Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 601/16
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 10.5.2016 geändert:
Die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 4227/16 (VG Düsseldorf) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 2.3.2016 wird hinsichtlich der Gewerbeuntersagung nach Nr. 2 und 3 der Verfügung wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung nach Nr. 5 der Verfügung angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 4/7, der Antragsteller zu 3/7.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerde-verfahren auf 17.500,00 EUR festgesetzt.
1
Die Beschwerde des Antragstellers hat teilweise Erfolg.
2Das Verwaltungsgericht hat den (sinngemäßen) Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 4227/16 (VG Düsseldorf) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 2.3.2016 hinsichtlich des Widerrufs der Erlaubnis gemäß § 34c GewO und der Gewerbeuntersagung wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung anzuordnen,
4abgelehnt. Seiner im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorgenommenen Interessenabwägung liegt die Annahme zu Grunde, die Voraussetzungen für den Widerruf der gemäß § 34c Abs. 1 GewO erteilten Erlaubnis für die selbständige Ausübung des Gewerbes „Vermittlung von Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten, Wohnräumen, gewerblichen Räumen, An- und Verkauf von Immobilien“ (Nr. 1), für die Untersagung dieses konkreten Gewerbes sowie für eine erweiterte Gewerbeuntersagung (Nr. 2 und 3) lägen bei summarischer Prüfung vor. Der Antragsteller sei gewerberechtlich unzuverlässig. Die Steuerrückstände beim Finanzamt N. hätten am 26.2.2016 rund 30.000,00 EUR betragen. Darüber hinaus sei der Antragsteller ab November 2013 nicht mehr in der Lage gewesen, freiwillige Zahlungen auf den Steuerrückstand zu leisten. Pfändungen seien erfolglos geblieben. Auch habe der Antragsteller Steuererklärungen nicht rechtzeitig eingereicht. Ferner bestünden (u. a. wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft und Ausschlusses der Gläubigerbefriedigung) acht Eintragungen im Schuldnerverzeichnis. Zudem habe der Antragsteller kein tragfähiges Sanierungskonzept vorgelegt.
5Diese Erwägungen tragen in der vorliegenden Konstellation nicht die Annahme, auch die Gewerbeuntersagung und die hieran anknüpfende Zwangsgeldandrohung stellten sich aller Voraussicht nach als rechtmäßig dar, so dass das öffentliche Vollziehungsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege (dazu unten a). Bezogen auf den Widerruf der Erlaubnis nach § 34c Abs. 1 GewO wird die Würdigung des Verwaltungsgerichts durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht erschüttert (dazu unten b).
6a) Bezogen auf die Gewerbeuntersagung einschließlich der hieran anknüpfenden erweiterten Gewerbeuntersagung sowie hinsichtlich der an die Gewerbeuntersagung anknüpfenden Zwangsgeldandrohung besteht kein öffentliches Vollziehungsinteresse. Die Gewerbeuntersagung und ihre Erweiterung können nicht auf § 35 Abs. 1 GewO gestützt werden. Dem steht § 35 Abs. 8 GewO entgegen. Nach dieser Vorschrift sind § 35 Abs. 1 bis 7a GewO nicht anzuwenden, soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann. Durch § 35 Abs. 8 GewO soll vermieden werden, dass ein Gewerbe wegen Unzuverlässigkeit aufgrund zweier verschiedener Vorschriften untersagt werden kann. Eine Untersagung kann folglich nach § 35 Abs. 8 GewO nicht auf § 35 GewO gestützt werden, wenn für die Untersagung in der Gewerbeordnung oder in gewerberechtlichen Nebengesetzen eine abschließende Regelung besteht. Setzt die jeweilige Gewerbeerlaubnis spezialgesetzlich die gewerberechtliche Zuverlässigkeit voraus, haben die Vorschriften über die Rücknahme (§ 48 Abs. 1 VwVfG NRW) und den Widerruf (§ 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW) nach § 35 Abs. 8 GewO somit regelmäßig Vorrang vor der Untersagung nach § 35 GewO. Die Gesamtheit der Vorschriften des § 35 Abs. 1 bis 7a GewO ist dann nicht anwendbar.
7Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.8.1986 – 1 B 98.86 –, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 43 = juris, Rn. 4; Sächs. OVG, Beschluss vom 21.10.2014 – 3 B 77/14 –, juris, Rn. 17; Hamb. OVG, Beschluss vom 5.4.2005– 1 Bs 64/05 –, GewArch 2005, 257 = juris, Rn. 3 f.
8Da § 34c Abs. 2 GewO spezialgesetzlich die gewerberechtliche Zuverlässigkeit voraussetzt, durfte die Antragsgegnerin neben dem Widerruf der Erlaubnis nach § 34c GewO nicht eine auf § 35 GewO gestützte Gewerbeuntersagung aussprechen und diese Untersagung auch nicht nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf alle anderen Gewerbe erstrecken.
9§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO steht einer teilweise stattgebenden Entscheidung nicht entgegen, weil diese Vorschrift den Senat – entsprechend dem Grundsatz, dass das Gericht den Streitgegenstand unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen hat (jura novit curia) – jedenfalls dann nicht davon entbindet, die gesetzlichen Voraussetzungen streitgegenständlicher behördlicher Anordnungen zu prüfen, wenn diese – wie hier – aus anderen als den dargelegten Gründen offensichtlich rechtswidrig sind.
10Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.8.2003 – 1 BvQ 30/03 –, NJW 2003, 3689 = juris, Rn. 5; Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 146 Rn. 30; siehe auch BVerwG, Urteil vom 30.10.2014 – 2 C 10.13 –, juris, Rn. 33, sowie Beschluss vom 8.7.1998 – 4 BN 22.98 –, NVwZ 1998, 1298 = juris, Rn. 16.
11b) Bezogen auf den Widerruf der Erlaubnis nach § 34c Abs. 1 GewO bleiben die Einwände des Antragstellers ohne Erfolg. Der Antragsteller hatte in dem für die Beurteilung seiner Zuverlässigkeit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung als letzter behördlicher Entscheidung,
12vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.7.1993 – 1 B 105.93 –, GewArch 1993, 414 = juris, Rn. 4,
13Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt N. in Höhe von über 30.000,00 EUR. Er macht ohne Erfolg geltend, dass trotz der hohen Steuerschulden eine positive Zuverlässigkeitsprognose hätte getroffen werden müssen. Er legt keine konkreten Umstände dar, die dies hätten rechtfertigen können, wie etwa Anzeichen für eine Besserung seiner wirtschaftlichen Situation oder die Existenz eines nachvollziehbaren und erfolgversprechenden Sanierungskonzepts.
14Vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Urteil vom 12.4.2011 – 4 A 1449/08 –, NVwZ-RR 2011, 563 = juris, Rn. 29.
15Das Vorbringen des Antragstellers, das Maß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sei nicht so groß, dass jedwedes Sanierungsvorhaben von vornherein ausgeschlossen wäre, ist als pauschale Behauptung unerheblich. Der Antragsteller ist gehalten, ein konkretes und schlüssiges Sanierungskonzept vorzulegen. Daran fehlt es hier. Der Verweis auf die mit der Volksbank N. eG getroffene Vereinbarung vom 8.1.2016, die als „Kernvereinbarung für eine Sanierung zu sehen sei“, ist unerheblich. Gegenstand der Vereinbarung ist allein, wie die bei der Volksbank bestehenden Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 1.380.000,00 EUR zurückgeführt werden sollen. Anhaltspunkte dazu, innerhalb welchen konkreten Zeitraums der Antragsteller den beim Finanzamt N. bestehenden Steuerrückstand zu tilgen beabsichtigt, ergeben sich daraus nicht.
16Auch der weitere Einwand des Antragstellers, er habe glaubhaft gemacht, dass ihm weitere Mittel für eine Sanierung bereit stünden, greift nicht durch. Es kann dahingestellt blieben, ob und wann dem Antragsteller die monatlichen (Brutto-) Mieteinnahmen aus dem Objekt I. . 10/12, N. , in Höhe von ca. 16.600,00 EUR wieder vollständig zur Verfügung stehen und ob es ihm – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme eines Privatdarlehens in Höhe von 250.000,00 EUR – gelingen wird, die auf dem Grundvermögen liegenden Belastungen und seine weiteren Verbindlichkeiten zu tilgen. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Antragstellers, der nach eigenen Angaben im Wesentlichen von seinem Immobilienvermögen (Mietüberschüssen) lebt, folgt auch daraus, dass er es unterlässt, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit schon jetzt durch den Verkauf des Grundeigentums im Wert von ca. 2.800.000,00 EUR wiederherzustellen und aus dem nach Ablösung der Verbindlichkeiten verbleibenden – nach Ansicht des Antragstellers nicht unerheblichen – Vermögen auch den bestehenden Steuerrückstand zu tilgen. Allein der Umstand, dass es dem Antragsteller ausschließlich darum geht, seine Immobilien und die aus ihrer Vermietung erzielten Einnahmen zu erhalten, ohne auch nur ansatzweise einen konkreten Vorschlag zur Tilgung des Steuerrückstands zu unterbreiten, belegt seine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit. Denn dieses Verhalten verdeutlicht, dass der Antragsteller schon nicht willens ist, seine steuerlichen Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen.
17Im Übrigen ist der Antragsteller der selbständig tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts, seine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit sei auch mit Blick auf die Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis anzunehmen, nicht entgegen getreten.
18Die dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen es ferner nicht, dem Antragsteller deshalb vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, weil ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Widerrufsverfügung nur anzunehmen ist, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass sich die mit dem Widerruf der erteilten Gewerbeerlaubnis bekämpfte Gefahr schon in der Zeit bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren kann. Zwar ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Begründetheit dieser Besorgnis unter Berücksichtigung auch solcher Umstände zu beurteilen, die erst nach dem Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung eingetreten sind.
19Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.6.2016– 4 B 1339/15 –, juris, Rn. 13 f., m. w. N., und vom 20.5.2016 – 4 B 12/16 –, juris, Rn. 15 f.
20Der weitere Verlauf zeigt jedoch, dass es dem Antragsteller nicht gelingt, seine steuerlichen Verbindlichkeiten abzubauen. Nach der unbestritten gebliebenen Auskunft der Antragsgegnerin ist der Steuerrückstand auf rund 31.000,00 EUR gestiegen.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
23Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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