Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 107/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 1.500,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Dabei bedeutet „darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.
4Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013– 1 A 106/12 –, juris, Rn. 2 m. w. N.
5Hiervon ausgehend ist die Berufung nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
6Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
7Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers auf Gewährung eines Reserveoffizierzuschlags mit der Begründung abgewiesen, der Kläger falle nicht in den Anwendungsbereich des § 8h Abs. 1 WSG a. F., wonach Soldaten, die zum Reserveoffizier ausgebildet würden, einen Reserveoffizierzuschlag von 1.500,00 Euro erhielten. Nach § 1 Abs. 1 WSG a. F. gelte diese Vorschrift – nach dem Wortlaut abschließend – nur für Soldaten, die Wehrdienst nach dem Wehrpflichtgesetz, nach § 58b des Soldatengesetzes oder nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes leisteten. Der Kläger sei indes als Soldat auf Zeit zum Reserveoffizier ausgebildet worden. Hinweise dafür, dass die Aufzählung in § 1 Abs. 1 WSG a. F. nur beispielhaft sei, lägen auch deshalb nicht vor, weil § 1 Abs. 4 WSG a. F. ausdrücklich regele, dass der Anspruch auf die Bezüge nach dem Wehrsoldgesetz mit dem Entstehen des Anspruchs auf Besoldung eines Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit ende. Der Begriff „Bezüge“ umfasse alle im Wehrsoldgesetz genannten Geld- und Sachleistungen einschließlich des Reserveoffizierzuschlags. Der Anwendungsbereich der aufgrund des Streitkräfte-Neuordnungsgesetzes vom 22. April 2005 (BGBl. I, S. 1106) eingefügten Vorschrift des § 8h Abs. 1 WSA a. F. sei auch nicht nach deren Sinn und Zweck bzw. aufgrund historischer Auslegung auf Soldaten auf Zeit zu erweitern. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Reserveoffizierzuschlag wesentlich zur Erhöhung der Attraktivität der Reserveoffizierlaufbahn des Truppendienstes beitragen sollen. Aus diesem Zweck folge nicht, dass der Gesetzgeber – über den ausdrücklichen Gesetzeswortlaut hinaus – auch Soldaten habe begünstigen wollen, die nicht unter das Wehrsoldgesetz, sondern das Bundesbesoldungsgesetz fielen. Es sei auch ohne Einbeziehung der Soldaten auf Zeit möglich gewesen, die Attraktivität der Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes der Reserve durch finanzielle Anreize zu steigern. Die Ausbildung zum Reserveoffizier sei nicht allein im Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit möglich.
8Auch aus der Novellierung des Unterhaltssicherungsgesetzes vom 29. Juni 2015 ergebe sich nicht, dass Soldaten auf Zeit, die zu der Zeit, in der § 8h WSG a. F. noch galt, zum Reserveoffizier ausgebildet worden seien und nach Aufhebung des § 8h WSG a. F. – ab dem 1. November 2015 – zum Leutnant der Reserve ernannt worden seien, den Reserveoffizierzuschlag erhalten müssten. Nach der Übergangsvorschrift des § 31 USG in der Fassung vom 29. Juni 2015 sei für Anträge auf Gewährung von Leistungen für Reservistendienst und freiwilligen Wehrdienst, der vor dem 1. November 2015 begonnen habe, das Unterhaltssicherungsgesetz in der bis zum 31. Oktober 2015 geltenden Fassung anzuwenden, sofern der Antrag bis zum 31. Dezember 2015 gestellt werde. Der Kläger habe den Antrag jedoch erst unter dem 22. August 2017 gestellt und sei auch erst am 1. Juli 2017 zum Leutnant der Reserve ernannt worden. Weitere Anspruchsgrundlagen seien vor dem Hintergrund der eindeutigen gesetzlichen Vorgaben nicht ersichtlich.
9Das hiergegen gerichtete Zulassungsvorbringen in dem fristgerechten Schriftsatz vom 27. Januar 2020 rechtfertigt nicht die Annahme ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
10Der Kläger trägt zunächst ohne Erfolg vor, das Verwaltungsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Zweck des Reserveroffizierzuschlags nach § 8h WSG a. F., die Attraktivität der Laufbahn der Reserveoffiziere im Truppendienst zu erhöhen, auch ohne (erweiternde) Einbeziehung der Soldaten auf Zeit erreicht werden könne. Die Vorschrift des § 8h Abs. 1 WSG a. F. hätte in diesem Fall keinen Anwendungsbereich. Weder Wehrpflichtige nach dem Wehrpflichtgesetz, noch freiwillig Wehrdienst Leistende nach § 58b SG, noch Reservisten nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes könnten die 24-monatige Ausbildung zum Reserveoffizier durchlaufen.
