Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 600/21.NE
Tenor
Der sinngemäße Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 1 Abs. 2a und 2b der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur vom 23. April 2021 (GV. NRW. S. 439b), zuletzt geändert durch Art. 2 der Änderungsverordnung vom 30. April 2021 (GV. NRW. S. 424) – Coronabetreuungsverordnung (CoronaBetrVO) – vorläufig auszusetzen, wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Zur Begründung wird umfassend auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 22. April 2021 ‑ 13 B 559/21.NE ‑, abrufbar unter www.nrwe.de und bei juris, Bezug genommen. Die dort zu § 1 Abs. 2a Satz 1 und 2 der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Bereich der Betreuungsinfrastruktur vom 7. Januar 2021 (GV. NRW. S. 19b), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 16. April 2021 (GV. NRW. S. 410), ausgeführten Erwägungen gelten entsprechend für die im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelungen zur Testpflicht in der aktuell geltenden Coronabetreuungsverordnung. Das Vorbringen der Antragsteller gebietet keine abweichende Bewertung.
3Der Senat teilt zunächst die von den Antragstellern unter Bezugnahme auf den Beschluss des Amtsgerichts Weimar vom 8. April 2021 ‑ 9 F 148/21 ‑ angemeldeten Zweifel an der Aussagekraft der 7-Tages-Inzidenzen für das Infektionsgeschehen, die der Gesetzgeber ausweislich des § 28a Abs. 3 IfSG für die Entscheidung über Art und Umfang der erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen als in erster Linie maßgeblich erachtet, wie bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen ausgeführt wurde, nicht.
4Vgl. statt vieler z. B. Beschluss des Senats vom 22. Januar 2021 - 13 B 47/21.NE -, juris, Rn. 49 f.
5Auch der bereits erzielte Impffortschritt und eine Zunahme der Testaktivitäten gebietet es im gegenwärtigen Stadium der Pandemie nicht, Maßnahmen stattdessen (vorrangig oder allein) an der Anzahl der COVID-bedingten intensivstationären Neuaufnahmen auszurichten.
6Vgl. dazu, dass der Verordnungsgeber die Erforderlichkeit der streitigen Maßnahme nicht ausschließlich anhand der 7-Tages-Inzidenz, sondern insbesondere auch mit Blick auf die Versorgungssituation in den nordrhein-westfälischen Krankenhäusern beurteilt, die amtliche Begründung zur Coronabetreuungsverordnung vom 23. April 2021, S. 1 f., abrufbar unter https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/210427_begruendung_coronabetrvo_ab_23.04.21.pdf.
7Denn dies würde angesichts des Umstands, dass Infektionsschutzmaßnahmen erst mit Zeitverzug zu einem Absinken der Infektionszahlen führen, die Gefahr bergen, einer drohenden Überlastung der Intensivstationen zu spät gegensteuern zu können. Dem Argument, eine Überlastung der Intensivstationen durch COVID-19-Patienten drohe ohnehin nicht, die diesbezüglichen Zahlen des DIVI-Registers seien nicht aussagekräftig, weil Patienten bei Verlegungen doppelt berücksichtigt und asymptomatische Patienten nicht gesondert ausgewiesen würden, vermag der Senat nicht zu folgen. Selbst wenn danach in Einzelfällen auch Personen, die als „COVID-19-Intensivpatienten“ geführt werden, tatsächlich aus anderen Gründen auf der Intensivstation liegen und Patienten bei Verlegungen zwischenzeitlich doppelt in die Statistik einfließen können, kann daraus offensichtlich nicht abgeleitet werden, dass die ganz erhebliche Zunahme von intensiv- und namentlich beatmungspflichtigen Patienten mit COVID-19-spezifischen Krankheitssymptomen in Wahrheit gar nicht existiere. Für eine solche Annahme fehlt jeder greifbare Anhalt. Auch ist nicht zu beanstanden, dass bei der Berechnung der Kapazitäten der Intensivstationen nur Betten gezählt werden, für deren Nutzung das erforderliche Personal zur Verfügung steht.
