Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 A 1575/19
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung für die Erhöhung der zur Nachtzeit zugelassenen Betriebsleistung von zwei Windenergieanlagen.
3Die Klägerin betreibt nördlich von E. -O. den „Windpark O. “. Dieser besteht aus insgesamt vier Windenergieanlagen des Typs Enercon E‑70 E4 mit jeweils 98,2 m Nabenhöhe, 71 m Rotordurchmesser und 2.000 kW Nennleistung auf den Grundstücken Gemarkung O. , Flur 2, Flurstücke 81 (WEA 1), 79 (WEA 2), 83 (WEA 3) und 85 (WEA 4).
4Südlich des Windparks O. in einem Abstand ab ca. 790 m zu der nächstgelegenen Anlage WEA 4 befindet sich ein Wohngebiet, das der Durchführungsplan Nr. 22-01 „T. “ aus dem Jahr 1958 der damals selbstständigen Gemeinde O. als „Reines Wohngebiet“ festsetzt. Das reine Wohngebiet grenzt nördlich an die L.----straße D 17 („P. “) und erstreckt sich etwa 250 m weit in südliche Richtung entlang des nach Westen bogenförmig verlaufenden Straßenzuges „T1. “ bis einschließlich der (heutigen) Flurstücke 316 (T1. 25) und 105 (T1. 20). Außerhalb des Plangebiets setzt sich eine Wohnbebauung entlang des übrigen Teilstücks des T1. , der in die westlich gelegene Straße „T2.------weg “ mündet, sowie entlang des in Nord-Süd-Richtung verlaufenden T3.------wegs samt dessen Ausläufern fort. Nordwestlich des Plangebiets liegt an die L.----straße P1. angrenzend ein Friedhof (Flurstück 27) mit Kapelle (Flurstück 192), südlich hieran schließt sich zwischen dem Plangebiet und der entlang der Ostseite des T3.------wegs vorhandenen Wohnbebauung eine ca. 5.000 m² große Freifläche (Flurstücke 203, 246 und 279) an. Das festgesetzte reine Wohngebiet wie auch die westlich hiervon außerhalb des Plangebietes entstandene Bebauung sind von landwirtschaftlich genutzten Freiflächen mit zwei nordwestlich und nordöstlich an der L.----straße P1. gelegenen Hofstellen umgeben.
5Ausgehend von der im Flächennutzungsplan der Beigeladenen in der Fassung der 140. Änderung aus dem Jahr 2000 dargestellten Vorrangfläche für Windkraft - Teilfläche 1 „Nördlich von O. “ - setzt der am 10. November 2005 im Amtsblatt des Kreises M. (Seite 768) öffentlich bekanntgemachte Bebauungsplan Nr. 22‑07 „Windkraftanlagen O. “ der Beigeladenen ein „Sonstiges Sondergebiet für Windenergieanlagen und Flächen für die Landwirtschaft“ fest. Der räumliche Geltungsbereich entspricht im Wesentlichen der im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Vorrangfläche 1 „Nördlich von O. “. Laut der Planzeichnung legt der Bebauungsplan für die vier konkret ausgewiesenen Anlagenstandorte maximale Schallleistungspegel von 103 dB(A) tags und 99 dB(A) nachts fest. Nach der Planzeichenerklärung kommt ein Schallleistungspegel von 99 dB(A) nachts je Anlage nur bei Realisierung von vier Windenergieanlagen zum Tragen, bei der Realisierung von weniger als vier Windenergieanlagen sind je nach Anlagentyp und Anlagenzahl höhere Werte, maximal aber 103 dB(A) möglich. In den textlichen Festsetzungen heißt es unter „I. Planungsrechtliche Festsetzungen gem. § 9 Abs. 1 BauGB“ in Ziffer 11:
6„Bei Realisierung von 4 Windenergieanlagen ist ein nächtlicher Schallleistungspegel von max. 99.0 dB(A) einzuhalten.“
7Dieser Festsetzung liegt als Anlage zur Begründung des Bebauungsplans die „Schallvorprognose für die Errichtung von Windenergieanagen am Standort E. -O. “ des Ingenieurbüros für Energietechnik und Lärmschutz N. vom 22. März 2004 zu Grunde. Hiernach sei bei gleichzeitigem Betrieb von vier Anlagen an den ausgewiesenen Standorten und mit einem Schallleistungspegel jeweils von LwA = 103 dB(A) eine Belastung in Höhe von 37,7 dB(A) für den untersuchten Immissionsaufpunkt IP 1 („WR, B‑Plan 22‑01“; wohl auf dem Grundstück T1. 1) und von 38,9 dB(A) für den untersuchten Immissionsaufpunkt IP 2 („WA, T2.------weg “; wohl auf dem Grundstück P1. 58) zu erwarten. Bei schallreduziertem Betrieb mit LwA = 99 dB(A) betrage die Belastung 33,7 dB(A) am IP 1 und 34,9 dB(A) am IP 2.
8Für die Errichtung und den Betrieb der Windenergieanlagen WEA 1 und WEA 2 mit dem Anlagentyp Enercon E‑66/18.70 erteilte die Beigeladene der X. GmbH jeweils am 17. August 2004 Baugenehmigungen. Hinsichtlich der Anlagen WEA 3 und WEA 4 desselben Typs erteilte das ehemalige Staatliche Amt für Umwelt und Arbeitsschutz P2. -M. der G. & C. GbR am 15. Oktober 2004 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Der Anlagentyp E-66/18.70 wurde anschließend nie errichtet.
9Durch Bescheide jeweils vom 2. April 2007 erteilte die Bezirksregierung E. der X. GmbH und der G1. & C. GbR zwei immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigungen, wonach anstelle des Anlagentyps Enercon E‑66/18.70 der Anlagentyp Enercon E‑70 E4 errichtet und betrieben werden darf. Der Änderungsbescheid betreffend die Anlagen WEA 1 und WEA 2 (im Bescheid bezeichnet als WKA 1 und 2) erlaubt für diese ganzjährig (0.00 bis 24.00 Uhr) einen uneingeschränkten Betrieb mit der vollen Nennleistung von 2.000 kW. Der Änderungsbescheid für die Anlagen WEA 3 und WEA 4 (im Bescheid bezeichnet als WKA 3 und 5) erlaubt den Betrieb mit einer Leistung von 2.000 kW ganzjährig von 6.00 bis 22.00 Uhr und lässt während der Nachtzeit (22.00 bis 6.00 Uhr) nur eine schallreduzierte Betriebsweise mit einer Leistung von bis zu 1.000 kW zu. Für die Anlagen WEA 1 und WEA 2 wurden außerdem Befreiungen hinsichtlich des bauplanungsrechtlich festgesetzten nächtlichen Schallleistungspegels erteilt.
10Die Klägerin erwarb diese vier Anlagen von der X. GmbH sowie der G1. & C. GbR. Den „Bauherrenwechsel“ zeigten diese beiden Gesellschaften dem Beklagten jeweils mit Schreiben vom 1. Februar 2008 an.
11Mit Formularantrag vom 30. Januar 2014 beantragte der Geschäftsführer der E1. Windverwaltung GmbH - Komplementärgesellschafterin der Klägerin - beim Beklagten im Namen der Klägerin, die WEA 3 und WEA 4 (bezeichnet als WKA 3 und 5) auch zur Nachtzeit mit der vollen Nennleistung von 2.000 kW betreiben zu dürfen. Dem Genehmigungsantrag beigefügt war die „Schalltechnische Stellungnahme für den Windpark O. , Kreis M. , NRW“ der Ingenieure GmbH vom 8. April 2013. Danach seien bei einem Betrieb sämtlicher vier Windenergieanlagen unter Volllast an den untersuchten Immissionsorten IO 01 (T1. 1) und IO 02 (T1. 7) der infolge einer bestehenden Gemengelage zum Außenbereich maßgebliche Zwischenwert von 40 dB(A) nachts (höchster ermittelter Wert: 38 dB(A) an IO 01) eingehalten. Im Formularantrag wurde zur Bearbeitung von Rückfragen auf die E1. Windpark Planung GmbH - die frühere Klägerin - verwiesen. In dem unter dem Briefkopf der E1. Windpark Planung GmbH verfassten Begleitschreiben vom 30. Januar 2014 hieß es ebenfalls, dass der Antrag im Namen der Windpark O. GmbH & Co. KG, der jetzigen Klägerin, gestellt werde.
12Nachdem die Beigeladene die Erteilung ihres gemeindlichen Einvernehmens verweigert hatte, lehnte der Beklagte den Antrag mit an die frühere Klägerin, die E1. Windpark Planung GmbH, adressierten Bescheiden jeweils vom 23. Oktober 2014 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, ein Volllastbetrieb der Anlagen WEA 3 und WEA 4 verstoße wegen der damit einhergehenden höheren Lärmbelastung gegen die textliche Festsetzung I. 11 des Bebauungsplans Nr. 22‑07.
13Diese Ablehnungsbescheide waren Gegenstand der Klage der früheren Klägerin in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Minden 11 K 2807/14. Der Rechtsstreit wurde, nachdem das Verwaltungsgericht mit Hinweisverfügung vom 28. Januar 2016 Bedenken gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 22‑07 geäußert hatte, durch gerichtlichen Vergleich vom 13. Mai 2016 einvernehmlich beendet. Nach den Ziffern 1 und 3 dieses Vergleichs verpflichtete sich der Beklagte, seine Ablehnungsbescheide vom 23. Oktober 2014 aufzuheben und über den Änderungsantrag auf der Grundlage weiterer, gemäß Ziffer 2 noch von der früheren Klägerin vorzulegender schalltechnischer Gutachten sowie unter Beachtung der in der Hinweisverfügung dargelegten Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
14Am 24. Juni 2016 hob der Beklagte seine Ablehnungsbescheide vom 23. Oktober 2014 auf. Unter dem 6. Juli 2016 legte die frühere Klägerin dem Beklagten ein „Schalltechnisches Gutachten für den Betrieb des Windparks O. im Bundesland Nordrhein-Westfalen (4 x Enercon E‑70 E4 mit 2.000 kW Nennleistung)“ der Ingenieure GmbH vom 24. Juni 2016 vor. Die nach dem alternativen Verfahren gemäß DIN ISO 9613‑2 durchgeführte Prognoseberechnung gelangte zu dem Ergebnis, dass an den Immissionsorten IO 1 (T1. 1) und IO 2 (T1. 3) nachts ein Beurteilungspegel in Höhe von 38 dB(A) sowie an den übrigen, weiter südlich entlang des T1. gelegenen Immissionsorten IO 3 bis IO 15 solche in Höhe von jeweils 37 dB(A) nachts zu erwarten seien.
15Mit wiederum an die frühere Klägerin adressiertem Bescheid vom 17. November 2017 lehnte der Beklagte - nach abermaliger Verweigerung des Einvernehmens durch die Beigeladene - den Änderungsantrag erneut mit der Begründung ab, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es der textlichen Festsetzung I. 11 des Bebauungsplans Nr. 22‑07 widerspreche und auch eine Befreiung hiervon nicht erteilt werden könne. Die nächtlichen Immissionsrichtwerte für das reine Wohngebiet in O. in Höhe von 35 dB (A) würden bei einem uneingeschränkten Volllastbetrieb aller vier Anlagen ausweislich des schalltechnischen Gutachtens der T & H Ingenieure GmbH vom 24. Juni 2016 jedenfalls an den Immissionsorten IO 6 (T1. 9a) und IO 13 (T1. 21) überschritten. Für diese Grundstücke, die im inneren Bereich des Plangebietes gelegen seien, sei allenfalls ein Immissionsrichtwert von 36 dB(A) zulässig (S. 8 des Bescheides). Sollte der Bebauungsplan Nr. 22‑07 unwirksam sein, wäre das Vorhaben gleichwohl unzulässig, weil es schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt von Lärm hervorriefe.
16Am 23. November 2017 hat die frühere Klägerin (unter der Bezeichnung E1. X1. Planung GmbH; die korrekte Schreibweise wäre laut Handelsregister: E2. X1. Planung GmbH) hiergegen Klage erhoben. Sie hat zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen vorgetragen: Der begehrten Änderung stünden keine öffentlich-rechtlichen Belange entgegen. Der Bebauungsplan Nr. 22‑07 sei abwägungsfehlerhaft; dies könne noch gerügt werden. Auch drohten durch eine Erhöhung der Betriebsleistung keine schädlichen Umwelteinwirkungen. Der Immissionsrichtwert sei auch für die Wohnhäuser T1. 9a und 21 (Immissionsorte IO 6 und IO 13) zu erhöhen. Diese Grundstücke seien noch dem Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt, worauf es bei einer Gemengelage für die Zwischenwertbildung nach Maßgabe der TA Lärm entscheidend ankomme. Eine Erhöhung der Lärmrichtwerte sei dementsprechend auch dann geboten, wenn das betreffende Wohngebäude nicht am unmittelbaren Rand zum Außenbereich, sondern durch Bebauung abgeschirmt weiter zurückgesetzt liege. Die Grundstücke T1. 9a und 21 seien nur wenige Hundert Meter vom Außenbereich entfernt; überdies weise die durch freistehende Häuser gekennzeichnete Wohnbebauung eine aufgelockerte Bauweise auf, so dass der Übergang zum Außenbereich nur unwesentlich versperrt werde. Das planerisch festgesetzte reine Wohngebiet sei zudem verhältnismäßig klein. Es stelle eine „Außenbereichsinsel“ dar, so dass sämtliche in der Schallimmissionsprognose vom 24. Juni 2016 untersuchten Immissionsorte durch den umliegenden Außenbereich geprägt seien. Die inmitten des Plangebiets gelegenen Grünflächen stellten einen die Immissionsorte IO 6 und IO 13 unmittelbar prägenden Außenbereich im Innenbereich dar. Schließlich nähmen die ermittelten Beurteilungspegel beginnend an der Außenbereichsgrenze in südliche Richtung nicht mehr wesentlich ab mit der Folge, dass die nach Maßgabe der TA Lärm vorgegebene Bildung von Zwischenwerten bei einer hier vorliegenden Gemengelage faktisch leerliefe, wollte man für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 keine Erhöhung des Richtwerts bejahen.
17Die frühere Klägerin hat beantragt,
18den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides vom 17. November 2017 zu verpflichten, die beantragte Änderungsgenehmigung zu erteilen.
19Der Beklagte hat beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Er hat seinen angegriffenen Ablehnungsbescheid verteidigt.
22Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und im Wesentlichen angeführt: Die beantragte Änderung sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Die Zulassung eines Schallleistungspegels von mehr als 99 dB(A) verstoße gegen die textliche Festsetzung I. 11 des Bebauungsplans Nr. 22-07. Eine Befreiung könne hiervon nicht erteilt werden, denn eine Überschreitung zulässiger Lärmimmissionen in der Nachbarschaft sei nicht ausgeschlossen. Im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans drohten durch das Vorhaben jedenfalls schädliche Umwelteinwirkungen nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 sei kein Zwischenwert zu bilden; die betreffenden Grundstücke seien im inneren Bereich des reinen Wohngebietes gelegen und einem Einfluss des Außenbereichs entzogen.
23Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 13. März 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die beantragte Änderung der Betriebsweise der Anlagen WEA 3 und WEA 4 riefe schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Lärm für die Nachbarschaft hervor. Für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 (T1. 9a und T1. 21) sei der für ein reines Wohngebiet nach der TA Lärm geltende Richtwert von 35 dB (A) nachts zu Grunde zu legen, der aber ausweislich der vorliegenden Schallimmissionsprognose vom 24. Juni 2016 nicht eingehalten werde. Dieser Richtwert sei für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 nicht aufgrund einer Gemengelage zu erhöhen. Die Grundstücke T1. 9a und T1. 21 seien nicht unmittelbar an der Straße T1. und damit in erster oder zweiter Reihe zum Außenbereich gelegen, sondern stellten gleichsam eine „Hinterlandbebauung“ im rückwärtigen Bereich der Straße T1. dar. Sie seien auch in westliche Richtung von Wohnbebauung und nicht durch Außenbereichsflächen geprägt.
24Durch Beschluss vom 29. April 2021 hat der Senat die Berufung der früheren Klägerin zugelassen. Auf Anregung des Senats und mit Zustimmung der früheren Klägerin, des Beklagten und der Beigeladenen ist die aus dem Rubrum ersichtlich jetzige Klägerin bezüglich des Verpflichtungsbegehrens während des Berufungsverfahrens an die Stelle der früheren Klägerin getreten und führt das Verfahren insoweit fort. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Ablehnungsbescheid vom 17. November 2017 aufgehoben. Das nur das Anfechtungsbegehren betreffende Verfahren der früheren Klägerin hat der Senat durch Beschluss vom 20. April 2022 abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen 8 A 818/22 fortgeführt.
25Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin ergänzend zum erstinstanzlichen Vorbringen im Wesentlichen vor: Die für eine Zwischenwertbildung nach Maßgabe der TA Lärm vorhandene Gemengelage für die Grundstücke der Immissionsorte IO 6 und IO 13 (T1. 9a und 21) werde hier nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass sich diese Grundstücke nicht am Rande des Außenbereichs, sondern weiter zurückgesetzt befänden. Entscheidend sei vielmehr, dass sie noch dem Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt seien. In nördliche und südliche Richtung grenzten beide Grundstücke an außerhalb des Plangebietes liegende Grünflächen an, die keiner Wohnbebauung zugeführt werden könnten und als Außenbereich zu qualifizieren seien. Zumindest aber vermittelten diese Grünflächen einschließlich des Friedhofs einen untrennbaren Zusammenhang zu dem nördlich jenseits der L.----straße P1. gelegenen Außenbereich. Die Begrenzungsmauer des Friedhofs unterbreche den Bebauungszusammenhang optisch. Für eine Außenbereichsprägung sei nicht maßgeblich, aus welcher Himmelsrichtung der entsprechende Einfluss herrühre. Wäre für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 ein Immissionsrichtwert von nur 35 dB(A) nachts maßgeblich, käme zugleich eine gebotene Zwischenwertbildung für die in erster und zweiter Reihe an den Außenbereich grenzenden Wohngrundstücke nicht mehr zum Zuge. Auf diese Weise würden die unmittelbar an den Außenbereich angrenzenden Grundstücke in ungerechtfertigter Weise profitieren. Bei der Bestimmung des Zwischenwerts sei auch zu berücksichtigen, dass das sog. Interimsverfahren für Schallimmissionsprognosen bei Antragstellung im Jahre 2014 noch nicht entwickelt gewesen sei.
26Die Klägerin legt mehrere Schalltechnische Stellungnahmen der Ingenieure GmbH vor, die auf dem Interimsverfahren basieren und von einem Volllastbetrieb aller vier Windenergieanlagen ausgehen. Nach den Stellungnahmen vom 1. März 2022 und vom 14. März 2022 betragen die Beurteilungspegel zur Nachtzeit für den Immissionsort IO 6 (T1. 9a) 39,6 dB(A) und für IO 13 (T1. 21) 39,5 dB(A).
27Die Klägerin beantragt,
28unter entsprechender Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Minden vom 13. März 2019 den Beklagten gemäß den Anträgen der Klägerin vom 30. Januar 2014 zu verpflichten, die beantragte Änderungsgenehmigung betreffend die Erhöhung der ursprünglich genehmigten Schallleistung für die Windenergieanlagen 3 und 4 (= WKA 3 und WKA 5 der Genehmigung vom 2. April 2007) zu erteilen.
29Der Beklagte beantragt,
30die Berufung zurückzuweisen.
31Er verteidigt im Wesentlichen das angefochtene Urteil. Ergänzend weist er darauf hin, dass sich nach den Prognosen auf der Grundlage des Interimsverfahrens sogar um 2 dB erhöhte Beurteilungspegel im Vergleich zu den vorausgegangenen Berechnungen ergäben. Für die Immissionsorte IO 6 und IO 13 sei eine Zwischenwertbildung unzulässig, da sich die zugehörigen Grundstücke im rückwärtigen Bereich des T1. und nicht am Rande der bebauten Ortslage befänden. Eine Prägung durch den Außenbereich liege nicht vor. Westlich dieser Grundstücke seien entlang der Ostseite des T3.------wegs mit Ausnahme des Flurstücks 203 durchgehend Wohngebäude vorhanden. Die bisher unbebauten Grundstücke (Flurstücke 203, 246 und 279) stellten einer Bebauung zugängliche Baulücken dar. Auch schon aufgrund ihrer geringen Größe seien diese nicht als Außenbereich im Innenbereich zu qualifizieren.
32Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie führt ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vorbringen aus, die Grundstücke der Immissionsorte IO 6 und IO 13 seien nicht in relevanter Weise durch den Außenbereich geprägt. Die sich in westliche Richtung an das Plangebiet anschließende Bebauung bilde einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil. Weder der nordwestlich des Plangebietes gelegene Friedhof noch die Freiflächen im rückwärtigen Bereich der Wohnbebauung unterbrächen den Bebauungszusammenhang. Bei der unbebauten Fläche handele es sich um gärtnerisch genutzte Flächen zu der vorhandenen Wohnbebauung und lediglich eine Grünfläche. Das derzeit unbebaute Flurstück 203 stelle eine Baulücke dar, die ohne Weiteres noch durch eine Wohnbebauung geschlossen werden könne. Die rückwärtig der Wohnhäuser T1. 7 bis 13 befindlichen Flächen seien gärtnerisch genutzt und befänden sich noch innerhalb der planerisch festgesetzten überbaubaren Flächen. Die Wohnhäuser T1. 9a, 21 und P1. 48 prägten bereits die zweite Baureihe hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen. Bei Schließung aller vorhandenen Baulücken bliebe keine nennenswerte Freifläche mehr übrig, die sich als Außenbereich im Innenbereich qualifizieren ließe.
33Der Berichterstatter und die Vorsitzende haben die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Auf das Terminsprotokoll und die gefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.
34Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.
35Entscheidungsgründe:
36Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der Abtrennung des Anfechtungsbegehrens der früheren Klägerin nur noch das Verpflichtungsbegehren der jetzigen Klägerin auf Erteilung der beantragten Änderungsgenehmigung. Der mit Zustimmung der anderen Verfahrensbeteiligten erfolgte Parteiwechsel ist als subjektive Klageänderung nach den §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 91 Abs. 1 VwGO zulässig.
37Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klage auf Erteilung der begehrten Änderungsgenehmigung ist zulässig (dazu A.), aber unbegründet (dazu B.).
38A. Die Verpflichtungsklage der Klägerin nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO ist zulässig.
39I. Die Klägerin ist klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Sie macht einen eigenen Anspruch aus § 16 Abs. 1 BImSchG gegen den Beklagten auf Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung geltend, der nicht offensichtlich nach jedweder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist. Durch den Erwerb und den Betrieb des Windparks O. ist sie Betreiberin der Windenergieanlagen und Inhaberin der bislang für deren Errichtung und Betrieb erteilten (anlagenbezogenen) Genehmigungen geworden.
40Wie sich mittelbar aus § 52b Abs. 1 Satz 1 BImSchG ergibt, kann auch eine Personengesellschaft - wie hier die Klägerin als Kommanditgesellschaft - Anlagenbetreiberin sein.
41Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 25. April 1989 - 8 TH 4748/99 -, juris (Leitsatz) = GmbHR 1990, 85; Jarass, BImSchG, 13. Auflage 2020, § 3 Rn. 91, m. w. N.; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2021, § 5 BImSchG Rn. 30.
42II. Für die Klägerin besteht ein Rechtsschutzbedürfnis an der vorliegenden Verpflichtungsklage. Sie hat wirksam bei dem Beklagten die Erteilung der Änderungsgenehmigung beantragt.
43Der Genehmigungsantrag vom 30. Januar 2014 wurde, was sich bereits unzweifelhaft aus dem verwendeten Formularblatt ergibt, im Namen der ausdrücklich als Antragstellerin bezeichneten Klägerin gestellt. In dem zugehörigen Anschreiben vom gleichen Tag heißt es u. a.: „…im Namen der X1. O. GmbH & Co. KG beantragen wir hiermit die Änderung der Genehmigung…“.
44Das steht in Einklang mit § 2 Abs. 1 Satz 1 der 9. BImSchV. Hiernach ist die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen (Änderungs‑)Genehmigung stets von dem Träger des Vorhabens, regelmäßig also - wie vorliegend - dem Anlagenbetreiber zu beantragen.
45Vgl. Jarass, BImSchG, 13. Auflage 2020, § 10 Rn. 20, § 16 Rn. 45.
46Auch bestehen gegen eine ordnungsgemäße Vertretung der Klägerin keine Bedenken. Das bei dem Beklagten eingereichte Antragsformular vom 30. Januar 2014 ist von dem vertretungsberechtigten Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin, der E1. Windverwaltung GmbH, Herrn B. D. G2. Q. , eigenhändig unterschrieben und dabei mit dem Firmenstempel der Klägerin versehen.
47III. Das Erfordernis zur Einhaltung der Klagefrist nach § 74 VwGO, das durch die Vorschriften über die Klageänderung (§ 91 VwGO) nicht verdrängt wird,
48vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 -, juris Rn. 35 ff.; Peters/Kujath, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 91 Rn. 59,
49steht der Zulässigkeit der Klage der Klägerin ebenfalls nicht entgegen. Vorliegend setzte der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 17. November 2017 gegenüber der Klägerin keine Klagefrist in Lauf, weil er ihr gegenüber nicht bekanntgegeben worden ist.
50Die für Anfechtungsklagen geltende Fristbestimmung des § 74 Abs. 1 VwGO ist gemäß § 74 Abs. 2 VwGO für Verpflichtungsklagen entsprechend anwendbar, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt wurde. Ist - wie hier nach § 68 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 VwGO i. V. m. § 110 Abs. 1 Sätze 1 und 2 JustG NRW - kein Widerspruchsverfahren durchzuführen, setzt der Fristbeginn bei einer Verpflichtungsklage gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Bekanntgabe des ablehnenden Verwaltungsaktes voraus.
51Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Beteiligter in diesem Sinne ist der Antragsteller (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW) oder der Verfahrensbeteiligte, an den die Behörde ihre Entscheidung richten will (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NRW) und den sie aus Gründen der hinreichenden Bestimmtheit (vgl. § 37 Abs. 1 VwVfG NRW) auch als Adressat der getroffenen Regelung bezeichnen muss. Ist ein Adressat in dem Bescheid nicht aufgeführt, ist dieser nicht an die betreffende Person bekannt gegeben worden.
52Vgl. Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, 11. Auflage 2020, § 41 Rn. 12; Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Auflage 2014, § 41 Rn. 16 f., m. w. N.
53Für eine wirksame Bekanntgabe genügt nicht bereits die zufällige Kenntnisnahme des Bescheides oder der Umstand, dass der nicht adressierte Betroffene aus einem formell an eine andere Person gerichteten Verwaltungsakt erkennen kann, dass dieser in seinen Rechten betroffen wird.
54Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2014 - 2 B 1111/14 -, juris Rn. 9; Tiedemann, in: BeckOK, VwVfG, Stand: 1. Januar 2022, § 41 Rn. 4.
55Ausgehend hiervon wurde der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 17. November 2017 der Klägerin nicht bekanntgegeben. Der Bescheid war (irrtümlich) an die E1. X1. Planung GmbH (korrekte Schreibweise laut Handelsregister: E2. X1. Planung GmbH) adressiert; aus diesem Grund hat der Beklagte ihn mittlerweile aufgehoben. Die Klägerin war in diesem Bescheid nicht - auch nicht im Wege der Auslegung - als Adressatin benannt. Die E2. X1. Planung GmbH ist gesellschaftsrechtlich von der Klägerin getrennt. Der Bescheid ist der Klägerin auch nicht deswegen bekanntgegeben worden, weil davon auszugehen sein dürfte, dass der Geschäftsführer der E2. X1. Planung GmbH, der zugleich Geschäftsführer der E1. Windverwaltung GmbH - der Komplementärgesellschafterin der Klägerin - ist, von dem Bescheidinhalt Kenntnis erlangt hat.
56Auch wollte der Beklagte seinen Ablehnungsbescheid nicht an die E2. X1. Planung GmbH als Bevollmächtigte der Klägerin im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW bekannt geben. Der Bescheid weist allein die E2. X1. Planung GmbH als Inhaltsadressatin aus, während als empfangsberechtigter Bekanntgabeadressat ausschließlich deren Prozessbevollmächtigte aufgeführt sind. Weder aus dem Adressatenfeld noch dem sonstigen Inhalt des Bescheides lässt sich folgern, dass der Bescheid in Wahrheit an die Klägerin gerichtet gewesen sein sollte. Dies kann auch nicht schon aus dem Umstand abgeleitet werden, dass in der Sache das von der Klägerin zur Genehmigung gestellte Änderungsvorhaben beschieden wurde. Denn den hierauf gerichteten Genehmigungsantrag hat der Beklagte in seiner Begründung ausdrücklich als solchen der Bescheidadressatin - der E2. X1. Planung GmbH - bezeichnet. Dementsprechend ist der Fehler auch in den gerichtlichen Verfahren bislang unbemerkt geblieben.
57IV. Der Zulässigkeit der Verpflichtungsklage steht ferner nicht § 75 Satz 2 VwGO entgegen. Der Genehmigungsantrag wurde im Namen der Klägerin bereits im Jahr 2014 gestellt und seitdem ihr gegenüber noch nicht beschieden.
