Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1205/18
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger, ein im Mai 1965 geborener Bundesbeamter, begehrt die Anerkennung einer Berufserkrankung der Wirbelsäule.
3Von 1981 bis zu seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 31. Juli 2015 war er bei der Deutschen Bundespost bzw. bei dem Postnachfolgeunternehmen Deutsche Post AG beschäftigt und hatte zuletzt als Verbundzusteller im Zustellstützpunkt E. -L. das Amt eines Postbetriebsassistenten inne.
42008 erlitt der Kläger einen Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule. Eine am 13. Oktober 2008 durchgeführte Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte u. a. eine Osteochondrose (degenerative Veränderung am Knorpelgewebe und den Knochen/Höhenminderung einer Bandscheibe) der Halswirbelsäule mit flachem Bandscheibenprolaps (Vortreten von Teilen der Bandscheibe in den Wirbelkanal) im Segment HWK 5/6.
5Aufgrund von Rückenbeschwerden wurde bei dem Kläger am 29. Mai 2009 eine MRT der Lendenwirbelsäule durchgeführt. Dabei wurde u. a. eine Osteochondrose der Lendenwirbelsäule im Bereich LWK 4/5 mit rechts lateraler Bandscheibenprotrusion und zusätzlicher Spondylarthrose (degenerative Veränderung der kleinen Wirbelgelenke) festgestellt. Eine weitere am 24. August 2009 durchgeführte MRT der Lendenwirbelsäule ergab neben den bisherigen Befunden einen neu aufgetretenen sequestrierten (mit Austritt des Gallertkerns und Teilen des Faserrings) und nach cranial (kopfwärts) ausgerichteten flachen Bandscheibenprolaps im Segment LWK 4/5 rechts posterolateral (hinten und seitlich) mit Einengung des rechten Neuroforamens (Nervenaustrittskanal) LWK 4/5 im Eingang und caudal (fußwärts) Kontaktierung der höher gelegenen intraspinalen L 4-Wurzel sowie eine Spondylarthrose LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1 (Sakralwirbelkörper, Kreuzbein und Steißbein) mit Klaffungstendenz als Hinweis auf eine dorsale (zur Rückenseite des Körpers hin) segmentale Instabilität.
6Am 27. Dezember 2010 rutschte der Kläger während des Dienstes aus und fiel auf die rechte Hüfte. Der Durchgangsarzt stellte eine Zerrung der Brust- und der Lendenwirbelsäule fest, ohne dass sich beim Röntgen frische knöcherne Verletzungen ergeben hätten.
7Eine am 10. Januar 2011 durchgeführte MRT der Halswirbelsäule ergab polysegmentale degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule unter Einbeziehung auch der Wirbelkörperanhangsgebilde im Sinne einer geringen Unkovertebralarthrose (zwischen dem 3. und 7. Halswirbel), im Segment HWK 5/6 ein deutlich osteochondrotisch verändertes Bandscheibensegment mit Nachweis eines dorsomediolateralen Bandscheibenprolapses mit Ausläufern auch in die unteren Recessus (Ausbuchtung) der Neuroforamina unter möglicher Tangierung der angrenzenden Nervenwurzeln und deutlicher Einengung des vorderen Liquorkissens, und im Segment HWK 6/7 eine dorsomediolaterale (nach hinten mittig und etwas zur Seite verschoben) kräftige Bandscheibenprotusion unter möglicher Tangierung der angrenzenden Nervenwurzeln und Einengung des vorderenLiquorkissens (deutlich weniger als im HWK 5/6).
8Eine am 24. Februar 2011 durchgeführte MRT der Lendenwirbelsäule ergab, dass sich im Vergleich zur Voruntersuchung der Lendenwirbelsäule am 24. August 2009 der rechts laterale Bandscheibenvorfall im Segment LWK 4/5 zurückgebildet habe. In dem Segment zeige sich lediglich noch eine Chondrose der Bandscheibe mit geringer rechtsbetonter Protusion, leichter Irritation der rechten L4-Wurzel im Neuroforamen und begleitender geringer Verfettung der angrenzenden Abschlussplatten. Der fachärztliche Berater der Unfallkasse Post und Telekom führte unter dem 6. Juni 2011 zu den Unfallfolgen aus, dass es zu einer vorübergehenden Verschlimmerung eines eindeutig dokumentierten degenerativen Vorschadens der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule gekommen sei. Es sei davon auszugehen, dass nach Ablauf von etwa 6 Wochen der Vorzustand wieder erreicht worden sei. Daraufhin erkannte die Unfallkasse Post und Telekom mit Bescheid vom 6. Juni 2011 das Ereignis vom 27. Dezember 2010 als Dienstunfall i. S. d. § 31 Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) mit den Unfallfolgen „folgenlos ausgeheilte Prellung der rechten Hüfte, der rechten Schulter und Distorsion der Wirbelsäule“ an. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück.
9Unter dem 14. August 2012 erstattete der den Kläger behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin, Dr. med. Dipl.-Kfm. X. O. , aus E. eine förmliche „Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit". Darin gab er an, bei dem Kläger liege ein Halswirbel-Syndrom und eine Lumboischialgie vor. Beschwerden seien erstmalig im Oktober 2008 aufgetreten. Es habe Bandscheibenvorfälle im Hals- und Lendenwirbelsäulenbereich gegeben. Als ursächlich für die Erkrankung werde schweres Heben und Tragen seit August 1983 angesehen. In Betracht kämen die Berufskrankheiten BK Nr. 2108 und 2109.
10Auf Anforderung der Beklagten reichte der Kläger weitere ärztliche Unterlagen ein und machte weitere Angaben zu den vorliegenden Beschwerden. In dem von ihm ausgefüllten Fragebogen zu „BK 2108 – 2110 (Erkrankungen der Wirbelsäule)“ gab der Kläger auf die Frage, wann und auf welche Weise sich die Rückenbeschwerden im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit erstmals bemerkbar gemacht hätten und wie häufig diese Beschwerden aufgetreten seien, an, ihm sei der Zusammenhang erst mit dem Bandscheibenvorfall Ende 2008 bewusst geworden. Bei vorherigen Beschwerden sei in der Regel von Verzerrungen, Verheben, Verdrehen u. ä ausgegangen worden, ohne die Ursache zu erkunden. Die Beschwerden seien ständig aufgetreten. Während den Zeiten der Dienstunfähigkeit seien weniger Beschwerden aufgetreten, kurz nach Dienstaufnahme seien die Beschwerden zunehmend wieder aufgetreten. Er sei von 2008 bis 2012 über längere Zeiträume, teilweise über Monate (so u. a. vom 13. August 2009 bis 15. November 2009, vom 10. November 2010 bis 6. Dezember 2010 und vom 20. Juni 2012 bis 22. September 2012) dienstunfähig gewesen. Wegen dieser Erkrankungen sei er vom 14. September 2009 bis 18. September 2009 im St. B. Krankenhaus E. -M. und vom 7. Oktober 2009 bis 6. November 2009 im dortigen E1. Rehabilitationszentrum behandelt worden.
11Nachdem die Dienststelle Angaben zur Arbeitsplatzexposition eingeholt hatte, nahm die Abteilung Prävention der Unfallkasse Post und Telekom unter dem 21. Juni 2013 umfangreich Stellung. Die errechnete Belastungsdosis durch Heben oder Tragen habe für den Kläger bis zum erstmaligen Auftreten der Rückenbeschwerden 22,62 Mega-Newton-Stunden (MNh) und während des Beschäftigungszeitraums bis zur Antragstellung 24,88 MNh betragen.
12Nach entsprechender Beauftragung erstellte der Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie bei dem Medizinischen Zentrum B1. GmbH, Dr. med. M. H. , unter dem 16. Oktober 2013 bzw. die Assistenzärztin Dr. S. -E2. unter dem 14. Februar 2014 ein fachchirurgisches Gutachten zu der Frage, ob der Kläger an einer Berufskrankheit gemäß den Nr. 2108, 2109 oder 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) leide.
13Der Gutachter Dr. H. führte zunächst aus, der Kläger habe angegeben, seit 2009 permanent von Rückenbeschwerden im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule geplagt zu sein. Nach einer längeren Zeit der Dienstunfähigkeit sowie einem Urlaub seien die Beschwerden deutlich gebessert gewesen, um nach Rückkehr in den Arbeitsalltag sofort wiederzukehren, so dass dieser nur mit Schmerzmitteln zu bewältigen sei.
