Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 18 B 322/20
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerde-verfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerde-verfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
3Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
4Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die vom Antragsteller während der Anhörung bei der Ausländerbehörde der Stadt L. am 18. Oktober 2019 gemachten Angaben stellten keine Gründe dar, die einer Verteilung des Antragstellers nach I. entgegenstünden. Der Antragsteller habe auch im Nachgang nicht glaubhaft gemacht, dass er bei einem Umzug nach I. eine erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten habe, die ihm vor dem Hintergrund von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht mehr zumutbar sei. Die Stellungnahmen der Diplom-Psychologin Q. C. vom 4. November 2019, des Arztes für Allgemeinmedizin, Herrn Dr. G. M. , vom 14. Dezember 2019 sowie der Alexianer L. GmbH vom 13. Februar 2020 genügten bereits den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG nicht. Aus den vorgelegten Medienberichten ergebe sich ebenfalls kein zwingender Grund, den Antragsteller nicht nach I. zu verteilen. Die Zwangsmittelandrohung sei schließlich nicht zu beanstanden.
5Die dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angegriffenen Beschlusses.
6Der vorliegende Fall gibt (dennoch) Gelegenheit, die Rechtsprechung des Senats zu Fallgestaltungen wie der vorliegenden zusammenzufassen bzw. diese weiter zu konkretisieren.
7Rechtsgrundlage für die mit dem streitgegenständlichen Verteilungsbescheid vom 30. Oktober 2019 erfolgte länderübergreifende Verteilung des Antragstellers in die Erstaufnahmeeinreichung I. ist § 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Nach der Systematik des § 15a AufenthG sind bei dieser länderübergreifenden Verteilung zwingende Gründe im Rahmen der Verteilungsentscheidung nur dann erheblich, wenn sie vor deren Veranlassung nachgewiesen worden sind, vgl. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG.
8Derartige Gründe sind - neben der im Gesetz beispielhaft aufgeführten Haushaltsgemeinschaft zwischen Ehegatten oder Eltern und ihren minderjährigen Kindern - immer dann gegeben, wenn höherrangiges Recht der vorgenommenen Verteilung entgegensteht.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 8, und vom 2. März 2015 - 18 B 1423/14 -.
10Als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kann insoweit ein zwingendes Verteilungshindernis gegeben sein, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers unmittelbar durch die Verteilung bzw. als deren unmittelbare Folge voraussichtlich wesentlich verschlechtern wird.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 10.
12Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass nicht jede mit der Verteilung ggf. einhergehende Verschlechterung des Gesundheitszustandes in diesem Zusammenhang beachtlich ist. Indem das Aufenthaltsgesetz die Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer im Interesse der gleichmäßigen Verteilung insbesondere der mit der Aufnahme verbundenen Kosten vorschreibt,
13vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 12, und vom 4. September 2014 - 18 A 792/14 -, juris, Rn. 4,
14nimmt es die durch die Verteilung ggf. zu erwartenden Auswirkungen auf den gesundheitlichen, insbesondere psychischen Zustand des Betroffenen grundsätzlich in Kauf. So hat dieser etwa eine durch einen Ortswechsel bedingte Unterbrechung einer bereits begonnenen psychotherapeutischen Behandlung und die damit ggf. verbundenen zwischenzeitlichen Auswirkungen auf den Gesundheitszustand grundsätzlich hinzunehmen, sofern diese nicht ausnahmsweise so schwerwiegend sind, dass sie dem Ausländer mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zugemutet werden können.
15Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 14, und vom 23. November 2016 - 18 B 1254/16 -.
