Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 B 1880/21
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 6. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird unter Änderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts für das Verfahren in beiden Instanzen auf jeweils 20.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
3Dabei bleibt offen, ob der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin auf Stilllegung der Anlage der Beigeladenen durch sein Schreiben vom 26. Januar 2021, gegen das die Antragstellerin nicht weiter vorgegangen ist, insbesondere nicht durch Erhebung einer Klage auf Einschreiten, bestandskräftig abgelehnt hat und ob mit Blick darauf überhaupt noch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes besteht.
4Jedenfalls stellt das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, den angegriffenen Beschluss nicht durchgreifend in Frage, mit dem das Verwaltungsgericht die Anträge gemäß § 123 Abs. 1 VwGO auf Stilllegung der Bauschutt- und Bodenaufbereitungsanlage der Beigeladenen (dazu I.) und auf Feststellung der nicht gesicherten Erschließung der Anlage (dazu II.) abgelehnt hat.
5I. Hinsichtlich des Antrags auf Stilllegung der Anlage hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch (dazu 1.) noch einen Anordnungsgrund (dazu 2.) glaubhaft gemacht.
61. Ein Stilllegungsanspruch ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren weder aus § 20 Abs. 2 BImSchG (dazu a)) noch aus § 20 Abs. 3 BImSchG (dazu b)); nichts anderes folgt aus § 20 Abs. 1 BImSchG (dazu c)). Ein mit dem Antrag auf Verpflichtung zur Stilllegung konkludent geltend gemachter Anspruch gegen den Antragsgegner gerichtet darauf, den Stilllegungsantrag der Antragstellerin vom 11. Januar 2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, besteht ebenfalls nicht (dazu d)).
7a) Aus § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG lässt sich kein Anspruch der Antragstellerin auf Stilllegung der gesamten Bauschutt- und Bodenaufbereitungsanlage der Beigeladenen herleiten. Nach dieser Vorschrift soll die zuständige Behörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen ist.
8Entgegen der Ansicht der Antragstellerin wird die Anlage der Beigeladenen nicht insgesamt ohne die erforderliche Genehmigung betrieben. Vielmehr besteht eine bestandskräftige Genehmigung des Staatlichen Umweltamtes Herten vom 24. Juli 1996 für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zum Brechen und Klassieren von Bauschutt in der Fassung der (ebenfalls bestandskräftigen) Änderungsgenehmigung des Staatlichen Umweltamtes Herten vom 14. April 2004 für eine Anlage zum Brechen und Klassieren von natürlichem und künstlichem Gestein in Verbindung mit einer Anlage zur sonstigen Behandlung von nicht besonders überwachungsbedürftigen Abfällen. Darin werden u. a. maximale Lagerkapazitäten mit maximalen Lagerhöhen festlegt. Ein Tatbestand, der - wie die Antragstellerin meint - zum Erlöschen der Genehmigung geführt haben könnte (vgl. etwa § 18 Abs. 1 und 2 BImSchG; § 43 Abs. 2 VwVfG), liegt ersichtlich nicht vor. Durch die deutliche Erhöhung der Lagermengen und der Haldenhöhen schon vor vielen Jahren - vor Übergang der Betreiberstellung auf die Beigeladene - wurde die Anlage allerdings ohne die dafür erforderliche Genehmigung wesentlich geändert. Aus diesem Grund gab der Antragsgegner der Beigeladenen durch Ordnungsverfügung mit Androhung von Zwangsgeld vom 7. November 2013 gemäß § 20 Abs. 2 BImSchG auf, die überschüssigen Lagermengen im RCL-, Eingangs- und Bodenlager zu beseitigen. Darin liegt der Sache nach eine (Teil‑)Stilllegung der Anlage, soweit sie ohne Genehmigung betrieben wird.
9Zu einer Teilstilllegung bei ungenehmigter Betriebserweiterung durch Lagern von Bodenmaterial auf dem Nachbargrundstück siehe OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2021 - 8 B 1468/20 -, juris Rn. 19 ff.
10Der Antragsgegner hat bei Erlass dieser Ordnungsverfügung den ihm durch § 20 Abs. 2 BImSchG eingeräumten Entscheidungsspielraum erkannt und sich unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände dafür entschieden, die Anlage nicht vollständig stillzulegen, sondern der Beigeladenen lediglich aufzugeben, die den genehmigten Umfang übersteigenden Lagermengen über einen längeren Zeitraum hinweg abzubauen und schließlich die für die einzelnen Lagerplätze vorgeschriebenen Lagermengen und -höhen sicherzustellen. Diese Entscheidung sowie die spätere Verlängerung der der Beigeladenen eingeräumten Sanierungsfristen war nicht offensichtlich fehlerhaft. Da sich der ohne Genehmigung betriebene Teil der Anlage hinsichtlich der Menge und der Höhe des gelagerten Materials von dem genehmigten Teil abgrenzen lässt und die Entsorgung der Bodenmassen nach den insoweit plausiblen Angaben der Beigeladenen nur durch die Einnahmen aus dem regulären Betrieb der Anlage finanzierbar ist, spricht Erhebliches dafür, dass die von der Antragstellerin erstrebte vollständige Stilllegung der gesamten Anlage allein wegen der Mengenüberschreitung des gelagerten Materials auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG unverhältnismäßig sein könnte.
11Zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen von § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG siehe OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2016 - 8 B 1395/15 -, juris Rn. 70.
12Die Antragstellerin kann auch nicht deswegen die Stilllegung der ganzen Anlage verlangen, weil die Beigeladene im August 2019 den bisher genutzten Brecher durch einen neuen ersetzt hat, der lauter ist als der bisherige (ausweislich der Schallleistungspegelbestimmung des Ingenieurbüros X. vom 29. Oktober 2019 nun 115,3 dB(A) statt zuvor 113 dB(A)), über eine größere Behandlungskapazität verfügt und an einer anderen Stelle steht als im Jahre 2004 genehmigt. Auch wenn dies eine wesentliche Änderung der Anlage sein dürfte (wovon der Antragsgegner in seinem Schreiben an die Beigeladene vom 10. September 2019 ausgeht), folgt daraus kein Stilllegungsanspruch der Antragstellerin für die gesamte Anlage. Der Betrieb des neuen Brechers, der aus Lärmschutzgründen wie schon der vorherige Brecher mit Zustimmung des Antragsgegners doppelt so weit vom Wohnhaus der Antragstellerin entfernt steht wie 2004 genehmigt (mehr als 70 m statt etwa 35 m), verletzt die Antragstellerin aller Voraussicht nach nicht in ihren Rechten. Insbesondere führt er nicht zu einer Überschreitung der Lärmrichtwerte auf dem Grundstück der Antragstellerin. Nach der Prognose von Schallimmissionen der Dekra Umwelt GmbH vom 14. August 2003, die nach Abschnitt I und Anhang I des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides des Staatlichen Umweltamtes Herten vom 14. April 2004 Teil der Genehmigung ist und den bisherigen Brecher berücksichtigte, unterschritt der Beurteilungspegel von 58 dB(A) auf dem Grundstück der Antragstellerin den für Gewerbegebiete tagsüber geltenden Lärmrichtwert von 65 dB(A) auch bei dem alten, näher am Grundstück der Antragstellerin gelegenen Standort des vormaligen Brechers deutlich (S. 4 der Prognose). Auch die Spitzenwertbegrenzung während der Tageszeit wurde dort mit den genehmigten Maschinen und Fahrzeugen prognostisch unterschritten. Selbst wenn also der Betrieb des neuen Brechers - insbesondere bei größerer Entfernung zum Grundstück der Antragstellerin - dort etwas höhere Lärmwerte hervorrufen sollte, wäre der genannte Lärmrichtwert dort voraussichtlich immer noch eingehalten. Dies gilt erst recht, falls man das Grundstück der Antragstellerin als Teil eines Industriegebietes mit einem Lärmrichtwert von 70 dB(A) nach Nr. 6.1 Buchstabe a TA Lärm einordnen sollte. Die größere Behandlungskapazität des neuen Brechers wirkt sich als solche nicht zum Nachteil der Antragstellerin aus, weil die jährlich zulässige Gesamtkapazität der Bauschuttaufbereitungsanlage weiterhin einzuhalten ist. Im Gegenteil ist bei gleichbleibender Gesamtkapazität und höherer Durchgangsleistung in der Gesamtschau sogar eher von einer Reduzierung der Betriebszeiten des Brechers auszugehen.
13Die (hohen) Lärmwerte, die die Antragstellerin mit ihrem Smartphone gemessen hat, stehen dieser Einschätzung nicht entgegen. Diese Messungen sind nicht hinreichend aussagekräftig. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, sondern vielmehr fernliegend, dass sie den maßgeblichen Vorgaben der TA Lärm zu Überwachungsmessungen (Nr. 6.9 und A.3 des Anhangs) etwa hinsichtlich geeichter Messgeräte oder des Messverfahrens entsprechen könnten und die nach Nr. 6.4 der TA Lärm für die Ermittlung der Beurteilungspegel maßgeblichen Beurteilungszeiten berücksichtigen.
14Aus dem Vorstehenden folgt, dass sich der Stilllegungsanspruch der Antragstellerin auch nicht aus § 20 Abs. 2 Satz 2 BImSchG ergibt, der auf Satz 1 der Vorschrift aufbaut.
15b) Die Antragstellerin kann sich für den geltend gemachten Stilllegungsanspruch auch nicht mit Erfolg auf § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG berufen. Danach kann die zuständige Behörde den weiteren Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage durch den Betreiber oder einen mit der Leitung des Betriebs Beauftragten untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit dieser Personen in Bezug auf die Einhaltung von Rechtsvorschriften zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dartun, und die Untersagung zum Wohl der Allgemeinheit geboten ist.
16Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Vorschrift nachbarschützend ist,
17siehe dazu Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Dez. 2021, § 20 BImSchG Rn. 90,
18hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass der Betreiber der Anlage der Beigeladenen unzuverlässig i. S. v. § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG (dazu aa)) und das dem Antragsgegner bei seiner Entscheidung zustehende Ermessen auf Null reduziert ist (dazu bb)).
19Der Betreiber einer Anlage ist unzuverlässig, wenn er keine Gewähr dafür bietet, dass er die Anlage künftig unter Beachtung der Vorschriften zum Schutz vor schädlichen Umweltauswirkungen führen wird. Das Unzuverlässigkeitsurteil setzt kein Verschulden voraus, sondern fordert eine durch Tatsachen untermauerte Prognose für das zukünftige Verhalten. Der Grad der Wahrscheinlichkeit hängt vom Ausmaß der drohenden Gefahren ab. Unzuverlässig ist jedenfalls, wer erkennbare Rechtsverstöße auf behördlichen Hinweis nicht abstellt. Dabei kann es sich ebenso um einen gravierenden Rechtsverstoß wie um eine Häufung kleinerer Verstöße handeln.
20Vgl. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 6. Oktober 2016 ‑ 8 B 10771/16 -, juris Rn. 9.
21Die Antragstellerin beruft sich für die Unzuverlässigkeit auf „die gravierende Missachtung der genehmigungsrechtliche[n] Vorschriften durch die Beigeladene und den jahrelang andauernden, nicht genehmigungskonformen Betrieb, beispielsweise durch die illegale Unterhaltung einer Bodendeponie auf dem Betriebsgelände“.
22Damit hat die Antragstellerin keine Unzuverlässigkeit des Anlagenbetreibers - hier wohl des Geschäftsführers der Beigeladenen - glaubhaft gemacht. Die illegale Bodendeponie stammt nach Aktenlage aus der Zeit vor der Insolvenz des früheren Anlagenbetreibers. Der Abbau der überschüssigen Mengen erfolgt langsam und ist immer noch nicht beendet. Im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen die dritte Zwangsgeldfestsetzung von Februar 2016 auf der Grundlage der Ordnungsverfügung vom 7. November 2013 wegen des verzögerten Rückbaus einigten sich die Beigeladene und der Antragsgegner im März 2019 für die Freiräumung einer bestimmten Fläche auf eine Frist bis Ende 2020 sowie darauf, im Jahre 2020 Verhandlungen zum Zwecke der Erzielung einer Einigung über die Entsorgung weiterer Bodenmassen aufzunehmen. Die Beigeladene hat nach den Feststellungen des Antragsgegners die Lagermengen seitdem weiter verringert und stimmt den weiteren Rückbau jährlich mit dem Antragsgegner ab. Aus diesem Geschehensablauf lässt sich nicht die Prognose ableiten, der derzeitige Betreiber der Anlage werde sich künftig nicht an die Vorschriften zum Schutz vor schädlichen Umweltauswirkungen halten.
23Die von der Antragstellerin beklagte Missachtung der (sonstigen) genehmigungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere der Nebenbestimmungen zum Schutz der Nachbarn vor Lärm und Staub, begründet ebenfalls keine Unzuverlässigkeit des Anlagenbetreibers. Bei dieser Bewertung hat der Senat die in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen, seit vielen Jahren regelmäßig erhobenen und oft zusammen mit Fotos eingereichten Beschwerden der Antragstellerin betreffend Lärm, Staub und die Verkehrssituation in der C.--straße ebenso zur Kenntnis genommen wie die ebenfalls zahlreich vorhandenen Aktenvermerke und Fotos des Antragsgegners zur Anlage der Beigeladenen. Insgesamt lässt sich daraus erkennen, dass zwar die immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen beim Betrieb der Anlage nicht immer eingehalten worden sind, sondern es Verstöße gab (z. B. im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Reifenwaschanlage oder die Sauberkeit der C.--straße ). Die Zahl der Verstöße war nach Aktenlage allerdings nicht übermäßig groß und hat in den letzten Jahren abgenommen. Die Beigeladene hat im März 2021 sogar ohne eine entsprechende Verpflichtung eine zweite Reifenwaschanlage direkt hinter der ersten installiert, um die Lkw-Reifen besser reinigen zu können, und hält die Lkw-Fahrer nach eigenen Angaben zu einer langsamen Fahrweise an, um eine ordnungsgemäße Funktion der Reifenwaschanlage zu gewährleisten. Außerdem sind die Verstöße nicht derart häufig und gewichtig, dass aus ihnen zu schließen wäre, der Anlagenbetreiber könne keine Gewähr dafür bieten, die Anlage künftig unter Beachtung der Vorschriften zum Schutz vor schädlichen Umweltauswirkungen zu führen.
24bb) Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen ist das dem Antragsgegner nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG zustehende Ermessen nicht auf Null reduziert.
25Eine solche Reduzierung des Ermessens kommt nur in engen Ausnahmefällen in Betracht. Sie setzt voraus, dass nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen offenkundig nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden können.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 2016 - 5 C 36.15 -, juris Rn. 31.