58V. Schließlich ist nichts für eine Verwirkung des Klagerechts ersichtlich. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten darauf, dass eine auf die Erteilung der Änderungsgenehmigung gerichtete Klage der Klägerin insoweit nicht mehr erhoben würde, besteht schon wegen der diesbezüglich anhängig gemachten Gerichtsverfahren nicht.
59B. Die Klage ist allerdings nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 16 Abs. 1 i. V. m. § 6 Abs. 1 BImSchG gegen den Beklagten auf Erteilung der beantragten Änderungsgenehmigung für das Vorhaben mit dem Ziel, neben den Anlagen WEA 1 und 2 nunmehr ebenfalls die Anlagen WEA 3 und 4 mit der vollen Nennleistung von 2.000 kW zur Nachtzeit betreiben zu dürfen. Die Änderung ist genehmigungsbedürftig (dazu I.). Der Erteilung der Genehmigung stehen zwar nicht die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 22-07 der Beigeladenen entgegen (dazu II.). Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Änderungsgenehmigung liegen aber deshalb nicht vor, weil der nächtliche Volllastbetrieb aller vier Anlagen zu unzumutbaren Lärmeinwirkungen jedenfalls auf den Grundstücken T1. 9a und 21 in O. führen würde (dazu III.).
60I. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BImSchG ist eine Genehmigung erforderlich für die Änderung (u. a.) des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können (wesentliche Änderung).
61Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Mit einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 m sind die Anlagen WEA 3 und 4 nach § 4 Abs. 1 BImSchG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 und Nr. 1.6 des Anhangs 1 der 4. BImSchV immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig. Durch die Leistungssteigerung während des Nachtbetriebs der Anlagen WEA 3 und 4 können ausweislich der vorgelegten Schallimmissionsprognosen schädliche und damit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erhebliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, nämlich erhöhte Lärmbelastungen für die umliegende Wohnnutzung, hervorgerufen werden. Dafür, dass ein leistungsoptimierter Nachtbetrieb der Anlagen WEA 3 und 4 lediglich solche nachteilige Auswirkungen verursachen könnte, die offensichtlich so gering wären, dass eine Änderungsgenehmigung entbehrlich wäre (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG), bestehen schon nach der zu dem Änderungsantrag eingereichten schalltechnischen Stellungnahme vom 8. April 2013 keine Anhaltspunkte.
62II. Dem zur Genehmigung gestellten Änderungsvorhaben der Klägerin stehen nicht schon andere öffentlich-rechtliche Vorschriften (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 Abs. 1 BauGB entgegen. Der leistungsoptimierte Nachtbetrieb der Anlagen WEA 3 und 4 ist nicht wegen der diesem widersprechenden Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 22-07 der Beigeladenen über das nächtliche Emissionsverhalten unzulässig. Die textliche Festsetzung I. 11 sowie die erläuternde Planzeichenerklärung des Bebauungsplans Nr. 22‑07, die bei - hier vorliegender - „Realisierung“, d. h. spätestens ab Errichtung und Inbetriebnahme von vier Windenergieanlagen die Einhaltung eines Schallleistungspegels von max. 99 dB(A) nachts vorgeben, sind unwirksam. Der Bebauungsplan leidet insoweit an einem verfahrensrechtlichen Fehler im Abwägungsvorgang i. S. v. § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB i. V. m. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Baugesetzbuchs vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414; im Folgenden: BauGB a. F.) (dazu 1.). Dieser Fehler ist grundsätzlich beachtlich (dazu 2.) und nicht gemäß § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB a. F. durch rügelosen Fristablauf unbeachtlich geworden (dazu 3.).
631. Gemäß § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB sind abweichend von § 233 Abs. 2 Satz 1 BauGB für vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung in Kraft getretene Flächennutzungspläne und - wie hier nach § 10 Abs. 1 BauGB - Satzungen die vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung geltenden Vorschriften über die Geltendmachung der Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, von Mängeln der Abwägung und von sonstigen Vorschriften einschließlich ihrer Fristen weiterhin anzuwenden. Für den Bebauungsplan Nr. 22‑07 gelten demnach die §§ 214 ff. des Baugesetzbuches in der bis zum 31. Dezember 2006 gültigen Fassung vom 23. September 2004. Denn in Kraft getreten ist diese Satzung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB unveränderter Fassung mit ihrer Bekanntmachung, für die der Erscheinungstag des Publikationsorgans maßgeblich ist, in dem die Tatsache des Beschlusses veröffentlicht wird.
64Vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Auflage 2022, § 10 Rn. 48.
65Dies ist hier der 10. November 2005 als derjenige Tag, an dem der Beschluss im Amtsblatt des Kreises M. veröffentlicht wurde.
66Nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F. ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzbuchs für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach diesem Gesetzbuch nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB (a. F.) die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist.
67Ein solcher Verfahrensfehler im Abwägungsvorgang liegt hier vor. Bei der textlichen Festsetzung I. 11 sowie der erläuternden Planzeichenerklärung des Bebauungsplans Nr. 22‑07, die bei „Realisierung“ von vier Windenergieanlagen die Einhaltung eines Schallleistungspegels von max. 99 dB(A) nachts vorgeben, hat die Beigeladene die Belange gesunder Wohnverhältnisse im reinen Wohngebiet am T1. in O. nicht zutreffend bewertet. Sie hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass der für ein reines Wohngebiet grundsätzlich geltende, der TA Lärm entnommene Immissionsrichtwert von 35 dB(A) nachts nach den Vorgaben der TA Lärm in dem hier vorliegenden Fall, dass ein reines Wohngebiet unmittelbar an den Außenbereich angrenzt, für einzelfallbezogen näher zu bestimmende Bereiche des Wohngebiets hätte erhöht werden müssen.
68Die bauleitplanerische Bestimmung eines Lärmemissionsgrenzwerts für die innerhalb des Sondergebiets ausgewiesenen vier Windenergieanlagenstandorte ist grundsätzlich eine gesetzlich zulässige Festsetzung. Zwar findet diese ihre rechtliche Grundlage nicht in § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB. Denn Emissions- oder Immissionswerte sind keine besondere Anlagen oder Vorkehrungen im Sinne dieser Bestimmung, sondern stellen lediglich eine - nach § 9 Abs. 1 BauGB nicht festsetzbare - Zielvorstellung zum Zwecke des Immissionsschutzes dar.
69Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 - 4 C 52.87 -, juris Rn. 16, und Beschluss vom 18. Dezember 1990 - 4 N 6.88 -, juris Rn. 15, m. w. N.; Nds. OVG, Urteil vom 25. September 2003 - 1 LC 276/02 -, juris Rn. 51.
70Emissionsgrenzwerte für ein Sondergebiet können dem Grunde nach aber auf § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i. V. m § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO gestützt werden. In einem auf der Grundlage des § 11 BauNVO festgesetzten Sondergebiet kann die Gemeinde über die Möglichkeiten hinaus, die § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO geregelten Gebietstypen mit Blick auf die Art der Betriebe und Anlagen sowie deren besondere Bedürfnisse und Eigenschaften eröffnet, die Art der zulässigen Nutzung konkretisieren und hierzu die Merkmale festlegen, deren Einhaltung ihr zur Erreichung eines festgelegten Planziels am besten geeignet erscheint. Dazu zählen insbesondere auch Festsetzungen über das Emissionsverhalten zugelassener Vorhaben, um auf diese Weise eine gebietsadäquate Nutzung unter angemessener Rücksichtnahme auf anderweitige schutzbedürftige Nutzungen vorsorglich zu steuern.
71Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2002 - 4 CN 5.01 -, juris Rn. 21, m. w. N., und vom 14. April 1989 - 4 C 52.87 -, juris Rn. 16, sowie Beschluss vom 2. Oktober 2013 - 4 BN 10.13 -, juris Rn. 7; OVG NRW, Urteile vom 30. Januar 2018 - 2 D 102/14.NE -, juris Rn. 156, und vom 15. Oktober 1992 - 7a D 80/91.NE -, juris Rn. 23; Nds. OVG, Urteil vom 29. Januar 2004 - 1 KN 321/02 -, juris Rn. 66.
72Vorliegend beruht die Festsetzung des Emissionsgrenzwerts jedoch auf einer fehlerhaften Ermittlung des Abwägungsmaterials (dazu a). Dieser Fehler betrifft einen wesentlichen Punkt (dazu b).
73a) Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dazu sind auf verfahrensrechtlicher Ebene die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten, § 2 Abs. 3 BauGB.
74Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet, oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, ferner, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht.
75Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - 4 C 105.66 -, juris Rn. 29.
76Der bauplanerisch festgelegte Grenzwert von 99 dB(A) nachts stellt sich gemessen hieran als abwägungsfehlerhaft dar, weil seine Bestimmung auf eine unzutreffende, den Belangen gesunder Wohnverhältnisse zu starkes Gewicht beimessende Bewertung durch die Beigeladene zurückgeht.
77Den tragenden Beweggrund für diese Festsetzung bildet nach der vorangestellten Aufzählung sämtlicher berücksichtigter Belange auf S. 4 der Planbegründung ersichtlich die Zielsetzung, die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu wahren. Diesem nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB städtebaulich relevanten Belang maß die Beigeladene, wie sich den Ausführungen auf S. 12 f. der Planbegründung entnehmen lässt, besondere Bedeutung im Hinblick auf das Plangebiet südlich der Windvorrangzone entlang des Straßenzuges T1. zu. Die Festsetzung dieses Bereichs als „Reines Wohngebiet“ erfolgte in dem Durchführungsplan Nr. 22‑01 der damals selbstständigen Gemeinde O. aus dem Jahr 1958, der nach den Überleitungsvorschriften in § 233 Abs. 3 BauGB und § 173 Abs. 3 BBauG als Bebauungsplan fortgilt. In Anbetracht dieser bauplanerisch entwickelten Wohnbebauung erkannte die Beigeladene den in Nr. 6.1 Buchstabe e TA Lärm 1998 (jetzt: Nr. 6.1 Buchstabe f TA Lärm 2017) für reine Wohngebiete vorgegebenen Immissionsrichtwert von 35 dB(A) nachts als „den begrenzenden Faktor“ für die Wahrung immissionsschutzrechtlicher Anforderungen bei der Ausnutzung des geplanten Sondergebiets, so dass entweder nur weniger als vier Anlagen innerhalb der flächennutzungsplanerisch ausgewiesenen Windvorrangzone zu realisieren seien oder aber bei vier zeitgleich betriebenen Anlagen ein schallreduzierter Betrieb zur Nachtzeit eingehalten werden müsse.
78Zweifel an der wirksamen Einordnung des Plangebiets als reines Wohngebiet im Sinne des nach heutiger Rechtslage maßgeblichen Begriffsverständnisses haben die Beteiligten nicht geltend gemacht. Auch von Amts wegen drängen sich insoweit keine durchgreifenden Bedenken auf. Der auf der Grundlage der §§ 5 Abs. 2, 10 und 11 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Maßnahmen zum Aufbau in den Gemeinden (Aufbaugesetz) vom 29. April 1950 (GV. NW S. 78) in der Fassung des Gesetzes vom 29. April 1952 (GV. NW S. 75) erlassene Durchführungsplan ist nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahr 1960 nach Maßgabe von § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG als qualifizierter Bebauungsplan übergeleitet worden. Er enthält verbindliche Regelungen der in § 9 BBauG bezeichneten Art, die nach geltendem Recht Inhalt eines Bebauungsplans sein können.
79Zu den Voraussetzungen der Überleitung vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. Juni 2003 - 10 A 372/00 - , juris Rn. 33 ff. mit Nachw. zur Rspr. des BVerwG.
80Auch wenn die Baunutzungsverordnung oder eine gleichlautende Regelung bei Erlass des Durchführungsplans Nr. 22-01 im Jahr 1958 noch nicht in Kraft war, ergibt sich aus der Erläuterung des Plans vom 11. April 1958, die sich ausschließlich zu der Errichtung von Wohnhäusern verhält, dass das Plangebiet der Sache nach auch nach heutigem Verständnis einem reinen Wohngebiet entspricht.
81Die hiernach von der Beigeladenen ihrer Bauleitplanung zu Grunde gelegte Maßgabe, es müsse ein Immissionsrichtwert von höchstens 35 dB(A) nachts mit Blick auf das (gesamte) reine Wohngebiet sichergestellt werden, ist allerdings schon im Ansatz rechtlich unzutreffend. Sie lässt außer Betracht, dass - wie unten noch näher ausgeführt wird - in entsprechender Anwendung von Nr. 6.7 TA Lärm 1998/2017 zumindest für nicht unerhebliche Teile des festgesetzten reinen Wohngebiets eine Gemengelage zu dem das Plangebiet weiträumig umgebenden Außenbereich gegeben ist, die es rechtfertigt und gebietet, die für ein reines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert zu erhöhen.
82Nach Nr. 6.7 TA Lärm 1998/2017 ist für die Wohngrundstücke, die südlich der Windenergieanlagen unmittelbar am Rande des Außenbereichs gelegen sind, ein Zwischenwert zu bilden, welcher der Eigenart des an die Wohnbebauung angrenzenden Außenbereichs und der dort vorgesehenen privilegierten Zulässigkeit von Windkraftanlagen Rechnung trägt. Dabei können nach der Rechtsprechung einem im reinen Wohngebiet unmittelbar am Rande des Außenbereichs gelegenen Wohnhaus - in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls - bis zu 5 dB(A) höhere Lärmimmissionen zugemutet werden.
83Vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 -, juris Rn. 55, und vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -, juris Rn. 28; zu entsprechenden Entscheidungen von Obergerichten siehe unten.
84Weitergehend kann sogar für Wohngrundstücke, die nicht unmittelbar am Rande des Außenbereichs, sondern - abgeschirmt durch Bebauung - weiter zurückgesetzt liegen, noch eine Erhöhung der für Wohngebiete maßgeblichen Richtwerte um (jedenfalls) 3 dB(A) angemessen sein, sofern Grundstücke gleichsam „in zweiter Reihe“ noch dem prägenden Einfluss des Außenbereich ausgesetzt sind.
85Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2018 - 8 B 736/17 -, juris Rn. 69 ff., vom 29. Juni 2017 - 8 B 187/17 -, juris Rn. 25, und vom 29. Januar 2013 - 8 A 2016/11 -, juris Rn. 16; Nds. OVG, Urteil vom 12. Mai 2015 - 1 KN 238/13 -, juris Rn. 41.
