, wenn die Klärung der Frage durch die im erstrebten Berufungsverfahren zu erwartende Entscheidung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine bedeutsame Fortentwicklung des Rechts geboten erscheint (Nds. OVG, Beschluss vom 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, juris Rn. 14). Daran fehlt es bei der von dem Kläger sinngemäß aufgeworfenen Frage, ob der Wortlaut des § 57 Abs. 2 BeamtVG teleologisch zu reduzieren ist. Die Frage lässt sich angesichts des eindeutigen Normzwecks ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten, sodass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht bedarf. Die Frage ist - soweit ersichtlich - auch nicht umstritten. Soweit sich in der Literatur Äußerungen dazu finden, stützen diese - wie oben ausgeführt - einhellig die hier vertretene Rechtsauffassung. Abweichende Einschätzungen benennt auch der Kläger nicht.

20

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

22

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 10.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327). Der Senat berechnet den Streitwert - ausgehend von den Verhältnissen am Tag des Eingangs des Zulassungsantrages bei dem Oberverwaltungsgericht (§ 40 GKG) - wie folgt: 848,49 EUR (ursprünglicher Kürzungsbetrag ab 1.4.2011) - 4,85 EUR (Abhilfe in erster Instanz) - 809,22 EUR (von dem Kläger akzeptierter Kürzungsbetrag) = 34,42 EUR x 24 = 826,08 EUR.

 


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