27Dies ist hier nicht der Fall. Bevor der Antragsgegner dem Geschäftsführer der Beigeladenen oder sonstigen Personen, die den Betrieb leiten, verbietet, den Anlagenbetrieb fortzuführen, und damit der Sache nach den Betrieb zumindest vorübergehend stilllegt, kommen zunächst mildere, gleich geeignete Mittel in Betracht, so z. B. häufigere Kontrollen des Antragsgegners vor Ort, Anwendung geeigneter Zwangsmittel oder (hinsichtlich der Staubbelastung) eine Anordnung an die Beigeladene, die Effektivität der Reifenwaschanlage(n) und der Kehrmaschinenleistung sowie den Verschmutzungsgrad der C.--straße regelmäßig und in kurzen Abständen durch namentlich benannte und verantwortliche Mitarbeiter zu kontrollieren, dies zu dokumentieren und dem Antragsgegner regelmäßig zu berichten.
28c) Die Antragstellerin kann die Stilllegung der gesamten Anlage der Beigeladenen schließlich nicht nach § 20 Abs. 1 BImSchG verlangen.
29aa) Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BImSchG kann die zuständige Behörde dann, wenn der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage einer Auflage, einer vollziehbaren nachträglichen Anordnung oder einer abschließend bestimmten Pflicht aus einer Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG nicht nachkommt und die Auflage, die Anordnung oder die Pflicht die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage betreffen, den Betrieb ganz oder teilweise bis zur Erfüllung der Auflage, der Anordnung oder der Pflichten aus der Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG untersagen.
30Da das dem Antragsgegner auch nach dieser Vorschrift zustehende Ermessen aus den eben genannten Gründen nicht auf Null reduziert ist, scheidet ein Stilllegungsanspruch auch auf dieser Rechtsgrundlage aus.
31bb) Er folgt auch nicht aus § 20 Abs. 1 Satz 2 BImSchG. Danach hat die zuständige Behörde den Betrieb ganz oder teilweise nach Satz 1 zu untersagen, wenn ein Verstoß gegen die Auflage, Anordnung oder Pflicht eine unmittelbare Gefährdung der menschlichen Gesundheit verursacht oder eine unmittelbare erhebliche Gefährdung der Umwelt darstellt. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
32Auflagen i. S. v. § 20 Abs. 1 BImSchG sind solche nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i. V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW, also (Neben‑)Bestimmungen eines Verwaltungsakts, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird.
33Vgl. Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 20 Rn. 7 und § 12 Rn. 14.
34Die Nebenbestimmungen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die dem Schutz der Nachbarn vor Immissionen wie Lärm und Staub dienen, stellen Auflagen in diesem Sinne dar.
35Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die von ihr in der Vergangenheit gerügten und für die Zukunft weiter befürchteten Verstöße der Beigeladenen gegen diese Nebenbestimmungen die menschliche Gesundheit unmittelbar gefährden. Sie trägt dazu vor, die von der Anlage der Beigeladenen seit Jahren ausgehenden Lärm-, Staub-, Geruchs- und Erschütterungsimmissionen beeinträchtigten als Dauerstressbelastung ihre Konzentration und hätten bei ihr zu einer Herzerkrankung, Kopfschmerzen, Migräne mit Sehstörungen und gefährlich hohem Blutdruck geführt; die Abgase der auf der Anlage betriebenen Maschinen und Fahrzeuge sowie des an- und abfahrenden Schwerlastverkehrs seien unzumutbar.
36Schon das Verwaltungsgericht hat im angegriffenen Beschluss darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin keine aussagekräftigen ärztlichen Bescheinigungen eingereicht hat, aus denen sich die behaupteten Erkrankungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen ergeben. Weder in den Gerichtsakten zum Verfahren erster Instanz oder 8 L 850/19 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch in den sonstigen beigezogenen Gerichtsakten und Verwaltungsvorgängen finden sich entsprechende ärztliche Atteste. Das schlichte Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, von ihr dürfe nicht verlangt werden, „angesichts der bereits im Vorprozess aufgezeigten […] bei ihr aufgetretenen Herzerkrankung noch aktualisierte ärztliche Atteste vor[zu]legen, um gesundheitliche Auswirkungen vom illegalen Betrieb der Bauschuttaufbereitungsanlage nochmals zu belegen und glaubhaft zu machen“, ersetzt die gebotene Glaubhaftmachung nicht.
37Zudem liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand, dass die geschilderten gesundheitlichen Probleme in einem kausalen Verhältnis zu den nach Aktenlage anzunehmenden Verstößen gegen nachbarschützende Auflagen stehen und nicht auf dem nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich genehmigten bzw. für eine Übergangszeit vom Antragsgegner und nach dem im vorangegangenen Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht geschlossenen außergerichtlichen Vergleich auch von der Antragstellerin tolerierten Betrieb beruhen, dessen Auswirkungen die Antragstellerin als Bewohnerin eines unmittelbar an ein Industriegebiet angrenzenden, wenn nicht gar selbst in einem faktischen Industriegebiet gelegenen Grundstücks nach immissionsschutzrechtlichen Maßstäben hinzunehmen hat.