86Dementsprechend hätte die Beigeladene im Rahmen ihrer Bauleitplanung zwingend in den Blick nehmen müssen, dass für eine nicht unerhebliche Zahl von Wohngrundstücken, die sich am nördlichen Rand des reinen Wohngebiets (T1. 1) sowie an der Ost- und Südseite des T1. in unmittelbarer Randlage zum Außenbereich befinden, ein (deutlich) erhöhter Immissionsrichtwert von bis zu 40 dB(A) gelten kann. Des Weiteren wäre auch in Erwägung zu ziehen gewesen, inwiefern die übrige an der West- und Nordseite entlang des T1. vorhandene Wohnbebauung, wenn auch abgeschirmt durch die „erste Reihe“, gleichwohl noch einem prägenden Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt sind und auch insoweit ein der Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich angemessen Rechnung tragender Zwischenwert geboten ist. Dass die Beigeladene stattdessen jedoch einen Richtwert von nur 35 dB(A) nachts für das gesamte Plangebiet als rechtlich verbindliche Leitlinie für das Ziel des Immissionsschutzes erachtet hat, führt dazu, dass der insoweit in die Abwägung eingestellte städtebauliche Belang gesunder Wohnverhältnisse in Ermangelung einer auf die konkreten örtlichen Verhältnisse abstellenden Ermittlung des jeweiligen Schutzbedürfnisses (zu den Anforderungen vgl. nachfolgend unter III.) fehlerhaft ermittelt und entgegen seiner objektiven Gewichtung fehlerhaft (über)bewertet wurde.
87Dabei konnte das Vorliegen einer Gemengelage nicht, wie sich aus den Ausführungen auf S. 11 des Abwägungsvorschlags zur Offenlage ergibt, allein mit dem Hinweis darauf verneint werden, dass das planerische reine Wohngebiet am T1. deutlich vor Ausweisung der Vorrangfläche für die Windenergienutzung existierte. Die zeitliche Priorität unverträglicher Nutzungen kann nach Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm 1998/2017 wesentliches Kriterium für die Höhe des zu bildenden Zwischenwerts nach der konkreten Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebiets sein. Das Bestehen einer Gemengelage an sich, die hier mit Blick auf den an das Plangebiet angrenzenden Außenbereich und dort nach § 35 BauGB privilegiert zulässige emissionsträchtige Vorhaben (einschließlich solcher zur Nutzung der Windenergie) besteht, wird hingegen durch das Vorhandensein von Wohnnutzung nicht ausgeschlossen, sondern begründet. Insoweit ist auch nicht maßgeblich, dass die Wohnnutzung südlich des Windparks O. „nicht unmittelbar an die Vorrangfläche grenzt“. Entscheidend ist vielmehr, dass die Wohnnutzung zumindest teilweise unmittelbar an den Außenbereich grenzt, in dem - mit oder ohne Vorrangflächen - lärmintensive Vorhaben privilegiert zulässig sein können. Dabei wären Windenergieanlagen wegen ihrer Größe und ihres Emissionsverhaltens ohnehin nicht in direkter Nachbarschaft zu einer Wohnbebauung genehmigungsfähig, so dass auch die entsprechende Ausweisung einer Vorrangzone keinen Bestand haben könnte. Im Übrigen verhalten sich diese Erwägungen der Beigeladenen widersprüchlich zu dem Abwägungsvorschlag zur frühzeitigen Beteiligung (Stand: März 2004). Denn hier führt die Beigeladene (wiederholt und zutreffend) aus, dass auf eine „Unveränderbarkeit“ des Außenbereichs kein Anspruch zu Gunsten der hieran grenzenden Wohnnutzung bestehe (vgl. dort beispielhaft Seiten 14, 15, 19, 23 und 25); gerade diese Lage einer Wohnbebauung und der hierdurch hervorgerufene Nutzungskonflikt mit dem Außenbereich als solchem ist ausschlaggebend für das Vorliegen einer Gemengelage.
88Fehlerhaft ist die Festsetzung des nächtlichen Pegels von 99 dB(A) auch deshalb, weil sie über das selbst gesetzte Planziel hinausgeht. Das der Festsetzung zugrunde gelegte Abwägungsmaterial trägt diese nicht. Denn der Grenzwert von 99 dB(A) bei vier Anlagen führt nach der Prognose als Anlage zum Bebauungsplan Nr. 22‑07 zu einer (deutlichen) Unterschreitung des angestrebten Richtwerts von 35 dB(A), nämlich zu (nur) 33,7 dB(A). Bei welchem Schallleistungspegel der angestrebte Immissionsrichtwert (noch) eingehalten würde, hat die Beigeladene nicht ermittelt.
89b) Die von der Beigeladenen bei ihrer Abwägung berücksichtigten Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse betreffen Belange, die in wesentlichen Punkten i. S. v. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F. unvollständig ermittelt und nicht zutreffend bewertet worden sind.
90Von der Planung berührte, durch die Gemeinde nicht zutreffend ermittelte oder bewertete Belange betreffen bereits dann „wesentliche Punkte“, wenn diese Punkte in der konkreten Planungssituation abwägungsbeachtlich waren.
91Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 - 4 CN 1.07 -, juris Rn. 19.
92Dies ist hier der Fall. Die Einhaltung der nächtlichen Lärmrichtwerte mit Blick auf die einem reinen Wohngebiet zugeordnete Wohnnutzung am Rande zum Außenbereich war bei der Aufstellung eines Bebauungsplans für ein Vorranggebiet zur Windenergienutzung abwägungsbeachtlich.
93Die auf der Grundlage des prognostizierten Immissionswertes von 33,7 dB(A) überschießende Umsetzung geht zu Lasten des durch die Darstellung einer Vorrangfläche im Flächennutzungsplan grundsätzlich privilegierten Interesses an der Windenergienutzung, das ebenfalls als abwägungserheblicher Belang zu berücksichtigen gewesen wäre.
942. Diese unter Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB erfolgte unzutreffende Bewertung ist eine gemäß § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB i. V. m. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F. für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans beachtliche Verletzung einer Verfahrensvorschrift. Der Mangel ist offensichtlich (dazu a) und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen (dazu b).
95a) Der Mangel ist im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F. offensichtlich. Beachtlich ist danach alles das, was zur „äußeren“ Seite des Abwägungsvorgangs derart gehört, dass es auf objektiv erfassbaren Sachumständen beruht. Fehler und Irrtümer, die z. B. die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials, die Erkenntnis und Einstellung aller wesentlichen Belange in die Abwägung oder die Gewichtung der Belange betreffen und die sich etwa aus Akten, Protokollen, aus der Entwurfs- oder Planbegründung oder aus sonstigen Unterlagen ergeben, sind danach „offensichtlich“.
96Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 57.80 -, juris Rn. 24 (zu § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG); Uechtritz, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand: 1. Januar 2022, § 214 Rn. 27.
97So liegt der Fall hier. Die unvollständige Ermittlung und unzutreffende Bewertung der immissionsschutzrechtlichen Schutzbedürftigkeit der Wohnbebauung, wie sie vorstehend dargelegt ist, ergibt sich - wie oben ebenfalls dargelegt - offenkundig aus der Planbegründung. Ebenso lässt sich dieser Verfahrensfehler aus der als Anlage zur Begründung des Bebauungsplans vorliegenden Schallvorprognose vom 22. März 2004 entnehmen, in der ebenfalls für das reine Wohngebiet (nur) ein einheitlicher nächtlicher Immissionsrichtwert von 35 dB(A) in Ansatz gebracht ist.
98b) Auch ist die unzutreffende Ermittlung und Bewertung auf das Ergebnis des Abwägungsvorgangs von Einfluss gewesen i. S. v. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB a. F. Das Tatbestandsmerkmal „von Einfluss gewesen ist“ liegt dann vor, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel im Vorgang die Planung anders ausgefallen wäre. Eine solche konkrete Möglichkeit besteht immer dann, wenn sich anhand der Planunterlagen oder sonst erkennbarer oder naheliegender Umstände die Möglichkeit abzeichnet, dass der Mangel im Abwägungsvorgang von Einfluss auf das Abwägungsergebnis gewesen sein kann. Hat sich der Planungsträger von einem unzutreffend angenommenen Belang leiten lassen und sind andere Belange, die das Abwägungsergebnis rechtfertigen könnten, weder im Bauleitplanverfahren angesprochen noch sonst ersichtlich, so ist die unzutreffende Erwägung auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen.
99Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 57.80 -, juris Rn. 27 (zu § 155b Abs. 2 Satz 2 BBauG); Uechtritz, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand: 1. Januar 2022, § 214 Rn. 31.
100Demnach ist hier von einem beachtlichen Verfahrensfehler auszugehen. Da die Beigeladene die nächtlichen Lärmrichtwerte für das reine Wohngebiet wahren wollte, ist davon auszugehen, dass sie unter Beachtung der hier rechtlich gebotenen Bildung von Zwischenwerten für eine Gemengelage der Wohnnutzung zum Außenbereich ihrer Planung höhere Immissionsrechtwerte zur Nachtzeit zu Grunde gelegt und dementsprechend (zumindest) einen höheren - oder auf bestimmte Standorte begrenzten - Schallleistungspegel festgesetzt hätte. Darauf, ob die Zubilligung eines über die Vorgaben der TA Lärm hinaus gehenden Schutzes vor Lärmeinwirkungen mit entsprechender Begründung abwägungsfehlerfrei möglich gewesen wäre, kommt es hier nicht an.
1013. Ferner ist der Abwägungsfehler nicht gemäß § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB a. F. unbeachtlich geworden.
102Nach dieser Vorschrift wird eine nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 beachtliche Verletzung der dort bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von zwei Jahren seit Bekanntmachung des Flächennutzungsplans oder der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden ist.
103Dabei genügt es, dass nur irgendjemand ordnungsgemäß und fristgerecht - und daher nicht notwendigerweise die Klägerin - den in Rede stehenden Fehler geltend gemacht hat. Denn von einer solchermaßen erfolgten Rüge geht eine absolute Wirkung aus.
104Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1982 - 4 N 6.79 -, juris Rn. 6, und Beschluss vom 2. Januar 2001 - 4 BN 13.00 -, juris Rn. 5; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Auflage 2019, § 215 Rn. 7.
105Ausgehend vom Vorstehenden ist der Fehler nicht unbeachtlich geworden. Mit Schreiben vom 12. November 2007 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Namen der damaligen Betreiberinnen, der X. GmbH und der G1. & C. GbR, den festgesetzten Schallleistungspegel von max. 99 dB(A) nachts als fehlerhaft gerügt, da für das reine Wohngebiet in Angrenzung zum Außenbereich ein Richtwert von 40 dB(A) maßgeblich sei. Dieses Schreiben wahrt mit Eingang bei der Beigeladenen noch am gleichen Tag, den sie - wie sich aus den Aufstellungsvorgängen zum Bebauungsplan ergibt - durch ein entsprechendes Telefax gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestätigt hat, die Zweijahresfrist. Diese endete nach den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB, die nach § 31 Abs. 1 VwVfG NRW entsprechend anwendbar sind, erst mit Ablauf des 12. November 2007, einem Montag, nachdem der Bebauungsplan Nr. 22‑07 - wie oben bereits ausgeführt - am 10. November 2005 in Kraft getreten war.
1064. Erweist sich nach alledem die Festsetzung eines Schallleistungspegels von max. 99 dB(A) nachts als in beachtlicher Weise verfahrensfehlerhaft und folglich unwirksam, mag dahinstehen, ob diese Festsetzung - oder womöglich sogar der Bebauungsplan Nr. 22‑07 insgesamt - an weiteren zur Unwirksamkeit führenden Mängeln leidet.
107III. Die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Änderungsgenehmigung liegen nicht vor, weil der nächtliche Volllastbetrieb aller vier Windenergieanlagen schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt unzumutbarer Lärmbeeinträchtigungen jedenfalls auf den Grundstücken T1. 9a und 21 in O. hervorrufen würde (vgl. §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG).
108Für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG u. a. sicherzustellen, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten erfüllt werden. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.
109Unter welchen Voraussetzungen Geräuschimmissionen von Windenergieanlagen schädlich im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind, bestimmt sich anhand der TA Lärm. Dieser kommt, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 BImSchG).
110Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2020 - 4 A 13.18 -, juris Rn. 46, vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 - juris Rn. 18, und vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 -, juris Rn. 12 (jeweils zur TA Lärm vom 26. August 1998).
111Nach Nr. 3.2.1 Abs. 1 TA Lärm ist der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche vorbehaltlich der Regelungen in den Absätzen 2 bis 5 sichergestellt, wenn die Gesamtbelastung am maßgeblichen Immissionsort die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 nicht überschreitet. Dies ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in Bezug auf die vorliegende Verpflichtungsklage grundsätzlich maßgeblich ist, nicht der Fall.
112Die Bindungswirkung der TA Lärm ist hinsichtlich des Berechnungsverfahrens für Schallimmissionsprognosen betreffend Lärm durch Windenergieanlagen teilweise entfallen; das Berechnungsverfahren, auf das die TA Lärm für die prognostizierte Gesamtbelastung durch Windenergieanlagen an einzelnen Immissionsorten verweist, ist durch das Interimsverfahren zu modifizieren (dazu 1.). Die sich auf der Grundlage einer solchen Schallimmissionsprognose für die Wohngrundstücke T1. 9a und 21 ergebenden Werte von 39,6 dB(A) und 39,5 dB(A) nachts überschreiten die dort maßgeblichen nächtlichen Lärmrichtwerte auch dann, wenn man wegen der Gemengelage zwischen planerisch ausgewiesenem reinem Wohngebiet und Außenbereich geeignete Zwischenwerte bildet (dazu 2.).
1131. Die Bindungswirkung der TA Lärm ist durch gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse teilweise überholt, soweit es um das Prognoseverfahren zur Ermittlung der Belastung durch Lärm von Windenergieanlagen an einzelnen Immissionsorten geht. Die Prognoseberechnung auf der Grundlage des alternativen Verfahrens der DIN ISO 9613‑2, auf das die TA Lärm Bezug nimmt, ist durch das Interimsverfahren zu modifizieren. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
114Um den nach § 5 Abs. 1 BImSchG i. V. m. der TA Lärm gebotenen Lärmschutz beim Betrieb einer Anlage sicherzustellen, ist eine realistische (Lärm‑)Prognose anzustellen. An diese prognostische Einschätzung zur Einhaltung der Immissionsrichtwerte sind insoweit hohe Anforderungen zu stellen, als sie in jedem Fall „auf der sicheren Seite“ liegen muss.
115Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 22. November 2021 - 8 A 973/15 -, juris Rn. 122; Nds. OVG, Beschluss vom 24. September 2021 - 12 ME 45/21 -, juris Rn. 86.
116Entsprechende Anforderungen bestehen für das einer solchen Prognose zugrunde liegende Berechnungsverfahren der DIN ISO 9613‑2, auf das Nr. A.2.2 und A.2.3.4 des Anhangs zur TA Lärm verweisen.