14Die im Rahmen der Begutachtung erstellten Röntgenaufnahmen der Hals- und Lendenwirbelsäule vom 23. September 2013 zeigten eine Bandscheibenfachverschmälerung zwischen C 5/6, Osteochondrose im Bereich L 3/4, L 4/5 sowie L 5/S1 (Kreuzbein).
15Der MRT-Befund vom 25. Juli 2013 zeige im Segment L 3/4 eine geringgradige Osteochondrose mit regelrechter Darstellung der Bandscheibe, die einem Schweregrad I im Sinne der Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule - Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtungen (Konsensempfehlungen) entspreche. Das Segment L 4/5 weise eine Chondrose der Bandscheibe, eine geringe rechtsbetonte Protusion der Bandscheibe mit leichter Irritation der rechten L 4-Wurzel ohne Nachweis einer Nervenwurzelkompression sowie eine geringgradige Verfettung der angrenzenden Wirbelkörperabschlußplatte auf (entspreche Schweregrad II im Sinne der Konsensempfehlungen). Im Segment L 5/S 1 finde sich ebenfalls eine leichtgradige Osteochondrose, die einem Schweregrad I im Sinne der Konsensempfehlungen entspreche.
16Zudem zeige die MRT der Halswirbelsäule vom 10. Januar 2011 eine ausgeprägte Osteochondrose C 5/6 mit Nachweis eines dorsomediolateralen Bandscheibenprolapses ohne Einengung der Neuroformina sowie eine dorsomediolaterale Bandscheibenprotusion C 6/7 ohne neuroforaminale Einengung.
17Die Bandscheibenschäden im Bereich der Lendenwirbelsäule seien annähernd vergleichbar ausgeprägt wie die Schädigungen im Bereich der Halswirbelsäule. Es liege ein chronisches lokales Lumbalsyndrom ohne Nachweis einer Nervenwurzelkompression (ICD: M47.26) vor. Es bestehe eine plausible Korrelation der beruflichen Belastung zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Die beruflichen Einwirkungen könnten als Mitursache für die Entstehung der Erkrankung der Lendenwirbelsäule gesehen werden. Im Bereich der Lendenwirbelsäule liege im Sinne der Konsensempfehlungen eine Konstellation B6 (gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der (unteren) Lendenwirbelsäule ohne wesentliche konkurrierende Ursachefaktoren, keine Begleitspondylose – B 2 – aber mit Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule, der gleich stark ausgeprägt ist wie an der Lendenwirbelsäule) vor. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV lägen jedoch nicht vor. Zwar werde der vom Bundessozialgericht (BSG) festgelegte hälftige Orientierungswert für Männer (12,5 MNh) mit 22,62 MNh bis zum erstmaligen Auftreten der Rückenbeschwerden 2008 bzw. mit 24,88 MNh während des Beschäftigungszeitraums bis zur Antragstellung deutlich überschritten. Aufgrund der geringen klinisch messbaren Bewegungseinschränkungen, der fehlenden neurologischen Symptomatik sowie den diskreten radiologischen Veränderungen bestehe jedoch kein direkter Zusammenhang zwischen den Beschwerden des Patienten und der durchgeführten Tätigkeit.
18Unter Hinweis auf diese Feststellungen lehnte die Unfallkasse Post und Telekom die Anerkennung der gesundheitlichen Beschwerden des Klägers als Berufskrankheit mit Bescheid vom 20. Juni 2014 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2014 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Feststellungen im Gutachten des Dr. med. H. zurück.
19Der Kläger hat am 16. Januar 2015 Klage erhoben. Er hat ausgeführt, nach § 31 Abs. 3 BeamtVG i. V. m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV seien als Berufskrankheit „bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“ anzuerkennen. Der notwendige Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung sowie das Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten seien gegeben. Das schwere Heben und Tragen während seiner beruflichen Tätigkeit sei unstrittig und durch die von der Beklagten eingeholte Arbeitsplatzexposition belegt. Er sei während der gesamten Berufszeit durch Be-, Um- und Ausladen von Paketen, Zeitungsgebinden, über 30 kg schweren Briefsäcken und durchschnittlich 15 kg schweren Geldkassetten außerordentlichen körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen. Der zur retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder maßgebliche Orientierungswert für Männer nach dem Mainz-Dortmunder-Modell (MDD) liege bei 12,5 MNh. Für ihn sei in der Arbeitsplatzexposition ein Wert von 24,88 MNh während des gesamten Beschäftigungszeitraums bis zur Antragstellung auf Anerkennung als Berufskrankheit ermittelt worden. Das überschreite den Orientierungswert signifikant. Das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls im Bereich der Lendenwirbelsäule sei durch die MRT-Untersuchungen vom 29. Mai 2009 sowie drei Monate später nachgewiesen worden. In der Zeit vom 15. Oktober 2008 bis zum März 2013 sei er wegen der Gesundheitsschäden an der Wirbelsäule insgesamt ca. 13 Monate dienstunfähig erkrankt gewesen. Seit dem 9. Oktober 2014 sei ihm die Dienstausübung krankheitsbedingt unmöglich gewesen. Das von der Beklagten eingeholte Gutachten verhalte sich zur Frage des Ursachenzusammenhangs widersprüchlich, wenn einerseits eine plausible Korrelation der beruflichen Belastung zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule, das Schadensbild als belastungskonform und die beruflichen Einwirkungen jedenfalls als Mitursache bejaht würden, andererseits aufgrund fehlender Symptomatik ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden des Klägers und der durchgeführten Tätigkeit verneint werde. Ohne nähere Angabe von Gründen werde im Gutachten die Konstellation B6 der Konsensempfehlungen angegeben, obwohl die Konstellationen B4 (B2 mit schwächer ausgeprägtem Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule) oder B7 (gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der (unteren) Lendenwirbelsäule ohne wesentliche konkurrierende Ursachefaktoren, mit Begleitspondylose – B1 – aber mit Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule, der gleich stark ausgeprägt ist wie an der Lendenwirbelsäule) viel näher lägen und auch gegeben seien. Die Untersuchung im Medizinischen Zentrum B1. GmbH, mit deren Ergebnis die Beklagte ihre Entscheidung begründe, sei ausschließlich von der Assistenzärztin Dr. med. S. -E3. durchgeführt worden; den Chefarzt Dr. med. H. habe er weder getroffen noch sei er von ihm untersucht worden. Das Gutachten sei insoweit fehlerhaft und für die Beurteilung einer Berufskrankheit nicht verwertbar.
20Der Kläger hat beantragt,
21die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Unfallkasse Post und Telekom vom 20. Juni 2014 in Gestalt deren Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2014 zu verpflichten, bei ihm eine Berufserkrankung der Wirbelsäule gemäß § 31 Abs. 3 BeamtVG in Verbindung mit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
22Die Beklagte hat unter Wiederholung und Vertiefung der Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Nachdem der Kläger seit dem 9. Oktober 2014 dienstunfähig erkrankt war, stellte der Postbetriebsarzt am 26. Juni 2015 fest, dass die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden könne und eine Besserung nicht absehbar sei. Daraufhin ist der Kläger mit Ablauf des 31. Juli 2015 in den Ruhestand versetzt worden.
25Das Verwaltungsgericht hat über die Frage, ob der Kläger im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG an einer Berufserkrankung der Wirbelsäule gemäß Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV leidet, Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, Physikalische Therapie und Sozialmedizin, Dr. med. U. G. aus C. . Dieser kam in dem unter dem 24. Februar 2016 erstellten orthopädisch-sozialmedizinischen Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Kläger an keiner Berufskrankheit im Sinne der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV leide. Zu einzelnen Einwänden des Klägers gegen die Sachverständigenfeststellungen hat er am 4. Oktober 2016 und 20. März 2017 weitere gutachterliche Stellungnahmen eingereicht. Zu weiteren vom Kläger geäußerten Bedenken gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens, die sich insbesondere zur Qualifikation des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu einer Auswertung von MRT-Befunden verhalten, hat er unter dem 2. Oktober 2017 eine weitere Stellungnahme eingereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten und die genannten Stellungnahmen Bezug genommen.
26Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger leide nicht an einer Erkrankung der Wirbelsäule i. S. d. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Dies folge aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G. und dessen ergänzenden Stellungnahmen. Der Gutachter sei nach einer sorgfältigen und umfassenden Anamnese, einer eigenen Untersuchung des Klägers, der Auswertung vorhandener Röntgenbilder und Bildgebungen durch MRT sowie eigener Röntgenbilder zu dem Ergebnis gelangt, dass die medizinischen Voraussetzungen eines Berufskrankheitstatbestandes nach Nr. 2108 Anlage 1 zur BKV (Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII) auch unter Berücksichtigung der präventionsdienstlichen Voraussetzungen nicht gesehen werden könnten. Diese Feststellung habe er nachvollziehbar und überzeugend begründet. Den Einwendungen des Klägers sei er in seinen weiteren Stellungnahmen überzeugend entgegen getreten.
27Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung bezieht sich der Kläger zunächst auf sein Vorbringen erster Instanz und trägt weiter vor, das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. weise erhebliche sachliche (erstinstanzlich gerügte) Mängel auf und sei widersprüchlich. Der Kläger leide an einer Berufskrankheit i. S. d. Nr. 2108 der Anlage 1 zu der nach § 31 BeamtVG einschlägigen BKV. Maßgeblicher Zeitpunkt bei einer Berufskrankheit sei der Tag der erstmaligen Diagnose einer in der Anlage 1 zur BKV genannten Erkrankung. Eine Behandlungsbedürftigkeit oder vorübergehende Dienstunfähigkeit sei nicht erforderlich. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten die selbst ermittelten Abstände der Wirbelsäulenräume in die Gradierung der Konsensempfehlungen falsch eingeordnet. Die vom Gutachter ermittelten Abstandswerte seien bei korrekter Gradierung altersuntypisch. Die von ihm berechnete normierte relative Bandscheibenhöhe des L 4/5 sei 0,63 (63%), woraufhin er von einer Chondrose Grad I, beginnend II für das Segment L 4/5 ausgehe. Laut Konsensempfehlungen sei aber ein Prozentwert von 50 bis 66 dem Grad II zuzuordnen. Der Gutachter habe hierbei die Röntgenaufnahmen und Bilder aus dem Jahr 2016 zugrunde gelegt, obwohl nach den Konsensempfehlungen die Aufnahmen, die näher an der gefährdenden Tätigkeit gelegen hätten, zur Grundlage der Begutachtung gemacht werden müssten, vorliegend daher die Bilder aus dem Jahr 2013. Die vorlegten MRT-Bilder über den Erstschaden an der Lendenwirbelsäule aus dem Jahr 2009 seien regelwidrig ausgewertet bzw. nicht ausgewertet worden. Der Sachverständige gehe verfahrensfehlerhaft davon aus, dass gewisse Zusatzkriterien nur bei der Konstellation B2, nicht jedoch bei B5 oder B6 gelten würden. Präventionsdienstliche Voraussetzungen seien nicht richtig gewürdigt worden. Die Annahme des Sachverständigen, beim Kläger könne ein zutreffendes krankheitsveränderndes Substrat i. S. d. Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV bei der Zuordnung der Konstellation B5 (gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der (unteren) Lendenwirbelsäule ohne wesentliche konkurrierende Ursachefaktoren, keine Begleitspondylose – B 2 – aber mit Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule, der stärker ausgeprägt ist als an der Lendenwirbelsäule) oder B6 der Konsensempfehlungen nicht vorliegen, gehe fehl. Es liege eine vom Gutachter nicht berücksichtigte Begleitspondylose vor. Diese sei unter Nr. 1.4 der Konsensempfehlungen als Spondylose im von Chondrose-Vorfall betroffenen Segmenten, die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung i. S. einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten sei, definiert. Auf den Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule vom 6. Oktober 2008 und dem MRT der Lendenwirbelsäule vom 29. Mai 2009 sei vor Eintritt des Erstschadens eine Spondylose i. S. d. Definition der Konsensempfehlungen nach den Aussagen des diagnostischen Radiologen nachweisbar. Dieser führe aus, dass sich bereits auf der Voruntersuchung vom 29. Mai 2009 in der Gradplatte des LWK 4 fokale Verfettungen, v. a. an Hinter- und am Vorderrand sowie auch angedeutete osteophytäre Randanbauten als Ausdruck einer knöchernen Mitreaktion bzw. Beteiligung bei Chondrose i. S. einer Spondylose zeigten. Ein Dienstunfall aus dem Jahr 2010, bei dem die Halswirbelsäule mitbetroffen gewesen sei sowie die hohe Belastung durch eine sehr hohe Frequenz der Ein- und Aussteigevorgänge (200 bis 300 Stopps pro Fahrt resultierten in 500 bis 700 Ein- und Aussteigevorgängen), die das Verhältnis Lendenwirbelsäulen-Halswirbelsäulen-Schädigung negativ beeinflusst hätten, seien nicht berücksichtigt worden. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Beweislastumkehr in § 31 Abs. 3 BeamtVG nicht hinreichend berücksichtigt. Danach müsse feststehen, dass die Erkrankung nicht im Zusammenhang mit dem Dienst stehe. Soweit sich die Beklagte nunmehr erstmals im Berufungsverfahren auf die Frist des § 45 BeamtVG berufe, verstoße sie gegen Treu und Glauben. Zudem sei Voraussetzung für den Fristbeginn, dass dem Beamten bewusst sei, dass die Erkrankung eine Berufskrankheit sein könne. Diese Voraussetzung habe vor Antragstellung nicht vorgelegen.
28Der Kläger beantragt,
29das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Unfallkasse Post und Telekom vom 20. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2014 zu verpflichten, bei dem Kläger eine Berufserkrankung der Wirbelsäule gemäß § 31 Abs. 3 BeamtVG in Verbindung mit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
30Die Beklagte beantragt,
31die Berufung zurückzuweisen.
32Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor, beide medizinischen Sachverständigen seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass die beim Kläger bestehende Erkrankung nicht als Berufskrankheit anerkannt werden könne. Der Gutachter Dr. H. habe ausgeführt, dass aufgrund der geringen klinisch messbaren Symptomatik sowie den diskreten radiologischen Veränderungen kein direkter Zusammenhang zwischen den Beschwerden des Klägers und seiner beruflichen Tätigkeit bestehe. Außerdem lägen beim Kläger krankhafte Veränderungen auch der Halswirbelsäule vor, die gleich stark ausgeprägt seien wie die der Lendenwirbelsäule. Dies spreche eindeutig für ein nicht durch die berufliche Tätigkeit, sondern durch degenerative Veränderungen verursachtes Krankheitsbild. Der gerichtlich bestellte Gutachter komme zu einem ähnlichen Ergebnis. Er halte die krankhaften Veränderungen der Halswirbelsäule sogar für stärker ausgeprägt als die Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule Beide Gutachten seien nachvollziehbar und widerspruchsfrei.
33Der Kläger habe zudem die Berufskrankheit nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG von zwei Jahren, die auch für die Berufskrankheit nach § 31 Abs. 3 BeamtVG gelte, gemeldet. Nach den Angaben des Klägers im Fragebogen zu BK 2108-2110 leide er seit 2008 an Rückenbeschwerden, die im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stünden. Gemeldet wurden sei die Berufskrankheit jedoch erst am 14. August 2012 durch die ärztliche Anzeige des Dr. O. .
34Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt und auf mündliche Verhandlung verzichtet (Schriftsatz der Beklagten vom 17. April 2020 und des Klägers vom 6. Mai 2020).
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe
37Der Senat kann über die Berufung durch die Berichterstatterin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit Schriftsätzen vom 17. April 2020 bzw. 6. Mai 2020 hiermit einverstanden erklärt und auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2, 87a Abs. 2 und 3 VwGO).
38Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
39Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufserkrankung der Wirbelsäule gemäß § 31 Abs. 3 BeamtVG i. V. m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
40Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Berufserkrankung ist § 31 Abs. 3 BeamtVG im nach dem im Zeitpunkt des Eintritts der angegebenen Erkrankung maßgeblichen Rechts – hier in der (für diese Vorschrift ab dem 1. Juli 2009 und bis zum 10. Januar 2017 gültigen) Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010, BGBl. I S. 150 –.
41Erkrankt danach ein Beamter, der nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an bestimmten Krankheiten besonders ausgesetzt ist, an einer solchen Krankheit, so gilt dies als Dienstunfall, es sei denn, dass der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat (S. 1). Die in Betracht kommenden Krankheiten bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats (S. 3). Die auf dieser Grundlage erlassene Verordnung ist die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vom 31. Oktober 1997, BGBl. I S. 2623 (hier maßgeblich in der Fassung vom 1. Juli 2009).
42Ein Anspruch auf Dienstunfallfürsorge nach § 31 Abs. 3 BeamtVG setzt weiterhin voraus, dass der Beamte die Erkrankung dem Dienstherrn rechtzeitig angezeigt hat (§ 45 BeamtVG).