38d) Ein im Stilllegungsantrag - bei einer gemäß den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO am Interesse der Antragstellerin orientierten Auslegung ungeachtet der fehlenden diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde - konkludent enthaltener Anspruch auf Neubescheidung des Antrags der Antragstellerin auf Stilllegung besteht ebenfalls nicht.
39Der Antragsgegner hat sein Ermessen, soweit ihm dieses nach § 20 Abs. 1, 2 und 3 BImSchG zusteht, nicht zu Lasten der Antragstellerin fehlerhaft ausgeübt. Er hat die Stilllegung auch des genehmigten Teils der Anlage im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt (vgl. Schreiben des Antragsgegners an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 23. Oktober 2020 und vom 26. Januar 2021, die der Sache nach Bezug nehmen auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 13. August 2019, Seite 3 ff., im Verfahren 8 L 850/19 beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen): Das Hauptproblem bei der Überschreitung der Lagermengen stelle das Bodenlager dar, das die Antragstellerin als solches jedoch nicht belaste, weil der Bereich der massiven Überhangmengen komplett begrünt sei und daher keine zusätzliche Staubbelastung verursache. Allein die größeren Lagerhöhen bei Bauschutt und RC‑Material führten - bei Einhaltung der Gesamtlagermenge und der Vorsorgemaßnahmen - nicht zu relevant erhöhten Immissionen bei der Antragstellerin. Die Antragstellerin wohne in einem ehemaligen Verwaltungs- und Bürogebäude einer früheren Zeche in einem Gebiet, das schon immer industriell genutzt worden sei. Bei einer derartigen Wohnlage gälten für Lärm relativ hohe Immissionsrichtwerte. Diese seien nach der vorliegenden Schallimmissionsprognose aus dem Jahre 2004 und einer Geräuschmessung aus dem Jahre 2000 auch unter Berücksichtigung der mittlerweile geänderten Betriebsabläufe eingehalten. Entsprechendes gelte für die Staubemissionen. Die Verkehrsbelastung auf dem privaten Teil der C.--straße , die die Erschließungsstraße für das Industrie- und Gewerbegebiet darstelle, sei wegen der dort angesiedelten verschiedenen gewerblichen Betriebe schon immer groß gewesen. Relevante Mängel in Bezug auf die Verunreinigung der Straßen und die Staubminderung auf der Anlage seien in den letzten 25 Jahren eher selten festgestellt worden. Eine Stilllegung der Anlage wäre wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen für die Beigeladene und deren Beschäftigten unverhältnismäßig.
40Diese Erwägungen sind rechtlich voraussichtlich nicht zu beanstanden. Dass die Halden auf dem Betriebsgelände der Beigeladenen zumindest teilweise noch begrünt sein dürften, ergibt sich aus den zur Gerichtsakte übersandten und in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Fotos aus den vergangenen Jahren. Im Übrigen würde die begehrte Stilllegung der ganzen Anlage, die mit einem Abbau der dort lagernden Bodenmassen verbunden sein müsste, weil die Anlage andernfalls weiterhin zur Lagerung genutzt würde und insoweit nicht stillgelegt wäre, die Staubbelastung für die Antragstellerin nicht verringern. Entscheidend ist, dass die vorgeschriebenen Staubminderungsmaßnahmen beim Lagern und Behandeln des Materials eingehalten werden.
412. Es fehlt weiter an einem Anordnungsgrund für die begehrte Stilllegung.
42Soll die begehrte Anordnung die Hauptsache nach § 123 Abs. 1 VwGO zumindest teilweise, etwa für die Dauer des Hauptsacheverfahrens, vorwegnehmen, setzt ein Anordnungsgrund voraus, dass das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist den jeweils betroffenen Rechten des Antragstellers und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung zu tragen. Droht dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende gewichtige Gründe entgegenstehen.
43Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Mai 2021 - 8 B 1967/20 -, juris Rn. 7 f., m. w. N.
44In Verfahren gemäß § 123 Abs. 1 VwGO, in denen wegen Immissionsbelastungen ein nachbarliches Abwehrrecht auf behördliches Einschreiten auch unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme im Raum steht, ist die „Zumutbarkeit“ Beurteilungsmaßstab sowohl für den Anordnungsanspruch als auch - hinsichtlich der Auswirkungen des Vorhabens speziell für die Zeit des Hauptsacheverfahrens - für den Anordnungsgrund relevant. Aus der Unterschiedlichkeit der Bezugspunkte für das Maß des Zumutbaren bei Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund folgt in Fällen dieser Art, dass ein Anordnungsgrund erst dort in Erwägung gezogen werden kann, wo eine Beeinträchtigung durch das Vorhaben von einer Intensität glaubhaft gemacht ist, die zumindest das für das Glaubhaftmachen der Verletzung des Rücksichtnahmegebots Erforderliche erreicht. Regelmäßig liegt die Schwelle für das, was im Hinblick auf von einer Nutzung ausgehende Störungen auch vorübergehend nicht hingenommen werden kann und deshalb den Erlass einer Regelungsanordnung rechtfertigt, jedoch noch deutlich höher als die für das Vorliegen eines Nachbarrechtsverstoßes wegen einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots maßgebliche. Nicht alles, was unter dem Gesichtspunkt des immissionsschutzrechtlichen Nachbarrechtsschutzes als rücksichtslos und unzumutbar zu bewerten sein könnte, ist bereits ein für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht hinzunehmender wesentlicher Nachteil im Sinn des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
45Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 16. April 2019 ‑ 15 CE 18.2652 -, juris Rn. 25; OVG S.-A., Beschluss vom 7. März 2008 - 2 M 8/08 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 1992 - 7 B 2686/92 -, juris Rn. 20.