16Besondere Umstände, die im Rahmen einer Verteilung nach § 15a AufenthG begleitende Maßnahmen (wie z.B. Sicherstellung der Weiterführung einer medizinischen Behandlung am Zuweisungsort) erfordern, die also das „Wie" der Verteilung in eine bestimmten Aufnahmeeinrichtung betreffen, können indes grundsätzlich nur im Rahmen von deren Vollstreckung berücksichtigt werden, die Rechtmäßigkeit - das „Ob" - der Verteilung als solcher in die jeweilige Erstaufnahmeeinrichtung aber nicht in Frage stellen. Nichts anderes gilt etwa im Falle einer vorübergehenden Reiseunfähigkeit aufgrund einer Schwangerschaft, die ebenfalls nicht das „Ob“ der Verteilung, sondern nur das „Wann“ betrifft. Abweichendes gilt ausnahmsweise dann, wenn hinreichende begleitende Maßnahmen am Zuweisungsort nicht getroffen werden können, weil dann das „Ob“ der Verteilung in Rede steht.
17Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Juli 2019- 18 B 842/19 -, juris, Rn. 3, und vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 16.
18Ein solcher Ausnahmefall kann sich auf die Rechtmäßigkeit der Verteilungsentscheidung gleichwohl nur dann auswirken, wenn er auf einen zwingenden Grund i. S. v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG führt und dementsprechend auch „vor Veranlassung der Verteilung“ nachgewiesen worden ist.
19„Nachweisen“ i. S. v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG verlangt mehr als „geltend machen“. Der Ausländer ist nach § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG gehalten, den auf einen zwingenden Grund führenden Sachverhalt so zu unterbreiten, dass die zuständige Behörde grundsätzlich keine eigenen Ermittlungen mehr anzustellen braucht. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Ausländer, der sich auf einen zwingenden Grund i.S.v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG beruft, in der Regel ein eigenes Interesse am Ausgang des Verteilungsverfahrens hat, so dass der gebotene Nachweis im allgemeinen nicht allein durch eigene Behauptungen zu führen sein wird, solange diese nicht durch objektive Umstände, z. B. Belege, bestätigt werden.
20Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juli 2020- 18 B 677/20 -, juris, Rn. 5, vom 20. Mai 2020- 18 B 530/20 -, juris, 10, und vom 22. Juli 2014- 18 B 695/14 -, juris, Rn. 13.
21Für den „Nachweis“ des Vorliegens zwingender gesundheitlicher Gründe im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG kann indes nicht auf die in § 60a Abs. 2c AufenthG normierten Voraussetzungen zurückgegriffen werden. § 60a Abs. 2c AufenthG gilt angesichts seines eindeutigen Wortlauts sowie der systematischen Stellung allein für Abschiebungen. Ebenso scheidet eine analoge Anwendung der Vorschrift aus. Hierfür fehlt es - wie bereits der Verweis in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG zeigt - an einer planwidrigen Regelungslücke.
22Vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 4 C 6.16 -, juris, Rn. 15.
23Die konkreten Anforderungen an den Nachweis gesundheitlicher Gründe, die der Verteilung entgegenstehen können, ergeben sich stattdessen aus dem allgemeinen Prozessrecht. Das Bundesverwaltungsgericht hat aus der in § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO normierten Pflicht des jeweiligen Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts - insbesondere mit Blick auf Umstände, die in dessen Sphäre fallen - mitzuwirken, gewisse Mindestanforderungen an die vorzulegenden Atteste abgeleitet, die zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat, erfüllt werden müssen.
24Vgl. zu den konkreten Voraussetzungen grundlegend BVerwG, Urteil vom 11. September 2007- 10 C 8.07 -, juris, Rn. 15, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2012 - 10 B 21.12 -, juris, Rn. 7.
25Diese Mindestanforderungen gelten auch mit Blick auf weitere psychische Erkrankungen.
26Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Mai 2020- 19 A 1178/19.A -, juris, Rn. 24, vom 20. Januar 2020 - 11 A 618/19.A -, juris, Rn. 12, vom 9. Oktober 2017 - 13 A 1807/17.A -, juris, Rn. 25, und vom 21. März 2017 - 19 A 2461/14.A -, juris, Rn. 17; ebenso Bayerischer VGH, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 1 ZB 18.33263 -, juris, Rn. 3, und VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, juris, Rn. 54; offengelassen in OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2019- 4 A 598/18.A -, juris, Rn. 14 ff.