43Auf Grundlage dieser Bestimmungen kommt die begehrte Anerkennung der bei dem Kläger vorliegenden Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nicht in Betracht. Der Kläger ist mit dem geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit schon deswegen ausgeschlossen, weil er seinem Dienstherrn die geltend gemachte Berufserkrankung nicht innerhalb der Fristen des § 45 BeamtVG gemeldet hat (dazu I.). Ungeachtet dessen erfüllt der Kläger auch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm (dazu II.).
44I. Der Kläger ist mit dem Anspruch auf Anerkennung als Berufskrankheit bereits deshalb auf Dauer ausgeschlossen, weil er die Berufskrankheit seinem Dienstherrn nicht in ausreichender Weise innerhalb der in § 45 BeamtVG geregelten materiellen Ausschlussfristen gemeldet hat.
45Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche nach diesem Gesetz entstehen können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalls bei dem Dienstvorgesetzten des Verletzten zu melden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG wird nach Ablauf der Ausschlussfrist Unfallfürsorge nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und gleichzeitig glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge des Unfall nicht habe gerechnet werden können oder dass der Berechtigte durch außerhalb seines Willens liegende Umstände gehindert worden ist, den Unfall zu melden. Die Meldung muss nach § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG, nachdem mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge des Unfalls gerechnet werden konnte oder das Hindernis für die Meldung weggefallen ist, innerhalb dreier Monate erfolgen.
46Die Fristenregelungen des § 45 BeamtVG sind nicht nur auf Dienstunfälle i. S. d. § 31 Abs. 1 BeamtVG, sondern auch auf diesen (bereits nach dem Wortlaut der Regelung) gleichgestellte Berufskrankheiten nach § 31 Abs. 3 BeamtVG anzuwenden. Der Dienstherr hat in beiden Fallkonstellationen gleichermaßen ein Interesse daran, die tatsächlichen Umstände der Schädigung seines Beamten zeitnah aufzuklären und ggf. präventive Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Schäden zu ergreifen. Dies gilt für Berufskrankheiten sowohl dann, wenn sie auf ein zeitlich einzugrenzendes Ereignis zurückzuführen sind, als auch dann, wenn es sich – wie hier – um Krankheiten handelt, die durch kumulativ wirkende schädliche Einwirkungen hervorgerufen und allmählich oder in Schüben erkennbar werden. Auch in dem Fall sollen die Ausschlussfristen den Nachweis der Kausalität und – erst recht – die präventive Wirkung einer zeitnahen Klärung des Sachverhalts sicherstellen.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. August 1985– 2 B 34.84 –, juris Rn. 4; Urteil vom 28. April 2011 – 2 C 55.09 –, juris Rn. 28; Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 18.17 –, juris Rn. 14 f. (zum Sinn und Zweck der Meldepflicht).
48Die Dienstunfallanzeige des behandelnden Arztes des Klägers vom 14. August 2012 wahrt diese Fristen nicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Zweijahresfrist aus § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG abgelaufen. Mit Ablauf der Frist ist der Kläger mit seinem Anspruch ausgeschlossen.
49Die Fristen beginnen nach dem Wortlaut der Vorschrift mit dem Unfall bzw. dem Eintritt des Unfalls zu laufen. Diese für einen Dienstunfall i. S. d. § 31 As. 1 BeamtVG als einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis einleuchtende Festlegung gilt entsprechend auch für Berufskrankheiten. Bei Krankheiten, die infolge fortlaufender kumulativer schädlicher Einwirkung auf den Beamten ausgelöst werden, ist demnach der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Zustand des Beamten Krankheitswert erreicht, in dem also die Krankheit sicher diagnostiziert werden kann. Vorher ist der Beamte zwar gefährdet, aber noch nicht krank. Für den Fristablauf gilt, dass der Ablauf der Zweijahresfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG hinausgeschoben werden kann, solange eine Erkrankung noch nicht als Folge eines Dienstunfalls bemerkbar ist – solange also der Beamte die Ursächlichkeit der schädigenden Einwirkung nicht erkennen kann –, während die Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 2 BeamtVG unabhängig davon abläuft, ob der Betroffene erkannt hat, dass er sich eine Berufskrankheit zugezogen hat (§ 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG).
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2011 – 2 C 55.09 –, juris Rn. 29.
51Nach diesen Maßstäben begann die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1BeamtVG spätestens am 24. August 2009 zu laufen. Die Zweijahresfrist lief am 23. August 2011 ab. Bereits mit MRT vom 29. Mai 2009 ist bei dem Kläger eine Bandscheibenschädigung an der Lendenwirbelsäule in Form einer Osteochondrose LWK 4/5 mit rechts lateraler Bandscheibenprotusion und zusätzlicher Spondylarthrose festgestellt worden. Am 24. August 2009 stellte eine weitere MRT der Lendenwirbelsäule einen neu aufgetretenen, sequestrierten und nach cranial ausgerichteten flachen Bandscheibenprolaps LWK 4/5 posterolateral mit Einengung des rechten Neuroformens LWK 4/5 im Eingang und von caudal Kontaktierung der höher gelegenen intraspinalen L4-Wurzel bei zusätzlicher Spondylarthrose LWK 4/5 und LWK 5/SWK1 fest. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule i. S. d. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nachgewiesen und sicher diagnostiziert und begann die zweijährige Meldefrist zu laufen.
52Der Ablauf der Frist wird nicht nach § 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG dadurch hinausgeschoben, dass der Kläger zu dem Zeitpunkt der zweiten MRT am 24. August 2009 die Ursächlichkeit der schädigenden Einwirkungen nicht erkennen, d. h. nicht damit rechnen konnte, dass die Erkrankung Folge der schädigenden Einwirkungen durch die beruflichen Belastungen des schweren Hebens/Tragens war. Dem Kläger war nach seinen eigenen Angaben seit dem ersten Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule im Jahre 2008 bewusst, dass die Erkrankungen an der Wirbelsäule auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind. Dies hat er bereits in dem Fragebogen zu den Erkrankungen der Wirbelsäule (BA I, 11-1) unter 2.1 ausgeführt, als er angab, er habe seine Rückenbeschwerden seit dem Bandscheibenvorfall 2008 (an der Halswirbelsäule) bewusst in Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gebracht. Diese seien während Zeiten der Dienstunfähigkeit immer weniger geworden und kurz nach Dienstantritt wieder aufgetreten. In der Anamnese durch den Gutachter Dr. H. hat er weiter angegeben, ihn hätten seit 2009 permanente Rückenschmerzen geplagt, geringer im Bereich der Halswirbelsäule und stärker im Bereich der Lendenwirbelsäule, die nach einer längeren Dienstunfähigkeitszeit oder einem Urlaub deutlich gebessert gewesen, alsbald nach Rückkehr in den Arbeitsalltag jedoch sofort zurückgekehrt seien. Danach war dem Kläger spätestens seit 2009 und insbesondere seit dem mit MRT vom 24. August 2009 festgestellten Bandscheibenvorfall bewusst, dass seine Rückenbeschwerden infolge der aufgetretenen Bandscheibenschäden, die wesentlich bei Diensttätigkeit auftraten und in Zeiten fehlender Diensttätigkeit zurückgingen bzw. verschwanden, auf seine dienstliche Tätigkeit zurückzuführen waren bzw. mit dieser in Zusammenhang standen. Entsprechend gibt der Kläger in seinen Stellungnahmen zum Gutachten des Dr. G. (Schreiben vom 16. Juli 2016, 12. Dezember 2016 und mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18. Juli 2017) den mit MRT vom 24. August 2009 festgestellten Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule als Erstschaden an. Diese seinerzeit erstmals aufgetretene Erkrankung liegt dem Begehren des Klägers auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten) der Anlage 1 zur BKV weiterhin zugrunde. Spätestens seit diesem Zeitpunkt (2. MRT vom 24. August 2009) lag eine diagnostizierte Bandscheibenschädigung der Lendenwirbelsäule vor, in deren Folge Rückenbeschwerden und erhebliche Dienstausfallzeiten auftraten und war dem Kläger nach eigenem Vorbringen bewusst, dass dies auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen war. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch außerhalb seines Willens liegende Umstände gehindert worden sein sollte, die Erkrankung zu melden (§ 45 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG), bestehen nicht.
53Der Kläger hat die Frist auch nicht anderweitig gewahrt. Mit ihrem Ablauf ist der Kläger mit seinen Ansprüchen ausgeschlossen, ohne dass Fürsorgegründe entgegenstehen. Die dem Kläger zugerechnete Dienstunfallanzeige des Arztes Dr. O. vom 14. August 2012 war weder entbehrlich noch jedenfalls bereits schlüssig erfolgt. Erstmals mit dieser Meldung hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er auf eine im Dienst erlittene Berufserkrankung Dienstunfallfürsorgeansprüche stützen könnte. Vorherige reine Krankmeldungen genügen den Anforderungen an eine Dienstunfallmeldung nicht, weil sie das von dem Fristenregime des § 45 BeamtVG unter anderem geschützte Untersuchungsverfahren nicht anstoßen.
