Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 1756/20.NE
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antragsteller nimmt an einer Weiterbildungsmaßnahme der Agentur für Arbeit mit dem Ziel teil, einen LKW-Führerschein zu erwerben. Der Senat geht bei der Auslegung seines Antrags davon aus, dass er sich nach Außerkrafttreten der ursprünglich angegriffenen Vorschrift gegen die entsprechende Regelung aus der aktuell geltenden Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. 2021 S. 2b) in der zuletzt durch Art. 1 der Verordnung vom 15. Februar 2021 (GV. NRW. 2021 S. 151) geänderten Fassung (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) richten will. Denn anders als der Antragsteller meint, ist diese Regelung noch in Kraft, weil durch die oben genannte Änderungsverordnung die Geltung der Coronaschutzverordnung bis zum 21. Februar 2021 verlängert wurde. Sein danach sinngemäßer Antrag,
2im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 7 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO vorläufig auszusetzen,
3hat keinen Erfolg.
4Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer normbezogenen einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
5Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen nicht dringend geboten. Erweist sich dagegen der Antrag als zulässig und (voraussichtlich) begründet, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist.
6Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 ‑ 4 VR 5.14 ‑, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2019 - 4 B 1019/19.NE -, juris, Rn. 12; Nds. OVG, Beschluss vom 17. Februar 2020 - 2 MN 379/19 -, juris, Rn. 24, m. w. N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395.
7Nach dieser Maßgabe ist der Erlass einer normbezogenen einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten, weil ein in der Hauptsache erhobener Normenkontrollantrag nach im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglicher summarischer Prüfung voraussichtlich unbegründet wäre und die deswegen anzustellende Folgenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfällt.
8Der Senat hat in seinem Beschluss vom 10. Februar 2021 - 13 B 1932/20.NE -, juris, Rn. 9 ff., ausgeführt, dass die allgemeine Maskenpflicht in § 3 Abs. 2 und 2a der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. 2021 S. 2b) in der durch Art. 1 der Verordnung vom 21. Januar 2021 (GV. NRW. S. 22b, ber. S. 46) geänderten Fassung (Coronaschutzverordnung alte Fassung – CoronaSchVO a. F.) – mit Ausnahme einer durch den Verordnungsgeber inzwischen geänderten Teilregelung – voraussichtlich rechtmäßig ist. Auch für die Maskenpflicht in bestimmten anderen Lebensbereichen hat der Senat dies angenommen.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Dezember 2020 - 13 B 1609/20.NE -, juris, Rn. 15 ff. (Maskenpflicht in der Schule), vom 2. Dezember 2020 ‑ 13 B 1894/20.NE ‑, juris, Rn. 34 ff. (Maskenpflicht bei Versammlungen), sowie vom 27. November 2020 ‑ 13 B 1815/20.NE ‑, juris, Rn. 43 ff. (Maskenpflicht während eines Parteitags).
10Auf die Gründe der oben genannten Entscheidungen wird ausdrücklich Bezug genommen. Die dort ausgeführten Erwägungen lassen sich auch auf die Pflicht, (mindestens) eine FFP2-Maske während des praktischen Fahrunterrichts bzw. der Fahrprüfung zu tragen, übertragen. Denn während des Fahrunterrichts bzw. einer Fahrprüfung befinden sich (wenigstens) zwei Personen für einen nicht unerheblichen Zeitraum in einem geschlossenen, verhältnismäßig engen Raum mit der Folge eines hohen Infektionsrisikos. Dieses wird durch eine Belüftung des Fahrzeugs allenfalls etwas verringert, jedoch nicht beseitigt. Hinzu kommt, dass Fahrlehrer und -prüfer während ihres Arbeitstages nacheinander mit einer Vielzahl von Personen in dieser Weise zusammentreffen mit dem Risiko, sich selbst mit dem SARS-CoV-2-Virus zu infizieren und diese Infektion in der Folge an andere Fahrschüler weiterzugeben. Im Hinblick auf das verhältnismäßig hohe Infektionsrisiko bei einem Zusammentreffen von Personen auf so engem Raum wie in einem PKW oder LKW ist es auch aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass der Verordnungsgeber die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske vorsieht. Denn diese Masken, deren Filterleistung anhand der europäischen Norm EN 149:2001+A1:2009 mit Aerosolen getestet wird und die ein sog. Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen müssen, bieten einen höheren Schutz als Alltagsmasken oder OP-Masken. Sie werden nur zugelassen, wenn das Maskenmaterial bei den oben genannten Tests 94% der Testaerosole filtert. Diese Masken dienen nicht nur dem Fremd-, sondern auch dem Eigenschutz.
