Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 E 474/20
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Streitwert für das Klageverfahren erster Instanz wird auf die Wertstufe bis 5.000,00 Euro festgesetzt. Die darüber hinausgehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
1
G r ü n d e
2Über die Streitwertbeschwerde entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG der Berichterstatter als der nach der Geschäftsverteilung des Senats zuständige Einzelrichter.
3Die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers aus eigenem Recht (§ 32 Abs. 2 Satz 1 RVG) erhobene Beschwerde, die nach der beigefügten Begründung sinngemäß auf eine Erhöhung des auf die Wertstufe bis 500,00 Euro festgesetzten Streitwerts auf einen (mindestens) in die Wertstufe bis 6.000,00 Euro fallenden Streitwert abzielt, ist zulässig und teilweise begründet. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren war dementsprechend unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde auf den im Tenor ausgeworfenen Betrag anzuheben.
4Ausweislich der mit der Klageschrift angekündigten Klageanträge zu 1. und 2., die das Verwaltungsgericht seiner im Einvernehmen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung getroffenen Entscheidung zutreffend (in sinngemäßer Fassung) zugrunde gelegt hat, hatte das erstinstanzliche Verfahren zwei Streitgegenstände: Zum einen begehrte der Kläger unter teilweiser Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 28. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2018 die Verpflichtung der Beklagten, die seiner Tochter ärztlich empfohlene, auf eine Vielzahl von Beratungsterminen angelegte Ernährungsberatung als beihilfefähig anzuerkennen (Klageantrag zu 1.). Zum anderen beantragte er mit seiner Klage, ihm unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 7. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2018 auf die eingereichte Rechnung der Diplom-Ökotrophologin Dr. K. vom 28. November 2017 eine Beihilfe in Höhe von 188,00 Euro (80 % von 235,00 Euro) zu gewähren (Klageantrag zu 2.).
51. Das dem Verwaltungsgericht mit dem Klageantrag zu 2. unterbreitete Begehren zielt auf die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer bezifferten Geldleistung und ist daher zunächst in Anwendung des § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG zu bewerten, hier also mit 188,00 Euro. Dieser Wert ist nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG noch auf 564,00 Euro anzuheben.
6Nach dieser Vorschrift ist, wenn der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat, die Höhe des sich aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG nicht übersteigen darf. Diese Vorschrift kann grundsätzlich auch bei beihilferechtlichen Streitigkeiten des Beamtenrechts Anwendung finden. Mit den von ihr normierten Voraussetzungen zielt sie allgemein auf Verfahren, in denen die Entscheidung in dem aktuellen Streitfall offensichtlich zugleich Auswirkungen in Richtung auf die Entscheidung konkret absehbarer, künftiger (Verwaltungs-)Verfahren mit einem in der Sache eindeutig vergleichbaren, sozusagen „wiederkehrenden“ Gegenstand hat. Erfolgt in derartigen Fällen eine gerichtliche Klärung bereits in dem aktuellen Verfahren, so hat dies eine vorgreifliche Wirkung für konkret zu erwartende künftige Verfahren. Einer erneuten Anrufung der Gerichte bedarf es dann in aller Regel nicht mehr. Insofern geht die wirtschaftliche Bedeutung des aktuellen Verfahrens über seinen (unmittelbaren) Streitgegenstand hinaus.
7Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 9. April 2019– 1 E 258/19 –, juris, Rn. 9 ff., und vom 19. April 2017 – 1 E 49/17 –, juris, Rn. 7 ff., m. w. N.
8Die Gegenansicht, die die Möglichkeit, dass es im Beihilferecht zu "regelmäßig zu erwartenden, wiederkehrenden und gleich gelagerten Bescheiden" kommt, unter Rückgriff auf die verschriftlichen Motive des historischen Gesetzgebers generell ausschließen will,
9Sächs. OVG, Beschluss vom 15. August 2019– 2 E 54.17 –, juris, Rn. 8 ff., m. w. N.,
10überzeugt nicht. Sie beachtet nämlich nicht, dass die für die Auslegung des Gesetzes maßgebliche objektive Gesetzesfassung keinen Anhalt dafür gibt, den sachlichen Anwendungsbereich der Norm entgegen dem offenen Gesetzeswortlaut von vornherein auf bestimmte Rechtsgebiete bzw. Regelungsbereiche zu beschränken.
