Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 B 1374/21
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde des Antragstellers, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der vom Antragsteller dargelegten Gründe befindet, ist unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage gegen den Besitzeinweisungsbeschluss vom 14. Juni 2021 zu Recht abgelehnt, weil die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollzugsinteresse zu Lasten des Antragstellers ausfällt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
4I. Der angegriffene Besitzeinweisungsbeschluss erweist sich nach der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig.
51. Das Verwaltungsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Besitzeinweisungsbeschluss vom 14. Juni 2021 hinreichend bestimmt im Sinne des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW ist.
6Soweit der Antragsteller eine Unbestimmtheit darin sieht, dass der ihm zugestellten Ausfertigung des Besitzeinweisungsbeschlusses der von diesem in Bezug genommene Grunderwerbsplan (Maßstab 1:500), in dem nach den Ausführungen im Besitzeinweisungsbeschluss die vorübergehend in Anspruch zu nehmenden Flächen farblich markiert sind, ursprünglich nicht beigefügt gewesen ist, kann dahinstehen, ob - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat (Beschlussabdruck, S. 2 f.) - anhand des angegriffenen Besitzeinweisungsbeschlusses gleichwohl ohne weiteres erkennbar sei, welche Grundstücksflächen in Anspruch genommen werden sollen. Denn eine etwaig fehlende Bestimmtheit des Besitzeinweisungsbeschlusses ist jedenfalls im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hergestellt worden, indem die Antragsgegnerin- nach ihren unbestrittenen Angaben - dem Antragsteller den in Bezug genommenen Grunderwerbsplan mit am 27. Juli 2021 zugestelltem Schreiben übermittelt hat. Dass eine Behörde befugt ist, einen unvollständigen Bescheid auch noch im gerichtlichen Verfahren zu ergänzen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
7Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2006- 4 B 32.06 -, NVwZ-RR 2006, 589 = juris, Rn. 1, und Urteil vom 14. Dezember 1990 - 7 C 5.90 -,BVerwGE 87, 241 = juris, Rn. 25 ff.
82. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass - entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts - die materiellen Voraussetzungen für eine vorzeitige Besitzeinweisung auf Grundlage von § 18f Abs. 1 FStrG im Zeitpunkt des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses nicht vorgelegen haben.
9Nach Satz 1 dieser Vorschrift hat die Enteignungsbehörde den Träger der Straßenbaulast auf Antrag nach Feststellung des Plans oder Erteilung der Plangenehmigung in den Besitz einzuweisen, wenn der sofortige Beginn von Bauarbeiten geboten ist und sich der Eigentümer oder Besitzer weigert, den Besitz eines für die Straßenbaumaßnahme benötigten Grundstücks durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche zu überlassen. Gemäß Satz 2 müssen der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung vollziehbar sein. Weiterer Voraussetzungen bedarf es nicht (Satz 3).
10a) Anhand des Beschwerdevorbringens ist nicht dargelegt, dass der sofortige Beginn der Bauarbeiten nicht geboten ist.
11Dass der sofortige Beginn der Bauarbeiten im Sinne von § 18f Abs. 1 FStrG „geboten“ ist, setzt zum einen voraus, dass notwendige Vorarbeiten und Bauarbeiten auf dem betroffenen Grundstück nach dem Bauablaufplan des Straßenbaulastträgers unmittelbar bevorstehen, und dass keine erheblichen Hindernisse (etwa fehlende Bereitstellung von Haushaltsmitteln) für deren Realisierung vorliegen.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2010 - 11 B 1179/10 -, juris, Rn. 17, m. w. N.
13Darüber hinaus setzt das „Gebotensein“ im Sinne von § 18f Abs. 1 Satz 1 FStrG nach der ständigen Rechtsprechung des Senats voraus, dass das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Beginn der Ausführung des Vorhabens das Interesse des Betroffenen im Rahmen einer Abwägung nachweisbar überwiegt. Ein solches überwiegendes Interesse am sofortigen Beginn der Ausführung des Vorhabens ist regelmäßig indiziert, wenn es sich um ein Vorhaben handelt, für das vom Gesetzgeber ein vordringlicher Bedarf festgestellt und aus Sicht des Bundesgesetzgebers das Vorhaben daher besonders beschleunigungsbedürftig ist.
14Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 16. September 2010 - 11 B 1179/10 -, juris, Rn. 19 ff., und vom 6. Februar 2015 - 11 B 18/15 -, n. v., Beschlussabdruck, S. 3.
15Ausgehend davon stellt der Antragsteller zunächst nicht in Abrede, dass - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat (Beschlussabdruck, S. 5) - die streitgegenständlichen Grundstücksflächen u. a. für die Herstellung der Dammverbreiterung und von zwei Regenrückhaltebecken sowie für die Zwischenablagerung anfallender Bodenmassen benötigt werden. Auch wenn eine nach der ursprünglichen Planung ebenfalls für Anfang Juli 2021 vorgesehene Kampfmittelsondierung nach den Angaben der Beigeladenen nicht mehr erforderlich ist, sollen jedenfalls die vorgenannten Arbeiten ausweislich der Bauablaufplanung der Beigeladenen schon im Rahmen der voraussichtlich bis zum 7. September 2021 abgeschlossenen Bauphase 0 ab Juli 2021 beginnen und standen bei Erlass des Besitzeinweisungsbeschlusses am 14. Juni 2021 mithin unmittelbar bevor.
16Soweit der Antragsteller sinngemäß geltend macht, der unmittelbaren Durchführung dieser Arbeiten stehe entgegen, dass nach dem zwischen der Baufirma und der Vorhabenträgerin geschlossenen Vertrag der Zustand der angrenzenden Wege, Straßen und Gelände im Baubereich vor Beginn der Arbeiten gemäß § 3 Abs. 4 VOB/B festzuhalten und diese Voraussetzung bislang nicht erfüllt sei, handelt es sich um kein erhebliches Hindernis im Sinne der o. g. Senatsrechtsprechung. Die Zustandsfeststellung soll eine ordnungsgemäße Rückgabe der vom Auftragnehmer während der Bauarbeiten genutzten Flächen gewährleisten und steht daher im engen zeitlichen Zusammenhang zur Übergabe der Flächen an den Auftragnehmer, die ihrerseits nicht vor der vorzeitigen Einweisung der Beigeladenen in den Besitz an den Grundstücksflächen erfolgen kann. Sie wird als notwendige Vorarbeit nach der Besitzeinweisung durchgeführt und führt im Übrigen - wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat (Beschlussabdruck, S. 4 f.) - in Bezug auf die Durchführung der Bauarbeiten zu keiner wesentlichen Verzögerung.
17Ferner besteht ein überwiegendes Interesse am sofortigen Beginn der Ausführung des Vorhabens. Bei der vorliegend in Rede stehenden Erweiterung der B 54 auf vier Fahrstreifen handelt es sich um ein Vorhaben des vordringlichen Bedarfs (vgl. lfd. Nr. 968 der Anlage zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FStrAbG). Der davon ausgehendenIndizwirkung für ein überwiegendes Interesse am sofortigen Beginn der Ausführung des Vorhabens lässt sich mit Blick auf die vom Besitzeinweisungsbeschluss umfassten Grundstücksteilflächen - anders als der Antragsteller sinngemäß geltend macht - nicht entgegenhalten, dass diese „nur“ bauzeitlich in Anspruch genommen werden sollen. Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen die auf Grundlage des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses vorübergehend und dauerhaft in Anspruch zu nehmenden Flächen - deren Inanspruchnahme gleichermaßen der Realisierung des im vordringlichen Bedarf stehenden Vorhabens dient - eine unterschiedliche Bewertung erfahren sollten. Auf die zusätzliche Feststellung einer „Dringlichkeit“ des Gesamtvorhabens bzw. der in Rede stehenden einzelnen Maßnahmen kommt es danach vorliegend nicht an.