117Da der TA Lärm eine normkonkretisierende Funktion zukommt, die auf dem in ihr zum Ausdruck kommenden wissenschaftlich-technischen Sachverstand beruht und zugleich der auf der Grundlage der Anhörung von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft und der für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörden (vgl. § 51 BImSchG) vorgenommenen Einschätzung des Vorschriftengebers Rechnung trägt, stellt das Abrücken von den in ihr niedergelegten Standards hohe Anforderungen an die dafür erforderliche Tatsachengrundlage. Die Bindungswirkung der TA Lärm entfällt - vorbehaltlich einer im vorliegenden Zusammenhang bislang nicht vorgenommenen Änderung der Verwaltungsvorschrift - nur dann, wenn die in der TA Lärm enthaltenen Aussagen durch neue, gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind, die den ihnen zu Grunde liegenden Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen den Boden entziehen, und sie deshalb den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Das heißt, der Erkenntnisstand bei Erlass der TA Lärm und dessen seinerzeitige technische Umsetzung müssen mit dem jetzigen Stand der Technik verglichen werden, um beurteilen zu können, ob sich in diesem Sinne wesentliche Änderungen ergeben haben.
118Zu diesem Maßstab vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Juli 2021 - 7 A 11.11 -, juris Rn. 27 (zur AVV Baulärm), vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 -, juris Rn. 14 (zur TA Luft), und Beschluss vom 31. März 1996 - 7 B 164.95 - juris Rn. 19 (zur TA Luft); OVG NRW, Beschluss vom 17. Juni 2016 - 8 B 1018/15 -, juris Rn. 23; Nds. OVG, Beschluss vom 16. November 2016 - 12 ME 132/16 -, juris Rn. 59; Bay. VGH, Beschluss vom 7. Mai 2018 - 22 ZB 17.2088 u. a. -, juris Rn. 38, m. w. N. (jeweils zur TA Lärm).
119Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu brauchbaren Alternativen für eine Normanwendung oder gar Normkonkretisierung geführt haben.
120Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 1996 - 7 B 164.95 - juris Rn. 19; enger: Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2021, Vorb. zur TA Lärm Rn. 6 a. E.
121Für einen im vorstehend dargelegten Sinne „gesicherten“ Erkenntnisfortschritt genügt es mithin, dass die in der TA Lärm enthaltenen Aussagen und die ihnen zu Grunde liegenden Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen durch bessere - und insoweit gefestigte - Einsichten durchgreifend in Zweifel gezogen sind, ohne dass an ihre Stelle bereits ein neuer, für sich genommen schon als abschließend zu bewertender Erkenntnisstand in Wissenschaft und Technik getreten sein muss.
122Ausgehend davon ist für die Prognose des Lärms von Windenergieanlagen das Berechnungsverfahren der DIN ISO 9613‑2, auf das Nr. A.2.2 und A.2.3.4 des Anhangs zur TA Lärm verweisen, im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats, der für die hier vorliegende Verpflichtungsklage maßgeblich ist, als durch neue, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse teilweise überholt anzusehen und durch das Interimsverfahren zu modifizieren.
123Ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 4. Februar 2021 - 5 S 305/19 -, juris Rn. 46 f. (für den Zeitpunkt Juli 2018), und Beschluss vom 19. Juni 2018 - 10 S 186/18 -, juris Rn. 11 (für den Zeitpunkt Juli 2017); VG Düsseldorf, Urteil vom 1. März 2018 - 28 K 5087/17 -, juris Rn. 39 ff., 61 (für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des VG); a. A., allerdings für zurückliegende Zeitpunkte, Nds. OVG, Beschluss vom 11. März 2019 - 12 ME 105/18 -, juris Rn. 65 f. (für Dez. 2016); OVG Rh.‑Pf., Urteil vom 20. September 2018 - 8 A 11958/17 -, juris Rn. 129 (für Mai 2016); Bay. VGH, Beschluss vom 7. Mai 2018 - 22 ZB 17.2088 u. a. -, juris Rn. 39 (für Nov. 2014); OVG M.‑V., Urteil vom 10. April 2018 - 3 LB 133/08 -, juris Rn. 99 (für Juni 2003); OVG Saarl., Beschluss vom 3. November 2017 - 2 B 584/17 -, juris Rn. 20 (für Dez. 2016); für ein Fortbestehen der Bindungswirkung der TA Lärm OLG Schleswig, Urteil vom 10. November 2021 - 9 U 15/20 -, juris Rn. 57.
124Die Regelungen der DIN ISO 9613‑2, die nach ihrem Abschnitt 1 „Anwendungsbereich“ für bodennahe Schallquellen anwendbar ist, legt ein Verfahren zur Berechnung der Dämpfung des Schalls bei der Ausbreitung im Freien fest, mit dem die Pegel von Geräuschimmissionen in einem Abstand von verschiedenen Schallquellen vorausberechnet werden können. Nach diesem Verfahren wird der äquivalente A-bewertete Dauerschalldruckpegel von Schallquellen mit bekannter Geräuschemission unter schallausbreitungsgünstigen Witterungsbedingungen vorausberechnet, wobei geometrische Ausbreitung, Luftabsorption, Bodeneffekt, Reflexion an Flächen sowie ggf. Abschirmung durch Hindernisse berücksichtigt werden. Die DIN ISO 9613‑2 kennt eine frequenzabhängige Berechnungsmethode und ein alternatives Verfahren mittels A-bewerteter Einzahlkenngröße.
125Vgl. Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe, Dez. 2021, S. 108.
126Messungen in Forschungsprojekten mit Fernfeldmessungen (etwa „Schalltechnischer Bericht der erweiterten Hauptuntersuchung zur messtechnischen Entwicklung der Ausbreitungsbedingungen für die Geräusche von hohen Windenergieanlagen zur Nachtzeit und Vergleich der Messergebnisse mit Ausbreitungsrechnungen nach DIN ISO 9613‑2“ des Büros V. und Partner von November 2014; V. -Studie, initiiert durch das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen) haben Differenzen zwischen Ausbreitungsberechnungen und Immissionswerten ab einer Entfernung von etwa 500 m zwischen Windenergieanlage und Immissionsort ergeben, wobei die Differenzen ab einer Entfernung von etwa 750 m - wie sie hier für die Anlagen WEA 3 und 4 zur Wohnbebauung am T1. vorliegt - zunahmen. Zwei weitere in Folge der Diskussion über eine Modifizierung des Ausbreitungsmodells durchgeführte Messkampagnen haben die Ergebnisse der V. -Studie bestätigt (Dritter Zwischenbericht zu Schalluntersuchungen an Windenergieanlagen in Schleswig-Holstein vom 3. März 2017; Schmitter: Vergleich verschiedener Prognosemodelle mit realen Immissionsmessungen - Tagungsband zum 9. Rheiner Windenergieforum am 22./23. März 2017).
127Vgl. Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe, Dez. 2021, S. 109.
128Diese Forschungsergebnisse lagen bei Erlass der TA Lärm am 28. August 1998, die in ihrem seitdem unveränderten Anhang erstmals die Prognose zur Ermittlung der Geräuschimmissionen behandelt,
129vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2021, Vorb. zur TA Lärm Rn. 21,
130nicht vor. Diese Forschungsergebnisse stellen wesentliche neue, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisfortschritte dar, die den der TA Lärm zu Grunde liegenden Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen hinsichtlich der Schallausbreitungsrechnungen für Windenergieanlagen teilweise den Boden entziehen, zumal Windenergieanlagen seit 1998 deutlich größer geworden sind und sich damit immer weiter von bodennahen Schallquellen i. S. d. DIN ISO 9613‑2 abheben. Schallausbreitungsberechnungen allein auf der Grundlage der DIN ISO 9613‑2 werden daher den gesetzlichen Anforderungen, den Schutz vor schädlichen Geräuscheinwirkungen mit dem erforderlichen Grad an Sicherheit zu gewährleisten, nicht mehr in jeder Hinsicht gerecht. Diese Einschätzung wird der Sache nach von Fachwissenschaftlern und Behörden gleichermaßen geteilt, die empfehlen, die DIN ISO 9613‑2 für Schallimmissionsprognosen zu modifizieren:
131Um die erkannten Defizite bei Schallausbreitungsberechnungen für Windenergieanlagen zu beheben, hat der Unterausschuss „Schallausbreitung im Freien“ des DIN/VDI-Normausschusses „Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik“ (NALS) ausgehend von den genannten Forschungsergebnissen in Ergänzung zur DIN ISO 9613‑2 und zur DIN EN 61400‑11 die „Dokumentation zur Schallausbreitung - Interimsverfahren zur Prognose der Geräuschimmissionen von Windkraftanlagen, Fassung 2015-05.1“ veröffentlicht. In der Einleitung dieser Dokumentation heißt es u. a., für die Prognose von Immissionspegeln von Windkraftanlagen gebe es kein nationales Regelwerk, das ohne Einschränkungen, Modifizierungen oder Sonderregelungen auf die Schallausbreitung dieser hochliegenden Quellen anwendbar sei. Nach Nr. 3.5 dieser Dokumentation begrenzt die DIN ISO 9613‑2 die Quellhöhe auf kleiner 30 m. Das Interimsverfahren ist nach Nr. 4.1 als Übergangslösung konzipiert, bis ein Verfahren zur Schallausbreitungsrechnung entwickelt ist, das den Anwendungsbereich der DIN ISO 9613‑2 auf Windkraftanlagen als hochliegende Quellen erweitert.
132Der Unterschied zu dem bisher angewendeten Beurteilungsverfahren besteht einerseits im Wegfall der Bodendämpfung und der meteorologischen Korrektur, andererseits in der Umstellung des Berechnungsverfahrens auf eine frequenzabhängige Berechnung.
133Vgl. Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe, Dez. 2021, S. 112.
134Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) hat in ihrer 134. Sitzung am 5. und 6. September 2017 den Ländern erstmals empfohlen, die Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen mit Stand 30. Juni 2016 anzuwenden, die auf dem Interimsverfahren beruhen. Diese LAI-Hinweise (S. 2 f.) konkretisieren die Anforderungen der TA Lärm an die Durchführung von Immissionsprognosen im Rahmen der Errichtung und des Betriebs von Windkraftanlagen über 30 m Höhe als hochliegende Schallquellen durch eine vorläufige Anpassung des Prognosemodells der DIN ISO 9613-2 auf Basis neuerer Erkenntnisse. Die Umweltministerkonferenz hat diese LAI-Hinweise im November 2017 zur Kenntnis genommen.
135Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MULNV NRW) hat mit Erlass vom 29. November 2017 - 8851.1.6.4 - die genannten LAI-Hinweise in die Verwaltungspraxis eingeführt und die nachgeordneten Behörden gebeten, diese Hinweise zukünftig bei der Genehmigung und Überwachung von Windenergieanlagen als Erkenntnisquelle anzuwenden. Auch der Windenergie-Erlass vom 8. Mai 2018 (MBl. NRW. S. 258 ff.) führt unter Nr. 5.2.1.1 (S. 273) aus, dass mit Erlass vom 29. November 2017 in Nordrhein-Westfalen die neuen von der LAI überarbeiteten „Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen“ eingeführt worden seien. Das u. a. dort verankerte Prognosemodell auf Basis des Interimsverfahrens des NALS (Fassung 2015-05.1) gebe den aktuellen Erkenntnisstand wieder.
136Vgl. zu dieser Entwicklung OVG NRW, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - 8 E 862/20 -, juris Rn. 12 ff.; Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe, Dez. 2021, S. 110 f.
137Da es nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den Entfall der Bindungswirkung einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift nicht darauf ankommt, inwieweit neue wissenschaftliche Erkenntnisse bereits zu brauchbaren Alternativen für eine Normanwendung oder gar Normkonkretisierung geführt haben, steht der hier vertretenen Bewertung nicht entgegen, dass das Interimsverfahren auch nach der Einschätzung seiner Urheber nur ein vorläufiges, die DIN ISO 9613-2 ergänzendes Modell für eine Übergangsphase und kein abschließend überarbeitetes neues Prognosemodell darstellt. Ohnedies bietet aber das Interimsverfahren, wie der Senat schon entschieden hat,
138vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2020 - 8 A 894/17 -, juris Rn. 200 ff.,
139einen brauchbaren Ansatz für eine auf der sicheren Seite liegende Schallausbreitungsrechnung, zumal die DIN ISO 9613-2 auch nicht in Gänze ersetzt, sondern nur in Teilen angepasst wird.
140Aus denselben Gründen ist es rechtlich auch nicht relevant, dass das Interimsverfahren nur als einfacher Beschluss eines Unterausschusses des NALS veröffentlicht ist und ohne das noch ausstehende Erarbeitungs-, Prüf- und Einwendungsverfahren nicht den Status einer DIN- oder VDI-Norm genießt.
141Vgl. dazu Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe Dez. 2021, S. 110 f.; Bundesverband WindEnergie, LAI-Hinweise (Interimsverfahren) Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen, März 2019.
142Ein Verfahren zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der DIN ISO 9613-2 auf Windenergieanlagen als hochliegende Quellen soll erst das im Veröffentlichungszeitpunkt noch in Bearbeitung befindliche VDI 4101 Blatt 2 (Schallausbreitung im Freien unter Berücksichtigung meteorologischer und topographischer Bedingungen – Blatt 2: Windkraftanlagen) eines Unterausschusses zur Verfügung stellen, das seit April 2020 aber - soweit ersichtlich - nur im Entwurf vorliegt.
143Vgl. Dokumentation zur Schallausbreitung – Interimsverfahren für Windkraftanlagen, Fassung 2015-05.1, S. 4 f.; Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe, Dez. 2021, S. 111.
144Aus den oben genannten Gründen bleibt die Bindungswirkung der TA Lärm auch nicht deswegen bestehen, weil der wissenschaftliche Diskurs um eine geeignete Ausbreitungsberechnung mit der Veröffentlichung und Empfehlung des Interimsverfahrens noch nicht abgeschlossen ist. Dies wird etwa daran deutlich, dass das MULNV NRW im Frühjahr 2018 einen Fragen-Antwort-Katalog veröffentlicht hat, der zum Teil abweichende Regelungen zu den LAI-Hinweisen (2016) und dem Interimsverfahren enthält.
145Vgl. MULNV NRW, Dienstbesprechung am 2. Februar 2018, Einführung der neuen LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen - Beantwortung von Zweifelsfragen.
146Entsprechendes gilt für das Auslegungsdokument zu den LAI-Hinweisen, das der Ausschuss „Physikalische Einwirkungen“ der LAI im Frühjahr 2018 verfasst hat und das ergänzende sowie abweichende Regelungen zum Hinweispapier enthält.
147Vgl. Auslegung der LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen, Stand: 27. März 2018 - behandelt auf der 26. Sitzung des Ausschusses Physikalische Einwirkungen, zitiert nach Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe Dez. 2021, S. 111.