54Auch eine überlappende Kenntnis des Dienstherrn sowohl von der Erkrankung als auch von einer möglichen dienstlichen Ursache erübrigt die Anzeige nicht. Selbst wenn der Dienstherr davon ausgeht, dem Beamten könnten dienstunfallrechtliche Ansprüche zustehen, ist eine weitergehende Ermittlung erst veranlasst, wenn er durch die Dienstunfallanzeige darüber unterrichtet wird, dass der Beamte diese Ansprüche auch verfolgt.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 18.17 –, juris Rn. 24 ff.
56Auch die Anzeige des Klägers über den Dienstunfall im Jahr 2010 genügt den Anforderungen nicht. Diese bezog sich auf ein konkret abgrenzbares Ereignis– den Sturz des Klägers und seine gesundheitlichen Folgen –, nicht jedoch auf die nunmehr geltend gemachte Berufskrankheit.
57Dem Kläger ist in die versäumte Frist Wiedereinsetzung nicht zu gewähren. Der Dienstherr ist auch aus Fürsorgegründen weder berechtigt noch verpflichtet, zugunsten des Klägers von der Beachtung der Frist abzusehen. Die Fristen nach § 45 BeamtVG sind echte materielle Ausschlussfristen. Es ist dem Dienstherrn daher entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur (nach dem Grundsatz von Treu und Glauben) nicht verwehrt, die Fristversäumnis (auch erstmals im Berufungsverfahren) geltend zu machen, sondern er ist zur Beachtung der Ausschlussfrist des § 45 BeamtVG unbedingt verpflichtet. Der Anspruch ist mit Fristablauf ausgeschlossen; eine Wiedereinsetzung kommt nicht in Betracht. Dem Dienstherrn ist danach die Befriedigung des Anspruchs jedenfalls im Rahmen rechtmäßigen Verwaltungshandelns nicht mehr eröffnet.
58Der Ausschluss von Unfallfürsorgeleistungen nach Ablauf einer gesetzlichen Frist verstößt auch nicht gegen die Fürsorgepflicht als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind Unfallfürsorgeleistungen von dem Kerngehalt der Fürsorgepflicht nicht erfasst. Die Fürsorgepflicht gebietet nicht, dass über die Alimentation (Besoldung oder Versorgung) und Beihilfegewährung hinaus zwingend weitere Leistungen zu gewähren sind, wenn ein Beamter infolge dienstlicher Umstände erkrankt. Auch im Falle seiner Erkrankung ist die amtsangemessene Alimentation des Beamten sowie die angemessene Übernahme der durch den Körperschaden oder die Krankheit entstehenden Kosten über die genannten Leistungen gewährleistet.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015– 2 C 46.13 –, juris Rn. 14; zuletzt ebenso Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 18.17 –, juris Rn. 34.
60Darüber hinaus sind absolut wirkende materielle Ausschlussfristen jedenfalls mit der Fürsorgepflicht vereinbar. Die durch Art. 33 Abs. 5 GG garantierte allgemeine Fürsorgepflicht hat insbesondere zum Inhalt, dass der Dienstherr bei seinen Entscheidungen die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu berücksichtigen hat. Hat der Normgeber unter Abwägung aller Belange zu diesem Zweck eine abstrakt-generelle Regelung getroffen, darf diese nicht unter Berufung auf die allgemeine Fürsorgepflicht wieder überspielt und eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Rechtsfolge gefordert werden.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 18.17 –, juris Rn. 31 f..
62II. Ungeachtet dessen liegen auch die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm des § 31 Abs. 3 BeamtVG nicht vor.
63Ein Beamter hat nach § 31 Abs. 3 BeamtVG Anspruch auf Anerkennung eines Dienstunfalls (und Dienstunfallfürsorge) auch dann, wenn er sich eine Krankheit zuzieht, die in der BKV in der im Zeitpunkt der Erkrankung geltenden Fassung aufgeführt ist und dies einem Dienstunfall gleichgestellt ist. Der Beamte muss nach der Art seines Dienstes einer besonderen Erkrankungsgefahr ausgesetzt sein und es muss ausgeschlossen sein, dass der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat (Satz 1). Für das Vorliegen einer in der BKV aufgeführten Erkrankung i. S. d. 31 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG und für die besondere Erkrankungsgefahr i. S. d. § 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG trägt der Beamte die Beweislast. Lässt sich bei Vorliegen dieser Voraussetzungen lediglich nicht aufklären, ob sich der Beamte die Erkrankung innerhalb oder außerhalb des Dienstes zugezogen hat, so trägt der Dienstherr hinsichtlich dieser Voraussetzung das Risiko der Unaufklärbarkeit.
64Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2011 – 2 C 55.09 –, juris Rn. 13.
65Der Senat hat nicht die erforderliche, vernünftige Zweifel ausschließende Überzeugung gewinnen können, dass bei dem Kläger eine Erkrankung i. S. d. § 31 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG i. V. m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Danach zählen zu den Berufskrankheiten bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
66Voraussetzung für die begehrte Einordnung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit ist demnach zunächst, dass zwischen der beruflichen Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung), deren Vorliegen im Allgemeinen nach dem sog. Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) zu ermitteln ist,
67vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R –,
68ein sachlicher Zusammenhang (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen), und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung ein wesentlicher Ursachenzusammenhang (haftungsbegründende Kausalität) besteht. Ferner ist erforderlich, dass der Betroffene seine Tätigkeit aufgeben musste und alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt.
69Das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung und die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen (d. h. die Verrichtung beruflicher Tätigkeiten, die zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o. ä. auf den Körper geführt hat) allein kann dabei die hinreichende Wahrscheinlichkeit,
70die zur Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden genügt, vgl. BSG, Urteil vom 6. September 2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 9 m. w. N.,
71eines wesentlichen Kausalzusammenhangs bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule mit beruflichen Einwirkungen nicht begründen. In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Da diese Bandscheibenerkrankungen auch in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, hat die medizinische Wissenschaft im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV weitere Kriterien erarbeitet, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, die als sogenannte Konsensempfehlungen 2005,
72abrufbar u. a. unter: https://www.dguv.de/medien/inhalt/versicherung/berufskrankheiten/muskel-skelett/bandscheibenbedingte/teil1_ws_empf.pdf,
73zur Zusammenhangsbegutachtung zusammengestellt wurden. Diese Konsensempfehlungen sind nach wie vor der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zur Frage der Verursachung von Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch körperliche berufliche Belastungen.
74Vgl. u. a. BSG, ,Urteile vom 23. April 2015 – B 2 U 10/14 R –, juris Rn. 18 ff. und vom 6. September 2018 – B 2 U 13/17 R –, juris Rn. 19 f., jeweils m. w. N.
75Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV nicht vor.
76Dabei kann hier dahinstehen, ob im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehende schädigende Einwirkungen (die arbeitstechnischen Voraussetzungen) gegeben sind. Für eine solche Annahme spricht allerdings die nach der durchgeführten Arbeitsplatzexposition nach dem MDD ermittelte Belastungsdosis, die bis zum ersten Auftreten der Rückenbeschwerden im Jahr 2008 22,62 MNh und während des Beschäftigungszeitraums bis zur Antragstellung 24,88 MNh betragen hat. Zumindest mit dem 2. Wert wird der nach dem MDD vorgeschlagene Orientierungswert von 25 MNh, oberhalb dessen mit einer Gefährdung zu rechnen ist, nahezu erreicht und der vom Bundesozialgericht festgelegte untere Grenzwert der Hälfte des Orientierungswerts von 25 MNh, bei dessen Unterschreiten ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ohne weitere medizinische Ermittlungen ausgeschlossen werden kann, deutlich überschritten.
77Vgl. zu den Orientierungs- und Grenzwerten nach dem MDD: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R –, juris Rn. 25; Römer in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 07/17, BKV Anlage 3, juris Rn. 9.
78Es fehlt vorliegend jedoch an der zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Ursachenzusammenhangs zwischen den schädlichen Einwirkungen und der Erkrankung der Lendenwirbelsäule (arbeitsmedizinische Voraussetzungen). Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. G. , der zu dem Ergebnis gelangt ist, dass bei dem Krankheitsbild des Klägers keine Konstellation bestehe, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung (für die Berufskrankheit) aussprächen.