46Für die Bestimmung der Schwelle, ab der Immissionen das zumutbare Maß überschreiten und damit eine erhebliche Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG darstellen, ist ein objektivierter Maßstab - nämlich das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht die individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Nachbarn - zugrunde zu legen.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. September 2020 ‑ 8 A 1161/18 -, juris Rn. 85 f., m. w. N.
48a) Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren keinen Anordnungsgrund für die beantragte vorläufige Stilllegung der Anlage glaubhaft gemacht. Eine solche Stilllegung würde die Hauptsache mindestens zeitweilig vorwegnehmen und kann wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile zur Insolvenz der Beigeladenen führen. Dass der Weiterbetrieb der Anlage während eines - hier noch nicht einmal eingeleiteten - Hauptsacheverfahrens für die Antragstellerin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte und ihr eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in ihren Rechten (Gesundheit, Eigentum) drohte, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte, ist nicht glaubhaft gemacht.
49Für die behauptete Gesundheitsbeeinträchtigung der Antragstellerin ist dies oben ausgeführt worden. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist dies auch hinsichtlich sonstiger Nachteile nicht erkennbar.
50aa) Aus den oben genannten Gründen ist anzunehmen, dass die beim Betrieb der Anlage hervorgerufenen Schallimmissionen die auf dem Grundstück der Antragstellerin zulässigen Lärmrichtwerte einhalten.
51Dass der Anlagenbetrieb mit unzumutbaren Erschütterungen verbunden wäre, ist nicht ersichtlich. Soweit größere Metallteile als Fehlwürfe in der Brechanlage in Einzelfällen zu besonders lauten Geräuschen und Erschütterungen geführt haben, wird der Anlagenbetrieb nicht dadurch generell für die Antragstellerin unzumutbar. Dabei handelt es sich um wohl nie vollständig auszuschließende, kurzzeitige Ausnahmen, die die Beigeladene schon im eigenen Interesse möglichst vermeiden wird, weil sie die Brechanlage beschädigen. Bei dem von der Antragstellerin thematisierten plötzlichen Aufschlagen der Ladeklappen von Lkw, wodurch ihre mit flüssigem Metall hantierenden Mitarbeiter erschrecken können, ist nicht glaubhaft gemacht, dass dies in einer unzumutbaren Häufigkeit geschieht, die eine Stilllegung rechtfertigten könnte.
52bb) Dass der Staubniederschlag durch den Anlagenbetrieb (Lagerungen, Materialaufbereitung im Freien, Umschlagvorgänge auf dem Betriebsgelände) die für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots maßgebliche Schwelle in einem Maße übersteigt, das eine sofortige Stilllegung der Anlage begründen könnte, ist trotz der zahlreichen Beschwerden der Antragstellerin über Staubablagerungen auf ihrem Grundstück nicht glaubhaft gemacht. Nach Aktenlage ist im Übrigen auch nicht ohne weiteres klar, inwieweit der von der Antragstellerin beklagte Staubniederschlag gerade auf die Anlage der Beigeladenen zurückzuführen ist. In Betracht kommt auch der Betrieb der Axel Arnolds GmbH, eines schräg gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin ebenfalls an der C.--straße angesiedelten Unternehmens. Die B. GmbH bietet ausweislich ihres Internetauftritts die Leistungen Tiefbau, Abbruch, Transporte und Recycling an und verfügt auf dem Betriebsgelände in H. über eine immissionsschutzrechtlich genehmigte Recyclinganlage zur Aufbereitung von Bauschuttmassen sowie einen zahlreiche Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark. Nach den bei TIM-online abrufbaren Luftbildern wird auf ihrem Gelände an der C.--straße auch derartiges Material gelagert.
53Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die von der Antragstellerin gerügte Verschmutzung der C.--straße vor ihrem Grundstück. Dabei ist dem Senat bewusst, dass die Antragstellerin sich zumindest seit 1997 immer wieder über den Anlagenbetrieb beschwert und unter anderem geltend macht, die von der Anlage abfahrenden Lkw verschmutzten die C.--straße in erheblichem Maße. Den von ihr übersandten Fotos zum Straßenzustand und den Feststellungen des Antragsgegners bei wiederholten unangekündigten Kontrollen vor Ort (Aktenvermerke und Fotos) ist auch zu entnehmen, dass die Straße nicht nur in ganz vereinzelten Ausnahmefällen in unterschiedlichem Grad verschmutzt war. Allerdings ergibt sich daraus nicht, dass die C.--straße vor dem Grundstück der Antragstellerin gerade durch den Betrieb der Anlage der Beigeladenen trotz zwischenzeitlicher Errichtung der zweiten Lkw-Reifenwaschanlage auch aktuell noch so häufig so stark verschmutzt wäre, dass eine sofortige Anlagenstilllegung gerechtfertigt sein könnte.