18Soweit der Antragsteller sich in diesem Zusammenhang gegen die konkret vorgesehenen Maßnahmen auf seinen Grundstücken wendet, insbesondere ausführt, dass bei einem Verzicht auf diese bzw. einer - im Rahmen der Gesamtrealisierung des Vorhabens - späteren Ausführung keine erheblichen Schäden oder Mehrkosten entstünden, kann er damit im vorläufigen Besitzeinweisungsverfahren nicht durchdringen. In der Sache macht er eine fehlerhafte Abwägung seiner Interessen als Grundstückseigentümer durch den die vorübergehende Inanspruchnahme seiner Grundstücke für diese Maßnahmen festlegenden - bestandskräftigen - Planfeststellungsbeschluss geltend. Diese Einwände wären indes durch den seinerzeitigen Eigentümer der Grundstücke im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens vorzubringen gewesen. Im Übrigen ist es nicht Sache des Antragstellers zu bestimmen, wie die Bauarbeiten abzulaufen haben.
19c) Die Einwände des Antragstellers gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, er habe sich geweigert, der Beigeladenen den Besitz an den in Rede stehenden Grundstücksteilen durch Vereinbarung zu überlassen (Beschlussabdruck, S. 6), rechtfertigen keine abweichende Bewertung. Die Beigeladene hat dem Antragsteller mit Schreiben vom 15. März 2021 zunächst eine Entschädigungsvereinbarung für die vorübergehende Inanspruchnahme der in Rede stehenden Grundstücksflächen mit einer vorgesehenen Gesamtentschädigungssumme in Höhe von 1.006,00 € übersandt sowie mit weiterem Schreiben vom 12. April 2021 alternativ den Abschluss eines Bauerlaubnisvertrags, der „weder Auswirkungen auf die bestehenden Eigentumsverhältnisse, noch auf die für Sie als Eigentümer bestehenden Rechte auf Entschädigung“ habe, vorgeschlagen. Hierauf hat der Antragsteller mit Schreiben vom 16. April 2021 mitgeteilt, dass er „derzeit keinerlei Verträge schließen werde“. Auch während des daraufhin eingeleiteten Besitzeinweisungsverfahrens, das mit dem streitgegenständlichen Besitzeinweisungsbeschluss vom 14. Juni 2021 abgeschlossen worden ist, hat der Antragsteller keine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Dem Protokoll der mündlichen Verhandlung im Besitzeinweisungsverfahren am 11. Juni 2021 ist vielmehr zu entnehmen, dass eine Einigung über die Modalitäten einer Baufreigabe nicht erzielt werden konnte; eine Baufreigabeerklärung sei dementsprechend nicht unterzeichnet worden. Dass in dem unmissverständlichen Verhalten des Antragstellers - nach seiner Ansicht - gleichwohl keine Weigerung zu sehen sein soll, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Wer nicht zustimmt, der weigert sich. Etwas Drittes gibt es nicht.
20Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21. Januar 2015 - 11 B 977/14 -, n. v., Beschlussabdruck, S. 12.
21Welche Motive der Antragsteller für seine Weigerung hatte - etwa die aus seiner Sicht unzureichende Gesamtentschädigungssumme, über die eine Verhandlung nicht möglich gewesen sei, oder die für ihn nicht sichergestellte Wiederherstellung seiner Grundstücksflächen nach Beendigung der Bauarbeiten - ist dabei ohne Bedeutung.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2013- 11 B 1170/13 -, n. v., Beschlussabdruck, S. 8.
23Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Planfeststellungsbeschluss, Gliederungspunkt 3.2.19.3., S. 75 f., eine die Interessen des Antragstellers schützende Regelung in Bezug auf die Wiederherstellung seiner vorübergehend in Anspruch genommenen Grundstücksflächen enthält.
24II. Es überwiegt auch nicht ausnahmsweise das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn Gründe, die - trotz der Anordnung in § 18f Abs. 6a FStrG - für ein ausnahmsweise gegebenes Überwiegen seines privaten Interesses sprechen, hat der Antragsteller weder dargelegt noch sind solche ersichtlich.
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, entspricht nicht der Billigkeit, da diese keinen förmlichen Antrag gestellt hat und damit kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
26Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
27Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- VwVfG § 37 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes; Rechtsbehelfsbelehrung 1x
- FStrG § 18f Vorzeitige Besitzeinweisung 4x
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- VwGO § 154 1x
- 11 B 1179/10 2x (nicht zugeordnet)
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