Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 3330/20.A
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
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G r ü n d e
2Der von dem Kläger allein gerügte Verfahrensmangel der Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
3Der Kläger bringt im Kern vor: Er sei nicht ordnungsgemäß zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Die im verwaltungsgerichtlichen Urteil als seine Anschrift angegebene Adresse (F.-------straße in C. ) sei weder eine Wohnanschrift, noch eine Zustellanschrift, sondern die Anschrift der Aufnahmeeinrichtung L. -C. . Dort sei er seit seiner Überführung zu der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) T. – die auch seine Aufenthaltsgestattung als Wohnanschrift ausweise – nie wieder gewesen. Ausweislich einer E-Mail der Bezirksregierung L. vom 23. August 2019 habe er der Stadt H. zugewiesen werden sollen, was aber tatsächlich nie vollzogen worden sei. Er sei damit aber wohl „aktenmäßig ausgesiedelt“ worden. Jedenfalls habe er in der ZUE T. weder Schreiben „offizieller Art“ noch solche seiner vormaligen Prozessbevollmächtigten erhalten. Seine vormalige Prozessbevollmächtigte habe das Mandat niedergelegt, weil sie Informationen zur Klagebegründung sowie angeforderte Vorschüsse nicht erhalten habe. Es seien zudem verfahrensrelevante Schriftstücke im Bereich der Deutschen Post AG aufgefunden worden, ohne dass diese ihm in der ZUE T. tatsächlich zugestellt worden seien. Das Verwaltungsgericht habe auf eine von ihm eingeholte behördliche Auskunft hin mitgeteilt, dass die derzeitige Anschrift des Klägers „F.-------straße , C. “ sei. An diese Anschrift habe auch sein aktueller Prozessbevollmächtigter Schriftstücke, insbesondere die Ladung zur mündlichen Verhandlung mit der Bitte um Rückmeldung, übersandt, die er nicht erhalten habe.
41. Die Möglichkeit der Teilnahme eines Beteiligten an der mündlichen Verhandlung trägt dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung. Hat der Beteiligte einen Prozessbevollmächtigten, der ihn in dem Termin vertreten kann, ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör regelmäßig genügt, wenn dieser an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Oktober 2021 – 1 A 3158/20.A –, juris, Rn. 6.
6Einen darüber hinausgehenden generellen Anspruch auf eine persönliche Anhörung anwaltlich vertretener Kläger sieht die Prozessordnung auch im Asylrechtsstreit nicht vor. Etwas anderes gilt im Einzelfall allerdings dann‚ wenn gewichtige Gründe vorliegen und substantiiert dargelegt werden‚ die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen. Das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung kann daher je nach den Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt.
7Vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 27. September 2021 – 4 LA 171/21 –, juris, Rn. 3; Bay. VGH, Beschluss vom 15. April 2020 – 4 ZB 20.30838 –, juris, Rn. 4 f.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 4 LA 204/18 –, juris, Rn. 11 f.; BVerwG, Beschluss vom 8. August 2007 – 10 B 74.07 –, juris, Rn. 8 (zu § 130a VwGO).
8Voraussetzung einer begründeten Gehörsrüge ist ferner die (erfolglose) Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs kann sich nicht berufen, wer die im konkreten Fall gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, nicht genutzt hat.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 2008 – 1 B 3.08 –, juris, Rn. 9.
10Zudem erfordert eine Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 – 5 C 10.15 D –, juris, Rn. 65.
