Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 B 1866/18
Tenor
Die Beschwerden werden zurückgewiesen. Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte; ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen sie jedoch jeweils selbst. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 24.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerden haben keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 15. Juni 2018 im Ergebnis zu Recht auch insoweit stattgegeben, als die Klage sich gegen den planfestgestellten Neubau der L.----straße L1. 76n richtet.
4Das Beschwerdevorbringen, bei dem der Senat nur die dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine andere Entscheidung.
5I. Der Prüfungsmaßstab für das Verfahren des vorl8;ufigen Rechtsschutzes sind die allgemeinen Grundsätze einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verfahren, in denen - wie hier - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Verwaltungsakt begehrt wird, dessen sofortige Vollziehung von der erlassenden Behörde auf der Grundlage des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist.
="absatzRechts">6Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 zweite Alternative i. V. m. § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Die gerichtliche Ermessensentscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ergeht auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind auf der einen Seite das Interesse des Antragstellers, die Aussetzung der Vollziehung zu erreichen (Aussetzungsinteresse), und auf der anderen Seite das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse). Im Rahmen der Interessenabwägung ist der Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bzw. der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. In der Regel überwiegt das Vollziehungsinteresse, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt nach dem Prüfungsmaßstab des summarischen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens als offensichtlich rechtmäßig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache ohne Aussicht auf Erfolg sein dürfte. Demgegenüber überwiegt grundsätzlich das Aussetzungsinteresse, wenn sich der Verwaltungsakt nach diesem Maßstab als rechtswidrig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird; an der Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheids besteht regelmäßig kein schutzwürdiges öffentliches Interesse. Lässt sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung oder wegen der Komplexität der Sach- und Rechtsfragen nicht in diesem Sinne klären bzw. ist der Ausgang der Hauptsache offen, bedarf es einer Abwägung der wechselseitigen Interessen.
7Vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 ‑ 7 VR 5.14 -, juris, Rn. 9, und vom 16. Oktober 2012 - 7 VR 7.12 -, EurUP 2012, 333 = juris, Rn. 3 f., jeweils für Fälle der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit von Planfeststellungsbeschlüssen.
8II. Hiervon ausgehend kann im Rahmen der allein möglichen summarischen Prüfung weder eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des streitigen Planfeststellungsbeschlusses noch seine Rechtswidrigkeit festgestellt werden (dazu 1.). Die angesichts dessen vom Senat vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Interessen führt nicht zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollziehungsinteresses (dazu 2.). Es ist daher nicht gerechtfertigt, den Rechtsschutz der Antragstellerin vor dem rechtskräftigen Abschluss des zurzeit noch in erster Instanz anhängigen Hauptsacheverfahrens bzw. vor der Bestandskraft des streitigen Planfeststellungsbeschlusses abzuschneiden.
91. Der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache ist offen. Dabei dürfte aus Sicht des Senats bei summarischer Betrachtung allerdings vieles dafür sprechen, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Planfeststellungsbeschluss sei rechtswidrig, weil dieser nicht teilbar sei und die fehlende Ermächtigung des Antragsgegners zu einer gemeinschaftlichen Planfeststellung der beiden Straßenbauvorhaben ihn insgesamt infiziere, nicht zutreffend ist. Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Teilbarkeit, Teilrechtswidrigkeit und damit auch Teilaufhebbarkeit von Planungsentscheidungen,
10nks">vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 19. Februar 2015 - 7 C 11.12 -, BVerwGE 151, 213 = juris, Rn. 47, und - 7 C 10.12 -, IR 2015, 188 = juris, Rn. 46, sowie Beschlüsse vom 5. Dezember 1991 - 7 B 118.91 -, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 12 = juris, Rn. 5, und vom 7. Dezember 1988 - 7 B 98.88 -, Buchholz 451.22 AbfG Nr. 28 = juris, Rn. 9; vgl. auch OVG NRW, Urteile vom 13. Mai 2015 - 11 D 7/12.AK -, juris, Rn. 87, und vom 2. September 2009 - 11 D 32/08.AK -, juris, Rn. 74,
11dürfte der angefochtene Planfeststellungsbeschluss vielmehr in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht in zwei planfestgestellte Straßenbauvorhaben teilbar sein, namentlich den Neubau der L1. 76n und den Neubau eines Wirtschaftswegs. Der Kreisverkehr, der die beiden Straßenbauvorhaben in Höhe der Fachhochschule räumlich miteinander verknüpft, führt entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu einer Verbindung der Planungen, die ihrer verfahrensmäßigen Trennung entgegenstünde. Denn der Kreisverkehr dürfte Bestandteil (allein) des Neubaus der L1. 76n sein, nicht (auch) des Neubaus des Wirtschaftswegs. Dies dürfte schon daraus folgen, dass Gegenstand der Planung ursprünglich allein der Neubau der L1. 76n war und bereits in dem dem Planfeststellungsverfahren vorangegangenen Linienabstimmungsverfahren in allen geprüften Varianten für die Anbindung der Zufahrtsstraße zur Fachhochschule (G. - neu -) die Anlage eines Kreisverkehrs vorgesehen war. Mit Blick darauf, dass die geplante L1. 76n bestehende Wirtschaftswegeverbindungen durchschneidet, sollte der Kreisverkehr damals bereits zusätzlich auch dem Anschluss des vorhandenen Privatwegs der Antragstellerin dienen. Auf diese ursprüngliche Planung der L1. 76n hatte der spätere Verfahrensbeitritt der Stadt T. mit der Einbindung eines Neubaus des Wirtschaftswegs an der Stelle des bisherigen Privatwegs der Antragstellerin keinen Einfluss. Insbesondere haben sich hierdurch dem Akteninhalt nach Größe und Ausgestaltung des Kreisverkehrs nicht verändert. Eine rechtliche Verknüpfung der beiden Vorhaben ergibt sich aus den Planfeststellungsunterlagen ebenfalls nicht. In den planfestgestellten Gutachten und Untersuchungen wird ebenso wie in den dem Planfeststellungsbeschluss beigefügten Nebenbestimmungen entweder konsequent zwischen den beiden Vorhaben differenziert oder die Aussagen sind allgemeiner Natur und beanspruchen für jedes der Teilvorhaben gleichermaßen Geltung.
