Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 2245/18.A
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 9.5.2018 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Münster wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe
1Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
2Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Abweichung vom Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, wegen Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zuzulassen. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht weder ein allgemeines Ermessen eröffnet, ob einem Asylbewerber trotz widersprüchlichen Sachvortrags geglaubt werden kann, noch enthält sie einen abstrakten Rechtssatz, der von dem im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.2.1988 ‒ 9 C 32.87 ‒, DVBl. 1988, 653 = juris, Rn. 9, aufgestellten Rechtssatz abweicht, auf den sich das Verwaltungsgericht gestützt hat (Urteilsabdruck, Seite 5, zweiter Absatz). Danach kann dem Asylsuchenden bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, Rn. 3 f., stützt sich sinngemäß auf denselben Rechtssatz, wenn er klarstellt, der Richter könne sich wegen erheblicher Widersprüche im Vorbringen des Asylbewerbers daran gehindert sehen, diesem zu glauben, es sei denn, die Widersprüche und Unstimmigkeiten könnten überzeugend aufgelöst werden. Zum Beleg bezieht er sich u. a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.2.1988 ‒ 9 C 273.86 ‒, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 79 = juris, Rn. 11, das ‒ ebenso wie sein Urteil vom 23.2.1988 ‒ 9 C 32.87 ‒, DVBl. 1988, 653 = juris, Rn. 9 ‒ auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.8.1974 ‒ BVerwG 1 B 15.74 ‒, Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 6, zurückgeführt worden ist. Dort heißt es: „Dass eine Glaubhaftmachung an widersprüchlichen Angaben scheitern und trotz erheblicher Widersprüche im Sachvortrag nur bei einer überzeugenden Auflösung solcher Widersprüche bejaht werden kann, versteht sich von selbst und bedarf zu seiner Klärung nicht der Zulassung und Durchführung des Revisionsverfahrens“.
3Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, Rn. 3 f., stellt ausgehend von diesem Rechtssatz ausdrücklich klar, dass ein Gericht hiervon nicht abweicht, wenn es ‒ in freier richterlicher Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ‒ im konkreten Einzelfall trotz eines insgesamt nicht ganz widerspruchsfreien Sachvortrags die Angaben des Klägers in den entscheidenden Punkten als glaubhaft ansieht, weil die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist, woraus sich häufig Widersprüche im Sachvortrag ergeben können, die nicht einfach den betroffenen Asylbewerbern angelastet werden dürfen. Im konkreten Einzelfall ließen sich die festgestellten Widersprüche im Sachvortrag, die zudem nicht den im Kern glaubhaften Vortrag des Klägers betrafen, hierdurch überzeugend auflösen. Ausgehend davon hat auch das Verwaltungsgericht weder ausdrücklich noch im Ergebnis einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von den im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒, NVwZ 1990, 171 = juris, Rn. 3, wiedergegebenen Grundsätzen abweicht. Abgesehen davon hat es selbst im konkreten Einzelfall die festgestellten Widersprüche nicht auflösen können.
4Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
5Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Teil eines Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2014 ‒ 4 C 35.13 ‒, NVwZ 2015, 656 = juris, Rn. 42, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 21.1.2016 ‒ 4 A 787/15.A ‒, juris, Rn. 3 f., m. w. N.
7Mit seiner sinngemäßen Rüge, das Verwaltungsgericht hätte angesichts der von ihm festgestellten erheblichen, nicht überzeugend aufgelösten Widersprüche im Vorbringen des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 21.7.1989 ‒ 9 B 239.89 ‒ ein ihm eröffnetes „Ermessen“ ausüben müssen, ob es das Vorbringen als unglaubhaft werte, zeigt der Kläger keine Verletzung rechtlichen Gehörs auf. Insoweit beanstandet der Kläger vielmehr lediglich die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, zeigt jedoch keinen Verfahrensfehler i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO auf. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist dem sachlichen Recht zuzuordnen und rechtfertigt von vornherein nicht die Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensmangels.
8Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 ‒ 10 B 21.09 u. a. ‒, juris, Rn. 13, m. w. N., und vom 2.11.1995 ‒ 9 B 710.94 ‒, DVBl. 1996, 108 = juris, Rn. 5.
9Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylG.
10Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Referenzen
- VwGO § 138 1x
- 4 A 787/15 1x (nicht zugeordnet)