27Die vorgenannte Rechtsprechung ist auf die hiesige Fallkonstellation dergestalt zu übertragen, dass es zum Nachweis des Vorliegens einer psychischen Erkrankung, die der Verteilung an einen bestimmten Ort entgegensteht bzw. entgegenstehen soll, regelmäßig eines entsprechend qualifizierten fachärztlichen Attests bedarf. Auch der Nachweis einer physischen Erkrankung kann nur anhand qualifizierter Belege gelingen.
28Die Art und Weise der Unterbringung sowie die Zustände in der konkreten Unterkunft bzw. die Gegebenheiten in der weiteren Umgebung können nur in absoluten Ausnahmefällen der Verteilung an einen bestimmten Ort i. S. v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG entgegenstehen.
29Der für die Abgrenzung maßgebliche Zeitpunkt der „Veranlassung der Verteilung" ist vor dem Hintergrund des in § 15a AufenthG geregelten Gangs des Verteilungsverfahrens zu bestimmen. Dieser erschließt sich bei einer am Verfahrenslauf orientierten chronologischen Betrachtung: Der Gesetzgeber ist im Rahmen des § 15a AufenthG davon ausgegangen, dass der Erstkontakt des zu verteilenden Ausländers mit der Ausländerbehörde erfolgt. Diese hat den Ausländer anzuhören und das Ergebnis der Anhörung an die die Verteilung veranlassende Behörde/Stelle zu übermitteln (§ 15a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Deren Bestimmung erfolgt nach § 15a Abs. 1 Satz 5 AufenthG durch das jeweilige Bundesland. In Nordrhein-Westfalen ist die Bezirksregierung Arnsberg durch § 6 ZustAVO NRW zur die Verteilung veranlassenden Behörde bestimmt worden. Die Verteilung des Ausländers auf eines der Bundesländer erfolgt sodann nach § 15a Abs. 1 Satz 3 AufenthG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: BAMF) als vom Bundesministerium des Innern bestimmter zentraler Verteilungsstelle. Dabei benennt das BAMF der die Verteilung veranlassenden Behörde gemäß § 15a Abs. 3 Satz 1 AufenthG die nach Absatz 3 Sätze 2 und 3 zur Aufnahme verpflichtete Aufnahmeeinrichtung.
30Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juli 2020- 18 B 677/20 -, juris, Rn. 7, vom 20. Mai 2020- 18 B 530/20 -, juris, Rn. 12, und vom 4. September 2014 - 18 A 792/14 -, juris, Rn. 4.
31Die „Veranlassung der Verteilung" ist deshalb der verwaltungsinterne Verfahrensschritt, mit dem die die Verteilung veranlassende Behörde den Ausländer zur Verteilung an das BAMF meldet. Auf die Aushändigung des Verteilungsbescheides an den Ausländer kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht an.
32Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juli 2020- 18 B 677/20 -, juris, Rn. 9, und vom 20. Mai 2020- 18 B 530/20 -, juris, Rn. 14; a. A. OVG Berlin-Brandenburg., Beschluss vom 10. Januar 2013- OVG 7 S 10.13 -, juris, Rn. 9.
33Danach können dementsprechende Gründe nur noch in einem Umverteilungsverfahren berücksichtigt werden.
34Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Mai 2020- 18 B 530/20 -, juris, Rn. 12, vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 8, und vom 7. August 2014 - 18 B 524/14 -, juris, Rn. 7.
35Dabei ist aus dem Umstand, dass § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG eine Nachweisobliegenheit (lediglich) für den Zeitraum „vor Veranlassung der Verteilung“ statuiert, nicht zu schlussfolgern, dass nach diesem Zeitpunkt bloße Behauptungen des jeweils Betroffenen genügen. Vielmehr gelten auch dann die vorstehenden Erwägungen zu den aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO folgenden Mitwirkungspflichten.
