Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 277/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.
3Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch darauf zusteht, dass der Antragsgegner seine Amtsführung an der V. -Schule duldet oder dem Antragsteller unverzüglich neue amtsentsprechende Amtsgeschäfte überträgt. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, das seitens des Antragsgegners erlassene, sofort vollziehbare Verbot der Führung der Dienstgeschäfte sei nicht zwischenzeitlich gemäß § 39 Satz 2 BeamtStG erloschen. Der Antragsgegner habe bereits am 22. Juni 2021 und damit innerhalb der Dreimonatsfrist ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet und ihn hierüber auch informiert. Der vom Antragsteller vertretenen Rechtsauffassung, innerhalb dieser Frist müsse Disziplinarklage im Sinne des § 35 Abs. 1 LDG NRW erhoben worden sein, um das Erlöschen nach § 39 Satz 2 BeamtStG zu verhindern, sei nicht zu folgen.
4Dieser im Einzelnen begründeten Auffassung des Verwaltungsgerichts setzt die Beschwerde nichts Substanzielles entgegen.
5Das gilt zunächst für die vom Antragsteller angeführten obergerichtlichen Beschlüsse, die ausnahmslos Verfahren betreffen, in denen das Verbotsverfahren im Zusammenhang mit einer Dienstunfähigkeit des betroffenen Beamten, insbesondere mit einer Polizeidienstunfähigkeit stand.
6Vgl. Sächs. OVG, Beschlüsse vom 13.8.2012 - 2 B 61/11 -, IÖD 2012, 260 = juris Rn. 7, vom 14.2.2012 ‑ 2 A 133/11-, juris Rn. 6, und vom 6.9.2011 - 2 B 519/09 -, juris; VGH Bad-Württ. Beschlüsse vom 7.6.2013 - 4 S 70/13 -, juris Rn. 2, und vom 27.10.2004 - 4 S 2097/04 -, DÖD 2005, 197 = juris Rn. 3, sowie OVG S.-A. Beschluss vom 23.2.2011 ‑ 1 M 16/11 -, NVwZ-RR 2011, 488 = juris Rn. 7.
7Aus diesen Entscheidungen ergibt sich nicht, dass mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens i. S. v. § 39 Satz 2 BeamtStG allein die Erhebung einer Disziplinarklage gemeint sei. Diese Frage spielte in den angeführten Verfahren ersichtlich keine Rolle. Dass ein Dienstverbot grundsätzlich nie länger als drei Monate dauere, wie der Antragsteller meint, kann bereits im Hinblick auf die Regelung des § 39 Satz 2 BeamtStG nicht zutreffen, der das Erlöschen nach drei Monaten nur vorsieht, wenn keines der dort aufgeführten Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde.
8Der Kommentierung des § 39 BeamtStG bei v. Roetteken/Rothländer, auf die der Antragsteller verweist, lässt sich zwar unter Rn. 57,
9vgl. Kohde in: von Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, 22. Aktualisierung Oktober 2021 (Dokumentenstand September 2009),
10entnehmen, dass nach dort vertretener Auffassung lediglich die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit dem Ziel einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder einer Zurückstufung ein Erlöschen des Verbots nach drei Monaten hindern solle. Diese Sichtweise überzeugt jedoch nicht. Sie widerspricht bereits dem Wortlaut des § 39 Satz 2 BeamtStG, der auf die Einleitung "eines Disziplinarverfahrens" und gerade nicht auf die Erhebung einer Disziplinarklage abstellt. Sie berücksichtigt ferner nicht hinreichend, dass das Disziplinarrecht nicht mehr zwischen einem nichtförmlichen und einem förmlichen Disziplinarverfahren unterscheidet, wie vormals §§ 29 und 33 DO NRW. § 63 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW in der bis zum 31. März 2009 geltenden Fassung stellte entsprechend darauf ab, dass binnen drei Monaten "das" Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. Nunmehr kann ein Disziplinarverfahren auch in Fällen eingeleitet werden, in denen mit einer weniger schwer wiegenden erzieherischen Disziplinarmaßnahme wie etwa dem Verweis oder der Geldbuße zu rechnen ist. Dem trägt § 39 Satz 2 BeamtStG mit dem insoweit modifizierten Wortlaut Rechnung, demzufolge das Verbot erlischt, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten "ein" Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. Eine Beschränkung auf Disziplinarverfahren im Hinblick auf eine bestimmte Disziplinarmaßnahme hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Vor diesem Hintergrund muss allerdings gerade auch in Fällen, in denen voraussichtlich ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden muss, jeweils geprüft werden, ob im Hinblick auf ein solches Verfahren zwingende dienstliche Gründe ein Verbot notwendig machen.
