Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1345/18
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und – unter entsprechender Änderung der erstinstanzli-chen Festsetzung von Amts wegen – für das erstin-stanzliche Verfahren jeweils auf 19.255,16 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
3Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts fristgerecht vorgebrachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, den Beschluss zu ändern und dem im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Antrag der Antragstellerin zu entsprechen,
4die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, die festgesetzte und der Antragstellerin monatlich zu gewährende Schulortzuwendung, Ehegattenzuwen-dung und Kinderzuwendung für den Zeitraum vom 5. Februar 2018 bis 30. Juni 2018 an die Antragstellerin auszuzahlen.
5Das Verwaltungsgericht hat den damit wesentlich übereinstimmenden erstinstanzlichen Antrag mit der Begründung abgelehnt, er gehe, soweit er auf die Aufhebung der Vollziehung des Widerrufsbescheides vom 11. April 2018 gerichtet sei, ins Leere. Die Auslandszuwendungen (Schulort-, Ehegatten- und Kinderzuwendung) seien nicht aufgrund des Widerrufs des Vermittlungsbescheides vom 31. August 2015, sondern bereits zuvor nach entsprechender Ankündigung mit E-Mail vom 6. März 2018 für die Zeit ab dem 5. Februar 2018 mit der Begründung einbehalten worden, der Aufenthalt der Antragstellerin am Auslandsschulort sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nachgewiesen worden. Die Antragsgegnerin habe, nachdem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Widerrufsbescheid vom 11. April 2018 mit Beschluss vom 7. Juni 2018 wiederhergestellt worden sei, die Zahlung der Inlandszuwendungen an die Antragstellerin wieder aufgenommen und damit der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs Rechnung getragen. Nachdem die Antragsgegnerin den Nachweis des Aufenthalts der Antragstellerin am Schulort für erbracht angesehen habe, habe sie mit Wirkung vom 1. Juli 2018 auch die Zahlung der Auslandszuwendungen wieder aufgenommen. Für den Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Zahlung der Auslandszuwendungen für den Zeitraum vom 5. Februar bis zum 30. Juni 2018 zu verpflichten, fehle es an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie den Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht abwarten könne.
6Hiergegen macht die Antragstellerin mit der Beschwerde im Wesentlichen geltend, es treffe nicht zu, dass die Antragsgegnerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs beachtet habe. Die Zuwendungen seien in Vollziehung des Widerrufsbescheids vom 11. April 2018 einbehalten worden. Der Einbehalt habe sich nicht ausschließlich von Anfang an auf die Schulort-, Ehegatten- und Kinderzuwendungen bezogen. Erst mit Schriftsatz vom 4. Juli 2018 habe die Antragsgegnerin mitgeteilt, die Zahlung der sog. Inlandszuwendung wieder aufnehmen zu wollen. Das Verwaltungsgericht habe auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu Unrecht verneint. Dieser ergebe sich schon daraus, dass der Anordnungsanspruch offensichtlich bestehe. Die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Auslandszuwendungen seien erfüllt. Die Antragstellerin habe ihren Wohnsitz in G. begründet und habe sich dort auch ununterbrochen aufgehalten. Der Aufenthalt sei insbesondere in dem Zeitraum vom 5. Februar bis 30. Juni 2018 nicht unterbrochen gewesen. Der Aufenthalt in B. habe der ärztlichen Behandlung gedient. Unabhängig hiervon habe die Antragsgegnerin die Zuwendungen nicht schlicht im Wege der Verrechnung ("Saldierung") einbehalten dürfen. Die Zuwendungen stünden der Antragstellerin vielmehr allein deshalb zu, weil deren Festsetzung weder durch entsprechenden Verwaltungsakt abgeändert noch eine Aufrechnung erklärt worden sei. Bestehe der Anspruch der Antragstellerin aber offensichtlich, falle die Interessenabwägung eindeutig zu Gunsten der Antragstellerin aus. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes spreche darüber hinaus, dass die Zuwendungen, die monatlich im Voraus zu gewähren seien, bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ihren Zweck nicht mehr erfüllen könnten, den materiellen Mehraufwand und die dienstortbezogenen immateriellen Belastungen des Auslandsaufenthalts auszugleichen. Aus dem Wesensgehalt der Auslandszuwendungen folge, dass die Antragstellerin und ihre Familie auf deren Leistung angewiesen seien, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Weiterer Darlegungen zum Anordnungsgrund bedürfe es nicht. Die Antragsgegnerin könne andernfalls Zuwendungen, die dem Lebensunterhalt der Antragstellerin dienen, einschränken, ohne dass dagegen effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stünde.