79Die medizinischen Voraussetzungen des Tatbestandes der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV könnten auch unter Berücksichtigung der präventionsdienstlichen Voraussetzungen nach der Arbeitsplatzexposition nicht gesehen werden. Diese seien an bestimmte klinische und bildtechnisch-morphologische Voraussetzungen geknüpft. Neben den klinischen Erscheinungsformen wie Schmerzen an der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in die unteren Extremitäten, Bewegungseinschränkungen, Nervenwurzelreizerscheinungen sei es unverzichtbar, auf das krankhaft veränderte Substrat in Form fortgeschrittener bzw. substanzieller Schädigungen eines oder mehrerer Bandscheibenkörper mit Verlagerung geschädigter Komplexanteile der Bandscheibe innerhalb und insbesondere auch außerhalb der Bandscheibenzirkumferenz (Protusion, gedeckter oder ungedeckter Prolaps) abzustellen. Bei der Gruppe der 45jährigen – respektive der über 50jährigen – sei auch der Einzelnachweis bandscheibenkörperschädigungsassoziierter bzw. ‑bedingter Sekundärveränderungen in Gestalt umformender Veränderungen an den Grund- und Deckplatten der Wirbelkörper und Wirbelgelenke (Chondrose, Osteosklerose, Spondylose, Spondylarthrose und Begleitspondylose) unverzichtbar. Dabei handele es sich um altersuntypische Pathologika, wie sie in den Übersichten 1 bis 8 der Konsensempfehlungen Teil 1 näher beschrieben seien. Diese müssten unter ganzheitlicher und vergleichender Betrachtung der pathomorphologischen/diskopathischen Veränderungen an der Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule einer sogenannten Konstellation z. B. A, B usw. zugeordnet werden.
80Bei Betrachtung der bildgebenden Befunde der Lendenwirbelsäule finde sich beim Kläger nur singulär für das Segment L 4/5 eine Chondrose vom Grad I-II. Die topographisch zugeordnete Osteosklerose erreiche (gerade eben) den Grad I. Eine Spondylose, insbesondere eine sog. Begleitspondylose, mit Spondylophytenkörperbildung außerhalb des Segmentes L 4/5 über mindestens zwei Segmente liege an der Lendenwirbelsäule nicht vor. Weitere begleitende bzw. topographisch betrachtet angrenzende Segmente seien gemäß der MRT vom 25. Juli 2013 nicht von signifikanteren bandscheibenschädigungsbedingten Veränderungen z. B. in Gestalt von sog. Black-disk-Phänomenen betroffen.
81Die Halswirbelsäule weise dagegen phänomenologisch stärker ausgeprägt auf Höhe des Segmentes C 5/6 sowie C 6/7 eine Chondrose, Osteosklerose und Spondylose auf. Daher könne von der Konstellation B5 oder B6 ausgegangen werden. Bei diesen Konstellationen sei indes ein Ursachenzusammenhang nach den Konsensempfehlungen nicht wahrscheinlich bzw. bestehe kein Konsens über den Ursachenzusammenhang und könne dieser nicht als nachgewiesen gelten.
82Diese Feststellungen des Gutachters Dr. G. , die der Gutachter durch weitere Stellungnahmen vom 4. Oktober 2016, 20. März 2017 und 2. Oktober 2017 ergänzt hat, sind geeignet, dem Senat die zur Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Sie weisen keine auch für den Nichtsachkundigen erkennbaren (groben) Mängel auf. Die Ausführungen des Gutachters sind insbesondere in sich schlüssig und widerspruchsfrei, beruhen auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft – hier in Gestalt der Konsensempfehlungen –, gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus und geben keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters.
83Vgl. zur Eignung eines Gutachtens BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2013 – 2 B 57.12 –, juris Rn. 5 m. w. N.; Beschluss des Senats vom 6. Februar 2012 – 1 A 1337/10 –, juris Rn. 3.
84Auch der Vortrag des Klägers, der Gutachter habe seine Feststellungen entgegen dem in den Konsensempfehlungen abgebildeten Stand der Wissenschaft getroffen (dazu 1.), den Erstschaden an der Lendenwirbelsäule 2009 fehlerhaft nicht berücksichtigt (dazu 2.) und er sei zur Auswertung der durch MRT gewonnenen Aufnahmen nicht qualifiziert (dazu 3.), stellt die Eignung des Gutachtens nicht in Frage.
851. Es kann aufgrund des Klägervortrags nicht festgestellt werden, dass der Gutachter zu seinen Feststellungen unter Verletzung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes gelangt ist.
86Die von dem Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren insoweit erhobenen Rügen greifen nicht durch. Der Gutachter ist diesen mit seinen ergänzenden Stellungnahmen überzeugend und nachvollziehbar entgegen getreten.
87a) Dies gilt zunächst für die Rüge des Klägers, der Gutachter habe die bei ihm vorliegende Begleitspondylose nicht berücksichtigt. Bei Vorliegen einer Begleitspondylose sei aber von der Konstellation B1 auszugehen und ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich. Insofern hat der Gutachter mit Stellungnahme vom 10. Oktober 2016 ausgeführt, dass eine Begleitspondylose (vordere und seitliche Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern in den nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segmenten) nach den Konsensempfehlungen dann vorliege, wenn das von dem eigentlichen Bandscheibenschaden (Chondrose oder Vorfall) betroffene Segment hiervon überhaupt nicht betroffen ist oder diese nachweislich schon vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung vorhanden war. Ferner müsse es sich um eine Spondylophytenkörperbildung handeln, die sich über mindestens 2 Segmente altersuntypisch, d. h. vom Grad III oder IV am versicherten Abschnitt der Lendenwirbelsäule außerhalb des am stärksten von diskopathischen Veränderungen betroffenen Segments bzw. Segmente erstreckt. Diese Situation sei bei dem Kläger nicht gegeben, weil sich überhaupt keine altersuntypische Spondylose nachweisen lasse. Vor Beginn der diskopathischen Veränderung könne eine derartige Spondylose nicht bestanden haben, weil sie sich dann zumindest in vergleichbarer bzw. ausgeprägterer pathoanatomischer Form auch zum Zeitpunkt der Sichtung der Röntgenbilder am 22. Februar 2016 hätte nachweisen lassen müssen. Der Hinweis des Klägers auf sich in der Voruntersuchung am 29. Mai 2009 zeigende fokale Verfettungen an Hinter- und Vorderkanten sowie angedeutete ossäre Randanborden als Ausdruck einer knöchernen Mitreaktion sei nicht wegweisend, weil es gemäß den Konsensempfehlungen nicht auf den Nachweis irgendwelcher knöchernen Randanbauten, sondern auf Art, Ausmaß und Lokalisation außerhalb des von den diskopathischen Veränderungen am stärksten betroffenen Abschnitts und auf eine mindestens zweisegmentale Ausdehnung im Sinne altersuntypischer Spondylophyten gemäß den Konsensempfehlungen vom Grad II bis Grad IV ankomme.
88Diese Ausführungen des Gutachters stehen in Einklang mit Ziffer 1.4 der Konsensempfehlungen, wonach die Begleitspondylose – wenn sie überhaupt vorliegt –, positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung nur dann entfaltet, wenn sie über das Altersmaß hinausgeht und mindestens zwei Segmente betrifft. Diese Voraussetzungen lassen sich auch dem von dem Kläger in der Berufungsbegründung abermals angeführten Schriftsatz des „radiologie team rur“ vom 3. März 2015 nicht entnehmen. Der Umstand, dass sich bei der Voruntersuchung am 29. Mai 2009 in der Grundplatte des LWK 4 fokale Verfettungen, v. a. am Hinter- und Vorderrand sowie angedeutete osteophytäre Randanbauten als Ausdruck einer knöchernen Mitreaktion /-beteiligung bei Chondrose i. S. einer Spondylose gezeigt hätten, stellt die Ausführungen des Gutachters nicht in Frage. Insoweit fehlt es nicht nur an den Voraussetzungen einer Begleitspondylose. Es ist zudem weder ein altersuntypisches Ausmaß noch eine mehrsegmentale Betroffenheit festgestellt. Vielmehr ist auch dort allein von dem Segment L 4/5 die Rede.
89b) Auch die Annahme des Klägers, der Gutachter habe das Schädigungsverhältnis von Lendenwirbelsäule und Halswirbelsäule aufgrund falscher Gradierung der berechneten Wirbelsäulenräume nicht korrekt festgestellt und sei so zu der Konstellation B2/B5 oder B6, nicht aber zu der korrekten Konstellation B2/B4 gelangt, trifft nicht zu.
