Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 14 A 930/19
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Verfahren auf Zulassung der Berufung auf 5.000,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Der von dem Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) liegt nicht vor. Kein tragender Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils ist mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden.
4Dies gilt zunächst für den Einwand des Klägers, die Prüfer seien der Verpflichtung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 16.3.2015, die Aufsichtsarbeit Z 1 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bewerten, nicht hinreichend nachgekommen. Denn sie hätten sich nicht - was erforderlich gewesen wäre - von der beanstandeten Kritik eindeutig distanziert. Dass die beanstandete Kritik nicht erneut formuliert worden sei, genüge nicht. Denn aus der Erweiterung und Vertiefung zahlreicher anderer Kritikpunkte ergebe sich vielmehr, dass die ursprüngliche beanstandete Kritik stillschweigend aufrecht erhalten worden sei. Dieser Einwand trifft nicht zu. Die Erstprüferin hat unter dem 6.7.2015 eine umfassende und ausführlich begründete Neubewertung der Aufsichtsarbeit vorgenommen. Aus dem Umstand, dass sie sich hierin nicht ausdrücklich von der beanstandeten Kritik distanziert hat, lässt sich nicht schließen, dass sie diese stillschweigend aufrecht erhalten hätte. Dies lässt sich auch nicht ihren weiteren Ausführungen entnehmen. Vielmehr hat sie in ihrer Stellungnahme im Widerspruchsverfahren vom 16.3.2016 klargestellt, die Rechtsauffassung des Senats berücksichtigt zu haben. Soweit der Kläger darauf verweist, das Festhalten an der ursprünglichen Kritik ergebe sich aus der Erweiterung und Vertiefung anderer Kritikpunkte, legt er bereits nicht hinreichend dar, welche Kritikpunkte er meint und inwiefern sich aus diesen Kritikpunkten ergibt, dass die Erstprüferin die beanstandete Kritik aufrecht erhält. Der Verweis auf S. 11 der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils genügt insoweit nicht. Das Verwaltungsgericht führt dort aus, dass die Erstprüferin in ihrer Neubewertung (dort: S. 6) lediglich ihre bereits in der ersten Bewertung geäußerte Kritik näher erläutere, es sich dabei nicht um einen neuen Kritikpunkt handele. Dass der Zweitprüfer, der die beanstandete Kritik weder formuliert noch ausdrücklich in Bezug genommen hat, sich von dieser nicht distanziert hat, ist erst recht unbedenklich.
5Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung weckt auch nicht das Vorbringen des Klägers, dem Vorsitzenden der Prüfungskommission habe bei der neuen Entscheidung über eine Abweichung von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote die Prüfereignung gefehlt, weil er bereits 2011 aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sei und folglich nach § 49 Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 5 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst - JAG NRW ‑ nicht mehr Mitglied des Landesjustizprüfungsamtes gewesen sei. Grundsätzlich gebietet es der Grundsatz der Chancengleichheit, dass eine etwa gebotene Nachkorrektur und/oder Neubewertung einer Prüfungsleistung in aller Regel von den Prüfern oder dem Prüfungsausschuss vorgenommen wird, die die beanstandete frühere Bewertung vorgenommen haben. Dadurch lässt sich am besten gewährleisten, dass dieselben Maßstäbe, Vorstellungen und Erfahrungen zugrunde gelegt werden wie der Erstbewertung.
6Vgl. BVerwG, Urteile vom 9.12.1992 - 6 C 3.92 -, BVerwGE 91, 262 (274) und vom 24.2.1993 - 6 C 38.92 - NVwZ 1993, 686 (688); OVG NRW, Beschluss vom 22.8.2012 ‑ 14 A 200/11 ‑, S. 7 des amtl. Umdrucks; Urteil vom 16.7.1992 ‑ 22 A 2549/91 ‑ NVwZ 1993, 95 (97).
7Unabhängig davon, dass der zwischen den Beteiligten am 16.3.2015 geschlossene Vergleich auch dahingehend zu verstehen ist, dass der ursprüngliche Prüfungsausschuss in unveränderter Besetzung im Falle einer Besserbewertung der Aufsichtsarbeit Z 1 über ein Abweichen von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote entscheiden sollte, war der Vorsitzende des Prüfungsausschusses auch nach Vollendung des 68. Lebensjahres nicht an einer neuen Abweichensentscheidung gehindert. Denn § 4 Abs. 5, 2. Halbsatz JAG NRW ist auf die vorliegende Fallgestaltung entsprechend anwendbar. Nach § 49 Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 5 JAG endet die Mitgliedschaft im Landesjustizprüfungsamt spätestens mit Vollendung des 68. Lebensjahres; unberührt hiervon bleibt die Mitwirkung in einem Widerspruchsverfahren. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, das Recht des Prüflings auf ein Überdenken seiner Einwände gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistung zu sichern. Würde der betroffene Prüfer infolge des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze während des Widerspruchsverfahrens aus dem (Landes-)Justizprüfungsamt ausscheiden, würde ein Überdenken der Bewertung durch diesen Prüfer unmöglich. Diese Erwägungen rechtfertigen es, die Vorschrift auch dann anzuwenden, wenn infolge einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Vergleichs eine erneute Bewertung der Prüfungsleistung nötig wird. Dies war hier der Fall.
