Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 A 2421/18.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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Gründe:
2Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Nach § 78 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4 AsylG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn einer der in Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 aufgezählten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Die Klägerin stützt ihren Antrag ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache jedoch nicht zu. Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Klägerin die Fragen:
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1. „ob die Sanktionen des eritreischen Staates, die wehrpflichtigen eritreischen Staatsangehörigen, die sich dem Nationaldienst durch illegale Ausreise aus Eritrea entzogen haben, drohen, an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG, hier insbesondere § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG, anknüpfen“,
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2. „ob dies auch dann gilt, wenn die Wehrdienstentziehung durch ein[en] Verbleib im Ausland bei Eintritt der Wehrpflicht erfolgt ist“,
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3. „ob die illegale Ausreise und eine nachfolgende Asylantragstellung eritreischer Staatsangehöriger vom eritreischen Staat allgemein als Regimegegnerschaft angesehen wird und der im Fall der Rückkehr drohenden Bestrafung (s. Frage 1) damit ein politischer Sanktionscharakter im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG zukommt“.
Keine dieser Fragen rechtfertigt im vorliegenden Fall eine Berufungszulassung. Sie sind nicht mehr klärungsbedürftig, weil sie in der Rechtsprechung des beschließenden Senats inzwischen in verneinendem Sinn geklärt sind. Das gilt für die Fragen zu Nrn. 1 und 2, denn danach drohen nationaldienstpflichtigen eritreischen Staatsangehörigen Verfolgungsmaßnahmen wegen einer Entziehung oder Desertion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit regelmäßig weder in Anknüpfung an eine ihnen zugeschriebene politische Überzeugung im Sinn der § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG noch an einen sonstigen Verfolgungsgrund. Das gilt auch für eritreische Staatsangehörige, die vor Erreichen des dienstpflichtigen Alters ausgereist und im Ausland in dieses Alter hineingewachsen sind und denen im Fall der Rückkehr eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht.
8OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Oktober 2020 ‑ 19 A 3624/18.A ‑, juris, Rn. 14 f., und vom 21. September 2020 ‑ 19 A 1857/19.A ‑, juris, Rn. 30, 36 ff., 110 ff.
9Auch die zu Nr. 3 aufgeworfene Grundsatzfrage ist in der vorgenannten Senatsrechtsprechung in verneinendem Sinn geklärt. Danach knüpft der Staat Eritrea allein an eine illegale Ausreise im wehrpflichtigen Alter und/oder allein an eine Asylantragstellung im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsmaßnahmen.
10OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2020, a. a. O., Rn. 131 f.
11In Bezug auf diese drei Grundsatzfragen ist die Berufung auch nicht wegen nachträglicher Abweichung von der zitierten Senatsrechtsprechung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen. Wegen nachträglicher Abweichung ist die Berufung nach dieser Vorschrift unabhängig davon zuzulassen, ob der Rechtsmittelführer diesen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt hat, wenn der zunächst vorliegende Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nachträglich dadurch entfällt, dass ein übergeordnetes Gericht die als grundsätzlich klärungsbedürftig dargelegte Grundsatzfrage in einem anderen Verfahren klärt, und die angefochtene Entscheidung von dieser höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung objektiv abweicht.
12OVG NRW, Beschluss vom 10. Juni 2020 ‑ 19 A 4332/19.A ‑, juris, Rn. 2 f. m. w. N.
13Hier liegt keine solche Abweichung vor. Denn auch das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung durch Bezugnahme auf sein Urteil vom 23. März 2017 ‑ 6 K 7338/16.A ‑, juris, die Tatsachenfeststellung zugrunde gelegt, dass die Sanktionierung von Wehrdienstentziehung und illegaler Ausreise nicht generell an eine vermutete oder vorhandene politische Überzeugung anknüpft (Rn. 32 ff., 65 ff., 138).
14Unter diesen Umständen ist die in der Antragsbegründung weiter als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
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4. „ob bei eritreischen weiblichen Staatsangehörigen, die Kinder haben, im Fall der (zwangsweisen) Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass sie dem Nationaldienst zugeführt werden, jedenfalls dann, wenn sie zuvor illegal aus Eritrea ausgereist sind“,
nicht entscheidungserheblich. Denn selbst wenn diese Frage in generalisierender Form zu bejahen sein sollte, fehlt es nach dem oben Ausgeführten jedenfalls an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG und Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen den in den § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG bezeichneten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen. Abgesehen davon ist auch diese Grundsatzfrage in der zitierten Senatsrechtsprechung in verneinendem Sinn geklärt. Danach sind Mütter nur von Gesetzes wegen grundsätzlich weiterhin dienstverpflichtet. In der Praxis sieht man bei Frauen, die Kinder haben, jedoch für gewöhnlich von einer Heranziehung zur Dienstleistung ab. Leisten sie bereits Dienst und werden schwanger oder heiraten, werden sie in der Regel ohne förmliche Entlassung vom Nationaldienst faktisch freigestellt.
18OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2020, a. a. O., Rn. 62 ff.
19Ebenso wenig entscheidungserheblich ist unter diesen Umständen auch die schließlich aufgeworfene Grundsatzfrage,
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5. „ob die den wehrdienstpflichtigen, illegal ausgereisten eritreischen Staatsangehörigen drohenden Sanktionen im Fall der Rückkehr als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 1, 3, 4 AsylG einzustufen sind.“
Selbst wenn auch diese Frage in generalisierender Form zu bejahen sein sollte, fehlt auch insoweit die gemäß § 3a Abs. 3 AsylG und Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU erforderliche kausale Verknüpfung zwischen den in den § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG bezeichneten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
24Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Referenzen
- 19 A 3624/18 1x (nicht zugeordnet)
- 19 A 4332/19 1x (nicht zugeordnet)
- 6 K 7338/16 1x (nicht zugeordnet)
- 19 A 1857/19 1x (nicht zugeordnet)
- 3 RL 2011/95 2x (nicht zugeordnet)