Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 2251/16
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung.
3Der verheiratete Kläger stand bis zur seiner Zurruhesetzung am 1. Oktober 2017 als Soldat im Rang eines Hauptfeldwebels im Dienst der Beklagten. Er leidet an einer Einschränkung der Zeugungsfähigkeit (Oligo-Astheno-Teratozoospermie-Syndrom), weshalb der Kinderwunsch der Eheleute unerfüllt blieb.
4Am 8. März 2010, 25. Juni 2010 sowie am 8. Oktober 2012 ließen der Kläger und seine Ehefrau im Novum-Zentrum für Reproduktionsmedizin in F. jeweils Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mittels Intracytoplasmatischer Spermainjektion (ICSI) durchführen. Am 2. Januar 2014 fand ein vierter Versuch statt. Der Kläger zahlte diese Maßnahmen selbst.
5Die Beklage hat die Beihilfeanträge des Klägers für diese Behandlungen bestandskräftig abgelehnt.
6Das Bundesverwaltungsgericht entschied mit Urteil vom 10. Oktober 2013– 5 C 29.12 –, dass Unfruchtbarkeit eine Erkrankung im Sinne der Vorschriften über die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung ist. Maßnahmen der künstlichen Befruchtung seien als medizinische Behandlung einer Erkrankung grundsätzlich notwendig, wenn damit der regelwidrige Körperzustand einer organisch bedingten Sterilität überwunden und dem Betroffenen zu einem genetisch eigenen Kind verholfen werden solle.
7Mit Schreiben vom 19. Mai 2014 beantragte der Kläger durch den Truppenarzt die nachträgliche Erstattung der Kosten für die durchgeführten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung.
8Mit Bescheid vom 3. Juni 2014 erstattete das Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung dem Kläger 116,83 Euro für den vierten Behandlungsversuch; im Übrigen lehnte es eine Kostenerstattung ab.
9Gegen die ablehnende Entscheidung erhob der Kläger Beschwerde.
10Mit Beschwerdebescheid vom 9. Dezember 2015, zugestellt am 17. Dezember 2015, hob das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr den Bescheid vom 3. Juni 2014 auf, gab der Beschwerde hinsichtlich der Übernahme der Kosten für den vierten Behandlungsversuch statt und wies das Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung an, den Antrag nach Ermittlung der Kosten für den vierten Behandlungsversuch insgesamt neu zu bescheiden. Die Kosten für den vierten Behandlungsversuch seien mit einem Betrag von 116,83 Euro nicht zutreffend ermittelt worden. Im Übrigen wurde die Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, die Kosten für die in den Jahren 2010 und 2012 erfolgten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung seien nicht erstattungsfähig. Dies ergebe sich aus dem aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 ergangenen Zentralerlass B-1455/1 des Bundesministeriums der Verteidigung vom 4. Februar 2014 („Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung“) in der Fassung der 1. Änderung (im Folgenden: Zentralerlass B-1455/1). Nach dessen Ziffer 2.5 („Übergangsregelung zur nachträglichen Kostenübernahme“) könnten Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Behandlungszeiträumen vor dem 10. Oktober 2013 nur erstattet werden, wenn das Genehmigungs-/Erstattungsverfahren noch nicht bestandskräftig/rechtskräftig abgeschlossen sei. Es müsse also bereits im Vorfeld ein Antrag gestellt worden sein, über den entweder noch nicht entschieden oder gegen dessen Ablehnung Beschwerde eingelegt oder Klage erhoben worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bezogen auf die in den Jahren 2010 und 2012 erfolgten Maßnahmen nicht vor. Darüber hinaus stehe dem Erstattungsanspruch für die Kosten aus den Jahren 2010 und 2012 der Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung entgegen.
11Der Kläger hat am 11. Januar 2016 Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Die Regelung der Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung durch den Zentralerlass B-1455/1 verstoße gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Es sei auch mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und willkürlich, für die Erstattungsfähigkeit der Kosten auf das Datum der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 abzustellen. Bis dahin sei unklar gewesen, durch wen die Kosten der künstlichen Befruchtung zu tragen seien. Nach Ansicht der Beihilfestelle seien derartige Maßnahmen von der truppenärztlichen Versorgung umfasst gewesen; die Sanitätszentren hätten auf die Beihilfe verwiesen. Er habe sich bei den ersten drei Behandlungen auf die Aussage der Truppenärzte verlassen und für die entstandenen Aufwendungen Beihilfeanträge gestellt, die bestandskräftig abgelehnt worden seien. Es sei mit geltendem Recht nicht zu vereinbaren, dass der bis zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 bestehende Streit, wer für die Kosten einer künstlichen Befruchtung aufkommen müsse, zu Lasten der Soldatinnen und Soldaten ausgetragen werde. Die Beklagte müsse für die damals bestehende unklare Regelung einstehen. Die Soldatinnen und Soldaten seien – auch aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn – so zu stellen, als ob sie in der Vergangenheit die Kostenübernahme im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung beantragt hätten. Die alten Beihilfeanträge seien als Anträge auf Kostenübernahme im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung auszulegen und neu zu bescheiden. Hätte er entgegen dem Rat des Truppenarztes neben dem Antrag auf Beihilfe auch einen Antrag auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung gestellt, so wäre dieser nach der damals von den Sanitätszentren vertretenen Rechtsauffassung abgelehnt worden. Es hätte dann zwei sich widersprechende Entscheidungen gegeben und er hätte gar nicht mehr wissen können, was denn nun richtig sei. Außerdem wäre er in diesem Fall verpflichtet gewesen, zwei getrennte Klagen anhängig zu machen, um den Eintritt der Bestandskraft der Bescheide zu verhindern. Hieraus hätte sich ein entsprechendes Kostenrisiko gegeben; in einem der beiden Klageverfahren wäre er auf den Kosten „hängen“ geblieben.
12Mit Bescheid des Truppenarztes vom 12. Mai 2016 hat die Beklagte für den vierten Versuch der künstlichen Befruchtung die Erstattung von Kosten in Höhe von 4.363,06 Euro bewilligt; eine weitere Kostenerstattung wurde erneut abgelehnt.
13Den schriftsätzlich gestellten Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht dahingehend ausgelegt,
14die Beklagte unter jeweils teilweiser Aufhebung des Beschwerdebescheides vom 9. Dezember 2015 und des weiteren Bescheides vom 12. Mai 2016 zu verpflichten, auf seinen Antrag vom 19. Mai 2014 die Kosten für drei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung aus den Jahren 2010 und 2012 im Wege der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung zu erstatten.