8Nach § 56 Abs. 4 i. V. m. § 18 Abs. 4 JAG NRW kann der Prüfungsausschuss bei der Entscheidung über das Ergebnis der zweiten juristischen Staatsprüfung von dem rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote um bis zu einem Punkt abweichen, wenn dies aufgrund des Gesamteindrucks den Leistungsstand des Prüflings besser kennzeichnet und die Abweichung auf das Bestehen keinen Einfluss hat. Hierbei sind auch die Leistungen im Vorbereitungsdienst zu berücksichtigen.
9Bei der Entscheidung, ob ein Abweichen von dem rechnerisch ermittelten Wert aufgrund des Gesamteindrucks den Leistungsstand des Prüflings besser kennzeichnet, handelt es sich um eine Prüfungsentscheidung, die der Prüfungsausschuss innerhalb seines prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums trifft.
10Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung weckt auch nicht das Vorbringen des Klägers, die Abweichensentscheidung des Prüfungsausschusses sei fehlerhaft, weil er seine Leistungen im Vorbereitungsdienst nicht in den Blick genommen habe. Dies lässt sich den Stellungnahmen des Prüfungsausschusses nicht entnehmen.p> 11
Die Abweichensentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die Prüfer einen Verfahrensfehler begangen, anzuwendendes Recht verkannt oder allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt haben und ob sie von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sind oder sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen; inhaltlich darf die Bewertung jedenfalls nicht willkürlich sein.
12Vgl. zu § 5d DRiG BVerwG, Urteil vom 12.7.1995 ‑ 6 C 12.93 -, juris, Rn.17.
13Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Prüfungsausschuss von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen wäre und die Leistungen des Klägers im Vorbereitungsdienst nicht berücksichtigt hätte, obwohl er dies in seiner Stellungnahme vom 3.8.2015 angegeben hat. Die Bezugnahme des Prüfungsausschusses auf seine Entscheidungen bzw. Stellungnahmen vom 3.1.2012, 16.4.2012, 9.9.2013 und 14.1.2014 belegt vielmehr das Gegenteil. Denn im Rahmen der vorhergehenden Widerspruchs- und Klageverfahren hat der Prüfungsausschuss insbesondere zu den Leistungen des Klägers im Vorbereitungsverfahren Stellung genommen, so dass kein Grund erkennbar ist, warum er diese Leistungen trotz ihrer ausdrücklichen Erwähnung nunmehr hätte unberücksichtigt lassen sollen. Darauf, dass der Prüfungsausschuss seine Überlegungen hierzu in der Begründung seiner neuen Entscheidung vollständig dokumentiert, hat der Kläger keinen Anspruch.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.9.2014 ‑ 14 A 206/14 -, juris, Rn. 3.
15Ein von dem Verwaltungsgericht verkannter Bewertungsfehler ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, dass die wenigsten Kandidaten, die eine Gesamtnote von 9,0 Punkten erzielten, in den Aufsichtsarbeiten einen Durchschnitt von 8,25 Punkten hätten. Selbst wenn dies zuträfe, ergäbe sich hieraus nicht, dass bei einem solchen Durchschnitt die rechnerisch ermittelte Gesamtnote von 8,75 Punkten den Leistungsstand stets unzutreffend kennzeichnete. Dies hängt vielmehr von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Soweit der Prüfungsausschuss meint, dass ein Durchschnitt von 8,25 Punkten in den Aufsichtsarbeiten jedenfalls nicht dafür spreche, dass die Gesamtnote "befriedigend" mit 8,75 Punkten den Leistungsstand unzutreffend wiedergebe, stellt dies keinen Bewertungsfehler dar.
16Entgegen der Einschätzung des Klägers ist die Entscheidung des Prüfungsausschusses auch nicht willkürlich, weil er nicht erwogen habe, dass es sich bei der Leistung in der Aufsichtsarbeit Z 1 um einen "Patzer" gehandelt haben könnte. Ein etwaiges Fehlen derartiger, jedenfalls nicht dokumentierter Überlegungen wäre ersichtlich nicht willkürlich, weil auch zwei weitere Aufsichtsarbeiten des Klägers mit "ausreichend" bewertet worden sind, so dass sich die Leistung in der Aufsichtsarbeit Z 1 vor diesem Hintergrund ersichtlich nicht als einmaliger Ausreißer darstellt.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 154 1x
- 14 A 200/11 1x (nicht zugeordnet)
- § 18 Abs. 4 JAG 1x (nicht zugeordnet)
- 14 A 206/14 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 5 JAG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 5, 2. Halbsatz JAG 1x (nicht zugeordnet)
- DRiG § 5d Prüfungen 1x
- 22 A 2549/91 1x (nicht zugeordnet)