36Rechtsgrundlage für die Zwangsmittelandrohung im streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Oktober 2019 sind die §§ 62, 63 VwVG NRW. Auf dieser vollstreckungsrechtlichen Ebene kann der betroffene Ausländer Rechtsschutz wegen des Bestehens von Vollstreckungshindernissen erlangen.
37Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Juli 2019- 18 B 842/19 -, juris, Rn. 3 (schwangerschaftsbedingte Reiseunfähigkeit), und vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 16 (Weiterführung einer medizinischen Behandlung).
38Die Rechtmäßigkeit der Verteilungsentscheidung wird durch Vollstreckungshindernisse grundsätzlich nicht in Frage gestellt.
39Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 18 B 1376/16 -, juris, Rn. 16.
40Umgekehrt ist der betroffene Ausländer im Vollstreckungsverfahren mit Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Verteilungsentscheidung als entsprechender Grundverfügung ausgeschlossen.
41Vgl. zu den entsprechenden vollstreckungsrechtlichen Grundsätzen OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Januar 2017 - 13 B 1235/16 -, juris, Rn. 6, vom 19. Dezember 2012 - 12 B 1339/12 -, juris, Rn. 3, und vom 20. Januar 2012 - 4 B 1425/11 -, juris, Rn. 4; siehe auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 4 LA 245/13 -, juris, Rn. 10, das indes Ausnahmen von diesem Grundsatz für möglich erachtet.
42Unter Berücksichtigung des mehrstufigen Aufbaus des Vollstreckungsverfahrens, das - abgesehen vom Fall des sofortigen Vollzuges - nach Erlass der sog. Grundverfügung durch die Abfolge von Androhung (§ 63 VwVG NRW), Festsetzung (§ 64 VwVG NRW) und Anwendung (§ 65 VwVG NRW) des Zwangsmittels gekennzeichnet ist, erfolgt der Vollstreckungsschutz - soweit möglich - bereits auf der Ebene der Zwangsmittelandrohung. Kann Rechtsschutz auf dieser Stufe nicht gewährt werden, so kann er gegen die nach § 64 VwVG NRW im Anschluss an die Zwangsmittelandrohung erforderliche Festsetzung des Zwangsmittels bzw. - falls dies nicht möglich ist - gegen dessen Anwendung gerichtet werden.
43Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Juli 2019- 18 B 842/19 -, juris, Rn. 4 f., m. w. N.
44Maßgeblicher Zeitpunkt bei noch andauernden Vollstreckungsverfahren ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2006 - 1 C 11.05 -, juris, Rn. 8 f.; OVG NRW, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 18 B 842/19 -, juris, Rn. 8.
46Schließlich gelten für die Darlegung eines Vollstreckungshindernisses die sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ergebenden Mitwirkungspflichten des betroffenen Ausländers.
47Gemessen daran verfängt das Beschwerdevorbringen nicht. Dass der Antragsteller transsexuell sein soll, steht der Verteilungsentscheidung nach I. , Sachsen-Anhalt, bereits deshalb nicht entgegen, weil dieser Umstand erst nach Veranlassung der Verteilung angeführt worden ist. Er hat auch ansonsten vor Veranlassung der Verteilung nichts vorgetragen, dass der vorgenommenen Verteilung entgegenstünde. Mithin ist der Antragsteller mit dem gesamten nachfolgenden, diesbezüglichen Vortrag auf das Umverteilungsverfahren zu verweisen. Abgesehen davon weist der Senat darauf hin, dass die hohe Schwelle, ab deren Überschreitung erst die Art und Weise der Unterbringung sowie die Zustände in der konkreten Unterkunft bzw. die Gegebenheiten in der weiteren Umgebung einer Verteilung an einen bestimmten Ort i. S. v. § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG entgegenstehen können, hier nicht erreicht sein dürfte; insbesondere dürfte der Antragsteller wegen der von ihm befürchteten Bedrohungen und körperlichen Attacken aufgrund seiner sexuellen Orientierung auf die örtlichen und überörtlichen Sicherheitsbehörden in I. bzw. Sachsen-Anhalt zu verweisen sein.