15Die Beklagte hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht: Die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung habe bis zum Erlass des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 keine Maßnahmen der künstlichen Befruchtung umfasst. Wenn eine Soldatin oder ein Soldat beim Truppenarzt die Durchführung solcher Maßnahmen gewünscht und somit beantragt habe, sei dies mündlich oder schriftlich abgelehnt worden. Gegen eine solche Entscheidung sei die Beschwerde und bei Fortgang des Verfahrens die Klage vor dem Verwaltungsgericht möglich gewesen. Der Kläger habe jedoch nach seinem eigenen Vortrag vor dem 10. Oktober 2013 weder einen mündlichen noch einen schriftlichen Antrag auf Durchführung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung oder deren Kostenübernahme gestellt.
18Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Ein Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid vom 12. Mai 2016 sei entbehrlich gewesen. Die Klage sei aber unbegründet. Dem geltend gemachten Erstattungsanspruch stehe entgegen, dass der Kläger vor den Behandlungen in den Jahren 2010 und 2012 kein Bewilligungsverfahren für die Gewährung truppenärztlicher Versorgung durchgeführt habe. Eine entsprechende Antragstellung habe der Kläger unterlassen, nachdem der Truppenarzt auf mangelnde Erfolgsaussichten hingewiesen habe. Die vom Kläger gestellten Beihilfeanträge könnten nicht als Anträge auf Gewährung truppenärztlicher Versorgung ausgelegt werden. Würden dem Kläger nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 die Kosten erstattet, obwohl er keinen Bewilligungsantrag gestellt habe, führte dies zu dem ungereimten Ergebnis, dass er besser stünde als die Soldatinnen und Soldaten, die das vorgesehene Verfahren eingehalten hätten und die sich eine zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft ablehnender Entscheidungen entgegen halten lassen müssten. Es sei die eigene Entscheidung des Klägers gewesen, darauf zu verzichten, den Anspruch auf truppenärztliche Versorgung geltend zu machen, und die damals angenommene unklare Rechtslage hinzunehmen.
19Der Kläger hat die vom Senat zugelassene Berufung wie folgt begründet: Für den Erstattungsanspruch spiele es keine Rolle, ob er im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung einen Bewilligungsantrag gestellt habe, der dann abgelehnt worden wäre, oder ob er sich auf die entsprechende Auskunft des Truppenarztes, eine Bewilligung könne nicht erfolgen, verlassen habe. Beide Fälle müssten gleich behandelt werden. Eine Besserstellung seiner Person gegenüber Soldatinnen und Soldaten, die einen Antrag auf Gewährung truppenärztlicher Versorgung gestellt hätten, sei nicht zu befürchten. Denn die Beklagte habe die Möglichkeit, auch unanfechtbar gewordene Altbescheide aufzuheben und neu zu bescheiden. Zudem könne dem Anspruch nicht die Regelung in Nr. 2.5 des Zentralerlasses B 1445/1 entgegenstehen. Diese Bestimmung bewirke einen Leistungsausschluss für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung und verstoße daher nach den Maßgaben der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Auch sei Nr. 2.5 des Zentralerlasses B 1455/1 nicht mit der Fürsorge- und Alimentationspflicht der Beklagten zu vereinbaren. Schließlich dürfe der bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 bestehende Streit, ob die Beihilfe oder die truppenärztliche Versorgung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung aufzukommen habe, nicht zu Lasten der Soldatinnen und Soldaten ausgetragen werden.
20Der Kläger beantragt,
21das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Beschwerdebescheides vom 9. Dezember 2015 und des weiteren Bescheides vom 12. Mai 2016 zu verpflichten, auf den Antrag des Klägers vom 19. Mai 2014 die Kosten für drei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung aus den Jahren 2010 und 2012 im Wege der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung zu erstatten.
22Die Beklagte beantragt,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Sie trägt zur Begründung vor: Im Recht der truppenärztlichen Versorgung gelte der Grundsatz, dass die Bundeswehr die ärztliche Versorgung ihrer Soldatinnen und Soldaten grundsätzlich und in vollem Umfang selbst übernehme. Daraus folge, dass die Inanspruchnahme ziviler Ärzte ohne truppenärztliche Überweisung nur im – hier nicht gegebenen – Notfall möglich sei. Bevor eine Soldatin oder ein Soldat eine kostenpflichtige Behandlung bei einem zivilen Arzt beginne, sei ein Bewilligungsverfahren durchzuführen, was beim Kläger nicht der Fall gewesen sei. Eine Gleichbehandlung mit den Fällen, in denen im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens eine Bescheidung erfolgt sei, müsse nicht erfolgen. Eine Bescheidung impliziere immer die Möglichkeit einer späteren Korrektur, während dies bei einem vollständig fehlenden Bewilligungsverfahren nicht gegeben sei. Wenn eine Soldatin oder ein Soldat es unterlasse, vor Durchführung einer zivilen ärztlichen Behandlung eine Bewilligung zu beantragen, verzichte sie oder er auf eine Kostenerstattung durch die truppenärztliche Versorgung. Andernfalls drohe eine uferlose Belastung des Haushaltes der Beklagten.
25Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Senats vom 2. Juli 2019 verwiesen.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (1 Heft) Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe
28Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
29Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
30Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Kläger gegen den angegriffenen Bescheid des Sanitätsunterstützungszentrums L. vom 12. Mai 2016 keine Beschwerde gemäß § 23 Abs. 1 WBO erhoben hat. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 und 2 VwGO vorliegend ausnahmsweise entbehrlich war. Die Durchführung eines weiteren Beschwerdeverfahrens war sinnlos, weil seine Zwecke (Selbstkontrolle der Verwaltung, Rechtsschutz des Klägers, Entlastung der Verwaltungsgerichte) bereits in dem ersten Beschwerdeverfahren erreicht wurden.
Vgl. zur Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 23.12 –, juris, Rn. 37 ff.
32Das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr als Beschwerdebehörde hatte im Bescheid vom 9. Dezember 2015 eindeutig und abschließend entschieden, dass eine Kostenerstattung für die ersten drei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in den Jahren 2010 und 2012 ausscheidet. Der entsprechende Ausspruch im Bescheid vom 12. Mai 2016 beruht allein auf dem formalen Umstand, dass der Ausgangsbescheid vom 3. Juni 2014 im Beschwerdeverfahren insgesamt – und nicht nur soweit dieser (hinsichtlich des vierten Behandlungsversuchs) beanstandet wurde – aufgehoben wurde. Eine eigenständige materielle Bedeutung kommt ihm nicht zu. Nach dem Beschwerdeverfahren sind auch weder neue Tatsachen bekannt geworden noch wurden neue rechtliche Argumente vorgetragen, die Anlass für eine erneute Beurteilung der Ausgangsbehörde hätten geben können.
33Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der im Zusammenhang mit den am 8. März 2010, 25. Juni 2010 und 8. Oktober 2012 durchgeführten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung entstandenen Kosten im Wege der truppenärztlichen Versorgung. Die ablehnenden Bescheide des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr vom 9. Dezember 2015 und des Sanitätsunterstützungszentrums L. vom 12. Mai 2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
34Maßgeblich für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme von Kosten im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung ist – wie beim beihilferechtlichen Kostenerstattungsanspruch – die Sach- und Rechtslage des Entstehens der Aufwendungen. Deshalb ist hier auf den Zeitraum bzw. die jeweiligen Zeitpunkte der Rechnungsstellung für die ärztlichen Behandlungen in den Jahren 2010 und 2012 abzustellen.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 10, m. w. N.
