Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1247/20.A
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
31. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zuzulassen. Die unter verschiedenen Aspekten erhobene Gehörsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO) greift ebensowenig durch wie die Berufung auf eine nachträglich aufgetretene Besorgnis der Befangenheit des Einzelrichters.
4Ohne jegliche tatsächliche Basis bleibt zunächst die Verfahrensrüge nach § 138 Abs. 1 Nr. 6 VwGO. Bei dem Urteil (S. 79 ff.) handelt es sich entgegen der nicht weiter begründeten Behauptung des Klägers nicht um einen Entwurf, sondern um das - teilweise handschriftlich überarbeitete - unterschriebene (S. 93) Original, das auch (S. 79) den von der Prozessbevollmächtigten des Klägers offenbar übersehenen Zustellungsvermerk (oben rechts) aufweist.
5Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht wegen einer erst nachträglich festgestellten und feststellbaren Befangenheit des entscheidenden Einzelrichters fehlerhaft besetzt gewesen sein könnte, lassen sich weder dem Akteninhalt noch dem Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren entnehmen. Die vom Kläger zitierten Urteilspassagen („Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger die umfangreiche Medienberichterstattung zu den Ereignissen im Mai 2017 ….. zum Anlass genommen, um hier eine vermeintliche Verfolgungsstory für das Asylverfahren zu konstruieren“ und „Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei dem Kläger um einen reinen Wirtschaftsflüchtling, der nicht spontan geflohen, sondern mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet quer durch Afrika gereist ist, dann über Spanien in die Europäische Union eingereist, sodann über Frankreich – mithin allesamt Staaten, wo er vor einer etwaigen politischen Verfolgung offenkundig sicher war – weiter nach Deutschland gereist ist, da er sich hier die größten wirtschaftlichen Vorteile und Sozialleistungen erhoffte“) lassen schon deshalb nicht auf eine unsachliche Einstellung des Einzelrichters schließen, weil sie sich am Ende der in der Sache mindestens nachvollziehbaren, sachlich und eingehend begründeten Einschätzung des Verwaltungsgerichts finden, der Vortrag des Klägers zu seinen Ausreisegründen sei unglaubhaft. Insbesondere handelt es sich bei diesen Ausführungen nicht um ein Pauschalurteil, sondern gewissermaßen um die Kehrseite der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass asylerhebliche Gründe im hier zu entscheidenden Einzelfall nicht zur Ausreise geführt haben. Vor diesem Hintergrund sind die Zuspitzungen („Verfolgungsstory“) und im konkreten Zusammenhang unnötigen Erwägungen zu den „wahren“ Motiven der Ausreise („Wirtschaftsflüchtling“) aus dem Blickwinkel eines verständigen Dritten kein Grund zu der Annahme, die sorgfältigen und in der Sache zumindest nachvollziehbaren entscheidungstragenden Feststellungen zu einer fehlenden asylerheblichen (Vor-)Verfolgung des Klägers seien nicht neutral zustande gekommen, sondern Ergebnis eines „bestimmten Weltbildes“. Dies gilt umso mehr, als auch der Begründung des Zulassungsantrages keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts in der Sache zweifelhaft sein könnte, wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird.
6Mit seiner Rüge, das Gericht habe es unterlassen, in ausreichender Form zu prüfen, ob er, der Kläger, als Unterstützer der Gruppierung „Bundu dia Kongo“ bzw. „Bundu dia Mayala“ angesehen werde, greift der Kläger in der Sache nur die Beweiswürdigung erster Instanz an. Die Beweiswürdigung ist aber regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann deshalb der Verfahrensmangel eines Gehörsverstoßes regelmäßig ‑ und so auch hier ‑ nicht begründet werden.
7Vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 -, juris Rn. 5, und vom 8. Februar 2011 - 10 B 1.11 -, juris Rn. 3.
8Dass mit Blick auf die aufgeworfene Frage ein Verfahrensverstoß ausnahmsweise in Betracht käme, weil die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder die allgemeinen Erfahrungsgesetze missachtet,
9vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 12. März 2014 ‑ 5 B 48.13 -, NVwZ – RR, 2014, 660 = juris Rn. 22, m. w. N.,
10behauptet auch der Zulassungsantrag nicht. Dies trifft auch in der Sache – wie bereits ausgeführt – nicht zu. Die sorgfältige Begründung des Verwaltungsgerichts ist vielmehr inhaltlich mindestens nachvollziehbar. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht einen Schutzanspruch des Klägers selbständig tragend auch bei Wahrunterstellung seiner Darstellung ausgeschlossen, so dass es von vornherein auf diese Fragen nicht ankommt.
11Unbeschadet dessen erschließt sich indes nicht, dass das Verwaltungsgericht, das den Kläger über fast 1,5 Stunden persönlich angehört hat und auf dessen gut dreistündige Anhörung vor dem Bundesamt zurückgreifen konnte, den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt hätte bzw. hier eine Überraschungsentscheidung vorliegen könnte. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt. Eine gerichtliche Hinweispflicht ‒ zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ‒ besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.
12Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Dezember 2017 ‑ 6 B 52.17 ‑, juris Rn. 6, und vom 29. Januar 2010 ‑ 5 B 21.09 u. a. ‑, juris Rn. 18, m. w. N.
