Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 LA 43/18
Tenor
Auf den Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das ohne mündliche Verhandlung am 15. März 2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 1. Kammer (Einzelrichterin) – zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht darin die Beklagte in Bezug auf den Kläger verpflichtet hat, festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan vorliegt.
Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen
geführt.
Dem Kläger wird für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C., bewilligt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
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1. Die Berufung gegen das angefochtene Urteil ist auf Antrag der Beklagten wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i. S. v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zuzulassen, soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte in Bezug auf den Kläger verpflichtet hat, festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan vorliegt. Soweit das Verwaltungsgericht im Übrigen die Klage abgewiesen hat, ist das angefochtene Urteil rechtskräftig.
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Die Beklagte hat den gesetzlichen Anforderungen genügend dargelegt, dass die Rechtssache in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG und auf die Frage,
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ob ein junger alleinstehender Mann hazarischer Volkszugehörigkeit, der Afghanistan im Kindesalter verlassen hat und im Iran aufgewachsen ist, ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen, Berufsausbildung sowie ohne Vermögen und familiäres Netzwerk in der Lage ist, in Großstädten wie Kabul oder Herat ein Existenzminimum zu erwirtschaften,
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grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat.
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Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats und anderer Oberverwaltungsgerichte zunächst davon ausgegangen, dass für die Personengruppe der jungen, alleinstehenden und arbeitsfähigen männlichen afghanischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr in die Hauptstadt Kabul in aller Regel eine
extreme Gefahrensituation i. S. d. § 60 Abs. 5 AufenthG selbst dann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit droht, wenn der Rückkehrer beruflich nicht besonders qualifiziert ist und weder über nennenswertes Vermögen noch über Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte, die in Kabul leben, verfügt (vgl. beschließender Senat, Urteile vom 19.9.2016 - 9 LB 100/15 - juris Rn. 84 -; vom 20.7.2015 - 9 LB 320/14 -; Beschlüsse vom 13.3.2013 - 9 LA 34/13 -; vom 28.3.2014 - 9 LA 205/13 -; vom 14.4.2015 - 9 LA 267/13 -; vom 9.6.2015 - 9 LA 67/15 -; vom 15.6.2015 - 9 LA 297/14 -; OVG NRW, Urteil vom 3.3.2016 - 13 A 1828/09.A - juris Rn. 79 ff.; BayVGH, Beschluss vom 3.11.2017 – 13a ZB 17.31228 - juris; Urteil vom 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris Rn. 17; Beschluss vom 8.2.2017 - 13a ZB 17.30016 - juris Rn. 6 -; VGH BW, Urteile vom 6.3.2012 - A 11 S 3177/11- juris Rn. 37 ff.; vom 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris Rn. 40; OVG RP, Urteil vom 21.3.2012 - 8 A 11050/10 - juris Rn. 43 ff.; HessVGH, Urteil vom 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris Rn. 41 ff.).
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Das Verwaltungsgericht hat sodann im vorliegenden Fall angenommen, dass besondere Umstände nach seiner Meinung in ihrer Kumulation eine erhebliche individuelle konkrete Gefahrensituation für den Kläger begründen würden. Es hat die Umstände als besonders gewürdigt, dass es sich bei dem Kläger, einem hazarischen Volkszugehörigen ohne gesundheitlichen Beeinträchtigungen, um einen jungen alleinstehenden Mann ohne Berufsausbildung, ohne nennenswertes Vermögen, ohne zu erwartende Unterstützung durch Familie handelt, der im Iran aufgewachsen ist. Diese Merkmale zusammen erfüllen jedoch nicht nur vereinzelte Schutzsuchende, sondern eine Gruppe junger alleinstehender afghanischer Männer (vgl. auch VGH BW, Urteil vom 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 500 ff., 525). Ob die Gesamtheit der genannten Merkmale die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots erfüllt, bedarf einer grundsätzlichen Klärung im Berufungsverfahren.
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Ist die Berufung schon aus diesem Grund zuzulassen, bedarf es keiner Entscheidung mehr, ob auch die zweite, von der Beklagten aufgeworfene Frage,
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ob bei Rückkehr von Asylantragstellern nach Afghanistan aus dem Ausland pauschal von einem Wegfall der Unterstützung durch eine in Afghanistan lebende Großfamilie bzw. im Ausland lebender Verwandten auszugehen ist,
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grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat.
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2. Dem Kläger ist für das Berufungsverfahren gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2, 121 ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren.
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Nach der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist der Kläger nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Da der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat, ist nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
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Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 9 LB 93/18 fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 78 Abs. 5 S. 3 AsylG). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, oder in elektronischer Form nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des 9. Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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