Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 A 1144/21
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Minden wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 780.000,- EUR festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unzulässig. Er ist nicht fristgerecht gestellt worden (dazu 1.). Der Klägerin kann die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der von ihr versäumten Frist nicht gewährt werden (dazu 2.).
21. Die Klägerin hat den Antrag auf Zulassung der Berufung nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils gestellt (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO). Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Verwaltungsgerichts ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausweislich des von Herrn Rechtsanwalt C. abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnisses am 31. März 2021 zugestellt worden (vgl. § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 174 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 3 ZPO). Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags stellt zu Recht nicht in Frage, dass die erteilte Prozessvollmacht in Ermangelung entgegenstehender Anhaltspunkte für alle Angehörigen der Partnerschaft gilt.
3Vgl. zum Umfang der einer Sozietät erteilten Prozessvollmacht Czybulka/Siegel, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 92.
4Die Frist von einem Monat für die Stellung des Zulassungsantrags endete daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB mit Ablauf des 30. April 2021. Die Antragsschrift ist erst am 3. Mai 2021 und damit verspätet bei dem Verwaltungsgericht eingegangen.
52. Der Klägerin war nicht wegen der versäumten Frist für die Stellung des Zulassungsantrags die von ihr beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, weil sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Sie muss sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
6a) „Verschulden“ im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.
7So die ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. etwa Beschluss vom 26. Januar 2021 - 2 B 59.20 -, juris Rn. 3, m. w. N.
8Die Wahrung der prozessualen Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts bei Übernahme einer Prozessvertretung und ist von ihm eigenverantwortlich zu überwachen.
9Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Juni 2015 ‑ 10 BN 3.14 -, juris Rn. 6, und vom 28. Februar 2002 - 6 C 23.01 -, juris Rn. 6.
10Er muss deshalb den Betrieb der Anwaltskanzlei so organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen. Rechtsanwälte müssen Vorkehrungen treffen, die gewährleisten, dass Fristen richtig berechnet, zuverlässig eingetragen werden und der Fristenlauf überwacht wird. Hierfür müssen sie sicherstellen, dass der Zeitpunkt des Fristablaufs in einem Fristenkalender notiert und dies in der Handakte vermerkt wird.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 ‑ 2 B 6.08 -, juris Rn. 7.
12Rechtsanwälte müssen dabei auch gewährleisten, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird; hierzu bedarf es eines besonderen Vermerks, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist. Den für eine ordnungsgemäße Fristermittlung unerlässlichen Vermerk über den Zeitpunkt der Zustellung eines Urteils vermag ein Eingangsstempel des Anwaltsbüros auf dem zugestellten Urteil insbesondere im Falle der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nicht zu ersetzen, in dem Eingang in der Kanzlei und Entgegennahme durch den Rechtsanwalt zeitlich auseinanderfallen können. Um sicherzustellen, dass ein solcher Vermerk angefertigt wird und das maßgebende Datum zutreffend wiedergibt, darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung regelmäßig erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist.
13Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Juni 2011 ‑ 1 B 7.11 - juris Rn. 5, und vom 4. Februar 2013 ‑ 6 B 55.12 -, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 12. September 2019 - IX ZB 13/19 -, juris Rn. 13, jeweils m. w. N.
14Bescheinigt ein Rechtsanwalt den Empfang eines Urteils vor vollständiger Fristensicherung, erhöht sich damit die Gefahr, dass die Frist nicht notiert wird und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um der mit diesem Risiko verbundenen besonderen Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, genügen allgemeine Weisungen an das Büropersonal grundsätzlich nicht. Vielmehr muss der Rechtsanwalt in einem solchen Fall die notwendigen Maßnahmen zur Fristensicherung persönlich veranlassen und ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür treffen, dass entsprechende Einzelanweisungen zur nachträglichen Fristnotierung tatsächlich umgesetzt werden.
15Vgl. BSG, Beschluss vom 1. November 2017 ‑ B 14 AS 26/17 R -, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 13. Februar 2003 ‑ V ZR 422/02 -, juris Rn. 7 und 9; OVG NRW, Urteil vom 5. März 2018 ‑ 4 A 480/14 -, juris Rn. 31.
16b) Ausgehend vom Vorstehenden lässt sich dem Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht entnehmen, dass sie ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist für die Stellung des Zulassungsantrags gehindert gewesen wären.