36Anspruchsgrundlage ist danach § 69 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Fassung vom 19. Juni 2009 (BBesG 2009) in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 der hierzu erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift in der Fassung vom 25. Juni 2009 (VwV 2009). Die VwV 2009 sind für die hier in Rede stehenden Behandlungen trotz ihrer Beanstandung durch das Bundesverwaltungsgericht im o. a.. Urteil vom 10. Oktober 2013 anwendbar (dazu I.). Eine künstliche Befruchtung durch Intracytoplasmatische Spermainjektion ist eine Behandlung, die von der truppenärztlichen Versorgung umfasst ist; der Leistungsausschluss für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 2 Abs. 3 VwV 2009 greift nicht ein (dazu II.). Der Erstattungsanspruch ist allerdings ausgeschlossen, weil der Kläger vor Durchführung der Maßnahmen kein auf eine Überweisung durch den Truppenarzt in eine zivile fachärztliche Behandlung gerichtetes Genehmigungsverfahren durchgeführt hat (dazu III.). Ein solcher Anspruch folgt nicht unmittelbar aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Schließlich ist auch die Regelung in Nr. 2.5 des Zentralerlasses B 1455/1, die eine nachträgliche Kostenerstattung für vor dem 10. Oktober 2013 vorgenommene Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nur für die Fälle noch nicht bestandskräftig abgeschlossener Genehmigungsverfahren vorsieht, rechtlich nicht zu beanstanden, und zwar auch nicht im Hinblick auf das Alimentationsprinzip (dazu IV.).
37I. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 69 Abs. 2 BBesG 2009 i. V. m. §§ 1 Abs.1, 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwV 2009.
38Vgl. zur Rechtsgrundlage für die Gewährung truppenärztlicher Versorgung Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 30, Rn. 21.
39Die Regelungen über die truppenärztliche Versorgung in der VwV 2009 sind für die hier streitgegenständlichen Behandlungen in den Jahren 2010 und 2012 anwendbar, obwohl sie nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts entsprechen. Ihre Anwendbarkeit folgt im Rückschluss aus dem Umstand, dass sie selbst nach ihrer höchstrichterlichen Beanstandung für eine Übergangszeit grundsätzlich noch anzuwenden waren.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 9 ff. und 23 ff.
41Schon aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2004– 2 C 50.02 – (juris, Rn. 9 ff.) zum Beihilferecht war für das Recht der truppenärztlichen Versorgung objektiv erkennbar, dass auch in diesem Bereich die bloße Regelung durch Verwaltungsvorschriften nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts entsprach und ein Fortbestehen dieses Regelungsdefizits über das Jahr 2003 hinaus nicht hingenommen werden würde. Der Zeitraum, nach dessen Ablauf die Missachtung der Pflicht des Gesetzgebers, eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen, zur Folge hat, dass die Verwaltungsvorschrift nicht mehr angewandt werden darf, begann indes erst, nachdem die Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht zu der Feststellung geführt hatte, dass auch bezogen auf die truppenärztliche Versorgung eine mit dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts unvereinbare Rechtslage vorliegt, d. h. mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 29.
43Eine Rückwirkung kommt dieser höchstrichterlichen Beanstandung damit erkennbar nicht zu mit der Folge, dass die (inzwischen nicht mehr gültigen) Vorschriften der VwV 2009 auf Aufwendungen, die – wie hier – vor dem 10. Oktober 2013 entstanden sind, im Grundsatz – zu Ausnahmen für bestimmte Leistungsausschlüsse nachfolgend II. – weiter anwendbar sind.
44II. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwV 2009 umfasst die truppenärztliche Versorgung alle notwendigen und angemessenen Maßnahmen zur Gesunderhaltung, Verhütung und frühzeitigen Erkennung von gesundheitlichen Schäden sowie die zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen. Sie erfasst damit alle regelwidrigen Körper- und Geisteszustände, die einer Behandlung bedürftig und einer Therapie zugänglich sind.
45Die Intracytoplasmatische Spermainjektion stellt eine Behandlung in diesem Sinne dar (dazu 1.), die nicht nach § 2 Abs. 3 VwV 2009 vom Leistungsumfang der truppenärztlichen Versorgung ausgeschlossen wird (dazu 2.).
461. Die Unfruchtbarkeit des Klägers, d. h. seine körperliche Einschränkung, auf natürlichem Wege keine genetisch eigenen Nachkommen zeugen zu können, ist eine Erkrankung im vorgenannten Sinne. Die organisch bedingte Sterilität – wie sie unstreitig beim Kläger vorliegt – stellt einen regelwidrigen Körperzustand dar, der von der generell bestehenden Fortpflanzungsfähigkeit erwachsener Menschen als Normalzustand abweicht.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 43.
Ferner sind die hier durchgeführten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung grundsätzlich eine zur Behandlung der Unfruchtbarkeit des Klägers spezifisch erforderliche medizinische Leistung. Dies ist für künstliche Befruchtungen im Wege einer In-vitro-Fertilisation anerkannt. Durch diese Behandlungsmethode sollen die Folgen des regelwidrigen Körperzustandes der betroffenen Person überwunden werden, indem ihm oder ihr zu einem genetisch eigenen Kind verholfen wird.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 45.
50Nichts anderes gilt für das hier angewandte Verfahren der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion. Diese Methode der extrakorporalen Befruchtung wird im Wesentlichen bei Paaren angewandt, die infolge einer Fruchtbarkeitsstörung des Mannes auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. In solchen Fällen genügt es in der Regel nicht, wie bei der In-Vitro-Fertilisation Samen undEizellen zur spontanen Verschmelzung im Reagenzglas zusammenzubringen. Vielmehr muss ein einzelnes Spermium mithilfe einer mikroskopisch dünnen Nadel unmittelbar in die vorher nach Hormonbehandlung durch Follikelpunktion gewonnene Eizelle injiziert werden. Nach dem in dieser Weise außerhalb des weiblichen Körpers vorgenommenen Befruchtungsvorgang wird der Embryo in den Körper der Frau übertragen (Embryotransfer).
51Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Januar 2018– 1 A 2044/15 –, juris, Rn. 3.
52Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion ist nach Nr. 10.5 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung („Richtlinien über künstliche Befruchtung“) ebenso als ärztliche Maßnahme zur künstlichen Befruchtung anerkannt wie die In-vitro-Fertilisation (Nr. 10.3 der Richtlinien). Die grundsätzliche Eignung und Erforderlichkeit einer Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion zur Behandlung der Unfruchtbarkeit des Klägers wird von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.
