Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 2836/19
Tenor
Die Berufung der Beigeladenen gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 28.5.2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene und die Beklagte tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte mit der Maßgabe, dass eine Kostenerstattung zwischen ihnen nicht stattfindet.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis für den Betrieb der unter der postalischen Adresse „I. . 00, 00000 X. “ betriebenen Spielhalle der Klägerin. Für diese war ihr am 1.7.2015 unter Hinweis auf die Freistellung von bestimmten Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrags eine Erlaubnis nach § 33i GewO für eine Übergangsfrist bis zum 30.11.2017 erteilt worden. Die Beigeladene betreibt in 272 m Luftlinie Entfernung eine Spielhalle unter der postalischen Adresse „L. 00, 00000 X. “. Dafür war ihr am 15.9.2009 eine unbefristete Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden.
3Nach entsprechender Aufforderung durch die Beklagte beantragte die Klägerin die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis, gegebenenfalls unter Abweichung nach § 16 Abs. 3 Satz 3 AG GlüStV NRW vom Mindestabstandsgebot gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 AG GlüStV NRW oder hilfsweise unter Befreiung nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV vom Mindestabstandsgebot.
4Nach den Feststellungen der Beklagten stand die Spielhalle der Klägerin in Konflikt mit der von der Beigeladenen betriebenen Spielhalle an der L. 00 (272 m Luftlinie, 300 m Fußweg) sowie mit weiteren Spielhallen unter den Anschriften I. . 00 (53 m Luftlinie, 59 m Fußweg), I. . 00 (110 m Luftlinie, 110 m Fußweg), H. . 0 ‒ 0 (301 m Luftlinie, 450 m Fußweg) und O.--str . 00 (327 m Luftlinie, 500 m Fußweg). Mit Bescheiden vom 24.7.2017 bzw. 31.1.2018 erhielten die Klägerin für ihre Spielhalle in der I. . 00 und die Beigeladene für ihre Spielhalle an der L. 00 jeweils eine bis zum 30.6.2021 befristete Erlaubnis gemäß § 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW i. V. m. § 24 Abs. 1 GlüStV unter Befreiung der Einhaltung des Mindestabstandsgebotes gemäß § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV.
5Nach Anhörung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2017 den Antrag der Klägerin für die hier streitgegenständliche Spielhalle I. . 00 ab. Zur Begründung führte sie aus, zu den Spielhallen in der H. . 0 ‒ 0 und O.--str . 00 könnte zwar auf Grund der topographischen Besonderheiten und der damit verbundenen fußläufigen Entfernung von 450 bzw. 500 m eine Ausnahme vom Mindestabstand gewährt werden. Die Spielhalle der Klägerin in der I. . 00 unterschreite jedoch deutlich den Mindestabstand von 350 m zu den Spielhallen in der I. . 00 und 00 sowie an der L. 00, so dass insoweit keine Ausnahme vom Mindestabstandsgebot in Betracht komme. Die Klägerin könne auch keine zu berücksichtigenden Härtefallgründe geltend machen. Es liege kein schützenswertes Vertrauen vor, weil sie in Kenntnis der neuen Rechtslage den Betrieb der Spielhalle aufgenommen und einen Mietvertrag bis zum 31.12.2024 abgeschlossen habe. Sie könne sich nicht auf Vorgänge berufen, die vor der Übernahme des Standortes gelegen hätten. Die wirtschaftliche Existenz der Klägerin dürfte unter Berücksichtigung der Stellungnahme ihres Steuerberaters N. auch bei Schließung ihrer Spielhalle in der I. . 00 gesichert sein, weil ihr für ihre weiteren Spielhallenstandorte in der I. . 00, der X1. Str. 00 und der S. . 000 zwischenzeitlich glücksspielrechtliche Erlaubnisse erteilt worden seien. Die Auswahlentscheidung sei zu Gunsten der Spielhallen in der I. . 00 und der L. 00 und zu Lasten der Spielhallen in der I. . 00 und 00 ausgefallen, weil den Betreibern der erstgenannten Spielhallen die Erlaubnis nach § 33i GewO bereits im Jahr 2005 bzw. 2009 erteilt worden sei.
