Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 14 B 528/14
Tenor
Der Beschluss des Senats vom 30. Mai 2014 im vorliegenden Verfahren wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beschwerde statt verworfen zurückgewiesen wird.
1
G r ü n d e :
2Der Beschluss des Senats im vorliegenden Verfahren vom 30.5.2014 ist nach § 152a Abs. 5 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 343 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) aufrecht zu erhalten, weil sich nach erneuter Prüfung erweist, dass die auf Grund des fortgeführten Verfahrens zu treffende Entscheidung mit der Entscheidung vom 30.5.2014 übereinstimmt. Allerdings ist die Beschwerde, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern als unbegründet zurückzuweisen. Das ändert nichts daran, dass beide Entscheidungen "übereinstimmen" im Sinne des § 343 Satz 1 ZPO.
3Die Anordnung der Aufrechterhaltung der vorangegangenen Entscheidung in § 152a Abs. 5 Satz 4 VwGO i. V. m § 343 Satz 1 ZPO, "insoweit die Entscheidung, die auf Grund der neuen Verhandlung zu erlassen ist, mit der in" dem vorangegangenen Beschluss "enthaltenen Entscheidung übereinstimmt", beruht auf dem Gedanken, dass eine Entscheidung, die zwar verfahrensmäßig unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör getroffen wurde, aber im Ergebnis richtig ist, weiterhin in Kraft bleiben soll. Das ergibt sich aus der Verweisung auf § 343 ZPO für den Inhalt der Entscheidung, die nach Fortführung des Verfahrens zu treffen ist. Sie soll der gleichen Regelung wie bei einer Entscheidung nach Einspruch gegen ein Versäumnisurteil folgen.
4Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722, S. 86 zu Art. 2 Nr. 49 (ursprüngliche Fassung des § 321a ZPO zur Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör), Gesetz geworden durch Art. 2 Nr. 49 des Zivilprozessreformgesetzes vom 27.7.2001, BGBl. I S. 1887.
5Für die nach Einspruch gegen ein Versäumnisurteil zu treffende Entscheidung ist aber anerkannt, dass das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten ist, selbst wenn die neue Entscheidung aus ganz anderen Erwägungen erfolgt.
6Schumann, in: Stein-Jonas, ZPO, Zweiter Band, Teilband 2, 20. Aufl., § 342 Rn. 2.
7Das gilt namentlich auch für die Konstellation, dass ein als Prozessurteil ergangenes Versäumnisurteil als sachlich klageabweisendes Urteil aufrechterhalten wird oder umgekehrt.
8Vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl., § 343 Rn. 4; Herget in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 343 Rn. 4; a.A. Czub in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl., § 343 Rn. 6; Wieczorek, ZPO, 2. Band, 2. Aufl., Anm. A II a.
9Der vorgenannten abweichenden Meinung schließt sich für das verwaltungsgerichtliche Verfahren Happ,
10in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 152a Rn. 25,
11an, weil die entsprechende Anwendung der für das Versäumnisurteil geltenden Auffassung dem Anliegen des Anhörungsrügeverfahrens (Heilung eines wesentlichen Verfahrensverstoßes) nicht gerecht würde. Dem kann nicht gefolgt werden. Der tragende Gesichtspunkt des § 343 ZPO ist der, dass ein ergebnisrichtiges Versäumnisurteil im Einspruchsverfahren aufrecht erhalten werden soll, vor allem weil die ergangene Entscheidung als Vollstreckungstitel (hier allerdings nur für die Kosten) Bestand haben soll.
12Darauf stellt vor allem OLG Köln, Urteil vom 18.9.1975 ‑ 1 U 24/75 ‑, NJW 1976, 113, ab; ebenso Herget in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 343 Rn. 3 f. und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl., § 343 Rn. 2 und auch der ansonsten die abweichende Auffassung vertretende Czub in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl., § 343 Rn. 1.