532. § 2 Abs. 3 VwV 2009, wonach Maßnahmen der künstlichen Befruchtung von der truppenärztlichen Versorgung ausgenommen sind, findet keine Anwendung.
54Diese Regelung wurde erstmals durch Erlass vom 21. Oktober 2004 mit Wirkung ab 1. Dezember 2004 und damit nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2003 zum Beihilferecht eingeführt. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung waren jedoch auch im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung schon ab dem Jahr 2004 die Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen unanwendbar, die sich als Begrenzungen oder Entziehungen von Begünstigungen darstellen, die so gewichtig sind, dass sie der Gesetzgeber selbst hätte treffen müssen. Dies ist der Fall, wenn sie nicht mehr als Konkretisierung des in der gesetzlichen Regelung angelegten normativen Programms begriffen werden können. Mit dieser Bindung der administrativen Normsetzung an den Gesetzesvorbehalt wird verhindert, dass vor der ausdrücklichen höchstrichterlichen Beanstandung auch der Regelungen der truppenärztlichen Versorgung von der Exekutive grundlegende oder im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und den Gleichheitssatz bedeutsame neue Einschnitte in die bis dahin gewährten Leistungsrechte vorgenommen werden, ohne dass dies durch eine hinreichend bestimmte gesetzgeberische Entscheidung gedeckt ist. Die Entscheidung, Leistungen der truppenärztlichen Versorgung gänzlich zu versagen, ist grundsätzlicher Natur und an sich vom parlamentarischen Gesetzgeber zu treffen. Sie muss daher im normativen Programm angelegt sein.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 27 ff.
56Gemessen hieran ist der Leistungsausschluss des § 2 Abs. 3 VwV 2009 nicht anwendbar. Er berührt die Struktur des bisher praktizierten Systems der truppenärztlichen Versorgung. Bis zum 1. Dezember 2004 umfasste der Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung noch alle zur Behandlung einer Erkrankung spezifisch erforderlichen medizinischen Leistungen und schloss deshalb grundsätzlich die Übernahme der Kosten einer künstlichen Befruchtung ein. Der Ausschluss dieser Leistung ist ein gewichtiger Einschnitt in das bis dahin praktizierte System der truppenärztlichen Versorgung. Er führt zu einem Wegfall der Versorgung und bürdet die nicht unerheblichen Kosten der medizinischen Behandlung den Soldatinnen und Soldaten auf, ohne dass dem einen entsprechende Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde gelegen hat.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 30 ff.
58III. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist aber ausgeschlossen, weil das notwendige Genehmigungsverfahren (dazu 1.), das grundsätzlich vor Beginn einer Behandlung durch zivile Fachärzte zu durchlaufen ist (dazu 2.), mangels Beantragung durch den Kläger (dazu 3.) nicht durchgeführt wurde.
59ass="absatzLinks">1. Bei der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung handelt es sich um eine Sachleistung. Sie ist nach § 30 Abs. 1 Satz 2 SG Bestandteil der Sachbezüge und damit der Besoldung des Soldaten. Die gesundheitsvorbeugenden, ‑erhaltenden und -wiederherstellenden Maßnahmen werden vorrangig von der Bundeswehr mit eigenem Personal, in eigenen Einrichtungen und mit eigenem Material durchgeführt.
60Vgl. Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 30, Rn. 1a; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 30, Rn. 21; Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht, 78. Update 12/18, § 69a BBesG, Rn. 11; Kümmel/Pohl, Bundebesoldungsrecht, Stand Februar 2016, § 69a BBesG, Rn. 4.
61Der Anspruch auf truppenärztliche Versorgung ist ein Anspruch auf das Tätigwerden eines Truppenarztes. Die Ausgestaltung und Sicherstellung der Erfüllung dieses Anspruchs im Einzelfall, einschließlich der Art und des Umfangs der Bereitstellung der erforderlichen personellen, sachlichen und finanziellen Mittel, obliegt allein dem pflichtgemäßen Gestaltungsermessen des Dienstherrn. Soweit dieser die Erfüllung des Anspruchs mit eigenen Mitteln nicht in ausreichendem Maße gewährleisten kann, ist eine Ersatzversorgung zulässig und von § 69 Abs. 2 BBesG 2009 gedeckt. Das gilt z. B. für die Behandlung durch sog. Vertragsärzte der Bundeswehr und durch zivile Fachärzte aufgrund einer Überweisung durch den Truppenarzt.
62Vgl. entsprechend zur aktuellen, insoweit unveränderten Rechtslage Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht, 78. Update 12/18, § 69a BBesG, Rn. 19 f.
63In Konkretisierung dieser Grundsätze bestimmt § 4 Abs. 1 Satz 1 VwV 2009, dass ärztliche Behandlung durch die zuständigen Truppenärztinnen und -ärzte nach den sanitätsdienstlichen Bestimmungen und den für den Standort erlassenen örtlichen Regelungen gewährt wird. Für – wie hier – fachärztliche Untersuchungen und Behandlungen regelt § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VwV 2009, dass diese auf truppenärztliche Veranlassung durch die nächsterreichbaren Fachärztinnen und -ärzte der Bundeswehr gewährt werden. Stehen solche am Standort oder im Umkreis von 50 Kilometern nicht zur Verfügung bzw. fehlen in den Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr für bestimmte Untersuchungen und Behandlungen die technischen oder personellen Voraussetzungen oder besteht ein Notfall, können behandlungsbedürftige Soldatinnen und Soldaten an geeignete andere Fachärztinnen und -ärzte überwiesen werden, § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VwV 2009. Weiter sollen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwV 2009 Fachärztinnen und -ärzte außerhalb der Bundeswehr grundsätzlich zunächst nur zur einmaligen Beratung (Diagnostik, Behandlungsrichtlinien) herangezogen werden (Satz 1). Die gesamte ambulante Behandlung darf diesen nur dann übertragen werden, wenn besondere ärztliche Gründe es erfordern und eine truppenärztliche Behandlung nach näheren fachärztlichen Anweisungen nicht möglich ist oder nicht genügt (Satz 2).
<span class="absatzRechts">64Diese Vorschriften bringen den Grundsatz zum Ausdruck, dass vor einer Inanspruchnahme fachärztlicher (Gesamt-) Behandlungen außerhalb der Bundeswehr ein mehrstufiges Verfahren durchzuführen ist. Primär erfolgt eine fachärztliche Behandlung durch die eigenen Fachärzte der Bundeswehr, die durch den (allgemeinen) Truppenarzt veranlasst wird. Nur wenn innerhalb der bundeswehreigenen Sanitätseinrichtungen keine fachärztliche Behandlung möglich ist, kommt eine Behandlung durch zivile Fachärzte in Betracht. Hierfür ist nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VwV 2009 eine Überweisung notwendig. In diesem Fall ist die Behandlung zunächst auf eine einmalige Beratung beschränkt, die gesamte Behandlung bedarf der Übertragung durch den Truppenarzt, § 4 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwV 2009.
