Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 5 B 243/14
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 26. Februar 2014 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die von ihm bis zum 28.2.2014 bestätigte Versammlung der Antragsteller gegen Störungen durch Baumfällarbeiten und die öffentliche Wahrnehmbarkeit hindernde Einzäunungen zu schützen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf jeweils 5.000,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der vom Antragsteller dargelegten Gründe befindet, hat Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat den im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Antrag der Antragsteller,
4dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Versammlung der Antragsteller zu schützen, insbesondere, indem gegenüber der Stadt O. , vertreten durch den Bürgermeister, angeordnet wird, dass dieser nicht die Einzäunung der Versammlung anordnen darf oder anordnen lassen darf,
5zu Unrecht abgelehnt. Die Antragsteller machen keinen Anspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten geltend. Sie verlangen vielmehr von der sachlich zuständigen Versammlungsbehörde, die ordnungsgemäß angemeldete und mit Verfügung vom 25.2.2014 bestätigte Versammlung auf der Wiese vor der Realschule an der T.--straße in O. -O1. gegenüber Störungen durch Baumfällarbeiten und Einzäunungen zu schützen, die maßgeblich auf Betreiben der Stadt O. erfolgen.
6Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Es sind sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen sind gegeben.
7Der Antragsgegner ist als Versammlungsbehörde verpflichtet, die Versammlung der Antragsteller zu schützen, solange sie unter dem Schutz der durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit steht und nicht auf gesetzlicher Grundlage Beschränkungen angeordnet werden. Dessen ist sich der Antragsgegner zwar grundsätzlich bewusst. Gleichwohl bedarf es zur Verwirklichung der Rechte der Antragsteller einer einstweiligen Anordnung. Denn die Beteiligten haben unterschiedliche Vorstellungen über den Umfang der aus der Versammlungsfreiheit folgenden Rechte, insbesondere bezogen auf das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, sowie darüber, in welcher Weise die aktuell andauernde Versammlung gegenüber Störungen und Gefährdungen durch Dritte zu schützen ist.
8Einen Schutz gegenüber Gefährdungen und Störungen im Zuge von Baumfällarbeiten können die Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner beanspruchen, weil ihre Versammlung unter die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG fällt. Dieses Grundrecht schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet als Abwehrrecht auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können. Die Versammlungsfreiheit verschafft zwar kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Jedoch verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies gilt nicht nur für den Straßenraum, der nach straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen förmlich zum öffentlichen Gebrauch gewidmet ist. Ebenso können Versammlungen unter dem grundrechtlichen Schutz an Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums stattfinden, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen.
9Vgl. BVerfG, Urteil vom 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 –, BVerfGE 128, 226 = juris, Rn. 63 ff.
10Ausweislich Nr. 2.2 und 2.3 der Einleitungsbegründung zum Entwurf für den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan , O1. , M.------platz (Lebensmittelmarkt), APS 17-2013-2, befindet sich im Plangebiet, auf dem die Versammlung der Antragsteller stattfindet, eine – von Wegen durchzogene – öffentliche Grünfläche mit einem älteren Baumbestand. An die Grünfläche grenzen v. a. eine Ganztagsrealschule, eine Kindertagesstätte, ein öffentlicher Spielplatz und eine öffentliche PKW-Stellplatzanlage. Die Versammlung hatte nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragsteller begonnen, als Mitarbeiter der Stadt O. Maschinen zum Fällen der Bäume auffahren ließen, die faktisch öffentliche Grünfläche aber noch allgemein zugänglich war, insbesondere bevor Bauzäune aufgestellt wurden. Der Antragsgegner hat die Versammlung am 25.2.2014 für die Zeit vom 25.-28.2.2014 ganztägig (24-Stunden) für die Wiese der Realschule bestätigt. Ausgehend davon spricht bei summarischer Prüfung alles dafür, dass die Versammlung unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit auf einer öffentlichen Grünfläche stattfindet, auf der trotz fehlender straßenrechtlicher Widmung in ähnlicher Weise ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Daran ändert sich nichts dadurch, dass nach Beginn der Versammlung Bauzäune errichtet worden sind, ohne dass in einem rechtsförmigen Verfahren bereits über eine neue Nutzung entschieden worden ist. Insbesondere ist der Vorhabenbezogene Bebauungsplan , O1. , M.------platz (Lebensmittelmarkt) noch nicht rechtsgültig. Auch ist die Stadt O. ungeachtet des Verkaufs des Geländes weiterhin Eigentümerin.
11Die Versammlung der Antragsteller fällt der Sache nach unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG. Ihnen geht es in erster Linie um eine Teilhabe an der Meinungsbildung und nicht um eine – von der Versammlungsfreiheit nicht erfasste – zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen.
12Vgl. zu dieser Abgrenzung BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u. a. –, BVerfGE 104, 92 = juris, Rn. 42 ff.