11Die Annahme des Klägers, nur Soldaten auf Zeit könnten Reserveoffizier im Truppendienst werden, trifft nicht zu. Die Ausbildung der Reserveoffizieranwärter im Truppendienst der Bundeswehr kann (und konnte) im Wehrdienst und außerhalb des Wehrdienstes stattfinden. Die Ausbildung im Wehrdienst ist bei einer Verpflichtung als Soldat auf Zeit von zwei oder drei Jahren möglich. Die Ausbildung außerhalb des Wehrdienstes (ROA a. d. W.) erfolgt im Rahmen von Reserveoffizierlehrgängen an den entsprechenden Ausbildungszentren der Bundeswehr. Diese Ausbildung ist auch nicht auf 24 Monate, sondern auf mehrere Jahre angelegt. Aktuell sind (maximal) fünf Module vorgesehen, die jeweils mit einer Prüfung, einschließlich der Reserveoffizierprüfung, enden.
12Vgl.www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/aktuelles/berufung-statt-beruf-der-reserveoffizier-273654; www.wikipedia, Stichwort Reserveoffizieranwärter, abgerufen am 4. Februar 2021.
13Die Möglichkeit, die Ausbildung zum Reserveoffizier außerhalb des Wehrdienstes zu durchlaufen, stand grundsätzlich auch schon den dem Wehrsoldgesetz unterfallenden freiwilligen Wehrdienst Leistenden nach § 58b SG und den Reservisten nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes offen. Die Soldatenlaufbahnverordnung in der Fassung der Bekanntgabe vom 19. August 2011 (BGBl I 2011, 1813) regelt in ihrem seit der Bekanntmachung unveränderten § 43 Abs. 2 unter welchen Voraussetzungen diese (auch) in § 1 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 4 SLV genannten Soldatinnen und Soldaten als Anwärterinnen oder Anwärter für die Laufbahn der Offiziere der Reserve des Truppendienstes zugelassen werden konnten und können. Vor dem Hintergrund, dass selbst dem Kläger als ehemaligen Soldaten auf Zeit die Möglichkeit, die Reserveoffizierausbildung außerhalb des Wehrdienstes zu durchlaufen, nicht präsent ist, wird der vom Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 8h WSG a. F. verbundene Zweck, gerade die Attraktivität dieser Ausbildung zu erhöhen, umso einsichtiger.
14Der Kläger dringt auch mit seinem Vortrag nicht durch, er habe – anders als vom Verwaltungsgericht mit dem Hinweis, ein Anspruch nach anderen Anspruchsgrundlagen bestehe nicht, angenommen und wie von ihm schon im erstinstanzlichen Verfahren eingehend begründet – einen Anspruch auf Zahlung des Reserveoffizierzuschlags nach den Grundsätzen der Selbstbindung i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG und Vertrauensschutzgesichtspunkten.
15Ausweislich der im erstinstanzlichen Verfahren von den Beteiligten vorgelegten internen Weisungen und Richtlinien der Bundeswehr erhielten zwar auch (dann ehemalige) Soldaten und Soldatinnen auf Zeit, die während des Wehrdiensts als Reserveoffizieranwärter zugelassen worden waren, nach ihrer Ernennung zum Leutnant der Reserve einen Reserveoffizierzuschlag in Höhe von zuletzt ebenfalls 1.500,00 Euro. Diese Verwaltungspraxis ist jedoch ab dem 1. November 2015 entfallen.
16Die Änderung der Verwaltungspraxis ist weder unter Gleichheits- noch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten zu beanstanden. Im Rahmen seiner Freiheit, Zuwendungen zu gewähren und wieder einzustellen, ist dem Staat ein weites Gestaltungsermessen eingeräumt. Art. 3 GG hindert daher die Verwaltung nicht, ihre ständige Verwaltungspraxis aus sachgerechten Erwägungen umzustellen und damit ihre Selbstbindung jederzeit für die Zukunft aufzuheben. Der Empfänger freiwillig gewährter Zuwendungen muss auch grundsätzlich damit rechnen, dass bei Eintritt grundlegender Änderungen der allgemeinen Rahmenbedingungen die Zuwendungen gekürzt oder eingestellt werden. Auch Ungleichheiten, die durch Stichtagsregelungen entstehen, müssen hingenommen werden, wenn die Einführung eines Stichtags notwendig und die Wahl des Zeitpunkts, orientiert am gegebenen Sachverhalt, sachlich vertretbar ist.
17Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 40 Rn. 124; Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 1. Januar 2021, § 40 Rn. 66 f.; grundlegend zu Subventionen: BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2006 – 5 C 10.05 –, juris, Leitsätze 1 bis 4.
18Gemessen hieran hat der Kläger auch unter Berücksichtigung seines Vortrags im erstinstanzlichen Verfahren keinen Anspruch auf die Auszahlung des freiwilligen Reserveoffizierzuschlags. Die Einstellung der Zahlungen an frühere Soldaten und Soldatinnen auf Zeit zum 1. November 2015 beruhte auch in zeitlicher Hinsicht auf einem den Anforderungen des Art. 3 GG entsprechenden sachlichen Grund, nämlich dem Wegfall des gesetzlichen Anspruchs nach § 8h WSG einschließlich der entsprechenden Haushaltsmittel ab diesem Zeitpunkt. Die Verwaltungspraxis zugunsten früherer Soldaten und Soldatinnen auf Zeit hat sich ersichtlich an dem gesetzlichen Anspruch für dem Wehrsoldgesetz unterfallende Soldaten und Soldatinnen orientiert mit der Folge, dass mit diesem auch die Grundlage für die freiwillig geleistete Begünstigung entfiel.
19Der Kläger kann keinen Vertrauensschutz geltend machen. Als von der Änderung der Verwaltungspraxis Betroffener kann er sich nur dann auf Vertrauensschutz berufen, wenn er (subjektiv) auf deren Fortbestand tatsächlich vertraut und dieses Vertrauen grundsätzlich auch ins Werk gesetzt hat (Vertrauensbetätigung). Objektiv muss das betätigte Vertrauen bei Abwägung der individuellen und öffentlichen Interessen schutzwürdig sein. Ohne eine Betätigung des Vertrauens fehlt es mangels nachteiliger Auswirkungen schon am Schutzbedürfnis und das Vertrauen ist nicht schutzwürdig. Das Vertrauen auf den künftigen Fortbestand einer Rechtslage ist nur unter besonderen Voraussetzungen in Ausnahmefällen schutzwürdig.
20Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 48 Rn. 136 ff. und 141 ff.; J. Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand 1. Januar 2021, § 48 Rn. 56 ff.
21Es kann hier offen bleiben, ob der Kläger, der angesichts der grundlegenden Änderung der Rechtslage zum gesetzlichen Reserveoffizierzuschlag damit rechnen musste, dass der freiwillige Reserveoffizierzuschlag für frühere Soldaten und Soldatinnen auf Zeit entfallen würde, tatsächlich auf den Fortbestand der Verwaltungspraxis vertraut hat oder schutzwürdig vertrauen konnte. Seinem Vortrag ist nämlich schon nicht zu entnehmen, dass er ein solches Vertrauen vor der Änderung der Verwaltungspraxis in schützenswerter Weise betätigt hätte, etwa, weil er im Hinblick auf die zukünftige Auszahlung des Zuschlags eine nicht mehr zumutbar rückgängig zu machende Vermögensdisposition oder eine ähnlich gewichtige und einschneidende sonstige Disposition getroffen hätte.
22Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Wegfall der Verwaltungspraxis zu einer für den Kläger nachteiligen echten Rückwirkung geführt hätte. Bei Gesetzen wird zwischen echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar ist, und unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig ist, unterschieden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingreift, während eine Rechtsnorm nur unechte Rückwirkung entfaltet, wenn sie auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet.
23Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 22. März 2018 – 7 C 30.15 –, juris, Rn. 35 m. w. N.
24Werden diese Maßstäbe zugunsten des Klägers auch für den vorliegenden Sachverhalt zugrunde gelegt, entfaltet die Änderung der Verwaltungspraxis für den Kläger allenfalls unechte Rückwirkung. Sie hat, auch wenn der Kläger die Ausbildung zum Reserveoffizier bereits während seines Wehrdienstes absolviert hatte, nicht in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen, sondern lediglich eine künftige Rechtsposition entwertet. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung des freiwilligen Reserveoffizierzuschlags ist nicht schon mit der Zulassung zu der Ausbildung zum Offizier der Reserve oder deren erfolgreichen Abschluss entstanden, sondern erst mit seiner späteren Ernennung zum Leutnant der Reserve, d. h. nach Beendigung des Wehrdienstes.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
27Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- SG § 58b Freiwilliger Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement 2x
- VwGO § 124a 2x
- WSG § 8h Zulage für Soldaten bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 7x
- 1 A 106/12 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 4 SLV 1x (nicht zugeordnet)
- WSG § 1 Allgemeine Vorschrift 3x
- VwGO § 124 2x
- § 31 USG 1x (nicht zugeordnet)