65Auf allen Ebenen ist eine Vorbefassung und Mitwirkung der bundeswehreigenen Ärzte notwendig, namentlich im Sinne einer „Veranlassung“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VwV 2009), einer „Überweisung“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VwV 2009) oder einer „Übertragung“ (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VwV 2009). Daraus folgt, dass die Inanspruchnahme von Leistungen durch externe Fachärzte immer eine positive Entscheidung durch einen Bundeswehrarzt voraussetzt. Sie steht damit unter einem Genehmigungsvorbehalt. Dies gilt unabhängig davon, ob die zivile ärztliche Behandlung von Amts wegen ohne oder gegen einen entsprechenden Wunsch des Soldaten oder R11; wie hier R11; auf dessen Verlangen erfolgen soll. Letztere Variante impliziert eine Mitwirkung des Soldaten, der den zuständigen Truppenarzt um die erforderliche Genehmigung zur Behandlung durch einen zivilen Facharzt ersuchen muss.
66Fehlt es an einer positiven Entscheidung des Bundeswehrarztes zu einer Behandlung durch zivile Fachärzte, muss für die Kosten der gleichwohl durch den Soldaten als Selbstzahler in Anspruch genommenen Behandlung nicht die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung aufkommen.
67Ein solcher Genehmigungsvorbehalt steht nicht in Widerspruch zu dem o. a.. Grundsatz, dass die Bestimmungen der VwV 2009 dann nicht angewandt werden können, wenn sie Leistungsausschlüsse und -einschränkungen aufstellen, die nicht mehr als Konkretisierung des normativen Programms begriffen werden können, das in der gesetzlichen Regelung und bis zum Beginn des ab dem Jahr 2004 laufenden beihilferechtlichen „Übergangszeitraums“ in den Verwaltungsvorschriften angelegt war.
68Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 28.
69Das Erfordernis, fachärztliche Leistungen außerhalb der Bundeswehr vorab zur Genehmigung zu stellen, reduziert nicht den (materiellen) Leistungsumfang der truppenärztlichen Versorgung, wie es z. B. bei dem Ausschluss von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 2 Abs. 3 VwV 2009 der Fall ist. Es sichert lediglich den Grundsatz prozedural ab, die erforderliche medizinische Versorgung vorrangig durch eigene Einrichtungen der Bundeswehr zu gewähren. Das in § 69 Abs. 2 BBesG 2009 angelegte normative Programm wird dabei nicht verlassen.
70Der Vorrang medizinischer Versorgung durch bundeswehreigene Einrichtungen und spiegelbildlich die Subsidiarität ärztlicher Behandlung außerhalb der Bundeswehr ist ein prägendes Prinzip der truppenärztlichen Versorgung als Sach-leistung. Es gilt nicht nur für fachärztliche Behandlungen außerhalb der Bundeswehr, sondern auch für alle anderen medizinischen Leistungen. So sind Krankenhausbehandlungen primär in Bundeswehrkrankenhäusern durchzuführen und nur nachrangig und auf entsprechende Einweisung in zivilen Krankenhäusern, § 9 Abs. 1 und 2 VwV 2009. Entsprechendes gilt für Physikalisch-medizinische Behandlungen sowie Sprachheil- und Sehschulbehandlungen (§ 7 Abs. 1 und 2 VwV 2009), zahnärztliche Behandlungen (§ 8 Abs. 1 VwV 2009) und Behandlungen während eines dienstlichen Auslandsaufenthaltes (§ 14 VwV 2009). Krankentransporte sind vorrangig durch bundeswehreigene Krankentransportmittel durchzuführen (§ 16 Abs. 1 VwV 2009), Arzneimittel und Medizinprodukte sind möglichst aus Beständen der Bundeswehr auszugeben (§ 10 Abs. 1 VwV 2009). Sogar in Notfällen können Soldatinnen und Soldaten zivile ärztliche oder zahnärztliche Hilfe (nur) in Anspruch nehmen, sofern Sanitätsoffiziere oder Vertragsärztinnen und -ärzte der Bundeswehr nicht rechtzeitig zu erreichen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 1 VwV 2009). Diese Grundsätze galten bereits in der Verwaltungsvorschrift zu § 69 Abs. 2 BBesG vor den mit Wirkung zum 1. Dezember 2004 eingeführten Änderungen. Insoweit schränken die Vorgaben der VwV 2009 die Leistungen der truppenärztlichen Versorgung nicht weitergehender ein als die vorangehenden Fassungen, sondern schreiben lediglich ein seit jeher geltendes, sich aus ihrem Wesen als Sachleistung ergebendes Prinzip der truppenärztlichen Versorgung (Vorrang bundeswehreigener bzw. Subsidiarität ziviler ärztlicher Versorgung) fort.
71Vgl. zur fachärztlichen Behandlung außerhalb der Bundeswehreinrichtungen bereits Nr. 4 Abs. 1 und 2 lit. a) und b) VwV in den inhaltsgleichen Fassungen vom 22. Oktober 1990 (VMBl 1990, Seite 454 ff. (454), vom 4. Januar 1999 (VMBl 1999, Seite 37 ff. (38)) und vom 25. Juli 2001 (VMBl. 2001, Seite 172 ff. (173)).
class="absatzRechts">72Dass die (subsidiäre) Inanspruchnahme ziviler (fach-) ärztlicher Behandlung vorab von einem Bundeswehrarzt genehmigt werden muss, ist auch sachgerecht und belastet den Soldaten nicht unverhältnismäßig.
73</span>Das vorgeschaltete Genehmigungsverfahren gewährleistet, dass geprüft wird, ob eine Behandlung in eigenen Einrichtungen der Bundeswehr möglich und ob die Durchführung einer (zivilen) fachärztlichen Behandlung medizinisch indiziert ist. Beides kann der betroffene Soldat mangels eigener Sachkunde nicht selbst beurteilen. Weiter trägt es dem schutzwürdigen öffentlichen Interesse Rechnung, dass der Haushalt der Beklagten nicht mit unkalkulierbaren Kosten belastet wird, indem sich Soldaten eigenmächtig in zivile ärztliche Behandlung begeben und erst nachträglich eine Kostenerstattung gegenüber der Bundeswehr geltend machen.
74Demgegenüber wird von den betroffenen Soldaten nichts Unzumutbares verlangt. Sie sind lediglich gehalten, vor der Inanspruchnahme (fach-) ärztlicher Behandlung außerhalb der Bundeswehreinrichtungen den zuständigen Truppenarzt zu informieren und um Genehmigung der Behandlung zu ersuchen. Wird diese aus Sicht der Soldaten zu Unrecht abgelehnt, steht es ihnen frei, Beschwerde einzulegen und gegen eine etwaige negative Beschwerdeentscheidung um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Der mit dem Vorrang bundeswehreigener ärztlicher Versorgung einhergehenden Beschränkung der freien Arztwahl steht zudem die Begünstigung gegenüber, dass die truppenärztliche Versorgung völlig unentgeltlich ist, was sie maßgeblich von der freien ärztlichen Versorgung und dem Beihilfesystem unterscheidet.