48Die vom Antragsteller geltend gemachten psychischen Erkrankungen führen ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Verteilungsentscheidung, da auch diese nicht vor der Veranlassung der Verteilung nachgewiesen worden sind. Während der Anhörung bei der Ausländerbehörde der Stadt L. am 18. Oktober 2019 hat der Antragsteller lediglich angegeben, er wolle, dass seine Familie ihm Halt gebe. Im Schreiben des I1. e. V. vom 15. Oktober 2019 heißt es insoweit nur, der Antragsteller befinde sich „in einem schlechten physischen und psychischen Allgemeinzustand“. Damit wird den obigen Anforderungen an den Nachweis einer psychischen Erkrankung nicht im Ansatz genüge getan. Die nach Veranlassung der Verteilung übersandten Atteste sind für die Rechtmäßigkeit der Verteilungsentscheidung - wie aufgezeigt - ohne Relevanz.
49Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht kann sich der Antragsteller auch nicht mit Erfolg auf ein Vollstreckungshindernis berufen. Die „dargelegten Umstände in der ZAST I. “ führen schon deshalb nicht auf ein Vollstreckungshindernis, weil es sich dabei um eine materiell-rechtliche Einwendung gegen die Verteilungsentscheidung als Grundverfügung handelt.
50Auch die vom Kläger geltend gemachten psychischen Erkrankungen begründen kein Vollstreckungshindernis. Selbst unterstellt, die vorgelegten Atteste genügten den auch bei der Berufung auf Vollstreckungshindernisse geltenden Darlegungsanforderungen, lägen die Voraussetzungen für ein Vollstreckungshindernis nicht vor. Nach Ansicht der Beschwerdebegründung belegen die psychologische Stellungnahme vom 4. November 2019, das allgemeinärztliche Attest vom 14. Dezember 2019 und die Stellungnahme eines Fachkrankenhauses vom 13. Februar 2019 jeweils, dass der Verbleib des Antragstellers in L. aufgrund seiner dort lebenden Angehörigen, seines (Wohn-)Umfelds und der in L. tätigen Organisation I1. e. V. aus psychologischer bzw. ärztlicher Sicht dringend erforderlich sei. Damit ist jedoch nicht das „Wie“ sondern das „Ob“ der Verteilung betroffen. Ein Durchgreifen auf die Rechtmäßigkeit der Verteilungsentscheidung kommt mangels rechtzeitigem Nachweis nicht in Betracht.
51Ungeachtet dessen dürfte sich aus den psychologischen und ärztlichen Stellungnahmen nicht ergeben, dass trotz der in I. möglichen medizinischen Betreuung eine Verteilung dorthin dennoch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unzumutbar wäre. Zwar mag es zutreffen, dass die familiäre und sonstige Anbindung des Antragstellers in L. für dessen Genesung zuträglich ist. Gleichwohl bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die medizinische Versorgung in I. - auch im Falle der (behaupteten) Suizidgefahr - unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Schutzpflichten unzureichend sein könnte.
52Anders als das Beschwerdevorbringen meint, kommt es daher auf eine Folgenabwägung nicht an. Ebenso kann dahinstehen, ob es „wahrscheinlich“ ist bzw. „alles dafür spricht“, dass der Antragsteller mit fortschreitender Behandlungsdauer in der Lage sein wird, ausführlichere Stellungnahmen vorzulegen.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats.
54Vgl. zuletzt mit ausführlicher Begründung Beschluss vom 4. November 2020 - 18 B 1364/20 -.
55Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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