54cc) Die von der Antragstellerin beklagten Verkehrsprobleme durch den Lieferverkehr in der C.--straße (Lärm, Schmutz, Abgase, Stau, Parken am Straßenrand, Überfahren ihres Grundstücks) begründen keinen Anordnungsgrund für die beantragte Betriebsstilllegung. Auch hier ist unklar, in welchem Maße sie auf den Lieferverkehr zur Anlage der Beigeladenen oder z. B. der B. GmbH zurückzuführen sind. Außerdem ist nicht glaubhaft gemacht, dass sie derart gravierend wären, dass die Antragstellerin daran gehindert würde, ihr Grundstück angemessen zu nutzen.
55c) Ein Anordnungsgrund für die beantragte Stilllegung der Anlage besteht entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht deshalb, weil der im Eilverfahren 8 L 850/19 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen geschlossene Vergleich bisher größtenteils noch nicht umgesetzt worden sei. Denn die bisherigen Auswirkungen der Anlage begründen aus den dargestellten Gründen keinen Anordnungsgrund für eine vorläufige Stilllegung der Anlage.
56Abgesehen davon dient die der Beigeladenen vom Antragsgegner erteilte Änderungsgenehmigung vom 18. März 2022 der Umsetzung dieses Vergleichs. Der gegen diese Änderungsgenehmigung erhobene Widerspruch der Antragstellerin beschleunigt die in dieser Änderungsgenehmigung (auch) vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Antragstellerin jedenfalls nicht. Auf die Frage, inwieweit der Widerspruch zulässig und begründet ist, kommt es vorliegend nicht an.
57II. Einen Anordnungsgrund im Sinne eines besonderen Eilbedürfnisses für den Hilfsantrag auf Feststellung der nicht gesicherten Erschließung der Anlage der Beigeladenen hat das Verwaltungsgericht zu Recht verneint. Das Vorbringen der Antragstellerin, das streitgegenständliche Feststellungsbegehren sei „von eminenter Wichtigkeit für alle Prozessbeteiligten und für laufende oder zukünftige Genehmigungsverfahren“, stellt dies nicht ansatzweise in Frage und zeigt insoweit keine besondere Dringlichkeit auf.
58Unabhängig davon lässt dieses Vorbringen nicht erkennen, worin das besondere Feststellungsinteresse i. S. v. § 43 Abs. 1 VwGO der Antragstellerin bestehen sollte, das für eine Feststellungsklage erforderlich ist. Zudem hat der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren mitgeteilt und belegt, dass im Baulastenverzeichnis der Stadt H. seit dem 9. September 1993 eine Erschließungsbaulast auf den Flurstücken, die den privaten Teil der C.--straße bilden, für die umliegenden Grundstücke eingetragen ist, darunter auch für den westlichen Teil des Betriebsgeländes der Beigeladenen.
59III. Die von der Antragstellerin beantragte Durchführung eines Ortstermins hält der Senat im Beschwerdeverfahren wegen der in den Verwaltungsvorgängen und den Eingaben der Antragstellerin anschaulich dokumentierten örtlichen Zustände für nicht geboten.
60IV. Eine von der Antragstellerin im Schriftsatz vom 20. Juli 2022 thematisierte (etwaige) weitere Änderungsgenehmigung für die Beigeladene zum Zwecke der Entsorgung von Fisch- und/oder Essensabfällen ist ebenso wenig Gegenstand des vorliegenden, auf Stilllegung gerichteten Verfahrens wie das von der Antragstellerin nunmehr wegen der seit dem 18. Juli 2022 wahrgenommenen Geruchsbelästigung (fischig-fauliger Gestank vom Betriebsgelände der Beigeladenen) beantragte Einschreiten des Antragsgegners.