11Vgl. Hinweise des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Verwendung von Mund-Nasen-Bedeckungen, medizinischen Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken (FFP-Masken), abrufbar unter
12https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/schutzmasken.html#Partikelfiltrierende_Halbmasken_(FFP-Masken).
13Die Pflicht, im praktischen Fahrunterricht und bei der Fahrprüfung eine FFP2-Maske zu tragen, ist auch mit Blick auf die etwas höheren Kosten für diese Masken nicht unverhältnismäßig. Insbesondere müssen Fahrschüler diese nur bei einer überschaubaren Anzahl von Gelegenheiten tragen. Ferner können FFP2-Masken beim Privatgebrauch unter Beachtung bestimmter Vorgaben mehr als einmal verwendet werden.
14Vgl. in den oben zitierten Hinweisen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte den Verweis auf den Informationsflyer eines Forschungsprojekts der Fachhochschule Münster und Westfälischen Wilhelms-Universität Münster:
15https://www.fh-muenster.de/gesundheit/forschung/forschungsprojekte/moeglichkeiten-und-grenzen-der-eigenverantwortlichen-wiederverwendung-von-ffp2-masken-im-privatgebrauch/index.php.
16Der Vortrag des Antragstellers gebietet keine abweichende Bewertung. Insbesondere kommt es für die Rechtmäßigkeit der Maskenpflicht nach § 7 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO nicht darauf an, ob der Innenraum eines LKWs als öffentlicher Raum zu qualifizieren ist oder nicht. Der Rechtmäßigkeit der Maskenplicht steht auch nicht entgegen, dass die Belegung der Intensivbetten zurückgegangen ist und auch die 7-Tage-Inzidenz in Nordrhein-Westfalen (Stand 18. Februar 2021) zuletzt gesunken ist. Diese beträgt nunmehr 57, wobei mit Blick auf das Auftreten der Virusvarianten B.1.1.7. (Großbritannien), B.1.351 (Südafrika) und B.1.1.28 (Brasilien) ein erhöhtes Risiko einer erneuten Zunahme der Fallzahlen besteht.
17Vgl. Täglicher Lagebericht des Robert-Koch-Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019, Stand 18. Februar 2021, Seite 2 und 9, abrufbar unter
18https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Feb_2021/2021-02-18-de.pdf?__blob=publicationFile.
19Auch unter Berücksichtigung dessen ist die Maskenpflicht verhältnismäßig, um das Infektionsgeschehen noch weiter einzudämmen und einer bei ungehinderter Virusverbreitung erneut drohenden Überlastung der Kapazitäten der Intensivstationen vorzubeugen. Insbesondere handelt es sich bei der Maskenpflicht um eines der Mittel zur Pandemiebekämpfung, dessen Eingriffsintensität im Vergleich zu anderen Maßnahmen eher gering ist. Ferner vermag der Senat die vom Antragsteller befürchtete Gefahr von Verkehrsunfällen beim Tragen von Masken im Fahrunterricht nicht erkennen. Die FFP2-Masken sitzen eng an, sodass üblicherweise nicht das Risiko besteht, dass sie in einer Weise verrutschen, die den Blick eines Fahrers beeinträchtigt. Auch zeigt der Antragsteller weder eine Verletzung von Grundrechten noch von Rechten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auf. Insbesondere dass der Antragsteller die Pflicht zum Tragen einer Maske als Folter empfindet, ist rechtlich unerheblich. Die durch die Maskenpflicht im Fahrunterricht nur geringfügige Beeinträchtigung der Rechte des Fahrschülers,
20vgl. näher dazu OVG NRW, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 13 B 1932/20.NE -, juris, Rn. 68 ff.
21muss hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten. Auch eine allenfalls ergänzend vorzunehmende Folgenabwägung geht im Hinblick darauf zu Lasten des Antragstellers aus.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Antrag zielt inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- § 7 Abs. 3 Satz 3 CoronaSchVO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 4 B 1019/19 1x (nicht zugeordnet)
- 2 MN 379/19 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 1932/20 2x (nicht zugeordnet)
- 13 B 1609/20 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 1894/20 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 1815/20 1x (nicht zugeordnet)