122. Nach diesen Maßgaben zeigt das Zulassungsvorbringen das Vorliegen eines Gehörsverstoßes nicht auf.
13Der anwaltlich vertretene Kläger, dessen persönliches Erscheinen das Verwaltungsgericht nicht angeordnet hat, ist ausweislich des am 6. Juli 2020 unterzeichneten Empfangsbekenntnisses ordnungsgemäß über seinen Prozessbevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2020 geladen worden, sodass dieser die Möglichkeit hatte, den Termin wahrzunehmen. Hiermit ist der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör grundsätzlich gewahrt, auch wenn sein Prozessbevollmächtigter den Termin nicht wahrgenommen hat. Der Regelung des § 102 Abs. 2 VwGO ist zu entnehmen, dass beim Ausbleiben eines (ordnungsgemäß geladenen) Beteiligten auch ohne diesen mündlich verhandelt und entschieden werden kann, wenn in der Ladung – wie im vorliegenden Fall geschehen – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Der Kläger kann insoweit auch nichts zu seinen Gunsten daraus herleiten, dass ihn Schriftstücke seines Prozessbevollmächtigten, insbesondere die Ladung zur mündlichen Verhandlung mit der Bitte um Rückmeldung, nicht erreicht haben, weil sein Prozessbevollmächtigter diese an die von dem Verwaltungsgericht ermittelte – unzutreffende , vom Kläger selbst allerdings auch noch im Zulassungsverfahren angegebene – Anschrift „F.-------straße , C. “ übersandt habe. Hierin liegt schon von vornherein keine dem Verwaltungsgericht zuzurechnende Versagung des rechtlichen Gehörs des Klägers. Es liegt nicht in der Sphäre des Verwaltungsgerichts, sondern ist Sache des Mandatsverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant, eine Erreichbarkeit untereinander sicherzustellen. Entscheidet sich demnach der Rechtsanwalt – wie hier – dafür, eine vom Verwaltungsgericht ermittelte Anschrift zu übernehmen, ohne mit dem Mandaten Rücksprache zu halten, so liegt es in seiner – und damit letztlich des Klägers – Risikosphäre, ob diese Anschrift tatsächlich zutrifft.
14Mit dem Zulassungsvorbringen legt der Kläger ferner nicht (substantiiert) dar, weshalb das Verwaltungsgericht seine persönliche Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung für erforderlich hätte halten müssen, um seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zu wahren. Solches ist auch nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung nicht allein darauf gestützt, dass das Verfolgungsvorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren unglaubhaft sei. Es hat selbständig tragend zusätzlich ausgeführt, dass selbst wenn man unterstelle, dass dem Kläger in Marokko tatsächlich eine Strafverfolgung drohe, dieser Umstand nicht geeignet wäre, zu einer Flüchtlingsanerkennung/Asylberechtigung für den Kläger zu führen. Es fehle an der Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG mit einem Verfolgungsgrund nach § 3b AsylG. Die Strafverfolgung knüpfe nicht an ein asylerhebliches Merkmal i. S. v. § 3b AsylG an.
15Zudem hat der Kläger seine verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, nicht ausgenutzt. Sein Prozessbevollmächtigter hat weder einen Antrag auf Terminsverlegung noch auf Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers gestellt. Der Kläger legt schließlich auch nicht dar, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und inwieweit dies zu einer für ihn günstigeren Entscheidung hätte führen können.
163. Der Kläger legt auch sonst nicht dar, weshalb sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein sollte, weil er verfahrensrelevante Schriftstücke – die er schon nicht genauer bezeichnet hat – nicht erhalten habe oder weil das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil die Adresse „F.-------straße , C. “ als seine Wohnanschrift angegeben hat. Weshalb eine fortbestehende Verletzung seines rechtlichen Gehörs daraus folgen sollte, dass seine vormalige Prozessbevollmächtigte das Mandat niederlegt, weil sie von ihm keine Rückmeldung und keinen Vorschuss erhalten habe, erschließt sich nicht. Der Kläger hat nämlich seinen aktuellen Prozessbevollmächtigten mandatiert, der seine Rechte wahrnehmen konnte.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Referenzen
- VwGO § 130a 1x
- 4 LA 171/21 1x (nicht zugeordnet)
- 1 A 3158/20 1x (nicht zugeordnet)
- 4 LA 204/18 1x (nicht zugeordnet)