71. Das Vorbringen der Antragstellerin genügt, soweit es sich auf den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO bezieht, die Vollzugsfolgen des nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ausgesetzten Widerrufsbescheides vorläufig ganz oder teilweise zu beseitigen bzw. deren vorläufige Beseitigung anzuordnen, nicht den nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO an eine Beschwerdebegründung zu stellenden Darlegungsanforderungen. Danach muss die Beschwerdebegründung unter anderem die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Erforderlich ist demgemäß, dass der Beschwerdeführer mit seinem (fristgerechten) Beschwerdevorbringen – der Begründungsstruktur der angefochtenen Entscheidung folgend – die dieser Entscheidung zugrunde liegenden tragenden Überlegungen, die er in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht für falsch oder unvollständig hält, genau bezeichnet und sodann im Einzelnen ausführt, warum diese unrichtig sind, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben und was richtigerweise zu gelten hat. Sofern das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt hat, muss das Beschwerdevorbringen die genannten Anforderungen mit Blick auf jeden dieser Gründe erfüllen.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Mai 2018 – 1 B 1095/17 –, juris, Rn. 4 und vom 12. März 2010 – 1 B 1684/09 –, juris, Rn. 1 m. w. N.,
9Dem wird das Vorbringen der Antragstellerin nicht gerecht. Der Vortrag, die Antragsgegnerin habe die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Widerrufsbescheid nicht beachtet, sondern mit Schriftsatz vom 4. Juli 2018 (nur) erklärt, die Zahlung der Inlandszuwendungen (rückwirkend) zum 1. Mai 2018 wieder aufnehmen zu wollen, setzt sich nicht mit dem tragenden Argument des Verwaltungsgerichts auseinander, die Zahlung der allein noch streitgegenständlichen Auslandszuwendungen sei nicht in Vollziehung des Widerrufsbescheids, sondern schon vor dessen Erlass veranlasst worden. Das entsprechende Vorbringen der Antragstellerin ist im Übrigen auch nicht stimmig. Die argumentativ nicht untermauerte Annahme, auch die Auslandszuwendungen seien in Vollziehung des Widerrufsbescheides einbehalten worden, und die weitere Behauptung, mit dem Einbehalt der Auslandszuwendungen habe die Antragsgegnerin einen belastenden Verwaltungsakt faktisch vollzogen, den es nicht gebe, sind nicht miteinander zu vereinbaren.
102. Auch die in Bezug auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der fristgerecht vorgelegten Beschwerdebegründung vom 20. September 2018 vorgebrachten Gründe greifen nicht durch. Die Antragstellerin hat auch mit der Beschwerde das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht.
11Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Mit ihrem Begehren erstrebt die Antragstellerin der Sache nach aber keine vorläufige Maßnahme, sondern die Zahlung der begehrten Zuwendungen, was die Hauptsache vorwegnimmt.
12Führt der Erlass einer einstweiligen Anordnung – wie hier – zu einer jedenfalls zeitweiligen Vorwegnahme der Hauptsache, sind an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes strenge Anforderungen zu stellen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der Erfolg der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist, die Sache also bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Erfolgsaussichten erkennbar Erfolg haben wird (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (Anordnungsgrund). Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist – erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs – einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende gewichtige Gründe entgegenstehen.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2011– 2 BvR 1206/11 –, juris, Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 9.12 –, juris, Rn. 22; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Oktober 2014 – 12 B 870/14 –, juris, Rn. 3 und 5, und vom 14. November 2016 – 1 B 943/16 –, juris, Rn. 5 m. w. N.