12Daraus, dass nach den nicht angefochtenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zwar die Voraussetzungen für eine gemeinschaftliche Planfeststellung gemäß § 78 Abs. 1 VwVfG NRW nicht vorgelegen haben, dieser Umstand aber nach vorläufiger Einschätzung des Senats nicht zur Rechtswidrigkeit der insoweit abtrennbaren Planung des Neubaus der L1. 76n geführt haben dürfte, folgt jedoch nicht bereits die offensichtliche Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschlusses. Für die weitere Prüfung seiner Rechtmäßigkeit stellen sich vielmehr Tatsachen- und Rechtsfragen, die - etwa hinsichtlich der Planrechtfertigung sowie hinsichtlich der Frage, ob die Planfeststellungsbehörde die abwägungserheblichen Gesichtspunkte (wie etwa die geltend gemachte Existenzgefährdung) rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt hat und ob sie auf der Grundlage des derart zutreffend ermittelten Abwägungsmaterials die aufgezeigten Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat - eine für Verkehrswegeplanungen typische Komplexität aufweisen. Diese Fragen können im vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Wege der verfahrensbedingt nur überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend sicher beantwortet werden und müssen daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
13Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2014 - 11 B 1086/14.AK -, Beschlussabdruck S. 4; OVG S.-H., Beschluss vom 13. September 1991 - 4 M 125/91 -, juris, Rn. 20 ff.
142. Die vom Senat somit losgelöst von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmende Abwägung der wechselseitigen Interessen führt nicht zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollziehungsinteresses, weshalb das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht entsprechend der in § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO getroffenen gesetzgeberischen Grundentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage insgesamt wiederhergestellt hat.
15In die Abwägung ist zum einen einzustellen, dass durch den Planfeststellungsbeschluss in erheblichem Umfang Eigentumsflächen der Antragstellerin mit enteignungsgleicher Vorwirkung betroffen werden. Für den Neubau der L1. 76n ist Grunderwerb von insgesamt 18.514 m² aus den Eigentumsflächen der Antragstellerin erforderlich. Weitere Beeinträchtigungen ihres landwirtschaftlichen Betriebs ergeben sich aus den Erschwernissen der Bewirtschaftung, die mit der Durchschneidung ihrer landwirtschaftlich genutzten Grundstücksflächen durch die Trasse der geplanten L.----straße verbunden sind.
16Auf der anderen Seite ist im Rahmen der Abwägung das Interesse der Allgemeinheit an einer sofortigen Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses zu berücksichtigen. Insoweit haben der Antragsgegner und der Beigeladene darauf hingewiesen, dass ein öffentliches Interesse an der alsbaldigen Vollziehung bestehe, weil die bessere Erreichbarkeit der Fachhochschule dringlich und eine schnelle Entlastung der angrenzenden Wohnbereichsstraßen mit dort zunehmend unzuträglichen Verkehrsverhältnissen erforderlich sei. Zudem stünden die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung. Hiermit wird jedoch nur das die Planfeststellung selbst rechtfertigende öffentliche Interesse geltend gemacht, nicht dagegen ein darüber hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse daran, dass der Planfeststellungsbeschluss bereits vor Abschluss des Rechtsstreits vollzogen werden müsste.
17Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 1974 - IV C 21.74 -, Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 24 = juris, Rn. 10; vgl. auch Schoch, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Loseblatt-Sammlung (Stand: September 2018), § 80 Rn. 205 ff., 209, 213 m. w. N.
18Auch der Hinweis auf sich häufende Unfälle mit Personenschäden im Bereich des Ortsteils Burgsteinfurt führt nicht zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses an einer sofortigen Umsetzung des Straßenbauvorhabens. Der Senat verkennt nicht die Belastungen der Bevölkerung in Burgsteinfurt (auch) durch den von der angrenzenden Fachhochschule erzeugten Verkehr sowie die mit der erhöhten Verkehrsbelastung einhergehenden gesteigerten Unfallgefahren. Zur Begegnung dieser Gefahren und sofortigen Erhöhung der Verkehrssicherheit steht den zuständigen Straßenverkehrs- und Ordnungsbehörden eine Vielzahl möglicher Maßnahmen zur Verfügung. Die sofortige Vollziehung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses gehört jedoch nicht dazu. Denn der Bau der geplanten Umgehungsstraße vermag angesichts der veranschlagten Bauzeit allenfalls mittelfristig durch die zu erwartende Entlastung der Wohnbereichsstraßen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beizutragen, als kurzfristig wirksame Maßnahme ist er aber nicht geeignet.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO.
20Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Ziffer 34.2.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 und bewertet das Verhältnis der planfestgestellten Maßnahmen zueinander mit vier Fünfteln (L1. 76n) zu einem Fünftel (Wirtschaftsweg). Ausgehend von einem für das Hauptsacheverfahren für die vollumfängliche Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses empfohlenen Betrag von 60.000 Euro ergibt sich für den hier allein streitgegenständlichen Neubau der L1. 76n ein Hauptsachestreitwert von 48.000 Euro, der wegen des vorläufigen Charakters der begehrten Entscheidung für das Beschwerdeverfahren auf die Hälfte reduziert wird.
21Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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