13Diese Grundsätze sollen auch für die Aufrechterhaltung der Entscheidung nach Fortführung des Verfahrens auf Grund einer Anhörungsrüge gelten. Insofern ähnelt die Situation der revisionsrechtlichen Aufrechterhaltung eines Bundesrecht verletzenden Instanzurteils nach § 144 Abs. 4 VwGO. Danach ist die Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts ergeben, sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. Für diese aus Gründen der Prozessökonomie bestehende Regelung ist anerkannt, dass ein den Rechtsbehelf als unzulässig abweisendes Instanzurteil auch dann als aus anderen Gründen richtig aufrecht erhalten werden muss, wenn der Rechtsbehelf zwar zulässig, aber der Sache nach unbegründet ist. Ebenso ist ein den Rechtsbehelf sachlich abweisendes Instanzurteil als aus anderen Gründen richtig aufrecht zu erhalten, wenn der Rechtsbehelf als unzulässig abzuweisen ist. Das unzulässige Sachurteil wird dann durch die die Revision zurückweisende Entscheidung in ein Prozessurteil umgewandelt.
14Vgl. Kopp/Schenke/VwGO, 20. Aufl., § 144 Rn. 4; Eichberger in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblattsammlung (Stand: März 2014), § 144 Rn. 49 f.; Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 144 Rn. 28.
15Eine unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergangene Entscheidung stimmt daher auch dann im Sinne des § 152a Abs. 5 Satz 4 VwGO i. V. m § 343 Satz 1 ZPO überein mit der im fortgeführten Verfahren zu treffenden Entscheidung, wenn sich die erste Entscheidung aus anderen Gründen als richtig im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO erweist.
16Im Gegensatz zu der Annahme im Senatsbeschluss vom 30.5.2014 erweist sich die Beschwerde als zulässig. Wie die Antragstellerin zutreffend vorträgt, hat sie die Beschwerde rechtszeitig im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet. Allerdings ist die Beschwerde in der Sache zurückzuweisen, da sie unbegründet ist.
17Der Antrag,
18die aufschiebende Wirkung der Klagen 9 K 496/14 vor dem Verwaltungsgericht Aachen gegen den Vergnügungssteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 21.2.2014 anzuordnen,
19hat auch im Beschwerdeverfahren keinen Erfolg. Dem Antrag ist nicht wegen der im Beschwerdeverfahren dargelegten, vom Senat alleine zu prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) stattzugeben. Sie begründen nämlich keine die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Bescheid aus den dargelegten Gründen rechtswidrig sind.
20Zu Unrecht meint die Antragsstellerin, dass die satzungsrechtliche Besteuerungsgrundlage des Spieleraufwands (gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 der Vergnügungssteuersatzung der Antragsgegnerin vom 14.12.2011 ‑ VS ‑: die zur Erlangung des Spielvergnügens aufgewendeten Beträge) das Einspielergebnis (Kasseninhalt) im Besteuerungszeitraum und nicht die Summe der Einsätze im Besteuerungszeitraum im Sinne der Spielverordnung (SpielVO) sei.
21Die satzungsrechtliche Umschreibung der Besteuerungsgrundlage gibt keinen Anlass, am Inhalt der Norm zu zweifeln. Abgabebegründende Tatbestände müssen so bestimmt sein, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabe ‑ in gewissem Umfang - vorausberechnen kann. Diesen Anforderungen genügt der hier in Rede stehende Begriff des Spieleraufwands. Ihm ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass das gemeint ist, was § 12 Abs. 2 Satz 1 Buchst. d SpielVO als ‑ notwendig zu dokumentierende ‑ Einsätze bezeichnet. Der Bezug des Besteuerungsmaßstabs zu den durch das Gerät dokumentierten Angaben zu den Spieleinsätzen ergibt sich namentlich aus § 7a VS, der für den Fall, dass der Apparat "die Spieleinsätze" nicht speichert, als Besteuerungsgrundlage das Dreieinhalbfache des Einspielergebnisses regelt. Es ist auch schon dem Begriff des Spieleraufwands zu entnehmen, dass es bei diesem Maßstab auf das Ergebnis des Spiels und damit etwaige Gewinne nicht ankommt.
22Vgl. zur Auslegung von Satzungen, die auf den Spieleraufwand als Besteuerungsgrundlage abstellen OVG NRW, Beschluss vom 10.12.2013 ‑ 14 A 2400/13 ‑, NRWE Rn. 8 ff.
23Der Spieleraufwandsmaßstab (Einsatzmaßstab) ist zulässig.
24Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.6.2013 ‑ 14 A 1118/13 ‑, NRWE Rn. 4 ff.
