Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 2925/20
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 40.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die Beklagte stützt ihn auf die Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO. Keiner dieser Zulassungsgründe ist gegeben.
2I. Das Antragsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Hinsichtlich dieses Zulassungsgrundes bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO in substantiierter Weise darzulegen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn das Gericht schon auf Grund des Antragsvorbringens in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht.
3Die Beklagte zieht mit dem Zulassungsantrag (jedenfalls) nicht durchgreifend in Zweifel, dass der Bescheid schon infolge seiner formellen Rechtswidrigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben ist.
4Dabei stellt sie nicht in Frage, dass es sich - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - bei der Versetzung eines Beamten
5- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für beide Geschlechter -
6in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit um eine der Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten unterliegende personelle Maßnahme handelt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 LGG NRW unterstützt und berät die Gleichstellungsbeauftragte die Dienststelle und wirkt mit bei der Ausführung dieses Gesetzes sowie aller Vorschriften und Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann haben oder haben können. Ihre Mitwirkung bezieht sich nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LGG NRW insbesondere auf personelle Maßnahmen. Sie ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 LGG NRW frühzeitig über beabsichtigte Maßnahmen zu unterrichten und anzuhören; ihr ist gemäß § 18 Abs. 2 LGG NRW Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zu den personellen Maßnahmen, die der Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten unterliegen, zählt auch die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand. Dies gilt unabhängig davon, welchen Geschlechts dieser ist.
7Vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 24. Februar 2010 ‑ 6 A 1978/07 -, NWVBl 2010, 401 = juris Rn. 42 ff., und vom 3. Februar 2015 - 6 A 371/12 -, juris Rn. 47.
8Die Beklagte macht mit dem Zulassungsantrag erfolglos geltend, der danach mangels Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten im Streitfall vorliegende Verfahrensfehler sei gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich.
9Insoweit trifft es im Ausgangspunkt zu, dass die Nichtbeteiligung der Gleichstellungsbeauftragten keinen absoluten - die Anwendung des § 46 VwVfG NRW ausschließenden - Verfahrensfehler begründet. Dies ergibt sich schon aus § 18 Abs. 3 Satz 2 LGG NRW, wonach § 46 VwVfG NRW bei fehlender oder nicht rechtzeitiger Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten unberührt bleibt.
10Vgl. auch OVG, Urteil vom 1. August 2018 - 6 A 1994/16 -, juris Rn. 27 m. w. N.
11Die Voraussetzungen des § 46 VwVfG NRW liegen aber nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
12Eine von § 46 VwVfG NRW erfasste Verletzung hat die Entscheidung in der Sache dann nicht beeinflusst, wenn bei der gebotenen hypothetischen Beurteilung des behördlichen Verhaltens für den Fall der fehlerfreien Abwicklung des Verwaltungsverfahrens feststeht, dass die Sachentscheidung auch bei ordnungsgemäßem Verfahren nicht anders ausgefallen wäre. Ausgeschlossen ist die Annahme der Offensichtlichkeit, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2019 ‑ 1 B 1051/19 -, juris Rn. 104 m. w. N.
14Dem Zulassungsvorbringen ist nicht zu entnehmen, dass feststeht, dass die Sachentscheidung auch bei ordnungsgemäßem Verfahren nicht anders ausgefallen wäre. Dies kann sich nach dem Vortrag der Beklagten selbst nicht aus dem Umstand ergeben, dass es sich bei der Zurruhesetzung um eine gebundene Entscheidung handelt. Vielmehr geht die Beklagte selbst davon aus, dass ihr im Rahmen der Prüfung der Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung gemäß §§ 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BeamtStG - anwendbar in der zur Zeit des Erlasses der angegriffenen Verfügung und bis zum 6. Dezember 2018 geltenden Fassung vom 17. Juni 2008, BGBl. I S. 1010 - ein "Restermessen" zustand.
15Zur Frage des Ermessens auch in der ab dem 7. Dezember 2018 geltenden Fassung v. Roetteken in v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, 21. Update Juli 2021, Rn. 303 m. w. N.
16Die Beklagte macht statt dessen mit dem Zulassungsantrag (lediglich) geltend, es sei ausgeschlossen, dass sich die Gleichstellungsbeauftragte im Streitfall "zu Lasten" des Klägers geäußert hätte, denn sie hätte dann "ja gerade nicht in seinem Sinne gehandelt". Dem ist - unabhängig davon, ob die Beklagte damit zum Ausdruck bringen will, dass sich die Gleichstellungsbeauftragte nicht zugunsten eines Laufbahnwechsels, den der Kläger abgelehnt habe, oder aber nicht gegen seine Zurruhesetzung ausgesprochen hätte - nicht zu folgen. Dass die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand im Sinne des Klägers liegt, ist die Auffassung der Beklagten; der Kläger selbst bewertet die Maßnahme, wie die vorliegende Klage zeigt, indessen gegenteilig. Letzteres ist angesichts der finanziellen Nachteile, die für ihn mit dieser verbunden sind, auch nachvollziehbar. Abgesehen davon ist es ausgehend von ihren oben angeführten Aufgaben keineswegs Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten, jeweils die für den Beamten (vermeintlich) günstigste bzw. von ihm gewünschte Lösung zu befürworten.
17Greift das Zulassungsvorbringen bereits im Hinblick auf die Annahme der formellen Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides nicht durch, kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht darüber hinaus zu Recht davon ausgegangen ist, dieser sei auch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Nur angemerkt sei Folgendes: Zwar entspricht es einer zu §§ 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BeamtStG a.F. vielfach vertretenen Auffassung, dass der Dienstherr insoweit in die Entscheidung über die Möglichkeit anderweitiger Verwendung einstellen durfte, ob die für den Laufbahnwechsel erforderliche Unterweisungszeit noch in einem angemessenen Verhältnis zur verbleibenden Dienstzeit steht.
18Vgl. etwa OVG Nds., Urteil vom 9. März 2021 - 5 LC 174/18 -, IÖD 2021, 98 = juris Rn. 44; Bay. VGH, Beschluss vom 14. Februar 2018 - 3 ZB 16.1011 -, juris Rn. 11; Brockhaus in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht - Kommentar, 31. UPD Juli 2021, § 26 BeamtStG Rn. 94.
19Dem Senat erscheint es jedoch - mit dem Verwaltungsgericht - zumindest nicht frei von Zweifeln, dass die von der Beklagten hierzu angestellten Erwägungen beanstandungsfrei sind, insbesondere, dass die Beklagte ohne Vorliegen diesbezüglicher Anhaltspunkte einen vorzeitigen Ruhestandseintritt des Klägers zugrunde legen konnte.
20II. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Sache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen ebenfalls nicht vor. Dies ist zu verneinen, wenn - wie hier - im Hinblick auf die insoweit vorgetragenen Gründe ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung verneint worden sind.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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