75Gerade für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ist im Übrigen sowohl im Beihilferecht als auch im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt, dass sie auf der Grundlage eines Behandlungsplans vorab zu genehmigen sind, vgl. § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V bzw. den darauf verweisenden § 43 Abs. 1 BBhV. Dem entspricht die heutige Rechtslage bei der truppenärztlichen Versorgung, vgl. § 69a Abs. 4 BBesG (wiederum i. V. m. § 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V).
762. Das Genehmigungsverfahren für fachärztliche Behandlungen außerhalb der Bundeswehr ist grundsätzlich vor Beginn der betreffenden Behandlung durchzuführen. Ein nachträglicher Kostenerstattungsanspruch für bereits in Anspruch genommene medizinische Behandlung in zivilen Einrichtungen ohne ein solches vorangegangenes Genehmigungsverfahren ist der truppenärztlichen Versorgung fremd. Zwar kommt ein nachträglicher Erstattungsanspruch in Betracht, wenn der Truppenarzt die Bewilligung der Maßnahme zunächst ablehnt, dies aber später im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens oder aufgrund einer Verpflichtung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren korrigiert wird und der Betroffene die ärztliche Leistung zwischenzeitlich in Anspruch genommen hat. Der Anspruch des Soldaten richtet sich dann nicht mehr auf die – ins Leere gehende – rückwirkende Genehmigung der Maßnahme, sondern auf Erstattung der von ihm erfüllten Honorarforderungen des Arztes. Aber auch hier muss ein Genehmigungsverfahren vor Beginn der Behandlung durchgeführt worden sein. Lediglich die (nicht unanfechtbar gewordene) negative truppenärztliche Entscheidung wird später revidiert.
77Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2007 – 1 A 5162/05 –, juris, Rn. 44 zu einer vom Soldaten beantragten, aber truppenärztlich abgelehnten Behandlung im Rahmen einer osteopathischen Therapie.
783. Der Kläger hat für die drei streitgegenständlichen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung das nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VwV 2009 erforderliche Verfahren nicht durchlaufen und nicht vorab eine Genehmigung des zuständigen Bundeswehrarztes in Form einer Überweisung an die auf Reproduktionsmedizin spezialisierten Fachärzte für Frauenheilkunde des Novum-Zentrums für Reproduktionsmedizin in F. , in dem die Behandlungen vorgenommen wurden, eingeholt.
79Dies ist unstreitig. Der Kläger hat ausdrücklich angegeben, dass er keine Anträge auf Kostenübernahme im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung gestellt hat (Seite 2 des Schriftsatzes vom 28. November 2016). Er habe vielmehr nur einen „Rat“ des Truppenarztes eingeholt (Seite 5 des Schriftsatzes vom 19. Januar 2016) und sich auf dessen „Aussage“ verlassen, die Behandlungskosten seien im Rahmen der Beihilfe zu erstatten (Seite 2 des Schriftsatzes vom 28. November 2016).
80Anders als der Kläger meint lassen sich seine Beihilfeanträge nicht als Anträge auf Genehmigung bzw. Erstattung der Behandlungskosten im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung auslegen. Unbeschadet des eindeutigen Wortlauts der Anträge hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben gerade keine Anträge auf truppenärztliche Versorgung stellen wollen, sondern dies nach Rücksprache mit dem Truppenarzt bewusst unterlassen. Auch ein Fall der an eine lediglich falsche Ausdrucksweise anknüpfenden Rechtsfigur der „falsa demonstratio non nocet“ liegt daher nicht vor. Ein vom Wortlaut der Beihilfeanträge abweichender, aber tatsächlich gewollter Erklärungsinhalt lässt sich nicht feststellen.
81Vgl. zu den Voraussetzungen der „falsa demonstratio non nocet“: Wendtland, in: BeckOK BGB, Stand 1. Mai 2019, § 133, Rn. 27.
82Auch eine Umdeutung der Anträge des Klägers entsprechend § 140 BGB scheidet mangels eines tatsächlichen Willens des Klägers aus, einen Antrag auf Gewährung truppenärztlicher Versorgung zu stellen.
83Vgl. zu einem entsprechenden mutmaßlichen Willen des Betroffenen als Voraussetzung einer Umdeutung Wendtland, in: BeckOK BGB, Stand 1. Mai 2019, § 140, Rn. 13.
84Der Kläger war auch nicht ausnahmsweise davon befreit, ein den Anforderungen an das vor einer fachärztlichen Behandlung außerhalb der Bundeswehr nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VwV 2009 entsprechendes Verfahren durchzuführen.
85Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass er – was als wahr unterstellt werden kann – in einem Gespräch mit dem Truppenarzt die der seinerzeit von der Bundeswehr vertretenen Rechtsaufassung entsprechende Auskunft erhalten hat, für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung könne keine truppenärztliche Versorgung gewährt werden. Diese Auskunft hat ihn nicht davon entbunden, auf eine verbindliche (negative) Entscheidung hinzuwirken. Diese hätte er mit einer Beschwerde anfechten und nötigenfalls in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüfen lassen können. Gibt sich der Kläger dagegen mit einer bloßen Auskunft des Truppenarztes zufrieden und verfolgt sein Begehren daraufhin nicht weiter, muss er sich die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen entgegen halten lassen.
86Es war dem Kläger auch zumutbar, eine verbindliche Entscheidung des Truppenarztes herbeizuführen und ggf. gegen eine Ablehnung um Rechtsschutz nachzusuchen. Der Hinweis, das Kostenrisiko sei für ihn untragbar gewesen, geht fehl. Sein Kostenrisiko ging nicht über das Kostenrisiko hinaus, das jeden Kläger in einem Verwaltungsprozess trifft. Sollte er sich finanziell nicht in der Lage gesehen haben, Gerichtskosten und etwaige Kosten für eine anwaltliche Vertretung zu verauslagen, bestand Möglichkeit, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu beantragen. Das gilt auch mit Blick auf das vom Kläger angeführte doppelte Kostenrisiko im Falle der von ihm notwendig gehaltenen gleichzeitigen Anfechtung ablehnender Beihilfebescheide.
87Ungeachtet dessen bestand vorliegend kein doppeltes Kostenrisiko. Der Kläger hat im Beihilfeverfahren alle negativen Bescheide bestandskräftig werden lassen.