11So ausdrücklich schon Senatsbeschluss vom 19. April 2017– 1 E 49/17 –, juris, Rn. 11 f.
12Offensichtlich absehbar i. S. v. § 52 Abs. 3 Satz2 GKG sind die Auswirkungen dann, wenn bereits auf den ersten Blick erkennbar ist, dass der konkret verwirklichte Sachverhalt auch die Höhe zukünftiger gleichartiger Geldleistungen beeinflusst. Nicht ausreichend ist es, wenn dieselbe rechtliche Problematik zwar auch zukünftig auftreten wird, die Verwirklichung des entsprechenden konkreten Sachverhalts aber nicht hinreichend sicher absehbar ist. Dabei kommt es nach § 40 GKG auf die Bestimmbarkeit der zukünftigen Auswirkungen zum Zeitpunkt der die Instanz einleitenden Antragstellung an. Bei dieser Wertung sind die dem Gericht vorliegenden Akten heranzuziehen. Ist anhand dieser Unterlagen nicht eindeutig bestimmbar, dass die Entscheidung Auswirkungen i. S. d. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG haben wird, so scheidet eine Anhebung des Streitwerts nach dieser Vorschrift aus.
13Vgl. schon OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2019 – 1 E 258/19 –, juris, Rn. 12 f., m. w. N.
14Nach Maßgabe dieser Grundsätze hätte der Klageantrag zu 2. im Erfolgsfall offensichtlich absehbare Auswirkungen auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte gehabt. Eine gerichtliche Klärung im Sinne des Klägers hätte nämlich eine vorgreifliche Wirkung für konkret zu erwartende weitere Beihilfebegehren gehabt, weil die ambulante Ernährungsberatung dann hinreichend sicher mit zahlreichen weiteren Terminen fortgesetzt worden und zu erwarten gewesen wäre, dass der Beklagte zu den insoweit gleichmäßig anfallenden Kosten jeweils Beihilfen nach dem Bemessungssatz von 80 v. H. gewährt hätte.
152. Das mit dem Klageantrag zu 1. formulierte Begehren ist mit 5.000,00 Euro zu bewerten. Das ergibt sich aus der Regelung des § 52 Abs. 2 GKG, nach der ein Streitwert von 5.000,00 Euro anzunehmen ist, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts bietet. So liegt der Fall hier. Namentlich kann der Streitwert nicht nach der gegenüber § 52 Abs. 2 GKG spezielleren, vorliegend allein noch in Betracht kommenden Vorschrift des § 52 Abs. 1 GKG bemessen werden, nach der in Verfahren vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen ist. Zwar wird mit der Beschwerde geltend gemacht, dass noch "bis zu" 80 Therapie- bzw. Beratungsstunden angestanden hätten, hinsichtlich derer bei Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Beratung insgesamt eine Beihilfe von 4.480,00 Euro (80 x 56,00 Euro) zu gewähren gewesen wäre. Dieser Vortrag bietet aber noch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für eine Bestimmung des maßgeblichen wirtschaftlichen Interesses des Klägers.
16Zu diesem Ansatz vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 1 E 695/18 –, juris, Rn. 3 ff. (Bestimmung der voraussichtlichen Kosten zukünftiger Behandlungen bei deren anstehender unveränderter Fortsetzung anhand der für die früheren Behandlungen entstandenen Kosten).
17Die Dauer der hier geplanten, aber nach kurzer Zeit zugunsten einer stationären Behandlung abgebrochenen Serie von Beratungsterminen konnte bei ihrem Beginn nämlich noch nicht hinreichend verlässlich bestimmt werden, sondern wäre maßgeblich vom Beratungserfolg abhängig gewesen. Deutlich wird dies nicht zuletzt auch durch das Beschwerdevorbringen, das sich insoweit ersichtlich auf eine grobe Schätzung stützt ("bis zu").