25Eine unzulässige Erdrosselungswirkung der Steuer wird durch den Hinweis der Antragstellerin nicht begründet, dass die Steuer hier das Einspielergebnis mit der ebenfalls anfallenden Umsatzsteuer sogar zu über 100 % aufzehre. Das Ergebnis mag so sein, ist aber lediglich Ausdruck dessen, dass es die Antragstellerin bei der Führung ihres Betriebs versäumt hat, Geräte einzusetzen, die ein so hohes Einspielergebnis erwirtschaften, dass die betrieblichen Kosten, also auch die anfallenden Steuern, erwirtschaftet werden. Das zeigen auch die hier vorliegenden Daten: Die Antragstellerin hat nach ihren Angaben im Besteuerungszeitraum ein Einspielergebnis von 35.276,40 Euro erwirtschaftet, wobei nach dem angefochtenen, auf der Auswertung der Zählwerksausdrucke beruhenden Bescheid Einsätze von 595.668 Euro getätigt wurden. Mithin wurde ein Gewinn von 560.391,60 Euro ausgeschüttet, was einer Auszahlungsquote von 94,07 % entspricht. Offensichtlich können bei einer derartigen Auszahlungsquote die betrieblichen Kosten nicht erwirtschaftet werden.
26Dem Antrag ist auch nicht deshalb stattzugeben, weil die Vollziehung der Bescheide für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Antragstellerin macht insoweit geltend, sie habe bei dieser Steuerforderung einen Insolvenzantrag stellen müssen, wobei der Antrag aber bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückgenommen werden könne.
27Das ist jedoch wahrscheinlich nicht der Fall. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hat bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung ‑ InsO ‑). Bei Berücksichtigung der Steuerforderung liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wie die Antragstellerin mit dem gestellten Insolvenzantrag selbst zu erkennen gibt. Die Antragstellerin ist jedoch unabhängig von der Zahlungsunfähigkeit auch überschuldet, weil ihr Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Das ergibt sich aus der im Parallelverfahren 14 B 494/14 vorgelegten Bilanz zum Stichtag 16.4.2014. Sie ist überhaupt nur deswegen ausgeglichen, weil Umsatzsteuerrückstellungen für das laufende Jahr in Höhe von -13.438,45 Euro vermerkt sind. Steuerrückstellungen sind aber positiv zu passivieren. Allenfalls kann eine Fehlbuchung vorliegen, wenn es sich um eine erwartete Steuererstattung handeln sollte, die dann aber unter Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände zu aktivieren wäre. Das kann jedoch alles auf sich beruhen, da die hier in Rede stehende Steuerforderung bilanziell nicht erfasst ist. Allein das führt bereits zur Überschuldung.
28Festgesetzte Steuern, deren Entstehen und Höhe nicht streitig sind, müssen handelsrechtlich als Verbindlichkeiten passiviert werden (vgl. §§ 242 Abs. 1, 247 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs ‑ HGB ‑). Selbst wenn noch keine Veranlagung erfolgt ist oder wenn über den Steuerbescheid ‑ wie hier ‑ ein Rechtsstreit geführt wird, sind gemäß § 249 Abs. 1 HGB Rückstellungen zu bilden, und zwar in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB).
29Vgl. m.w.N. OVG NRW, Beschluss vom 16.5.2012 ‑ 14 A 996/12 ‑, NRWE Rn. 17. f.
30Das ist hier angesichts der oben dargestellten Rechtslage der volle Steuerbetrag, wobei für die Aussetzung noch die gesetzlichen Aussetzungszinsen hinzukämen. Somit müssten zur Vermeidung einer Überschuldung den Rückstellungen in der vorgenannten Höhe mindestens ein gleichwertiges Vermögen entgegenstehen.
31Zur Einbeziehung von notwendigen Rückstellungen in den Überschuldungsbegriff nach deutschem Recht vgl. Kirchhof, in: Kreft, InsO, 5. Aufl., § 19 Rn. 24; Bremen, in: Graf-Schlicker, InsO, 2. Aufl., § 19 Rn. 30; Schmidt, in: Schmidt, InsO, 18. Aufl., § 19 Rn. 41.
32Das ist nicht erkennbar, so dass sich auch bei der erstrebten Aussetzung nach Aktenlage an der Insolvenzreife der Antragstellerin nichts ändert.
33Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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