14Solche Nachteile hat die Antragstellerin auch weiterhin nicht glaubhaft gemacht. Der Vortrag, die Zuwendungen würden ihr offensichtlich rechtswidrig vorenthalten und die monatlich im Voraus zu zahlenden Auslandszuwendungen dienten ihrem Wesensgehalt nach dazu, den Lebensunterhalt der Antragstellerin und ihrer Familie zu bestreiten, so dass sie auf diese angewiesen sei, lässt die erforderliche qualifizierte und einzelfallbezogene Rechtsbetroffenheit in Gestalt eines schweren und unzumutbaren Nachteils nicht erkennen. Auch zugunsten der Antragstellerin unterstellt, im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrags hätte ein Anordnungsgrund vorgelegen, weil die Inlandszuwendungen damals noch nicht wieder ausgezahlt wurden, fehlt es jedenfalls an konkretem Vortrag dazu, warum die Antragstellerin auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung ohne die streitgegenständlichen Zuwendungen ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten und eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abwarten kann, obwohl die Inlandszuwendungen zwischenzeitlich wieder ausgezahlt werden. Dies gilt umso mehr, als der Zeitraum, in dem der Antragstellerin die Auslandszuwendungen nicht gewährt worden sind, überschaubar ist, er mittlerweile mehr als ein Jahr zurückliegt, bei Stellung des Eilantrags schon abgelaufen war und die Tätigkeit der Antragstellerin als Auslandsdienstlehrkraft inzwischen beendet ist.
15Das weitere Beschwerdevorbringen der Antragstellerin im Schriftsatz ihrer neuen Prozessbevollmächtigten vom 18. Juni 2019, sie habe im streitgegenständlichen Zeitraum ganz erhebliche Auslagen in Form von u. a. Mietkosten, Umzugskosten, Kosten durch den Kauf eines in G. benötigten Autos gehabt, die nachwirkten und derentwegen sie dringend auf die Zahlung der Zuwendungen angewiesen sei, ist nicht berücksichtigungsfähig. Es handelt sich insoweit nicht um ein „ergänzendes“, sondern um neues Beschwerdevorbringen, das erst erfolgt ist, nachdem die durch die Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses am 24. August 2018 in Gang gesetzte einmonatige Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) abgelaufen war.
16Dieses Vorbringen wäre im Übrigen ebenfalls nicht geeignet, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Auch der Hinweis auf „Nachwirkungen“ belegt nicht hinreichend substantiiert, dass der Antragstellerin allein dadurch, dass seinerzeit keine Auslandszuwendungen gezahlt wurden, auch aktuell noch schwere unzumutbare Nachteile drohen, die nicht durch eine Nachzahlung im Hauptsacheverfahren ausgeglichen werden könnten.
17Der Vortrag der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe sie nicht darauf hingewiesen, dass nach den Mitteilungen der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2018 und 2.August 2018 hinsichtlich der Wiederaufnahme der Inlandszuwendungen zum 1. Mai 2018 und der Auslandszuwendungen zum 1. Juli 2018 der Widerrufsbescheid nicht mehr vollzogen werde und der Anordnungsgrund nicht (mehr) glaubhaft gemacht worden sei, ist unerheblich. Die damit der Sache nach erhobene Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt worden, greift bereits unabhängig davon nicht durch, ob der behauptete Verstoß gegeben ist, weil das Rechtsmittel der Beschwerde eröffnende Regelung des § 146 Abs. 4 VwGO anders als die Vorschriften über Berufung und Revision kein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren (mehr) kennt, sondern eine umfassende, nicht z. B. von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung nach Maßgabe der Beschwerdebegründung und in den durch die Verfahrensart gezogenen Grenzen ermöglicht.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2014– 1 B 1506/13 –, juris, Rn. 7 f., m. w. N.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
20Die Festsetzung des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren, welche der Senat in Anwendung der Regelung des § 63 Abs. 3 GKG unter Änderung der durch das Verwaltungsgericht erfolgten Festsetzung vornimmt, beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 3 Satz 1 GKG. Dabei beläuft sich der von der Antragstellerin begehrte Betrag der zu zahlenden Auslandszuwendungen für den Zeitraum vom 5. Februar 2018 bis 30. Juni 2018 nach der zutreffenden Berechnung des Verwaltungsgerichts auf 19.225,16 Euro. Dieser Betrag ist mit Blick darauf, dass nicht nur eine vorläufige Regelung begehrt wird, nicht zu reduzieren.
21Die die vorstehenden Erwägungen ebenfalls berücksichtigende Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 3 Satz 1 GKG.
22Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
- VwGO § 80 2x
- VwGO § 146 2x
- VwGO § 154 1x
- 1 B 1095/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 B 1684/09 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 1206/11 1x (nicht zugeordnet)
- 12 B 870/14 1x (nicht zugeordnet)
- 1 B 943/16 1x (nicht zugeordnet)
- 1 B 1506/13 1x (nicht zugeordnet)