8Entgegen der Auffassung der Antragsteller sind regelmäßig durchgeführte Coronaselbsttests in Schulen auch zur Eindämmung des Infektionsgeschehens voraussichtlich geeignet. Dies gilt trotz der u. a. angeführten hohen Quote falsch positiver Ergebnisse bei diesen Tests. Zum einen helfen die Tests ungeachtet dessen dabei, tatsächlich infizierte Schüler zu identifizieren. Zum anderen wird das Ergebnis bei positiv getesteten Schüler durch einen PCR-Test kontrolliert (vgl. § 13 CoronaTestQuarantäneVO), so dass zeitnah festgestellt wird, ob ein Schüler tatsächlich infiziert ist. Die mit einem falsch positiven Testergebnis verbundenen Belastungen sind für die getestete Person daher regelmäßig nur von kurzer Dauer und führen deshalb im Weiteren auch nicht zur Unangemessenheit der Maßnahme.
9Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 19. April 2021 ‑ 13 MN 192/21 ‑, juris, Rn. 55, 63.
10Für die Eignung der Maßnahme ist dabei auch nicht Voraussetzung, dass Schüler selbst häufig von schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung betroffen sind. Denn die Maßnahme zielt darauf ab, Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch eine Eindämmung des Infektionsgeschehens insgesamt zu schützen.
11Auch die weiterhin angegriffene Regelung in § 1 Abs. 2b Satz 2 CoronaBetrVO, wonach die wöchentlichen Selbsttests für die Schüler ausschließlich in der Schule unter der Aufsicht schulischen Personals stattfinden, ist voraussichtlich nicht zu beanstanden. Eine Selbsttestung von Schülern zuhause wäre kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Eindämmung des Infektionsgeschehens (vgl. Senatsbeschluss vom 22. April 2021, a. a. O., Rn. 79 bei juris). Hierin die Äußerung eines pauschalen Manipulationsverdachts gegenüber sämtlichen Eltern von Schulkindern zu sehen, liegt fern. Eine zentrale Durchführung in den Schulen unter Aufsicht der Lehrer bietet schlicht die höhere Gewähr dafür, dass die Schüler diese Tests in den erforderlichen Zeitabständen korrekt unter Aufsicht durchführen und zwar unabhängig davon, in welchem Maße sie von ihren Eltern hierbei zuhause Unterstützung erfahren. Ein Eingriff in die elterliche Sorge ist hierin nicht zu erkennen, zumal die Eltern ihre Kinder stattdessen bei einer Teststelle testen lassen können, wenn sie die durch das Testangebot in der Schule ermöglichte Entlastung von dem hiermit verbundenen organisatorischen Aufwand nicht wahrnehmen möchten. Allein dass die Testung in einem Testzentrum oder an einer der zahlreichen Schnellteststellen insbesondere bei mehreren schulpflichtigen Kindern in einer Familie, die an unterschiedlichen Tagen am Präsenzunterricht teilnehmen, unpraktisch sein mag, führt auch nicht zur Unzumutbarkeit dieser Alternative. Warum im Übrigen die korrekte Durchführung der bei einem Selbsttest vorzunehmenden überschaubaren Handlungsschritte Schülern unter Anleitung eines Lehrers nicht möglich sein sollte, zumal die Anwendung nunmehr regelmäßig erfolgt und damit zur Routine werden dürfte, erschließt sich dem Senat nicht. Auch ist nicht nachzuvollziehen, warum die Durchführung der Tests dazu führen sollte, dass die Ansteckungsgefahr unter den Schülern untereinander in einer Weise steigt, dass sie allein deswegen bei einem Infektionsfall in der Lerngruppe absonderungspflichtige Kontaktpersonen sind. Denn die Tests finden in den Gruppen statt, in denen die Schüler ohnehin gemeinsam unterrichtet werden. Bei der Durchführung des Tests muss die Maske allein für den kurzen Moment des Nasenabstrichs abgenommen werden. Hierdurch dürfte sich die Einschätzung, ob jemand absonderungspflichtige Kontaktperson eines infizierten Mitschülers ist, nicht ändern.
12Entgegen der Auffassung der Antragsteller besteht in Schulen auch eine erhebliche Verbreitungsgefahr, weil eine Vielzahl von Personen sich über lange Zeiträume gemeinsam in geschlossenen Räumen aufhält. Nachdem die Studienlage hierzu zwischenzeitlich uneinheitlich war,
13vgl. mit entsprechenden Nachweisen OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2021 - 13 B 47/21.NE -, juris, Rn. 62 ff.,
14hat sich insbesondere nach der wieder erfolgten Öffnung der Schulen trotz bestehender Hygienemaßnahmen dort eine Häufung des Infektionsgeschehens gezeigt.
15Vgl. z. B. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019, Stand 2. Mai 2021, S. 2, abrufbar unter
16https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Mai_2021/2021-05-02-de.pdf?__blob=publicationFile.