13Dafür ist hier nichts ersichtlich. Eine Überraschungsentscheidung ergibt sich namentlich nicht daraus, dass das Gericht nach der Anhörung des Klägers nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass er vor seiner Ausreise eine flüchtlingsrelevante Verfolgung erlitten hat oder ihm eine solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmittelbar drohe. Angesichts des Gesprächsverlaufs sowohl vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung, in der das Gericht und sein damaliger Prozessbevollmächtigter zahlreiche Nachfragen an den Kläger gerichtet haben, und der vom Verwaltungsgericht detailliert begründeten Glaubhaftigkeitszweifel, die es aus dem Ergebnis der Anhörungen des Klägers geschöpft hat, kann auch keine Rede davon sein, dass eine entsprechende Feststellung hier überraschend gekommen wäre. Namentlich erschließt sich nicht, warum die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Schilderung hinsichtlich des Aufenthalts seines Freundes D. bei ihm (dreijähriges gemeinsames Wohnen mit dem engen Freund vor dem Bundesamtes gegenüber „gelegentlichem“ Mitwohnen in der mündlichen Verhandlung) sei widersprüchlich und die erstmalige Erwähnung eines Haftbefehls in der mündlichen Verhandlung auf gerichtliche Nachfrage ein unglaubhaftes gesteigertes Vorbringen, unzutreffend sein könnten. Die im Zulassungsvorbringen genannten Spekulationen zur Thematik eines Haftbefehls sind mindestens fernliegend. Auch die fehlende Angabe von Details – wie etwa die Namen der bei ihm aufgenommenen Flüchtigen – vermag der Kläger nicht plausibel zu machen. Angesichts dessen scheitert eine Berufung auf die Verletzung rechtlichen Gehörs in diesem Zusammenhang nicht zuletzt daran, dass der Kläger mit dem Zulassungsantrag nichts vorträgt, was die Entscheidungsfindung des Verwaltungsgerichts in eine andere Richtung hätte lenken können.
142. Die Berufung ist angesichts dessen auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen. Die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen,
15„ob Anhänger und Unterstützung von der BdK/BdM im Zusammenhang der Befreiungsaktion ihres Anführers O. am 17. Mai 2017 verfolgt und polizeilich registriert wurden und ihnen immer noch Strafverfolgung mit Inhaftierung droht;
16ob Anhänger und Unterstützer von Oppositionsgruppen, unter anderem BdK/BdM, die im Ausland bezüglich der Unruhen im Zwischenwahljahr 2017 Asyl beantragt haben, bei Rückkehr verhört und möglicherweise verhaftet werden,“
17sind vorliegend bereits nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Klägers hierzu für unglaubhaft gehalten, ohne dass dies – wie ausgeführt – durch Verfahrensrügen in Zweifel gezogen worden wäre. Damit stellten sich vorliegende Fragen hier von vornherein nicht. Im Übrigen entziehen sie sich einer pauschalierenden Betrachtung. So wäre für den Fall des Klägers etwa bei Bejahung der 1. Frage nicht entschieden, dass er zu dieser Gruppe gehört hätte oder potentiell hätte gehören können. Auch die 2. Frage weist keinen ersichtlichen über den Einzelfall hinausgehenden grundlegenden Klärungsbedarf auf, zumal der Zulassungsvortrag unberücksichtigt lässt, dass zwischenzeitlich Präsidentschaftswahlen im Kongo stattgefunden haben, die unbeschadet des zumindest zweifelhaften Ergebnisses zur Vereidigung des bisherigen Oppositionsführers als Präsident geführt haben.
18Soweit mit der 2. Frage in der Sache möglicherweise allgemeine Fragen der Rückkehrgefährdung abgelehnter Asylbewerber angesprochen sein sollten, sind diese in der Rechtsprechung seit langem geklärt.
19Danach ist allein aufgrund der Asylantragstellung (in Verbindung mit einem längeren Auslandsaufenthalt) keine Verfolgung zu befürchten. Nur dann, wenn Asylbewerber Aktivitäten entfaltet haben, die den Regierungsstellen bekannt geworden sind und die von diesen als Ausdruck einer ernst zu nehmenden Gegnerschaft angesehen werden, weil sie den Bestand der Regierung gefährden könnten oder jedenfalls als geeignet erscheinen, die Regierung in der inländischen oder ausländischen Öffentlichkeit in erheblichen Misskredit zu bringen, besteht möglicherweise eine Verfolgungsgefahr. Wann die genannten Voraussetzungen infolge exponierter Aktivitäten erfüllt sind, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
20Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 31. Juli 2013 - 4 A 1205/13.A -, m. w. N., vom 23. Februar 2016 - 4 A 2940/15.A -, juris, und vom 30. Januar 2020 - 2 A 2840/19.A.
21Anzeichen dafür, dass sich hieran Grundsätzliches geändert haben könnte (oder der Kläger selbst bei vollständiger Übernahme seiner Schilderung zu der Gruppe potentiell gefährdeten exponierten Regimekritiker gehören könnte), sind von dem Kläger weder benannt noch sonst ersichtlich.
22Vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 25. Januar 2019 S. 19 f. und vom 17. Februar 2020, S. 22.
23Gleiches gilt für die Frage drohender Gefahren durch Befragungen am Flughafen in Kinshasa.
24Vgl. schon OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2010 – 4 A 1731/06.A -; ebenso Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 25. Januar 2019 S. 21 f. und vom 17. Februar 2020, S. 22.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG.
26Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das angefochtene Urteil rechtskräftig, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG.
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