6Die Klägerin hat gegen die Ablehnung ihres Antrags Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren geltend gemacht, eine Ausnahme vom Mindestabstandsgebot sei unter Berücksichtigung der Vollzugshinweise des Innenministeriums vom 10.5.2016 und 6.11.2017 gerechtfertigt, weil die Klägerin stets zuverlässig gewesen sei und den Spielerschutz immer in den Vordergrund gestellt habe. Im Übrigen könne sie sich auf eine unbillige Härte berufen. Sie habe die Spielhalle nur unter der Bedingung übernehmen können, in den am 1.7.2010 bis zum 31.12.2024 geschlossenen Mietvertrag der vorherigen Betreiberin einzutreten. Dieser sei bereits vor dem maßgeblichen Stichtag des 28.10.2011 eine unbefristete Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden. Weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Bestandsschutz objekt- und nicht personenbezogen gelte, genieße die Klägerin schutzwürdiges Vertrauen.
7Die Klägerin hat beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 29.11.2017 zu verpflichten, der Klägerin für die Spielhalle I1.---straße 00 in X. die beantragte glücksspielrechtliche Erlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 GlüStV i. V. m. § 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW zu erteilen.
9Die Beklagte und die Beigeladene haben jeweils beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.11.2017 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Behörde unter Spielhallen, die den Mindestabstand zueinander unterschritten, eine Auswahlentscheidung treffen müsse, sofern vom Mindestabstandsgebot nicht im Einzelfall abgewichen werde. Die Beklagte habe die für die Auswahlentscheidung notwendige Abwägung nicht in ausreichendem Umfang vorgenommen. Zwar sei es grundsätzlich nicht zu beanstanden, auf den Zeitpunkt der Beantragung bzw. der Erteilung der Erlaubnis nach § 33i GewO abzustellen. Die Beklagte habe aber andere in Betracht kommende Auswahlkriterien nicht berücksichtigt, sondern allein darauf abgestellt, dass bei den konkurrierenden Spielhallen Gründe für die Annahme einer unbilligen Härte im Sinne des § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV vorlägen.
12Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Beigeladene geltend, dass andere Auswahlkriterien als das Alter der Erlaubnis nach § 33i GewO nur dann zu Gunsten der Klägerin berücksichtigungsfähig wären, wenn sie sich aufgedrängt hätten. Besondere Gründe, die zu Gunsten der Spielhalle der Klägerin und zu Lasten der bestehenden Spielhalle der Beigeladenen in die Auswahlentscheidung einzubringen gewesen wären, seien aber nicht ersichtlich.
13Die Beigeladene beantragt,
14das auf die mündliche Verhandlung vom 28.5.2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zu ändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Neubescheidung des Antrags der Klägerin auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis streitgegenständlich ist.
15Die Beklagte hat ihre zunächst eingelegte Anschlussberufung schriftsätzlich zurückgenommen. In der Sache unterstützt sie, ohne einen Antrag zu stellen, weiterhin das Vorbringen der Beigeladenen und trägt ergänzend vor: Sie habe in Konkurrenzsituationen zwischen Spielhallenbetreibern zunächst geprüft, ob eine Abweichung vom Mindestabstandsgebot erteilt werden könne. Daran angeschlossen habe sie die Prüfung eines Härtefalls gemäß § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV. Sofern auch nach der Erteilung von Härtefallerlaubnissen weiter Bestandsspielhallen konkurrierten, sei im Sinne einer Störerauswahl ordnungsrechtlich gegen diese vorzugehen. Die vom Verwaltungsgericht und von der Klägerin vertretene Auffassung, dass erst im Wege der Auswahlentscheidung Erlaubnisse erteilt werden müssten und dann unterlegene Antragsteller gegebenenfalls im Wege der Härtefallerlaubnis berücksichtigt werden könnten, widerspreche den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags und dem landesrechtlichen Ausführungsgesetz. Die getroffene Entscheidung begegne auch dann keinen Bedenken, wenn man annehme, ein Auswahlverfahren sei durchzuführen. Sie habe zunächst festgestellt, dass abgesehen von der Einhaltung des Mindestabstandsgebots für alle konkurrierenden Spielhallen keine Versagungsgründe vorlägen. Daher seien die konkurrierenden Spielhallen als gleichrangig zu bewerten. Als einzig verwertbares Differenzierungskriterium sei die Feststellung verblieben, wann die Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden sei.
16Die Klägerin beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (ein Band) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten über die streitgegenständlichen Spielhallenbetriebe der Klägerin und der Beigeladenen (drei Hefter) Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Soweit die Beklagte ihre Anschlussberufung zurückgenommen hat, war das Berufungsverfahren gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO in entsprechender Anwendung einzustellen.
21Die Berufung der Beigeladenen ist zulässig. Insbesondere ist diese rechtsmittelbefugt. Der Beigeladene ist, soweit er sich gegen die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Erlaubnisantrags der Klägerin wendet, wegen der möglichen Auswirkung der Neubescheidung auf den Bestand seiner eigenen Erlaubnis durch das angegriffene Urteil in seinen rechtlichen Interessen nachteilig betroffen und mithin materiell beschwert.