90In der Konstellation B2 ist nach den Konsensempfehlungen ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich, wenn (bei fehlender Begleitspondylose und nicht erkennbaren wesentlichen konkurrierenden Ursachenfaktoren) neben den Grundvoraussetzungen der Konstellation B (bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich L5/S1 und/oder L4/L5 bei Ausprägung des Bandscheibenschadens als Chondrose Grad II oder höher und/oder einen Vorfall) eine altersuntypische Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht – bei monosegmentalen/Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindestens 2 angrenzenden Segmenten vorliegen. (1. Zusatzkriterium). Alternativ genügt das Vorliegen einer besonders intensiven Belastung und als Anhaltspunkt das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren (2. Zusatzkriterium) oder das Vorliegen eines besonderen Gefährdungspotenzials durch hohe Belastungsspitzen und als Anhaltspunkt das Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Männer ab 6 KN) erfüllt werden (3. Zusatzkriterium). Liegt die Konstellation B2 vor, ist aber gleichzeitig ein Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule vorhanden, der schwächer ausgeprägt ist als der Bandscheibenschaden an der Lendenwirbelsäule, ist die Konstellation B4 gegeben und ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich. Ist der Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule jedoch stärker ausgeprägt als der Bandscheibenschaden an der Lendenwirbelsäule, so ist die Konstellation B5 gegeben. In dieser Konstellation ist nach den Konsensempfehlungen ein Zusammenhang dann nicht wahrscheinlich, wenn der Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule – wie nach Aussage des Gutachters in seiner Stellungnahme vom 4. Oktober 2016 im Fall des Klägers – mit einer klinischen Erkrankung einhergeht, im Übrigen bestand kein Konsens über den Ursachenzusammenhang. Ist der Bandscheibenschaden an Lendenwirbelsäule und Halswirbelsäule gleich stark ausgeprägt, so liegt die Konstellation B6 vor, bei der ebenfalls kein Konsens über den Ursachenzusammenhang bestand.
91Die Forderung des Klägers, die Ausprägung des Bandscheibenschadens allein anhand des Grads der Höhenminderung der Zwischenwirbelräume an Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule festzustellen, greift ersichtlich zu kurz. Insofern führt Ziffer 1.3 der Konsensempfehlungen aus, dass „der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung sei. Es müsse eine „korrelierende klinische Symptomatik hinzukommen und könnten als mögliche sekundäre Folge des Bandscheibenschadens bildgebend darstellbare Veränderungen wie die Spondylose, die Sklerose der Wirbelkörperabschlussplatten, die Retrospondylose, die Spondylarthrose, die degenerative Spondylolisthesis und eine knöcherne Enge des Spinalkanals auftreten.“
92Dementsprechend stellt der Gutachter in seiner Entgegnung vom 4. Oktober 2016 auf die diesbezügliche Rüge des Klägers auf das Gesamtbild der Schädigungen ab, indem er ausführt, dass entscheidend nicht allein die Höhenminderung der Zwischenwirbelräume sei, weil es nicht nur auf die Graduierung der Chondrose, sondern auch auf den Nachweis weiterer diskopathisch evozierter chondrossoärer Sekundärveränderungen ankomme, die bei dem Kläger eindeutig in Gestalt umformender Osteosklerosen sowie einer Spondylose auch auf Höhe der Segmente C 5/6 und C 6/7 sowie einer Chondrose Grad II zumindest für das Segment C 5/6 vorlägen und mehrere Segmente der Halswirbelsäule betreffen würden, wohingegen an der Lendenwirbelsäule nur ein Segment betroffen sei. Der Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule sei stärker, zumindest gleich stark ausgeprägt wie der Bandscheibenschaden an der Lendenwirbelsäule hinsichtlich der summativen, bildoptischen, chondroossären Sekundärveränderungen im Sinne einer Spondylose, Oseosklerose, Chondrose und Spondylarthrose. Diese Einschätzung, der der Kläger im Weiteren lediglich eine Wiederholung seines Vortrags entgegensetzt, steht im Übrigen auch im Einklang mit der Einschätzung des im Verwaltungsverfahren herangezogenen Gutachters Dr. H. , der aufgrund der Röntgenaufnahmen von 2013 und des MRT-Befundes der Halswirbelsäule vom 10. Januar 2011 (im Rahmen des Dienstunfalls angefertigt) eine ausgeprägte Osteochondrose im Segment C 5/6 feststellt und die Bandscheibenschäden an Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule als „annähernd gleich“ einstuft.
93Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang rügt, der Gutachter habe fehlerhaft Röntgenaufnahmen und Bilder des Klägers aus dem Jahr 2016 zur Grundlage gemacht; nach den Konsensempfehlungen seien jedoch bei – wie hier – bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit, Befunde zur Grundlage zu machen, die näher an dem Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit liegen, so entspricht das nicht den Tatsachen. Denn der Gutachter hat, wie sich aus den Seiten 14 bis 16 des Gutachtens vom 24. Februar 2016 ergibt, zunächst die Aufnahmen aus dem Jahr 2013 begutachtet und diese ebenso wie die aktuelleren Aufnahmen seiner Diagnose zugrunde gelegt. Dabei hat er, wie sich aus seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. März 2017 ergibt, festgestellt, dass sich sowohl auf den älteren als auch den aktuellen Röntgenaufnahmen eine Chondrose vom Grad II seitens des Segments C5/6 und grenzwertig C 6/7 der Halswirbelsäule finde.
94c) Die in diesem Zusammenhang weiter erhobene Rüge, dass es Anhaltspunkte für beruflich bedingte Schäden an der Halswirbelsäule durch den Dienstunfall 2010 sowie schweres Heben und Bewegungen mit häufig folgenden Wiederholungen (seitliches Wegdrehen des Kopfes beim Ein- und Aussteigen aus dem Zustellfahrzeug unter Berücksichtigung von durchschnittlich 250 Stopps am Tag) gebe, was hinsichtlich des Schädigungsverhältnisses Halswirbelsäule- Lendenwirbelsäule berücksichtigt werden müsse, ist bereits nicht hinreichend substantiiert. Anhaltspunkte können die notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht begründen. Der Gutachter ist den Ausführungen des Klägers zudem entgegen getreten und hat zum einen ausgeführt, dass eine Vorschädigung der Halswirbelsäule durch den Dienstunfall nicht ersichtlich sei. Es seien keine knöchernen Verletzungen der Wirbelkörper oder der Wirbelkörperanhangsgebilde nachweisbar, die als differenzialdiagnostisches Kriterium abzugrenzen seien. Dies steht in Einklang mit den Ausführungen des fachärztlichen Beraters der Unfallkasse Post und Telekom im Rahmen der Anerkennung der Folgen des Dienstunfalls 2010 vom 6. Juni 2011, wonach von einem eindeutig dokumentierten degenerativen Vorschaden der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule auszugehen sei, der durch den Unfall für etwa 6 Wochen verschlimmert worden sei und dann wieder in den Vorzustand gemündet habe. Zum anderen hat der Gutachter ausgeführt, dass berufsbedingte Schädigungen der Halswirbelsäule kein positives Kausalitätsindiz im Rahmen der Nr. 2108, die sich mit der Lendenwirbelsäule befasse, darstellten, diese vielmehr im Rahmen der Nr. 2109 betrachtet werden müssten. Der weitere kontextlose Vortrag des Klägers aus den Konsensempfehlungen äußere lediglich dortige hypothetische Vermutungen. Soweit der Kläger daraufhin abermals in den Konsensempfehlungen enthaltene Hypothesen zur beruflich bedingten Bandscheibenschädigung an der Halswirbelsäule anführt, vermag dies die Erläuterungen des Gutachters bereits deshalb nicht in Frage zu stellen, weil es sich hierbei um nicht konsensfähige abweichende Annahmen handelt, die einen Kausalitätsnachweis nicht erbringen können.
95d) Soweit der Kläger ferner rügt, der Gutachter gehe fälschlicherweise davon aus, dass gewisse (arbeitstechnische) Zusatzkriterien nur bei der Konstellation B2 und nicht bei den Konstellationen B5/B6 gelten würden, lässt sich dies dem Gutachten so nicht entnehmen. Insofern hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt, dass der Gutachter lediglich ausgeführt hat, dass die arbeitstechnischen bzw. präventionsdienstlichen Voraussetzungen ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium der Kausalität darstellen.