1482. Die Lärmwerte, die sich aus der auf dem Interimsverfahren beruhenden Schallimmissionsprognose für die Wohngrundstücke T1. 9a und 21 ergeben (dazu a), überschreiten die dort maßgeblichen nächtlichen Lärmrichtwerte auch dann, wenn man für diese Grundstücke wegen der Gemengelage zum Außenbereich geeignete Zwischenwerte bildet; auf die Zumutbarkeit der für die anderen im reinen Wohngebiet T. , aber näher an der Grenze zum Außenbereich gelegenen Wohnhäuser kommt es daher hier nicht an (dazu b).
149a) Die von der Beigeladenen vorgelegte „Schalltechnische Stellungnahme für den X1. O. , Kreis M. , NRW“ der Ingenieure GmbH vom 14. März 2022, die auf dem Interimsverfahren beruht, weist für die Immissionsorte IO 6 (T1. 9a) und IO 13 (T1. 21) bei dem beantragten leistungsoptimierten Betrieb aller vier Windenergieanlagen Werte von 39,6 dB(A) und 39,5 dB(A) nachts aus.
150Einwände gegen die Richtigkeit dieser Prognoseberechnung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Berechnung zu Grunde gelegt ist jeweils ein nach Dreifachvermessung des Anlagentyps gemittelter Schallleistungspegel von 101,9 dB(A) zuzüglich eines Zuschlags für den oberen Vertrauensbereich von 1,5 dB(A), insgesamt also 103,4 dB(A).
151b) Diese nächtlichen Beurteilungspegel von 39,6 dB(A) und 39,5 dB(A) an den Wohngrundstücken T1. 9a und T1. 21 können der dortigen Wohnbebauung nicht zugemutet werden. Zwar sind diese Grundstücke Teil eines planerisch ausgewiesenen reinen Wohngebietes, das unmittelbar an den Außenbereich angrenzt, so dass nach Nr. 6.7 TA Lärm ein Zwischenwert zu bilden ist. Der zu ermittelnde Zwischenwert liegt aber jedenfalls deutlich unter diesen zu erwartenden Immissionswerten.
152In einem reinen Wohngebiet, wie es hier durch den Durchführungsplan Nr. 22‑01 der ehemals selbstständigen Gemeinde O. südlich des Windparks O. auch für die Wohngrundstücke T1. 9a und 21 - wie oben ausgeführt: wirksam - festgesetzt ist (vgl. Nr. 6.6 Satz 1 TA Lärm), dürfen genehmigungsbedürftige Anlagen - oder deren wesentliche Änderung - nach Nr. 6.1 Buchstabe f TA Lärm im Grundsatz nicht dazu beitragen, dass 50 dB(A) tags und 35 dB(A) nachts überschreitende Lärmimmissionen entstehen. Diese Immissionsrichtwerte können jedoch nach Maßgabe von Nr. 6.7 TA Lärm auf einen geeigneten, d. h. einen nach dem Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme angemessenes Schutzniveau sicherstellenden Zwischenwert erhöht werden.
153Nach Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm können, wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte Gebiete und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelage), die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Dabei sollen die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete, also 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts, nicht überschritten werden (Satz 2). Nach Nr. 6.7 Abs. 2 TA Lärm ist für die Höhe des Zwischenwertes die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich.
154Diese erstmals in die TA Lärm vom 26. August 1998 (GMBl 1998, 503) aufgenommene Regelung schreibt die Grundätze fest, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme abgeleitet hat.
155Vgl. hierzu: BVerwG, Beschlüsse vom 7. Juni 2019 - 8 B 36.18 -, juris Rn. 5, und vom 12. September 2007 - 7 B 24.07 -, juris Rn. 5, m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 8 A 2971/17 -, juris Rn. 158; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2021, Nr. 6.7 TA Lärm Rn. 25.
156In den Bereichen, in denen Gebiete von unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. Das führt nicht nur zur Pflichtigkeit dessen, der Belästigungen verbreitet, sondern auch zu einer die Tatsachen respektierenden Duldungspflicht derer, die sich in der Nähe von - als solche legalen - Belästigungsquellen ansiedeln.
157Grundlegend BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1975 - IV C 71.73 -, juris Rn. 23.
158Bei der Bildung eines Zwischenwerts zwischen Gebieten unterschiedlicher Nutzung und damit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit ist methodisch so vorzugehen, dass die Immissionsrichtwerte zu ermitteln sind, die für die benachbarten Gebiete bei jeweils isolierter Betrachtung maßgeblich sind, und daraus unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein Mittelwert zu bilden ist. Dieser Ausgangspunkt darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Mittelwert der Sache nach das arithmetische Mittel zweier Richtwerte ist. Hiergegen steht bereits, dass die Lärmberechnung nicht auf arithmetischen, sondern auf logarithmischen Vorgaben beruht. Bei einem solchermaßen zu gewinnenden Mittelwert müssen zur Bestimmung der Zumutbarkeit zudem die Ortsüblichkeit und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, wobei insbesondere auch die Priorität der in Konflikt tretenden Nutzungen von Bedeutung sein kann.
159Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 7. Juni 2019 - 8 B 36.18 -, juris Rn. 5 f., und vom 12. September 2007 - 7 B 24.07 -, juris Rn. 4, jeweils m. w. N.; OVG NRW, Urteile vom 24. August 2016 - 11 D 2/14.AK -, juris Rn. 134, und vom 16. Dezember 2014 - 7 A 2623/13 -, juris Rn. 58; Beschlüsse vom 15. März 2018 - 8 B 736/17 -, juris Rn. 67, vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 -, juris Rn. 9 ff. m. w. N., und vom 17. Januar 2012 - 8 A 1710/10 -, juris Rn. 5 ff.
160Seinem Wortlaut nach regelt Nr. 6.7 TA Lärm nicht die Fälle, in denen Wohngrundstücke an den - keine (eigene) Gebietskategorie bildenden - Außenbereich nach § 35 BauGB angrenzen. Soweit in einer solchen Situation aber gleichfalls Grundstücksnutzungen mit unterschiedlicher Schutzbedürftigkeit aufeinander treten, findet hierauf Nr. 6.7 TA Lärm, mit der allgemeingültige, aus dem Gebot der Rücksichtnahme entwickelte Rechtsprechungsgrundsätze zur Bewältigung lärmbedingter Konflikte in Gemengelagen normkonkretisierend übernommen worden sind, entsprechende Anwendung.
161Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1982 - 4 C 28.81 -, juris Rn. 17, und Beschluss vom 7. Juni 2019 - 8 B 36.18 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 8 A 2971/17 -, juris Rn. 158, und Beschluss vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 -, juris Rn. 9, m. w. N.; Bay. VGH, Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 2 CS 10.2344 -, juris Rn. 21; Hess. VGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 - 6 B 2668/09 -, juris Rn. 12.
162Das „Aneinandergrenzen“ im Sinne von Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm wird durch den räumlichen Umfang des Rücksichtnahmegebots geprägt. Es wird nicht schematisch räumlich im Sinne von Mindestabständen von der Immissionsquelle bestimmt, sondern nach der jeweiligen Schallausbreitung und der damit einhergehenden Betroffenheit von Grundstücken mit höheren Schutzansprüchen. Die Reichweite des Gebots der Rücksichtnahme bestimmt sich danach, in welchem Umfang die Nutzung des einen Gebiets noch prägend auf das andere Gebiet - und nicht auf einzelne Grundstücke - einwirkt.
163Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2007 - 7 B 24.07 - juris Rn. 8; OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2018 - 8 B 736/17 -, juris Rn. 65.
164Dabei kann der Eigentümer eines Grundstücks in Randlage eines Wohngebiets nicht damit rechnen, dass in seiner Nachbarschaft keine emittierende Nutzung oder allenfalls eine reine Wohnnutzung entsteht. Er darf grundsätzlich nur darauf vertrauen, dass im angrenzenden Bereich keine Nutzung entstehen wird, die mit der Wohnnutzung nicht mehr verträglich ist. Dies wäre jedoch nur anzunehmen, wenn sie über das Maß hinausgeht, das in einem ebenso dem Wohnen dienenden Misch- und Dorfgebiet zulässig ist.
165Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1990 - 4 N 6.88 -, juris Rn. 29; OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2018 - 8 B 736/17 -, juris Rn. 67.
166Eine wesentliche Rolle für die konkrete Schutzwürdigkeit spielen neben der Lage betroffener Wohngrundstücke zum Außenbereich auch Charakter, Art und Ausmaß der Wohnnutzung.
167Vgl. Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand: Dezember 2021, 6. BImSchVwV (TA Lärm) Nr. 6 Rn. 70a.
168Da die Nutzung von Windenergie als Ausdruck ihrer besonderen Standortgebundenheit von Gesetzes wegen im Außenbereich privilegiert ist (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB), relativiert sich bei der Bildung eines Zwischenwertes nach Nr. 6.7 TA Lärm die Bedeutung der zeitlichen Priorität von außenbereichsgeprägter Wohnnutzung gegenüber Windenergieanlagen.
169Vgl. OVG Bremen, Urteil vom 13. Dezember 2001 - 1 D 299/01 -, juris Rn. 71 (zu einem Containerterminal eines Hafens); Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand: Dezember 2021, 6. BImSchVwV (TA Lärm) Nr. 6 Rn. 69.
170Dem steht hier nicht § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW entgegen, der durch Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen vom 8. Juli 2021 (GV. NRW. S. 891) auf der Grundlage von § 249 Abs. 3 BauGB neu eingeführt wurde und am 15. Juli 2021 in Kraft getreten ist. Zwar findet nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB-AG NRW § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB (u. a.) auf Vorhaben zur Nutzung der Windenergie nur (noch) Anwendung, wenn diese Vorhaben einen Mindestabstand von 1.000 m zu allgemein zulässigen Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplänen (§ 30 BauGB) und innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile (§ 34 BauGB) einhalten. Diese Bestimmung über eine (Teil‑)Entprivilegierung der Windenergie im Außenbereich ist aber vorliegend nicht anwendbar. Dabei mag auf sich beruhen, ob der X1. O. im Geltungsbereich einer in dem Flächennutzungsplan der Beigeladenen für die Zwecke des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB wirksam ausgewiesenen Vorrangzone liegt (vgl. § 2 Abs. 2 BauGB-AG NRW). Denn jedenfalls sind die in Rede stehenden Anlagen seit langem an ihrem Standort genehmigt; zudem hat die Klägerin den Antrag auf Genehmigung der wesentlichen Änderung vom 30. Januar 2014, so denn auch (wesentliche) Änderungen der Betriebsweise von bereits vor dem 15. Juli 2021 errichteten Windenergieanlagen § 2 Abs. 1 BauGB-AG NRW unterfallen, vor Ablauf des 23. Dezember 2020 gestellt und spätestens mit Vorlage der Schallimmissionsprognose vom 24. Juni 2016 vervollständigt; schon deshalb kommt hier ein Ausschluss der Außenbereichsprivilegierung gemäß der Übergangsvorschrift in § 2 Abs. 3 Satz 1 BauGB-AG NRW nicht in Betracht.
171Ein die Interessen des Vorhabenträgers absolut in den Vordergrund rückender Sonderstatus kommt Windenergieanlagen im Anwendungsbereich der TA Lärm jedoch nicht zu.
172Vgl. auch Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand: Dezember 2021, 6. BImSchVwV (TA Lärm) Nr. 6 Rn. 70d, m. w. N.
173Bei der Bildung eines Zwischenwertes werden nach der Rechtsprechung einem Wohnhaus, das in einem reinen Wohngebiet unmittelbar am Rande des Außenbereichs gelegen ist, häufig - in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls - bis zu 5 dB(A) höhere Lärmimmissionen zugemutet.
174Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2013 ‑ 4 A 1.13 -, juris Rn. 55, und vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -, juris Rn. 28; OVG Saarl., Beschluss vom 3. November 2017 - 2 B 573/17 -, juris Rn. 15; OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Juli 2017 - 8 B 140/17 -, juris Rn. 18, vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 -, juris Rn. 13, vom 29. Januar 2013 - 8 A 2016/11 -, juris Rn. 14, vom 4. November 1999 - 7 B 1339/99 -, juris Rn. 23, vom 3. September 1999 - 10 B 1283/99 -, juris Rn. 20, und vom 6. November 1989 - 7 B 2966/87 -, BauR 1990, 67 (69); Hess. VGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 - 6 B 2668/09 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23. April 2002 - 10 S 1502/01 -, juris Rn. 29.
175Da sich das Vorliegen einer Gemengelage nach Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm anhand des Merkmals „Aneinandergrenzen“ maßgeblich danach bestimmt, wie weit nach der jeweiligen Schallausbreitung die damit einhergehende Betroffenheit von Grundstücken mit höheren Schutzansprüchen reicht, ist die Einwirkung des Außenbereichs auf das gesamte betroffene Plangebiet in den Blick zu nehmen. Daher kann auch für solche Wohngrundstücke, deren Grundstücksgrenze nicht unmittelbar an den Außenbereich angrenzt, sondern die sich weiter zurückgesetzt im Inneren eines Wohngebiets hinter den Grundstücken mit einer solchen Randlage befinden, die Bildung eines geeigneten Zwischenwerts dem Grunde nach in Betracht zu ziehen sein.
176Hiervon zu unterscheiden ist die nach der räumlichen Reichweite des Rücksichtnahmegebots zu beurteilende Frage, inwieweit für einzelne Grundstücke innerhalb der gebietsmäßig betroffenen Gemengelage noch eine Zwischenwertbildung nach Maßgabe der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Danach muss ein Zwischenwert, auch was seine Höhe anbelangt, die Reichweite der gegebenen Außenbereichsprägung der Wohnbebauung ebenso berücksichtigen wie die gesteigerte Schutzwürdigkeit aufgrund einer weiter entfernten Lage zum Außenbereich.
177Dementsprechend hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung weiter anerkannt, dass einer - abgeschirmt durch Bebauung - weiter zurückgesetzt liegenden Wohnbebauung „der zweiten Reihe“ die Erhöhung der für ein reines Wohngebiet maßgeblichen Richtwerte um 3 dB(A) zugemutet werden kann, sofern die betroffenen Grundstücke noch dem prägenden Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt sind.
178Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2018 - 8 B 736/17 -, juris Rn. 69 ff., vom 29. Juni 2017 - 8 B 187/17 -, juris Rn. 25, und vom 29. Januar 2013 - 8 A 2016/11 -, juris Rn. 16; ebenso Nds. OVG, Urteil vom 12. Mai 2015 - 1 KN 238/13 -, juris Rn. 41.
179Unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe und gemessen an der räumlichen Reichweite des Rücksichtnahmegebots ist für die Wohnbebauung an der Straße T1. der einzuhaltende Nachtrichtwert von 35 dB(A) für reine Wohngebiete auf einen Zwischenwert zu erhöhen (dazu aa). Ein angemessener Zwischenwert liegt jedoch jedenfalls in Bezug auf die Immissionsorte T1. 9a (Flurstück 332) und T1. 21 (Flurstück 234) unter den durch das Änderungsvorhaben verursachten 39,5 dB(A) (dazu bb).
180aa) Tragend für die Bildung eines Zwischenwertes auch an den Grundstücken T1. 9a und 21 sind nach der Auswertung der Planunterlagen sowie den vor Ort gewonnenen Eindrücken folgende Erwägungen: Auch diese Grundstücke sind noch einem so prägenden Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt, dass ihnen nicht der ungeminderte Schutzanspruch für ein reines Wohngebiet gegenüber der nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Windenergienutzung zu Gute kommt. Das im Durchführungsplan Nr. 22-01 festgesetzte reine Wohngebiet prägt das Einwirkungsgebiet nur begrenzt. So fällt bereits die räumliche Ausdehnung des reinen Wohngebiets sehr gering aus. Dessen Ausweisung umfasst lediglich die beiderseits des T1. gelegenen Grundstücke, und dies auch nicht auf voller Länge dieses Straßenzuges, sondern nur bis einschließlich der südwestlich gelegenen Flurstücke 316 und 105. Dabei nimmt die Fläche des reinen Wohngebiets nicht wesentlich mehr Raum ein als die nordöstlich benachbarte Hofstelle, was den Eindruck einer weitreichenden Außenbereichsprägung mit einer Vorbelastungssituation zusätzlich vermittelt. Hinzu kommt, dass sich das reine Wohngebiet auch nicht durch eine hohe Nutzungsintensität auszeichnet. Die vorhandene Wohnnutzung ist sowohl gemessen an der Zahl bestehender Gebäude als auch angesichts deren räumlicher Anordnung nicht verdichtet. Derzeit existiert innerhalb des Plangebiets entlang des T1. - mit Ausnahme der rückwärtig gelegenen Flurstücke 332 und 234 (T1. 9a und 21) - eine auf zwei Reihen begrenzte Bebauung, die nahezu ausschließlich aus freistehenden Einfamilienhäusern besteht. Die Grundstücke sind überdies sehr großzügig geschnitten, so dass die vorhandene Bebauung weiträumige Abstände wahrt und eine offene Bauweise absolut vorherrscht. In Anbetracht dieser Umstände wirkt der Außenbereich, der sich nördlich, östlich und südlich des Plangebiets um ein Vielfaches ausdehnt, auf das gesamte reine Wohngebiet prägend ein. Demnach sind hier nicht allein die Wohnhäuser in unmittelbarer Randlage und direkt dahinter befindlicher „zweiter Reihe“ noch dem Einfluss des Außenbereichs ausgesetzt, sondern gleichfalls die weiter zurückliegende Wohnbebauung.
181Für das Wohnhaus T1. 21 ist dabei zusätzlich zu berücksichtigen, dass dieses sich nach dem Eindruck im Ortstermin gerade nicht als eine gänzlich durch die zweite Reihe an der Nordseite des T1. abgeschirmte „Hinterlandbebauung“ darstellt, sondern vielmehr die zwischen der benachbarten Wohnbebauung vorhandene Lücke - lediglich nach weiter hinten versetzt - ausfüllt. Auch schon aus diesem Grunde kann hier von einer das Gebot zur Rücksichtnahme in Gänze ausschließenden Unterbrechung der Außenbereichsprägung keine Rede sein.
182bb) Der Zwischenwert an den Wohngrundstücken T1. 9a und T1. 21 liegt unter Würdigung der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls deutlich unter 39,5 dB(A), jedenfalls unter 38 dB(A), so dass die durch das Änderungsvorhaben verursachten nächtlichen Lärmwerte von 39,6 dB(A) und 39,5 dB(A) dort unzumutbar sind. Diese Einschätzung beruht darauf, dass diese Grundstücke im Inneren und gewissermaßen in „dritter Reihe“ eines reinen Wohngebietes liegen. Wegen der dadurch geringeren Prägung durch den Außenbereich muss der Zwischenwert für die Grundstücke T1. 9a und 21 geringer ausfallen als - abgestufte - Zwischenwerte für die beiden ersten Reihen des reinen Wohngebietes (dazu aaa). Dieses grenzt in drei Richtungen (Norden, Osten und Süden) an den Außenbereich. Es bildet mit der weiter westlich vorhandenen Bebauung einen nicht durch die dazwischen liegenden Grünflächen und/oder den Friedhof unterbrochenen Bebauungszusammenhang mit der Folge, dass die Grundstücke T1. 9a und 21 nicht selbst an den Außenbereich grenzen (dazu bbb).
183aaa) Vorliegend ist es angemessen, für das bauplanerisch ausgewiesene reine Wohngebiet die Schutzbedürftigkeit des an der nördlichen Grenze gelegenen Wohnhauses T1. 1 sowie derjenigen Wohnhäuser, die sich in südliche Richtung entlang der Ost- und sodann Südseite des Straßenzuges T1. anschließen (erste Reihe), mit 40 dB(A) nachts zu bemessen. Die beschriebene Wohnbebauung wird wegen ihrer Randlage in besonderem Maße durch den Außenbereich geprägt, was einen generell verminderten Schutzanspruch der Wohnnutzung zur Folge hat. Sie bildet in östliche und südliche Richtung die letzte Baureihe des Plangebiets vor dem Außenbereich, wobei schon jeweils hinter den Grundstücksgrenzen unmittelbar der Außenbereich mit einer nordöstlich nahe gelegenen Hofstelle beginnt. Besondere Gründe, die hier für eine erhöhte Schutzbedürftigkeit der in Randlage befindlichen Wohnbebauung streiten könnten, bestehen nicht. Wegen der mit der Standortgebundenheit verbundenen Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich gebietet insbesondere nicht der Umstand einen geringeren Aufschlag als 5 dB(A), dass die Wohnnutzung zeitlich früher, nämlich sogar bereits deutlich vor Errichtung und Inbetriebnahme der emittierenden Windenergieanlagen vorhanden war.
184Weiter ist hier der nächtliche Immissionsrichtwert für die Wohngrundstücke südlich des Wohnhauses T1. 1 (Flurstück 136), die unmittelbar zunächst an die westliche und im weiteren Verlauf nördliche Seite des T1. angrenzen (zweite Reihe), also ausgenommen die Wohnbebauung T1. 9a und 21, um (jedenfalls) 3 dB(A) auf sodann 38 dB(A) zu erhöhen. Dieser Richtwert trägt dem Umstand angemessen Rechnung, dass sich die beschriebenen Wohnnutzungen zwar einerseits nicht in unmittelbarer Randlage zum Außenbereich befinden, anderseits aber immer noch eindeutig dessen prägendem Einfluss unterworfen sind. So weisen die betreffenden Grundstücke bereits räumlich eine nicht unerhebliche Nähe zum Außenbereich auf; der Abstand der Grundstücksgrenzen zu der Grenze des Plangebiets fällt mit teils deutlich unter 40 m an der West- und etwa 50 m an der Nordseite des T1. relativ gering aus. Zudem geht von der lediglich in einer Reihe verwirklichten Wohnbebauung entlang der Ostseite des T1. , die eine deutlich aufgelockerte Bauweise mit großzügig bemessenen Abständen der Wohnhäuser zueinander aufweist, nur eine geringe abschirmende Wirkung zum Außenbereich aus.
185Der Wohnbebauung T1. 13a (Flurstück 243) und 15 (Flurstück 244) ist darüber hinausgehend ein Aufschlag in Höhe von 4 dB(A), mithin ein nächtlicher Immissionsrichtwert von 39 dB(A) nach dem Gebot zu gegenseitiger Rücksichtnahme zumutbar. Die Schutzbedürftigkeit dieser Grundstücke ist dadurch gemindert, dass auf ihrer Höhe in östliche Richtung keine abschirmende Bebauung zum Außenbereich mehr existiert. Das im südwestlichen Bereich des Plangebiets befindliche Flurstück 143 wird im Durchführungsplan Nr. 22‑01 als öffentliche Grünfläche ausgewiesen. Auf ihr ist nach den Feststelllungen im Ortstermin ein Spielplatz errichtet. Die Fläche ist nicht zum Zwecke der Wohnnutzung oder mit sonstigen relevanten Gebäuden im Sinne des § 34 BauGB bebaubar, zudem misst Nr. 6.1 TA Lärm einer Grünfläche keine immissionsschutzrechtlich relevante Schutzwürdigkeit bei. Daher besteht in diesem Bereich, obgleich die Flurstücke 243 und 244 keine unmittelbare Randlage aufweisen, ein gleichsam fließender Übergang zum Außenbereich, so dass sie entsprechend einem stärker ausgeprägten Einfluss ausgesetzt sind. Der verglichen zu den Wohngrundstücken in unmittelbarer Randlage weiter entfernten Lage zum Außenbereich trägt ein um 1 dB(A) geringerer Zuschlag angemessen Rechnung.
186Die dargestellte geminderte Schutzwürdigkeit der Wohnbebauung im reinen Wohngebiet führt mit Blick auf die unterschiedlich starke Prägung durch den Außenbereich und die damit verbundene Abstufung der Zwischenwerte zu einem Zwischenwert für die Grundstücke T1. 9a und 21, der die Zwischenwerte für die Grundstücke in erster und zweiter Reihe unterschreitet und damit jedenfalls unter 38 dB(A) nachts liegt. Der Senat lässt ausdrücklich offen, in welchem Umfang der Zwischenwert für die Grundstücke T1. 9a und 21 unter 38 dB(A) liegen muss. Da im vorliegenden Verfahren nur über den gestellten Antrag zu entscheiden ist, besteht im Übrigen für das Gericht auch kein Anlass zu ermitteln, mit welchen jeweiligen Schallleistungspegeln die vier Anlagen des Windparks gegebenenfalls nachts in immissionsschutzrechtlich zulässiger Weise, aber gleichwohl mit höherem Ertrag betrieben werden könnten.
187Auch wenn man die Zwischenwerte für die Grundstücke in zweiter Reihe hier nicht bei 38 dB(A), sondern höher ansetzte, hält der Senat den für eine Zulässigkeit des Änderungsvorhabens erforderlichen Wert von mindestens 39,5 dB(A) auf den weiter zurückliegenden Grundstücken T1. 9a und 21 aus den oben genannten Gründen für jedenfalls zu hoch. Damit würde im Hinblick auf Lärmbeeinträchtigungen praktisch das gesamte reine Wohngebiet zu einem allgemeinen Wohngebiet gewandelt und der Einfluss des Außenbereichs auf das Gebiet zu hoch bewertet.
188Auch allein mit Blick auf das hier im Verhältnis zum Außenbereich geringe prägende Gewicht des reinen Wohngebiets ist nicht ein einheitlich noch weiter erhöhter Zwischenwert für die gesamte Wohnbebauung angezeigt.
189Vgl. dies nach dem Wortlaut von Nr. 6.7 TA Lärm ausdrücklich für möglich erachtend: VG Gießen, Beschluss vom 25. März 2011 - 8 L 50/11.GI -, juris Rn. 65.
190Denn dies ließe außer Betracht, dass hier für die zurückliegenden Wohngrundstücke ohne Randlage mit zunehmender Entfernung zum Außenbereich eine geringere Prägung und spiegelbildlich eine höhere Schutzwürdigkeit einhergeht.
191Aus dem Erfordernis einer Einzelfallprüfung folgt, dass sich die Zwischenwerte für Wohngrundstücke mit größerer Entfernung zum Außenbereich - anders als die Klägerin wohl meint - nicht ausgehend von dem an der unmittelbaren Grenze zum Außenbereich gebildeten Zwischenwert (hier: 40 dB(A)) nach der physikalisch vorgegebenen Lärmausbreitung bei Windenergieanlagen rechnerisch ermitteln lassen.
192Die Systematik der Gemengelage nach Nr. 6.7 TA Lärm dient nicht dazu, emissionsträchtigen Anlagen ohne einzelfallbezogene Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit hiermit in Konflikt stehender Wohnnutzung zur Genehmigungsfähigkeit zu verhelfen. Vielmehr besteht ihr Sinn und Zweck darin, gebietsbedingte Nutzungskonflikte auf der Grundlage des Gebots zu gegenseitiger Rücksichtnahme zu lösen, wobei in einer Zwischenwertbildung im Sinne der Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm bereits das ausgleichende Prinzip eines gegenseitigen Nachgebens seinen unmittelbaren Ausdruck findet. Soweit die Klägerin daher vorbringt, die Zwischenwerte seien hier über die Randlage zum Außenbereich hinaus schon deshalb auf das Innere des Wohngebiets zu erstrecken, weil die zu erwartenden Lärmimmissionen auf kurze Distanz nur geringfügig abnehmen, trifft dies zwar in tatsächlicher Hinsicht zu. Denn die von Windenergieanlagen ausgehenden Schallimmissionen verringern sich der Höhe nach erst mit merklich zunehmender Entfernung zum Immissionsort, so dass von der Randlage aus abgestufte Zwischenwerte in der Tat häufig nicht ausreichend sein werden, um mit Blick auf strenger einzuhaltende Richtwerte im Inneren eines (reinen) Wohngebiets schädliche Umwelteinwirkungen auszuschließen.
193Vgl. hierzu Agatz, Windenergie-Handbuch, 18. Ausgabe, Dez. 2021, S. 157.
194Auf diese Weise können die Grundstücke, die unmittelbar an den Außenbereich grenzen, der Sache nach von den Lärmrichtwerten profitieren, die im weiter innen liegenden Bereich einzuhalten sind. Dies ist Folge der gebietsbezogenen Betrachtung anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und wohl auch der besonderen Lärmausbreitungsbedingungen von Windenergieanlagen als hohen Quellen. Das allein führt aber nicht dazu, dass innerhalb einer Gemengelage einzuhaltende Lärmrichtwerte einseitig zu Lasten der Wohnnutzung verschoben, also ohne hinreichende Berücksichtigung der anhand der konkreten Einzelfallumstände zu bemessenden Schutzwürdigkeit erhöht werden dürfen. Mit der hier vertretenen Bewertung läuft die Rechtsprechung zur Gemengelage nicht ins Leere, sondern wird auf den konkreten Einzelfall angewandt, allerdings nicht mit dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis.
195Für die Bildung des Zwischenwertes kommt es entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht darauf an, dass das Interimsverfahren im Zeitpunkt der Antragstellung im Jahre 2014 noch nicht entwickelt war und die prognostizierten Lärmwerte nach dem damals angewandten alternativen Verfahren am T1. 9a und 21 etwa 2 dB(A) niedriger lagen. Die Höhe des Immissionsrichtwerts hängt nicht von der Immissionsprognose ab, die dessen Einhaltung vor Erteilung der Genehmigung einer lärmemittierenden Anlage sichern soll.