22Vgl. BVerwG, Urteile vom 28.10.1999 – 7 C 32.98 –, BVerwGE 110, 17 = juris, Rn. 11, und vom 15.2.1990 – 4 C 39.86 –, NVwZ 1990, 857 = juris, Rn. 15.
23Die Berufung ist aber unbegründet.
24Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht und ohne die Beigeladene in subjektiven Rechten zu verletzen teilweise stattgegeben, indem sie die Beklagte verpflichtet hat, den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
25Die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis durch den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weil die Beklagte ermessensfehlerhaft die zur Auflösung der Konkurrenz zwischen der Klägerin und der Beigeladenen erforderlichen Maßstäbe nicht hinreichend beachtet hat.
261. Die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis setzt grundsätzlich voraus, dass das Mindestabstandsgebot aus § 25 Abs. 1 GlüStV i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 AG GlüStV NRW eingehalten wird. Nach diesen Vorschriften soll ein Mindestabstand von 350 Metern Luftlinie zu einer anderen Spielhalle nicht unterschritten werden. Die Behörde darf aber unter bestimmten Voraussetzungen von dem Mindestabstandsgebot abweichen, § 16 Abs. 3 Satz 3 AG GlüStV NRW. Zudem kann sie gemäß § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV zu Gunsten eines Betreibers eine Befreiung von der Einhaltung des Mindestabstandsgebots für einen angemessen Zeitraum zulassen, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist; hierbei sind der Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis gemäß § 33 i GewO sowie die Ziele des § 1 GlüStV zu berücksichtigen.
27Begehren nach Ablauf der Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV mehrere Betreiber von Spielhallen, die zueinander das Mindestabstandsgebot nicht einhalten, die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis, bedarf es zur Auflösung der Konkurrenzsituation einer Auswahlentscheidung. Diese von der Behörde zu treffende Auswahlentscheidung ist eine Ermessensentscheidung, die nach Maßgabe des § 114 VwGO der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (nur) daraufhin unterliegt, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 40 VwVfG NRW).
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 43, und Beschluss vom 26.9.2019 – 4 B 255/18 –, ZfWG 2019, 516 = juris, Rn. 23 f., m. w. N.
29Die in die Auswahlentscheidung einzustellenden Kriterien (Auswahlparameter) lassen sich dem Gesetz entnehmen und wurden durch die die Behörde bindenden Erlasse des Ministeriums für Inneres (und Kommunales) näher konturiert. Insbesondere kann im Rahmen der Auswahl zunächst auf die Regelung zur Härtefallbefreiung nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV zurückgegriffen werden. Die ohnehin geforderte Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Positionen der Spielhallenbetreiber gebietet auch ohne ausdrückliche gesetzliche Präzisierung, dass die zuständigen Behörden sich eines Verteilmechanismus bedienen, der die bestmögliche Ausschöpfung der bei Beachtung der Mindestabstände verbleibenden Standortkapazität in dem relevanten Gebiet ermöglicht. Das gilt auch, sofern bei der erforderlichen Auswahlentscheidung zusätzlich Erlaubnisanträge neu in den Markt eintretender (und erst vor kurzem eingetretener) Bewerber einzubeziehen sind, wobei grundrechtsrelevante Positionen der Betreiber von Bestandsspielhallen zu berücksichtigen bleiben. Dazu zählt etwa die Amortisierbarkeit von Investitionen. Zudem ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung in § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV, dass bereits bei der Auswahlentscheidung die mit der Neuregelung verfolgten Ziele des § 1 GlüStV zu beachten sind und bei Bestandsspielhallen überdies der Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis gemäß § 33i GewO zu berücksichtigen ist. Diese gesetzlichen Vorgaben sind ergänzend durch die über das Internet allgemein zugänglichen Ministerialerlasse vom 10.5.2016 und 6.11.2017 näher konturiert worden, die weitere Hinweise zu den heranzuziehenden Kriterien enthalten und der Ausübung des Ermessens durch die hieran gebundenen Behörden zusätzliche Grenzen setzen.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 45 f., Beschluss vom 14.6.2019 ‒ 4 B 1488/18 ‒, juris, Rn. 14 ff., jeweils m. w. N. und unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 ‒ 1 BvR 1314/12 u. a. ‒, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 179 ff., 182 ff.