88Der Kläger macht in diesem Zusammenhang ferner ohne Erfolg geltend, der bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 bestehende Streit, ob die truppenärztliche Versorgung oder die Beihilfe für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung einzustehen hat, dürfe nicht auf Kosten der Soldaten ausgetragen werden. Eine klageweise Klärung dieser Fragen war dem Kläger wie dargestellt zumutbar. Darüber hinaus ist ein wechselseitiger Verweis jeweils des einen Systems auf das andere jedenfalls im Falle des Klägers nicht feststellbar. Der erste Beihilfeantrag des Klägers vom 23. Oktober 2009 wurde mit Beschwerdebescheid vom 25. März 2010 nicht wegen eines Verweises auf die truppenärztliche Versorgung abgelehnt. Ein Beihilfeanspruch wurde vielmehr mit Blick auf § 8 Abs. 4 Satz 1 BBhV (in der Fassung vom 13. Februar 2009) verneint, weil Gegenstand des Antrags Medikamente für die gesetzlich krankenversicherte Ehefrau des Klägers waren und diese die Kosten nicht bei ihrer Krankenversicherung geltend gemacht hat. Die Ablehnung des zweiten Beihilfeantrags des Klägers vom 20. Juni 2011 ist bestandskräftig geworden, weil die betreffende Beschwerde mit Beschwerdebescheid vom 24. Oktober 2011 als unzulässig zurückgewiesen wurde; der Kläger hatte die Beschwerdefrist versäumt. Der dritte, erst im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 gestellte Beihilfeantrag vom 11. November 2013 wurde mit Bescheid vom 29. November 2013 und Widerspruchsbescheid vom 8. April 2014 abgelehnt. Der Ausgangsbescheid stützt sich ganz überwiegend (auch) darauf, dass der Kläger die beihilfenrechtliche Antragsfrist von einem Jahr nach Rechnungsdatum versäumt hat, § 54 Abs. 1 BBhV (in der Fassung vom 13. Februar 2009). Im Widerspruchsverfahren wurde nach Aktenlage entschieden, nachdem das Verfahren zunächst auf Wunsch des Klägers ruhend gestellt worden war, damit er die Gründe der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 prüfen konnte. In der Folgezeit hat der Kläger den Widerspruch nicht mehr begründet. Für das Beihilfeverfahren konnte der Kläger aus der vorgenannten Entscheidung ohnehin nichts herleiten, da dort Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gerade der truppenärztlichen Versorgung zugeordnet und allein unter diesem Gesichtspunkt behandelt wurden.
89IV. Ein Anspruch auf Kostenerstattung steht dem Kläger schließlich weder aus den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 entwickelten Rechtsgrundsätzen (dazu 1.) noch aus dem zu deren Umsetzung ergangenen Zentralerlass B-1455/1 zu (dazu 2.).
901. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt ein Kostenerstattungsanspruch nicht aus den der vorgenannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Erwägungen. Sein Vortrag, das Urteil sei so zu verstehen, dass alle Soldaten, die entweder ein Verfahren in der Beihilfe oder zur Gewährung truppenärztlicher Versorgung angestrengt hätten, so gestellt werden müssten, als ob sie damals das richtige Verfahren durchlaufen hätten, und dass darüber hinaus die bereits abgeschlossenen Verfahren wieder aufzugreifen und neu zu bescheiden seien, trifft nicht zu. Hierzu verhält sich die angeführte Entscheidung nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat der dortigen Klägerin einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in dem konkreten Fall zugesprochen, weil ihr der Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 3 VwV 2009 mangels übergangsweiser Anwendbarkeit dieser Bestimmung nicht entgegen gehalten werden könne. Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Unfruchtbarkeit der dortigen Klägerin eine Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwV ist und eine homologe In-vitro-Fertilisation eine zur Behandlung dieser Erkrankung spezifisch erforderliche medizinische Leistung darstellt. Weitergehende Schlussfolgerungen können aus dem Urteil nicht gezogen werden, da das Bundesverwaltungsgericht auf sonstige Voraussetzungen für die Gewährung truppenärztlicher Versorgung nicht mehr eingeht, insbesondere nicht auf ein etwaiges Genehmigungserfordernis.
91Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 5 C 29.12 –, juris, Rn. 46.
92Hierzu bestand auch kein Anlass. Der dort zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich nämlich in einem wesentlichen Punkt von der hier vorliegendenSituation. Die dortige Klägerin hatte eine Kostenübernahme im Rahmen der truppenärztlichen Versorgung beantragt und gegen die Ablehnung – in allen drei Instanzen erfolgreich – um Rechtsschutz nachgesucht. Die Entscheidung hat daher keine Aussagekraft für die Fälle, in denen ein Genehmigungsverfahren bestandskräftig (negativ) abgeschlossen oder – wie beim Kläger – schon gar kein solches Verfahren durchgeführt wurde.
93Vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14. Dezember 2016 – 10 A 10660/16.OVG, BA Seite 3.
942. Ein Erstattungsanspruch steht dem Kläger nicht auf der Grundlage von Nr. 2.5 des Zentralerlasses B-1455/1 zu. Die dort aufgestellten Voraussetzungen für eine nachträgliche Kostenerstattung erfüllt der Kläger nicht (a.). Höherrangiges Recht zwingt nicht dazu, die Regelung auf Sachverhalte wie beim Kläger auszudehnen (b.).
95a. Nach Nr. 2.5 Unterabsatz 1 Satz 1 des Zentralerlasses B 1455/1 können Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, die nach dem 10. Oktober 2013 bis zum Inkrafttreten des Erlasses begonnen wurden, auf schriftlichen Antrag nachträglich übernommen werden. Unter diese Bestimmung fallen die drei hier streitigen Behandlungen nicht, da sie in den Jahren 2010 bzw. 2012 begonnen wurden.
96Nr. 2.5 Unterabsatz 2 Satz 1 und 2 des Zentralerlasses 1 B 1455/1 sieht eine nachträgliche Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung vor, denen – wie hier – Behandlungszeiträume vor dem 10. Oktober 2013 zugrunde liegen und bei denen die Genehmigungs-/Erstattungsverfahren noch nicht bestandskräftig/rechtskräftig sind. Auch diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Es fehlt für alle drei fraglichen Behandlungen an der Einleitung eines Genehmigungs- bzw. Erstattungsverfahrens. Fehlt es bereits daran, so kommt es auf das weitere Merkmal, dass ein solches Verfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen sein darf, nicht mehr an.
97Die Bestimmung in Nr. 2.5 Unterabsatz 2 des Zentralerlasses B 1445/1 ist auch nicht nach den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 entwickelten Vorgaben mit dem Gesetzesvorbehalt unvereinbar.
98A.A. VG Koblenz, Urteil vom 22. Juni 2016 – 2 K 276/15.KO –, UA Seite 8.