18Der (uneingeschränkten) Anwendung des § 52 Abs. 2 GKG steht hier auch nicht etwa die Deckelung nach § 52 Abs. 3 Satz 2, letzter Halbsatz GKG entgegen. § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG kann schon wegen der systematischen Stellung der Norm im Absatz 3 des § 52 GKG und wegen seines erkennbaren Bezuges zu § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ersichtlich nur auf Anträge angewendet werden, die auf eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt gerichtet sind, nicht aber auch zu einer betragsmäßigen Begrenzung bei der Bewertung sonstiger, nach anderen Streitwertregelungen zu bewertender Anträge führen. Unabhängig davon zielt die Anordnung des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG, den Streitwert nach seinen Maßgaben zu erhöhen, erkennbar nicht auf eine Begrenzung, sondern auf eine (allerdings gedeckelte) Erhöhung des Streitwerts, mittels derer die wirtschaftliche Bedeutung des konkret nur auf eine bestimmte Zahlung/Gewährung gerichteten Antrags besser abgebildet werden soll.
19Siehe insoweit auch BT-Drs. 17/11471 (neu), S. 245, wo von einer "systematischen Unterbewertung von Streitwerten im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung für den Kläger" die Rede ist, welcher die Neuregelung entgegenwirken soll; vgl. ferner Schwarz, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: April 2020, FGO § 139 Rn. 219, wonach eine Minderung des Streitwerts nicht auf § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG gestützt werden kann.
203. Streitwertmäßig nicht zu berücksichtigen ist das mit der Beschwerdebegründung weiter ins Feld geführte "Begehren" des Klägers, durch die ihm nach seinen Angaben nur im Falle der Bewilligung von Beihilfe wirtschaftlich mögliche ambulante Ernährungsberatung eine vor allem für den Beklagten, aber wegen des zu tragenden Eigenanteils von 750,00 Euro auch für ihn selbst kostenträchtige stationäre Behandlung seiner Tochter zu vermeiden. Ungeachtet der Frage, ob den diesem Vortrag zugrundeliegenden Annahmen zur wirtschaftlichen Belastbarkeit des Klägers und zur gleichen Eignung von Ernährungsberatung und stationärer Therapie zur Behandlung der Erkrankung der Tochter des Klägers gefolgt werden kann, handelt es sich bei diesem "Begehren" nämlich lediglich um ein Motiv des Klägers, den Beihilferechtsstreit zu führen, das dementsprechend in den gestellten Anträgen keinerlei Ausdruck gefunden hat.
214. Der für den Klageantrag zu 2. anzusetzende Wert von 564,00 Euro ist dem für den Klageantrag zu 1. ermittelten Streitwert von 5.000,00 Euro nicht hinzuzusetzen. Zwar ordnet § 39 Abs. 1 GKG an, dass in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet werden, soweit nichts anderes bestimmt ist, und fehlt es hier an einer solchen anderweitigen (gesetzlichen) Bestimmung. Ein – ungeschriebenes – Verbot, Werte mehrerer Streitgegenstände zusammenzurechnen, besteht aber auch dann, wenn die mehreren Streitgegenstände wirtschaftlich identisch sind.
22Vgl. etwa Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmer-mann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Aufl. 2019, GKG § 39 Rn. 2, m. w. N., und L. Thiel, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, GKG § 39 Rn. 14.
23So liegt der Fall hier. Mit dem Klageantrag zu 2. erstrebte der Kläger die Gewährung von Beihilfe für drei im November 2017 erfolgte Beratungstermine, die Auftakt und Teil der insgesamt geplanten Serie von Beratungen waren, deren Kosten nach dem Klageantrag zu 1. schon grundsätzlich als beihilfefähig anerkannt werden sollten.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.
25Dieser Beschluss ist nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 40 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 3 Satz2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 E 258/19 2x (nicht zugeordnet)
- 1 E 49/17 2x (nicht zugeordnet)
- 1 E 695/18 1x (nicht zugeordnet)