31Die in der Auswahlentscheidung auch zu berücksichtigenden Ziele des § 1 GlüStV erfordern einen Vergleich der konkurrierenden Spielhallen daraufhin, welche besser geeignet ist, die Ziele des Staatsvertrags zu erreichen. Solche Unterschiede können sich unter anderem aus Besonderheiten des Umfeldes des jeweiligen Standorts oder aus der Art der zu erwartenden Betriebsführung der einzelnen Betreiber ergeben. Hierbei ist etwa maßgeblich, inwieweit prognostisch von einem rechtstreuen Verhalten des Spielhallenbetreibers auszugehen ist, also von der Einhaltung von Vorschriften, die gerade die Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV sicherstellen sollen.
32Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 47 bis 54.
33Ergibt der Vergleich der konkurrierenden Spielhallen, dass eine von ihnen besser Gewähr für die Förderung der Ziele des Staatsvertrags als die Konkurrenten bietet, ist die Auswahl eines dieser Konkurrenten allein wegen seiner Bestandsschutz- und Vertrauensschutzinteressen sachwidrig. Bei der Auswahlentscheidung sind nach dem Zweck der Ermächtigung die (dauerhaft anzustrebenden) Ziele des § 1 GlüStV gegenüber Bestandsschutz- und Vertrauensschutzinteressen, denen im Rahmen von Härtefallentscheidungen (nur vorübergehend) Rechnung getragen werden kann, jedenfalls nicht nachrangig. Dies ergibt sich schon aus den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags selbst. Bestandsschutz- und Vertrauensschutzgesichtspunkte können bei unzumutbaren Belastungen eine Erlaubniserteilung nur für einen angemessenen (begrenzten) Zeitraum rechtfertigen, § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV. Würde aber ein im Hinblick auf die Erfüllung der Ziele des § 1 GlüStV vorzuziehender Bewerber zu Gunsten eines anderen Bewerbers abgelehnt, nur weil Bestandsschutz- und Vertrauensschutzgesichtspunkte für diesen sprechen, würde der ausgewählte Betreiber aller Voraussicht nach den unterlegenen Konkurrenten nicht nur für einen angemessenen Zeitraum, sondern dauerhaft verdrängen. Denn der unterlegene Bewerber muss sein Geschäft wegen des Mindestabstandsgebots aufgeben.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 55 f., Beschluss vom 26.9.2019 – 4 B 255/18 –, ZfWG 2019, 516 = juris, Rn. 44 ff., m. w. N.
35Ein Mindestabstandsgebot zum Schutz von Spielhallenbetreibern vor Konkurrenz wäre unionsrechtlich auch unzulässig.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 16.2.2012 – C-72/10 u. a. –, EU:C:2012:80, Marcello Costa u. a., EuZW 2012, 275 = juris, Rn. 50, 59 ff.
37Von der Notwendigkeit, nach Ablauf der Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV eine Auswahlentscheidung zu treffen, wird die Behörde nicht dadurch entbunden, dass sie Härtefallerlaubnisse nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV unter Befreiung von der Einhaltung des Mindestabstandsgebots erteilt. Denn der erforderliche Vergleich der Konkurrenten im Hinblick auf die Erfüllung der Ziele des § 1 GlüStV würde dann nicht stattfinden. Dass dieses nach Ablauf der Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV aber notwendig ist, ist schon höchstrichterlich und obergerichtlich für Nordrhein-Westfalen geklärt.
38Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 ‒ 1 BvR 1314/12 u. a. ‒, BVerfGE 145, 20 = juris, Rn. 183 f.; OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 57.
392. Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis ermessensfehlerhaft abgelehnt.
40Die Klägerin hat aufgrund ihres Antrags auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis nach den §§ 24 Abs. 1 GlüStV, 16 Abs. 2 AG GlüStV NRW einen Anspruch auf Beteiligung an dem in Folge der Nichteinhaltung des Mindestabstandsgebots nach Ablauf der Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV notwendigen und noch durchzuführenden Auswahlverfahren. Ein Auswahlverfahren ist hier erforderlich, weil die Spielhalle der Klägerin den erforderlichen Abstand von 350 m Luftlinie unter anderem zur Spielhalle der Beigeladenen nicht einhält. In dem noch durchzuführenden Auswahlverfahren sind auch die Betreiber einzubeziehen, die – wie die Beigeladene – bereits eine Härtefallerlaubnis gemäß § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV unter Befreiung von der Einhaltung des Mindestabstandsgebots erhalten haben.
41Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 75.