17aa) Die Klägerin muss sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, handelnd durch Herrn Rechtsanwalt C. (vgl. § 7 Abs. 4 Sätze 1 und 2 PartGG), zurechnen lassen. Dieser hat das Empfangsbekenntnis über das zugesandte Urteil am 31. März 2021 ausgefüllt, signiert und der Kanzleimitarbeiterin Frau Köhn für die Rücksendung an das Verwaltungsgericht überlassen, ohne zuvor oder danach sichergestellt zu haben, dass die Zustellung vermerkt, die Rechtsmittelfrist in den Handakten festgehalten und die Frist im Fristenkalender notiert worden war. Auf dem Urteil ist lediglich der Eingangsstempel „31. März 2021“ aufgebracht worden, was den dargestellten Anforderungen nicht genügt. Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeführte allgemein bestehende Anweisung an ihr Kanzleipersonal, einen Ausdruck über die Abgabe von Empfangsbekenntnissen zur Akte zu nehmen bzw. zumindest einen entsprechenden Vermerk zu fertigen und in der Akte abzuheften, entlastet sie nicht. Dieses Vorbringen lässt schon nicht erkennen, wann und in welcher Weise in ihrer Kanzlei Rechtsmittelfristen im Zusammenhang mit der Abgabe von Empfangsbekenntnissen über die Zustellung fristauslösender Entscheidungen notiert werden sollen und welche organisatorischen Vorkehrungen einschließlich notwendiger Kontrollen getroffen worden sind, damit dies zuverlässig geschieht.
18Auch der Vortrag, dass die Fristversäumnis wesentlich auf eine weder von Herrn Rechtsanwalt M. noch von Herrn Rechtsanwalt C. zu vertretende technische Lücke im System des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches (beA) zurückzuführen sei, weil der sachbearbeitende Rechtsanwalt M. aus Anlass der Versendung des von ihm nach Rückkehr aus dem Urlaub am 6. April 2021 elektronisch signierten (weiteren) Empfangsbekenntnisses keine Fehlermeldung oder einen sonstigen Hinweis im System des beA erhalten habe, greift nicht durch. Denn die maßgebliche Ursache für die Fristversäumnis war nicht die Nutzung des elektronischen Kommunikationswegs, sondern der zeitlich davor liegende Umstand, dass Herr Rechtsanwalt C. das Empfangsbekenntnis signiert hatte, ohne für die Eintragung der Frist im Fristenkalender Sorge zu tragen. Wenn in derartigen Fällen künftig über das beA angezeigt wird, ob ein angefordertes elektronisches Empfangsbekenntnis bereits abgegeben wurde, und die Abgabe eines weiteren elektronischen Empfangsbekenntnisses systembedingt nicht (mehr) möglich sein wird,
19vgl. BRAK, beA-Newsletter, Ausgabe 9/2021, vom 2. September 2021,
20mag das eine sinnvolle zusätzliche Sicherung sein, entbindet den Rechtsanwalt aber nicht von der Pflicht, bei Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses die nötigen Vorkehrungen für die Notierung der Rechtsmittelfrist zu treffen.
21bb) Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist kausal für die Fristversäumnis. Hätte Herr Rechtsanwalt C. das Empfangsbekenntnis erst abgegeben, nachdem er die Eintragung eines Vermerks in die Handakten über den Zeitpunkt des Fristenablaufs und über die Eintragung der Frist in den Fristenkalender festgestellt hätte, hätte der zuständige Sachbearbeiter nach seiner Rückkehr die zutreffende Frist erkennen, überprüfen und beachten können. Gleiches gilt für den Fall, dass Herr Rechtsanwalt C. im Rahmen seiner besonderen Sorgfaltspflicht nach Signieren des Empfangsbekenntnisses eigene weitere Vorkehrungen getroffen hätte, um persönlich für eine Fristwahrung zu sorgen.
22cc) Da die Fristversäumnis auf eigenem Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruht und nicht auf einem solchen von Kanzleipersonal, kommt es auf die Ausführungen der Klägerin dazu nicht an.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
24Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 19.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und beträgt 10 % der geschätzten Herstellungskosten der streitgegenständlichen Windenergieanlagen.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 56 1x
- VwGO § 154 1x
- IX ZB 13/19 1x (nicht zugeordnet)
- 14 AS 26/17 1x (nicht zugeordnet)
- V ZR 422/02 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 480/14 1x (nicht zugeordnet)