99Sie beinhaltet keinen Leistungsausschluss, der vom normativen Programm des § 69 Abs. 2 BBesG 2009 nicht gedeckt wäre. Nr. 2.5 Unterabsatz 2 des Zentralerlasses B 1445/1 erkennt Maßnahmen der künstlichen Befruchtung als Bestandteil der truppenärztlichen Versorgung an und trifft insoweit eine Übergangsregelung zur Behandlung von Altfällen. Die Regelung beinhaltet keinen generellen Ausschluss einer nachträglichen Kostenerstattung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, die in der Vergangenheit durchgeführt wurden. Sie macht lediglich die Kostenübernahme von einem noch nicht unanfechtbar abgeschlossenen Genehmigungsverfahren abhängig. Das Erfordernis eines solchen Genehmigungsverfahrens entspricht – wie bereits oben unter III. 1. dargestellt – dem Wesen der truppenärztlichen Versorgung als Sachleistung und dem Grundsatz der Subsidiarität medizinischer Versorgung außerhalb der Einrichtungen der Bundeswehr. Es stellt in verfahrensrechtlicher Hinsicht auch keine Neuerung dar, die ein insoweit zuvor geltendes Regelungsprogramm zu Lasten Betroffener nachteilig verändert hätte.
100b. Aus höherrangigem Recht ergibt sich keine Pflicht der Beklagten, eine nachträgliche Kostenerstattung auf solche Fälle auszuweiten, in denen mangels eines entsprechenden Antrags des Soldaten kein Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde. Dies gebietet insbesondere nicht das Alimentationsprinzip.
101Für den Bereich einer defizitären Alimentation eines Beamten erkennt das Bundesverfassungsgericht Ansprüche auf Nachzahlung der Differenz zwischen gesetzlich vorgesehener und verfassungsrechtlich gebotener Besoldung für die Zeit vor der verfassungsgerichtlichen Feststellung erst ab dem Haushaltsjahr zu, in dem sie das Alimentationsdefizit gegenüber dem Dienstherrn geltend gemacht haben. Diese Rügepflicht folgt aus der Pflicht des Beamten, auf die finanziellen Belastungen des Dienstherrn und dessen Gemeinwohlverantwortung Rücksicht zu nehmen. Daher muss die Alimentation der untätig gebliebenen Beamten nicht rückwirkend auf das verfassungsrechtlich gebotene Niveau erhöht werden.
102Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Mai 2010 – 2 C 33.09 –, juris, Rn. 9 ff; vom 13. November 2008– 2 C 16.07 –, juris, Rn. 11 ff.
103Das Beamtenverhältnis ist ein wechselseitig bindendes Treueverhältnis, aus dem nicht nur die Verpflichtung des Dienstherrn folgt, den Beamten amtsangemessen zu alimentieren, sondern umgekehrt auch die Pflicht des Beamten, auf die Belastbarkeit des Dienstherrn und dessen Gemeinwohlverantwortung Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme spricht gegen die Annahme, der Dienstherr sei generell, also ohne jede Einschränkung in Bezug auf den Kreis der betroffenen Beamten, gehalten, eine aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene gesetzliche Erhöhung der Beamtenbezüge auf den gesamten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zu erstrecken, für den die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer entsprechenden Korrektur festgestellt worden ist. Die Alimentation des Beamten durch seinen Dienstherrn ist der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs. Der Beamte kann nicht erwarten, dass er aus Anlass einer verfassungsrechtlich gebotenen Besoldungskorrektur gewissermaßen ohne eigenes Zutun nachträglich in den Genuss der Befriedigung eines womöglich jahrelang zurückliegenden Unterhaltsbedarfs kommt, den er selbst gegenüber seinem Dienstherrn zeitnah nicht geltend gemacht hat. Die Alimentation des Beamten erfolgt aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln; der Haushaltsplan unterliegt – regelmäßig – der jährlichen parlamentarischen Bewilligung; er wird, nach Jahren getrennt, durch das Haushaltsgesetz festgestellt (Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch dies spricht gegen die Annahme einer verfassungsrechtlichen Pflicht zu einem alle Beamten erfassenden Ausgleich für in der Vergangenheit erfolgte Verletzungen der Alimentationspflicht durch Inanspruchnahme gegenwärtig verfügbarer Haushaltsmittel. Eine sich auf alle betroffenen Beamten erstreckende Korrektur der für verfassungswidrig erklärten Regelung ist nur für den Zeitraum gefordert, der mit dem Haushaltsjahr beginnt, in dem durch die verfassungsgerichtliche Entscheidung die Verfassungswidrigkeit festgestellt worden ist. Für davorliegende Zeiträume kann sich die Korrektur dagegen auf die Beamten beschränken, die den ihnen von Verfassungs wegen zustehenden Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah, also während des jeweils laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich geltend gemacht haben, ohne dass über ihren Anspruch schon abschließend entschieden worden ist; eine später eintretende Rechtshängigkeit ist unschädlich, wenn die Klage wegen der für ein erforderliches Vorverfahren benötigten Zeit nicht rechtzeitig erhoben werden konnte.
104Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. März 1990– 2 BvL 1/86 –, juris, Rn. 68 f.
105Diese Grundsätze sind auf die im Streitfall gegebene Situation (entsprechend) übertragbar. Das beamtenrechtliche Treueverhältnis ist mit dem soldatenrechtlichen Treueverhältnis des Klägers zur Beklagten vergleichbar. Die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung ist nach § 30 Abs. 1 Satz 2 SG Bestandteil der Sachbezüge und damit der Besoldung des Klägers. Der Leistungsausschluss für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in § 2 Abs. 3 VwV 2009 wurde vom Bundesverwaltungsgericht als einem obersten Bundesgericht wegen Verstoßes gegen den Gesetzesvorbehalt als für verfassungswidrig und damit unanwendbar befunden; einer verfassungsgerichtlichen Feststellung der Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 3 VwV 2009 bedarf es aufgrund der untergesetzlichen Rechtsqualität dieser Vorschrift nicht.
106Danach war die Beklagte nicht verpflichtet, auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2013 eine zeitlich unbegrenzt rückwirkende Kostenerstattung für alle von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung betroffenen Soldaten zu schaffen. Jedenfalls für Behandlungen, die wie hier vor dem Jahr 2013 als dem Jahr der höchstrichterlichen Beanstandung durchgeführt wurden, war von Rechts wegen eine nachträgliche Korrektur durch eine Kostenerstattung nur notwendig, wenn der betroffene Soldat den Ausschluss von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung von der truppenärztlichen Versorgung gerügt hat, was zumindest einen entsprechenden Antrag auf Gewährung truppenärztlicher Versorgung voraussetzt. Daran fehlt es hier.
107Nach alledem kommt es auf die Fragen, ob der besoldungsrechtliche Grundsatz der zeitnahen Geltendmachung eigenständig auf einen Ausschluss etwaiger Erstattungsansprüche des Klägers führt,
108so VG München, Urteil vom 19. Oktober 2017 – M 21 K 15.5545 –, juris, Rn. 33 ff.,
109oder etwa die Ausschlussfrist nach § 54 Abs. 1 BBhV (in der Fassung vom 13. Februar 2009) entsprechend anwendbar ist,
110so VG L. , Urteil vom 10. August 2016 – 23 K 100/15 –, juris, Rn. 28 ff.,
111nicht mehr entscheidungserheblich an.
112Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
113Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
114Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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