11Vgl. Schachel in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblatt, AL. Dezember 2020, § 39 BeamtStG Rn. 8.
12Das hat der Antragsgegner ausweislich der angegriffenen Verfügung vom 18. Juni 2021 (S. 2f.) getan.
13Dass diese Erwägungen mittlerweile mit Rücksicht auf den Stand der staatsanwaltlichen Ermittlungen überholt seien, denen nach Auffassung des Antragstellers kein dringender Tatverdacht zu entnehmen sei, ist nicht zu erkennen. Ausweislich des Inhalts der vom Antragsteller in Kopie mit Schriftsatz vom 26. April 2022 übersandten staatsanwaltlichen Ermittlungsakte dauern die Ermittlungen an. Eine Auswertung der anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung sichergestellten Datenträger steht ebenso aus wie die Vernehmung weiterer Zeugen.
14Im Übrigen wäre eine etwaige Änderung der Sachlage durch einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO bezogen auf den rechtskräftigen Beschluss vom 26. Oktober 2021 (Az.: 2 L 1628/21) des Verwaltungsgerichts Düsseldorf bei diesem Gericht geltend zu machen.
15Ebenfalls ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller ferner gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, ein Dienstverbot nach § 39 BeamtStG komme neben einem laufenden Disziplinarverfahren zur Anwendung. Die vom Senat in dem auch vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Beschluss vom 25. Juni 2020 im Verfahren 6 B 238/20 ausführlich begründete Auffassung, dass § 39 BeamtStG nicht ab Eröffnung eines Disziplinarverfahrens von § 38 LDG NRW verdrängt wird, hat i. Ü. zwischenzeitlich nicht nur durch einen Beschluss des 1. Wehrdienstsenats am Bundesverwaltungsgericht Bestätigung gefunden,
16vgl. Beschluss vom 28.10.2021 - 1 WRB 2.21 -, juris Rn. 20 ff. zum Dienstausübungsverbot nach § 22 SG,
17sondern entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung in der Rechtslehre.
18Vgl. neben den bereits in dem genannten Senatsbeschluss vom 25.6.2020, IÖD 2020, 184 = juris Rn. 5, zitierten Stimmen ferner: Schachel in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblatt, AL. Dezember 2020, § 39 BeamtStG Rn. 9 und 25 und Schmiemann in: Schütz/Schmiemann, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, 15. Lieferung 10.2021, § 38 BDG Rn. 4a unter Bezugnahme auf den Senatsbeschluss vom 25.6.2020.
19Mit Rücksicht darauf, dass das streitige Verbot als vorübergehende Eilmaßnahme der Sicherung des Dienstbetriebs und der Ermittlungen im Rahmen eines etwaigen Disziplinarverfahrens dient, muss die zuständige Behörde den in ihrem Ermessen stehenden Dauerverwaltungsakt allerdings bis zum Geltungsende unter Kontrolle halten.
20Vgl. Schachel in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, Loseblatt, AL. Dezember 2020, § 39 BeamtStG Rn. 21.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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Referenzen
- SG § 22 Verbot der Ausübung des Dienstes 1x
- BDG § 38 Zulässigkeit 1x
- 2 B 61/11 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 80 1x
- §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- 2 B 519/09 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- § 35 Abs. 1 LDG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 L 1628/21 1x (nicht zugeordnet)
- 1 M 16/11 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 29 und 33 DO 2x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 4 S 70/13 1x
- VwGO § 146 1x
- 6 B 238/20 1x (nicht zugeordnet)
- LBG § 63 1x
- VwGO § 152 1x
- BeamtStG § 39 Verbot der Führung der Dienstgeschäfte 7x
- 2 A 133/11 1x (nicht zugeordnet)
- 4 S 2097/04 1x (nicht zugeordnet)