196bbb) Der Zwischenwert ist für die Grundstücke T1. 9a (Flurstück 332) und T1. 21 (Flurstück 234) nicht deswegen weiter zu erhöhen, weil die Grundstücke aus westlicher oder nördlicher Richtung unmittelbar durch den Außenbereich geprägt wären. Eine solche Prägung vermitteln nicht die (derzeit) unbebauten Flächen westlich des Plangebiets als sog. Außenbereichsinsel (dazu (1)). Der nördlich zwischen Bebauungsplangebiet und westlicher Wohnbebauung gelegene Friedhof unterbricht den Bebauungszusammenhang ebenfalls nicht; der nördlich der L.----straße beginnende Außenbereich setzt sich somit nicht gleichsam als sog. Außenbereichszunge in die rückwärtige Bebauung fort (dazu (2)).
197(1) Von den - ohne Einbeziehung der nördlichen Friedhofsfläche betrachteten - Freiflächen, die westlich des Bebauungsplangebiets Nr. 22-01 sowie östlich der in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 22-07 als faktisches allgemeines Wohngebiet eingeordneten Wohnbebauung entlang des T3.------wegs gelegen sind (Flurstücke 203, 246 und 279) geht auf die hintere Wohnbebauung keine ein erhöhtes Maß an Rücksichtnahme fordernde Prägung aus.
198Die nicht überplanten und bisher unbebauten Flächen sind nicht als Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB zu qualifizieren. Sie gehören vielmehr zum Innenbereich nach § 34 BauGB, da sie den entlang der Straßenzüge T2.------weg und T1. nach insoweit übereinstimmender Einschätzung der Beteiligten und des Senats vorhandenen Bebauungszusammenhang des Ortsteils nicht unterbrechen.
199Das Baugesetzbuch unterscheidet im Hinblick auf die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegenden Bereiche nur zwischen den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen (§ 34 BauGB) und dem Außenbereich (§ 35 BauGB). Ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 BauGB in Abgrenzung zum Außenbereich ist, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und eine - ggf. zur Bebauung vorgesehene - Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Hierüber ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden. Grundlage und Ausgangspunkt dieser bewertenden Beurteilung sind die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, also insbesondere die vorhandenen baulichen Anlagen, sowie darüber hinaus auch andere topographische Verhältnisse wie z. B. Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Böschungen, Gräben, Flüsse und dergleichen) und Straßen. Zu berücksichtigen sind nur äußerlich erkennbare Umstände, d. h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse. Bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich geht es darum, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung ansteht und sich aus dem tatsächlich Vorhandenen ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche gewinnen lässt. Die bewertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann sich angesichts dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien nur nach optisch wahrnehmbaren Merkmalen richten.
200Vgl. zusammenfassend: BVerwG, Beschlüsse vom 8. Oktober 2015 - 4 B 28.15 -, juris Rn. 5 f., und vom 18. Juni 1997 - 4 B 238.96 -, juris Rn. 4, jeweils m. w. N. aus der Rspr.
201Da es für die bauplanungsrechtliche Zuordnung allein auf optisch wahrnehmbaren Merkmale ankommt, ist für die Unterscheidung zwischen einer Innen- oder Außenbereichszugehörigkeit von Grundstücken nicht von Bedeutung, ob sich - wie hier - in der Nichteinbeziehung einer Fläche in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Wille der Gemeinde dokumentiert hat, die Zuordnung zum Außenbereich festzuschreiben.
202Vgl. BVerwG Urteil vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, juris Rn. 14.
203Mögliche Bestandteile eines Bebauungszusammenhanges nach § 34 BauGB sind erstens bebaute Grundstücke, zweitens unbebaute, aber bebauungsfähige Grundstücke (Baulücken im engeren Sinne) sowie drittens freie Flächen, die etwa wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit (z. B. stehendes oder fließendes Gewässer) oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung (z. B. Sportplätze, Erholungsflächen) einer Bebauung entzogen sind.
204Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Juni 2015 - 4 C 5.14 -, juris Rn. 13, und vom 1. Dezember 1972 - IV C 6.71 -, juris Rn. 20, jeweils m. w. N.
205Solche freien Flächen können an einem Bebauungszusammenhang teilnehmen, wenn sie den optischen Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbrechen, etwa weil sie als Bestandteile einer aufgelockerten Bebauung in Erscheinung treten. Das ist in Abhängigkeit von ihrer Größe sowie unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Verhältnisse zu bewerten.
206Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. November 1991 - 4 C 1.91 -, juris Rn. 21 f., und vom 14. April 1967 - IV C 134.65 -, BRS 18 Nr. 23, sowie Beschluss vom 13. September 2012 - 4 C 4.12 -, juris Rn. 6; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 9. Auflage 2019, § 34 Rn. 16.
207Ob eine von Bebauung umgebene Freifläche den Bebauungszusammenhang über eine bestimmte Distanz aufrechtzuerhalten vermag, hängt auch von dem Charakter der Umgebungsbebauung ab.
208Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. November 1991 - 4 C 1.91 -, juris, Rn. 27; OVG NRW, Urteil vom 29. Oktober 2018 - 10 A 1403/16 -, juris Rn. 105; Bracher, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Auflage 2014, Rn. 2154; Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Auflage 2022, § 34 Rn. 9; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 9. Auflage 2019, § 34 Rn. 16.
209Ausgehend hiervon bilden die genannten Freiflächen im rückwärtigen Bereich der vorhandenen Bebauung keinen Außenbereich. Bei dieser Bewertung stützt sich der Senat maßgeblich auf die im Ortstermin gewonnenen Eindrücke der Vorsitzenden und des Berichterstatters, die diese den übrigen Richtern des Senats in der Beratung insbesondere anhand zahlreicher Lichtbilder vermittelt haben. Für die Einschätzung des Senats ist zunächst zu berücksichtigen, dass das an der Ostseite des T3.------wegs gelegene Flurstück 203 - nach übereinstimmender Einschätzung der Beteiligten im Ortstermin - teilweise bebaubar ist, da sich ein Wohnhaus bis zu der durch die nördliche und südliche Bebauung vorgegebenen Tiefe ohne Weiteres einfügen würde. Ebenfalls eine Baulücke (im engeren Sinne) stellt das nördlich des T1. in „dritter Reihe“ befindliche Flurstück 279 dar; dieses Grundstück wird durch die westlich, südlich und östlich benachbarte Wohnbebauung so geprägt, dass ein hinreichend verlässlicher Maßstab für eine fortgesetzte Bebauung existiert.
210Vgl. zu diesem Maßstab: BVerwG, Urteile vom 14. September 1992 - 4 C 15.90 -, juris Rn. 12, und vom 29. Mai 1981 - 4 C 34.78 -, juris Rn. 15 ff. (zu einer lockeren Bebauung mit einzelnen Häusern auf großen Grundstücken).
211Relevante nicht bebaubare Flächen, die einen Außenbereich darstellen könnten, bestehen danach - zusammengenommen - nur noch aus Teilen der Flurstücke 246 und 203 beginnend mit dem jeweiligen Ende des letzten (zulässigen) Baukörpers bis hin zur westlichen Grenze des reinen Wohngebiets. Wie sich jedoch sowohl anhand der Auswertung von Kartenmaterial als auch als Ergebnis der Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit ergibt, verfügen diese Flächen nicht über ein hinreichendes Gewicht, um den Bebauungszusammenhang zu unterbrechen. Die hier in Rede stehenden nicht bebaubaren Flächen sind nicht von solcher Größe und Ausdehnung, dass sie nicht mehr durch die umliegende Bebauung geprägt wären, sondern erscheinen noch als Bestandteil des sich in westliche Richtung an das reine Wohngebiet anschließenden Innenbereichs. Die rückwärtigen Freiflächen liegen innerhalb eines Siedlungsbereichs, der strukturell durch sehr großzügig geschnittene und mit freistehenden Wohnhäusern bebaute Grundstücke bestimmt wird. Die Wohnbebauung ist vor allem in westlicher Richtung sehr aufgelockert und wird ganz überwiegend durch eine weiträumige Gartennutzung geprägt. Trotz einer gewissen Ausdehnung begründen die rückwärtigen Freiflächen, die nach dem Ergebnis der Ortsbesichtigung aus einer weitgehend einheitlichen, zum T2.------weg hin nicht abgezäunten Rasen‑/Wiesenfläche mit einzelnen Bäumen und (Zier‑)Sträuchern bestehen, in Anbetracht dieser besonderen Gegebenheiten keine so wesentliche Lücke, dass der Bebauungszusammenhang bis hin zur westlichen Grenze des Durchführungsplans Nr. 22-01 unterbrochen wäre.
212(2) Eine unmittelbare Außenbereichsprägung der Wohngrundstücke T1. 9a und 21 bewirkt ferner nicht die nördlich zwischen Innenbereich und Bebauungsplangebiet gelegene Friedhofsfläche (Flurstück 27). Auch im Zusammenhang mit den südlich angrenzenden Freiflächen der Flurstücke 203, 246 und 279 unterbricht der Friedhof den vorhandenen Bebauungszusammenhang nicht,
213vgl. zur Einbeziehung auch umliegender Grundstücke: OVG Berlin, Beschluss vom 20. August 1993 - 2 B 7.91 -, juris Rn. 7 f.,
214so dass er als Teil des Innenbereichs keine Fortsetzung des Außenbereichs bewirkt.
215Ein Friedhof hat zwar grundsätzlich selbst keine prägende Wirkung im Hinblick auf einen Bebauungszusammenhang und kann daher für sich genommen in der Regel auch keinen solchen vermitteln.
216„Bebauung“ im Sinne des § 34 BauGB, wonach ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil soweit reicht, wie die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt, ist nicht jede noch so unbedeutende bauliche Anlage. Innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils richtet sich die Zulässigkeit eines Bauvorhabens, soweit keine Planung besteht, gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB danach, ob es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Der innere Grund für die nach diesen Maßstäben sich ergebende Zulässigkeit der Bebauung innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegt darin, dass nur eine nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung zugelassen werden soll. Dies setzt eine Bebauung voraus, die maßstabbildend ist. Unter den Begriff der „Bebauung“ im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB fallen deshalb nur bauliche Anlagen, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen.
217Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. September 1992 - 4 C 15.90 -, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 7. November 1996 - 7 A 962/95 -, juris Rn. 35.
218Eine solche Fähigkeit, prägende Wirkung in Bezug auf das Vorliegen eines Bebauungszusammenhanges zu entfalten, kommt dem vorliegenden Friedhof nicht zu. Er weist keine im oben dargestellten Sinne maßstabbildende Bebauung auf. Die auf ihm errichteten Grabsteine sind, mögen sie auch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW dem landesrechtlichen Begriff der baulichen Anlagen unterfallen, schon deswegen nach allgemeinem Verständnis keine im hier maßgebenden planungsrechtlichen Sinne zu verstehende Bebauung und sind so gesehen auch kein Element eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, weil sie nicht dem ständigen Aufenthalt von (lebenden) Menschen dienen.
219Vgl. OVG NRW, Urteile vom 28. Februar 2002 - 3 A 3629/98 -, juris Rn. 34, und vom 7. November 1996 - 7 A 962/95 -, juris Rn. 38; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 9. Dezember 2004 - 1 A 11591/04 -, juris Rn. 17; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 27. März 2014 - OVG 10 S 5.13 -, juris Rn. 8.
220Ein relevanter Bebauungszusammenhang wird auch nicht durch die an der Westgrenze des Plangebiets vorhandene Kapelle vermittelt. Diese mag zwar eine maßstabbildende Bebauung darstellen können. Jedoch ist sie isoliert am Rande des Friedhofsgeländes zur Grenze des reinen Wohngebiets hin errichtet und bildet daher lediglich einen Bestandteil des Bebauungszusammenhangs zwischen der angrenzenden Bebauung innerhalb des Plangebiets sowie dem nördlich gelegenen Wohnhaus (Flurstück 28).
221Gleichwohl ist die Friedhofsfläche samt der sich daran südlich anschließenden Freiflächen noch dem westlich des Bebauungsplangebiets gelegenen Bebauungszusammenhang und damit dem Innenbereich zuzurechnen.
222Denn nach den vorstehend aufgezeigten Maßstäben können selbst im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB unbebaute Freiflächen größerer Ausdehnung wie Sportplätze, Schwimmbäder, Erholungsflächen, Friedhöfe oder Stadtparks einem Bebauungszusammenhang zuzurechnen sein, wenn sie den optischen Eindruck der Geschlossenheit nicht unterbrechen.
223Vgl. BVerwG, Urteile vom 9. November 2005 - 4 B 67.05 -, juris Rn. 3 (zu einer Splitterbebauung im Außenbereich), vom 14. September 1992 - 4 C 15.90 -, juris Rn. 13 (zu einer Schotterfläche) m. w. N., und vom 12. Juli 1967 - IV C 135/65 -, BRS 28 Nr. 23; OVG NRW, Urteil vom 7. November 1996 - 7 A 962/95 -, juris Rn. 39 (zu einem Friedhof), m. w. N.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 9. Dezember 2004 - 1 A 11591/04 -, juris Rn. 17 (zu einem Friedhof); Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Auflage 2014, Rn. 2154 f.
224Dies zu Grunde gelegt, ist die Friedhofsfläche samt der sich daran südlich anschließenden Freiflächen noch dem westlich des Bebauungsplangebiets gelegenen unbeplanten Innenbereich zuzurechnen. Die vom Senat durchgeführte Ortsbesichtigung hat die schon aufgrund von Lageplänen und Luftbildern sich ergebende Annahme bestätigt, dass diese Flächen am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der Bebauung teilnehmen. Eine unterbrechende Wirkung besteht nach den sich äußerlich darbietenden Gegebenheiten nicht. Der Friedhof wie auch die dahinter befindlichen Wiesenflächen liegen innerhalb einer ländlich geprägten Siedlungsstruktur, die - vor allem entlang des T3.------wegs - durch eine stark aufgelockerte Bauweise und großzügig geschnittene Grundstücke bestimmt ist. In den so vorgegebenen Rahmen reiht sich die Friedhofsfläche ein, ohne dass hierdurch der Eindruck einer räumlichen Trennung zwischen dem reinen Wohngebiet und der entlang des T3.------wegs vorhandenen Bebauung entsteht. Dies gilt auch mit Blick auf die den Friedhof umgebende Hecke nach Süden und Westen (nicht: Mauer), die hinsichtlich Art und Größe anderen Hecken im Gebiet ähnelt.
225Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
226Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 Sätze 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
227Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
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Referenzen
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- BImSchG § 6 Genehmigungsvoraussetzungen 1x
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