13Sie möchten ihren Widerstand gegen den geplanten Bau eines Lebensmittelmarkts zum Ausdruck bringen und zusätzlich durch ihre Anwesenheit verhindern, dass Bäume zu einem Zeitpunkt gefällt werden, in dem nicht gewiss ist, ob die geplante Bebauung mit einem Supermarkt überhaupt realisiert werden kann. Durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes möchten sie im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Sie hoffen, auf diese Weise auf die politische Meinungsbildung bezogen auf den Vorhabenbezogenen Bebauungsplan Einfluss nehmen zu können, bevor anderweitig Fakten geschaffen werden. Darüber hinaus rechnen sie sich auch in einem schon jetzt angedachten Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan – sollte er plangemäß beschlossen werden – auf der Grundlage eines bereits eingeholten Gutachtens Chancen aus, die Bebauung notfalls auf dem Rechtsweg zu stoppen. Die Grenze zur selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener Forderungen haben sie bislang – soweit ersichtlich – nicht überschritten. Im Gegenteil haben Mitarbeiter der Stadt O. und von diesen Beauftragte – mit Blick auf das vom 1.3. bis zum 30.9. geltende Baumfällverbot nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG – im Vorgriff auf den Abschluss des demokratischen Willensbildungsprozesses (Ratssitzung am 18.3.2014) zur weiteren Nutzung der bisherigen Grünfläche Fakten geschaffen. Sie haben ungeachtet der anwesenden und hierdurch gestörten Versammlungsteilnehmer und ohne ersichtlich abgeschlossene demokratische Legitimation für die beabsichtigte neue Nutzung Baumfällarbeiten beginnen lassen und möchten diese entsprechend fortführen. Demgegenüber sind die Antragsteller Anweisungen durch Polizeibedienstete, den Standort zu wechseln, um nicht durch herabstürzende Äste gefährdet zu werden, jeweils nachgekommen. Nur deshalb war es überhaupt möglich, innerhalb des Zeitplans der Stadt O. am 26.2.2014 letztlich ungehindert bereits etwa 50 Bäume zu fällen. Die Antragsteller sind zu einer – auch geringfügigen – Verlagerung ihres Standorts auf der Wiese allerdings nicht mehr bereit, wenn sie nach gerichtlicher Überprüfung hierzu nicht verpflichtet sind. Letztlich geht es den Antragstellern nicht um Selbsthilfe, sondern darum, dass demokratisch zu treffenden und vor Gerichten zu überprüfenden Entscheidungen nicht faktisch vorgegriffen wird.
14Die Versammlung der Antragsteller verliert den Schutz des Art. 8 GG auch nicht deshalb, weil sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr "spontan" ist. Es handelt sich wegen ihres Anlassbezugs um eine Eilversammlung, für die allein die Besonderheit gilt, dass die Frist des § 14 VersammlG nicht eingehalten werden konnte, um das kommunikative Anliegen rechtzeitig zur Geltung zu bringen.
15Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.10.1991 – 1 BvR 850/88 –, BVerfGE 85, 69 = juris, Rn. 23 f.
16Ebenso wie bei jeder anderen Versammlung endet ihr grundrechtlicher Schutz grundsätzlich erst bei kollektiver Unfriedlichkeit. Unfriedlich ist eine Versammlung, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht aber schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen. Der Schutz des Art. 8 GG endet erst mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung durch die Versammlungsbehörde.
17Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2011 – 1 BvR 388/05 –, NJW 2011, 3020 = juris, Rn. 33.
18Solange die Versammlung nicht aufgelöst ist und die engen Voraussetzungen für beschränkende Verfügungen nach § 15 VersammlG nicht gegeben sind, bleibt der Antragsgegner bei unveränderter Sachlage zum Schutz der Versammlung der Antragsteller verpflichtet.
19Soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend auf Grund des Verhaltens Dritter zu befürchten sind, muss die zuständige Behörde die Durchführung der Versammlung schützen und hat behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 –, NVwZ 2013, 570 = juris, Rn. 17, m. w. N.
21Eine unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehende Versammlung wird nicht in diesem Sinne "geschützt", indem ihr der von den Veranstaltern zulässigerweise gewählte Versammlungsort – wenn auch nur geringfügig – streitig gemacht wird, um die Versammlungsteilnehmer vor herabstürzenden Bäumen zu schützen. Im Gegenteil hat die Versammlungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass Störungen und Gefährdungen der Versammlungsteilnehmer gerade an dem versammlungsrechtlich geschützten Versammlungsort unterblieben. Insofern hat sie gegebenenfalls gegen diejenigen vorzugehen, die Versammlungsteilnehmer an diesem Standort gefährden oder die öffentliche Wahrnehmbarkeit der Versammlung dort – etwa durch das Errichten von Bauzäunen – in Frage stellen. Des entsprechenden Schutzanspruchs begeben sich die Versammlungsteilnehmer auch dann nicht, wenn sie sich – wie hier ausdrücklich vorbehaltlich einer gerichtlichen Klärung – vorübergehend mit der mündlichen Zuweisung eines anderen Standorts für ihre Versammlung einverstanden erklärt haben.
22Lediglich vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass ein Ausgleich widerstreitender Grundrechtsinteressen durch versammlungsbehördliche Verfügung nach derzeitiger Aktenlage nicht geboten ist. Eine Grundrechtskollision zwischen der Versammlungsfreiheit und dem Eigentumsrecht der Stadt O. besteht schon deshalb nicht, weil einer gemeindlichen Gebietskörperschaft mangels einer grundrechtstypischen Gefährdungslage das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben jedenfalls in aller Regel nicht zusteht. Art. 14 GG als Grundrecht schützt nicht das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater.
23Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.7.2002 – 1 BvR 403/02 –, DVBl. 2002, 1404 = juris, Rn. 11, m. w. N.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
25Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
26Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- 1 BvR 850/88 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- 1 BvR 2794/10 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 388/05 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG 5x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 403/02 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- VersammlG § 14 1x
- VwGO § 123 3x
- 1 BvR 699/06 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1190/90 1x (nicht zugeordnet)