17Die Infektionszahlen sind zuletzt auch in der Gruppe der 0 bis 14-Jährigen deutlich gestiegen, dies zeigte sich insbesondere in der 16. Kalenderwoche.
18Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019, Stand 27. April 2021, S. 10, abrufbar unter
19https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Apr_2021/2021-04-27-de.pdf?__blob=publicationFile.
20Soweit die Antragsteller in diesem Zusammenhang eine Ungleichbehandlung von Schülern mit Kindern, die Kindertagesstätten besuchen, rügen, liegt hierin voraussichtlich kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar zeigte sich auch in Kindertageseinrichtungen eine Häufung des Infektionsgeschehens. Die Ungleichbehandlung ist aber voraussichtlich dadurch sachlich gerechtfertigt, dass ein Großteil der Kinder in Kindertagesstätten altersbedingt nicht dazu in der Lage sein dürfte, einen Coronaselbsttest eigenständig unter Aufsicht durchzuführen. Diese bedürfen vielmehr einer weitergehenden Hilfestellung, die durch das Personal in Kindertagesstätten kaum geleistet werden kann.
21Gleichheitsverstöße sind auch sonst nicht feststellbar. Soweit in Betrieben und Behörden keine Testpflicht gilt und die Teilnahme an den dort angebotenen Tests freiwillig ist, ist die dortige Situation schon wegen des besonderen Bewegungs- und Nähebedürfnisses von Kindern und Jugendlichen mit der in den Schulen nicht vergleichbar. Dass ferner der Verordnungsgeber insbesondere bei Lehrern und dem Schulverwaltungspersonal eine höhere Verlässlichkeit annimmt und es diesem Personenkreis deshalb ermöglicht, sich zuhause ohne Aufsicht selbst zu testen, erscheint bei pauschalierender Betrachtung unbedenklich und nicht zuletzt mit Blick auf die insofern bestehenden dienst- bzw. arbeitsrechtlichen Bindungen gerechtfertigt.
22Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bay. VerfGH, Entscheidung vom 21. April 2021 ‑ Vf. 26-VII-21 ‑, juris, Rn. 31.
23Auch dürfte in der Sache nicht zu beanstanden sein, dass Schulen nicht gemäß § 5 CoronaTestQuarantäneVO zu den Einrichtungen gehören, die gemäß § 6 CoronaTestQuarantäneVO ein einrichtungs- und unternehmensbezogenes Testkonzept erstellen müssen. Denn dies gilt gemäß § 6 CoronaTestQuarantäneVO nur für Einrichtungen, die von Coronaschnelltests Gebrauch machen. Hierbei handelt es sich gemäß § 1 Abs. 1 CoronaTestQuarantäneVO um PoC-Antigen-Tests im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 3 der Coronavirus-Testverordnung, d. h. Antigen-Tests zur patientennahen Anwendung durch Dritte, und nicht um die in Schulen zu nutzenden Antigen-Tests zur Eigenanwendung durch Laien.
24Soweit die Antragsteller schließlich darauf verweisen, sie seien – anders als vom Senat angenommen – nicht über den Distanzunterricht an das Unterrichtsgeschehen angebunden, da ein solcher im Rahmen des derzeit praktizierten Wechselunterrichts faktisch nicht stattfinde, führt dies nicht dazu, dass in der sog. Testpflicht ein Eingriff in das Recht der Eltern auf Erziehung und Bildung ihrer Kinder in der Schule (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW) und das entsprechende Recht ihrer Kinder (Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW) liegt. Auch für diesen Fall bleibt es dabei, dass es sich bei der Durchführung eines Selbsttests voraussichtlich um eine zumutbare Bedingung für die Teilnahme eines Schülers am Präsenzunterricht handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. April 2021, a. a. O., Rn. 101 ff. bei juris).
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Der Antrag zielt inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
26Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- § 1 Abs. 2b Satz 2 CoronaBetrVO 1x (nicht zugeordnet)
- 13 MN 192/21 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 159 1x
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 6 CoronaTestQuarantäneVO 2x (nicht zugeordnet)
- § 5 CoronaTestQuarantäneVO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 100 Kosten bei Streitgenossen 1x
- 13 B 559/21 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 1 CoronaTestQuarantäneVO 1x (nicht zugeordnet)
- § 28a Abs. 3 IfSG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 B 47/21 2x (nicht zugeordnet)
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