96e) Die ferner gerügte Nichtberücksichtigung einer sog. „black disc“ an der LWS kann bereits deshalb keinen Zweifel an der Begutachtung begründen, weil der Kläger das Vorliegen eines solchen Befundes nicht ansatzweise belegt. Insbesondere findet sich ein solcher Befund nicht in dem von ihm vorgelegten ärztlichen Berichten zu den durchgeführten MRT-Untersuchungen. Dementsprechend führt der Gutachter in seiner Stellungnahme vom 2. Oktober 2017 aus, eine „black disc“ sei nicht nachweisbar. Was der Kläger im Weiteren aus dem Vorliegen einer „black disc“, die – wie unter b) ausgeführt – nur ein Zusatzkriterium der Konstellation B2 darstellt, ableiten will, ist zudem nicht ersichtlich.
97f) Auch der Rüge des Klägers, selbst bei Annahme der Konstellationen B5/6 sei der Zusammenhang nicht stets zu verneinen, sondern eine Einzelfallwürdigung unter Beachtung weiterer Hilfskriterien wie der präventionsrechtlichen Voraussetzungen (Belastungsspitzen, Erreichen des Richtwerts für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren und Ausmaß des Bandscheibenschadens) vorzunehmen, ist der Gutachter in seinen Stellungnahme vom 4. Oktober 2016 und 20. März 2017 ebenfalls überzeugend entgegen getreten. Insofern hat er ausgeführt, dass eine nach Erhebung der Anamnese, klinisch-orthopädischer Untersuchung, Auswertung von Röntgenbildern gemäß den Vorgaben der Konsensempfehlungen konkrete und exakte Einzelfallwürdigung durchgeführt worden ist, die nur Raum für die Zuordnung zu den Konstellationen B5 oder B6 lasse und bei diesen Konstellationen der Ursachenzusammenhang entweder nicht hinreichend wahrscheinlich sei oder kein Konsens bestanden habe, wonach die Kausalität ebenfalls nicht eindeutig gegeben sei. Es fehle bei einer Zuordnung zu der Konstellation B5/6 an dem notwendigen krankhaft veränderten Substrat im Sinne der Listennummer 2108. Selbst bei Erfüllung oder Übererfüllung der präventionsdienstlichen Voraussetzungen sei dies im Falle des Klägers von nachrangiger Bedeutung, weil es an den medizinisch-morphologischen Voraussetzungen fehle. Der Verweis auf die Größe des Bandscheibenschadens im Vergleich zur Altersgruppe sei nicht zielführend, da es darauf nicht ankomme, sondern auf Art, Ausmaß und Topographie der diskogenen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule gemäß der Konsensempfehlungen vor dem Hintergrund des Gesamtdegenerationsmusters unter Berücksichtigung des diskoossären Degenerationsmusters an der Halswirbelsäule. Insoweit sei die Kausalitätsattributierung bei der Berufskrankheit Nr. 2108 spezifisch, die durch die von dem Kläger genannten weiteren Autoren geforderten Kriterien bezögen sich hingegen auf grundsätzliche, nicht jedoch spezifische Fragestellungen im o. g. Sinne.
982. Ein grober Mangel des Gutachtens ist auch nicht darin begründet, dass der Gutachter die vorgelegten MRT-Bilder über den Erstschaden an der Lendenwirbelsäule aus dem Jahr 2009 nicht ausgewertet hat. Worauf der Kläger mit dieser Rüge abzielt, ist nicht ersichtlich.
99Der aus dem Arbeitsunfallrecht stammende Begriff des Erstschadens setzt einen Arbeitsunfall voraus, der zu einem Schaden führt und dem dann Folgeschäden zugerechnet werden.
100Vgl. u. a. BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 6/04 R –, juris Rn. 18 m. w. N.
101Dass es sich bei dem vom Kläger angeführten Bandscheibenvorfall um einen Arbeits- bzw. Dienstunfall gehandelt hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass es sich bei den nunmehr vorhandenen Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule um Folgeschäden eines solchen Unfalls handelt.
102Soweit der Kläger damit vortragen will, der Gutachter müsse von dem Stand der erstmaligen Diagnose eines Bandscheibenschadens an der Lendenwirbelsäule im Jahr 2009 ausgehen, so geht dies fehl. Der Zeitpunkt der erstmaligen Diagnose ist allein zur Beurteilung der Frage maßgeblich, ob eine Krankheit als Berufskrankheit gilt, d. h. ob sie zu diesem Zeitpunkt in die Anlage 1 der BKV aufgenommen worden ist.
103Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 1999– 2 B 88.98 –, juris Rn. 6.
104Abzustellen ist zudem nach Nr. 1.2 der Konsensempfehlungen auf Röntgenaufnahmen, welche in der Regel nicht älter als ein Jahr bzw. bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit, wegweisend auf Befunde, die näher an dem Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit liegen sollten, hier Aufnahmen aus 2016 bzw. 2013. Überdies hat der Gutachter die damaligen Befundberichte, wie sich aus Seite 4 des Gutachtens ergibt, berücksichtigt.
105Des Weiteren hat auch der Gutachter nachvollziehbar in seiner Stellungnahme vom 20. März 2017 ausgeführt, dass es für die Zuordnung eines Berufskrankheiten-Tatbestandes bei orthopädischen Berufskrankheiten nicht auf den Erstschaden, sondern ggf. auf die Erstmanifestation bei positiver Kausalitätszuordnung und dann zeitlich zuzuordnender Minderung der Erwerbsfähigkeit ankomme. Nur das Vollbild eines sogenannten Berufskrankheiten-Tatbestandes begründe letztlich eine positive Kausalitätsattribuierung. Nicht allein ein sequestrierter Prolaps, gleich welchen Grades definiere einen Berufskrankheiten-Tatbestand dem Grunde nach und im konkreten Einzelfall, sondern Art und Ausprägung der tatsächlich zu einem Zeitpunkt nachweisbaren patho-morphologischen chondroossären diskogen evozierten Sekundärveränderungen an der Lendenwirbelsäule in Gestalt von Art und Ausmaß der Höhenminderung des Zwischenwirbelraums (Chondrose), Art und Ausmaß der Osteosklerose, Art und Ausmaß der Spondylophytenbildung und Spondylarthrose sowie das Vorliegen einer etwaigen Begleitspondylose. Maßgeblich sei daher kein Erstschaden, sondern Art und Ausmaß der durch eine konkrete biophysikalische Belastung eintretenden chondroossären Pathologika.
1063. Auch soweit der Kläger die Qualifikation des Sachverständigen zur Befundung von MRT-Aufnahmen infrage stellt bzw. eine neurologische Zusatzbegutachtung anstrebt, geht dieser Vortrag fehl. Insoweit wird zunächst Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, wonach MRT-Leistungen für Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie zu ihrem Fachgebiet gehören. Des Weiteren hat der Gutachter in seiner Stellungnahme vom 2. Oktober 2017 überzeugend ausgeführt, dass zum einen die Beiziehung eines MRT zur Zuordnung einer (positiven oder negativen) Kausalitätsattribuierung insofern entbehrlich gewesen sei, als die negative Kausalitätsattribuierung allein anhand der summativen Röntgendiagnostik mit einer klaren und eindeutigen Zuordnung der Konstellation B5 respektive B6 vorgenommen werden könne. MRT müssten zum anderen insbesondere bei der gutachterlichen Beurteilung von bandscheibenschädigungsassoziierten Berufskrankheiten-Tatbeständen nicht nur von Radiologen beurteilt werden, sondern seien gerade wegen der Kausalitätsattribuierung primär durch den Hauptgutachter zu würdigen. Auch die Einholung eines neurologischen Gutachtens sei mangels grundsätzlicher positiver Kausalitätsattribuierung nicht erforderlich. Ein neurologisches Gutachten könne naturgemäß keinen weiteren Aufschluss über eine unverzichtbare morphologische Kausalitätsattribuierung, orientiert an den Konsensempfehlungen, geben.
107Ist somit die notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen den schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung des Klägers nicht gegeben, geht dies entgegen seiner Auffassung zu seinen Lasten. Wie oben ausgeführt, trägt der sich auf das Vorliegen der Erkrankung berufende Beamte die Beweislast für das Vorliegen der Erkrankung i. S. d. § 31 Abs.3 Satz 3 BeamtVG und damit für das Vorliegen des Tatbestands der Nr. 2108 der Anlage 1 der BKV mit allen Voraussetzungen einschließlich des Ursachenzusammenhangs.
108Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
109Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
110Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Referenzen
- BeamtVG § 31 Dienstunfall 13x
- 2 U 13/17 2x (nicht zugeordnet)
- BeamtVG § 45 Meldung und Untersuchungsverfahren 13x
- 2 U 6/04 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 1337/10 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- § 9 Abs. 1 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- 2 U 4/06 2x (nicht zugeordnet)
- 2 U 10/14 1x (nicht zugeordnet)