42Konkurrieren demnach mehrere Betreiber um den Erhalt einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis, darf der Senat die von der Beklagten zu treffende Auswahlentscheidung nicht ersetzen. Angesichts der verschiedenen Auswahlkriterien, deren Erfüllung bislang noch nicht ermessensfehlerfrei abgewogen worden ist, besteht kein Anhalt dafür, dass die Auswahl zwingend zu Gunsten der Beigeladenen ausfallen müsste. Umgekehrt sind Gründe, aus denen der Antrag der Klägerin nach §§ 24 Abs. 2 Satz 1 GlüStV, 16 Abs. 2 Satz 3 AG GlüStV NRW zwingend abzulehnen und deshalb von vornherein kein Auswahlverfahren gegenüber der Beigeladenen durchzuführen wäre, nicht ersichtlich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Berücksichtigung anderer Auswahlkriterien zu Gunsten der Klägerin aufdrängt. Entscheidend ist, dass die Beklagte ihre Auswahlentscheidung schon nicht – wie geboten – an den dargelegten Auswahlkriterien ausgerichtet hat.
43Die Beklagte darf bei der von ihr noch vorzunehmenden Auswahlentscheidung zumindest nicht allein darauf abstellen, wann den betroffenen Betreibern eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden ist. Lediglich wenn die Beklagte bei der Prüfung der Ziele des § 1 GlüStV und der weiteren in die Auswahlentscheidung einzustellenden Kriterien nachvollziehbar keine entscheidungserheblichen Unterschiede zwischen den Spielhallen feststellen kann, wäre es vertretbar, auf den Zeitpunkt der Erteilung der Erlaubnis nach § 33i GewO abzustellen.
44Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 76 f., m. w. N.
45Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Erlaubniserteilung gegenüber dem antragstellenden Betreiber an, auch wenn dem früheren Betreiber des Standorts bereits zuvor eine Erlaubnis erteilt worden war. Dem steht nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
46vgl. BVerwG, Urteil vom 5.4.2017 – 8 C 16.16 –, ZfWG 2017, 394 = juris, Rn. 42 ff.,
47die fünfjährige Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV spielhallen- und nicht betreiberbezogen ist. Diese Rechtsprechung bezieht sich allein auf die Frage des Anwendungsbereichs der Übergangsvorschrift. Daraus lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Beantwortung der Frage ziehen, welcher in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallenden Spielhalle im Rahmen der nach Ablauf der Übergangsfrist zu treffenden Auswahlentscheidung der Vorzug zu geben ist.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.12.2019 ‒ 4 B 1037/18 ‒, GewArch 2020, 193 = juris, Rn. 23 ff.
49Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 Halbsatz 1, § 155 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beigeladene ist nicht verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen. Diese hat im Berufungsverfahren nicht obsiegt und ist deshalb nicht erstattungsberechtigt.
50Vgl. BVerwG, Urteile vom 25.10.2018 – 3 C 22.16 –, BVerwGE 163, 283 = juris, Rn. 33, m. w. N., und vom 26.3.2015 – 4 C 1.14 –, NVwZ-RR 2015, 685 = juris, Rn. 18.
51Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen, die nunmehr alleinige Rechtsmittelführerin und unterlegen ist, sind nicht erstattungsfähig, § 162 Abs. 3 VwGO.
52Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
53Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind. Zwar sind die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags nach § 33 GlüStV revisibel. Es ist aber bereits durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.3.2017 ‒ 1 BvR 1314/12 u. a. ‒ geklärt, dass nach Ablauf der Übergangsfrist des § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV ein Auswahlverfahren stattfinden und an welchen Kriterien sich die Auswahlentscheidung grundsätzlich ausrichten muss.
54Soweit die Gewichtung und der Inhalt der Auswahlkriterien nicht bereits durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geklärt wurden, beruhen alle weiteren Vorgaben auf nicht revisiblen landesrechtlichen Regelungen. Insoweit erhalten die Auswahlkriterien ihren in Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Inhalt erst durch die Konturierung im Landesrecht, die außer durch das Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag durch die die Behörden bindenden spielhallenrechtlichen Erlasse erfolgt ist.
55Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.10.2019 – 4 A 1826/19 –, GewArch 2020, 29 = juris, Rn. 88 f., m. w. N.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- GewO § 33i Spielhallen und ähnliche Unternehmen 3x
- 4 A 1826/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 1 GlüStV 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 GlüStV 3x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 100 Kosten bei Streitgenossen 1x
- § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV 3x (nicht zugeordnet)
- § 16 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 AG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 1488/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 16 Abs. 2 AG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1314/12 2x (nicht zugeordnet)
- 4 B 1037/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs. 1 GlüStV 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 255/18 2x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1314/12 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- § 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 92 1x
- 4 A 1826/19 7x (nicht zugeordnet)
- § 16 Abs. 3 Satz 3 AG 1x (nicht zugeordnet)