61V. Auch wenn die Antragstellerin nach alldem mit ihrem ausschließlich auf Stilllegung des Betriebs der Beigeladenen gerichteten Begehren keinen Erfolg haben kann, weist der Senat mit Blick auf die langjährige Konfliktsituation zwischen den Beteiligten auf Folgendes hin: Nach Aktenlage besteht Anlass sowohl für die Beigeladene, die nachbarschützenden Nebenbestimmungen der bisherigen Genehmigungen hinsichtlich der Staubemissionen gewissenhafter einzuhalten als bisher, als auch Anlass für den Antragsgegner, den Anlagenbetrieb jedenfalls auch in dem verbleibenden Zeitraum bis zur Realisierung der insbesondere im Interesse der Antragstellerin liegenden Änderungsgenehmigung vom 18. März 2022 in kürzeren Abständen weiterhin zu überwachen und nötigenfalls zu prüfen, ob und ggf. mit welchen Mitteln er gegen die von der Anlage der Beigeladenen ausgehende Staubbelastung auf dem Grundstück der Antragstellerin sowie gegen die Staubbelastung und die Verschmutzung des privaten Teils der C.--straße vorgeht. Im Einzelnen:
62Der Bescheid des Staatlichen Umweltamtes Herten vom 14. April 2004 enthält in seinem Abschnitt IV 3.2 „Luftreinhaltung“ Nebenbestimmungen für den Anlagenbetrieb und die Zufahrt zum Betriebsgelände über die C.--straße , die auch dem Schutz der an die Anlage angrenzenden Nachbargrundstücke vor Luftverunreinigungen i. S. d. § 3 Abs. 3 BImSchG durch Staubablagerungen dienen. So ist etwa bei der Lagerung von Ein- und Ausgangsmaterial bei Bedarf eine Berieselungseinrichtung einzusetzen (Nebenbestimmung IV 3.2.3). Dies gilt, da die Ordnungsverfügung vom 7. November 2013 keine spezielleren Regelungen enthält, ersichtlich auch für den angeordneten Rückbau der überschüssigen Lagermengen.
63Nebenbestimmung Nr. 3.2.6 sieht vor, dass der Ausfahrtbereich bis zum öffentlichen Teil der C.--straße und die Betriebsstraßen bei Verschmutzungen, die durch den Betrieb der Anlage entstehen, mittels Nass- oder Saugkehrmaschinen so zu reinigen sind, dass Staubablagerungen vermieden werden und sichtbare Staubemissionen auch beim Befahren der Straße mittels Radlader oder Lkw nicht auftreten.
64Zwar sind die dazu erforderlichen technischen Vorrichtungen auf der Anlage der Beigeladenen vorhanden. Auf dem Betriebsgelände ist eine Reifenwaschanlage installiert worden; seit März 2021 gibt es sogar zwei hintereinander liegende Reifenwaschanlagen. Außerdem verfügt die Beigeladene über eine Kehrmaschine zum Säubern der Straße; zusätzlich reinigt die Stadt H. auf Kosten der Beigeladenen die Straße einmal täglich mit einer Kehrmaschine. Nach den in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen und aus den von der Antragstellerin übersandten Fotos spricht allerdings manches dafür, dass die Vorgaben dieser Nebenbestimmungen häufiger nicht eingehalten worden sind, als der Antragsgegner bei seinen Kontrollen festgestellt hat (wobei jedoch unklar ist, in welchem Umfang dies der Beigeladenen zuzurechnen ist). Die Reifen der von der Anlage der Beigeladenen abfahrenden Lkw werden möglicherweise nicht immer ausreichend gereinigt und zwar auch dann nicht, wenn die Lkw - wie vorgeschrieben - durch die Reifenwaschanlage(n) fahren. Dadurch wird Material, das an den Reifen haftet, auf die C.--straße gebracht, das die Kehrmaschinen wohl nicht immer in Gänze beseitigen können und das dort nach dem Trocknen staubt. In gewissem Umfang räumt dies auch die Beigeladene selbst ein. Sie hat gegenüber dem Antragsgegner angegeben, dass die Reinigungsleistung der Reifenwaschanlage(n) beim Wechsel zwischen Regen- und Trockenphasen nachlasse, weil dann im Reifenprofil Material eher haften bleibe und schwieriger abzuwaschen sei (vgl. Vermerke des Antragsgegners über Telefonate mit Herrn T. am 18. Januar 2021, mit Frau T. am 2. Februar 2021 und mit einem Mitarbeiter der Beigeladenen am 8. Februar 2022). Wechsel zwischen Regen- und Trockenphasen sind bei den typischen Wetterverhältnissen am Anlagenstandort der Beigeladenen jedoch keine außergewöhnlichen Umstände, sondern treten immer wieder auf. Dementsprechend ist die Beigeladene verpflichtet, die Nebenbestimmungen auch bei solchen Wetterbedingungen einzuhalten und die Reinigungsvorrichtungen (Reifenwaschanlage, Kehrmaschine) so einzusetzen, dass anlagenbedingte Verschmutzungen mit Staubablagerungen und dadurch hervorgerufene sichtbare Staubemissionen auf dem privaten Teil der C.--straße vermieden werden. Um dieses Ziel zu erreichen, könnte es bei entsprechenden Wetterbedingungen beispielsweise nötig sein, die Lkw noch langsamer durch die Reifenwaschanlage fahren zu lassen, die Reifen zusätzlich manuell zu reinigen oder die Kehrmaschinen häufiger einzusetzen, damit der Reinigungszustand der C.--straße auch in dem Zeitraum zwischen den jeweiligen Einsätzen der städtischen Kehrmaschine, beispielsweise am Wochenende, den Vorgaben der Genehmigung vom 14. April 2004 entspricht.
65Die bisherigen Ermessenserwägungen des Antragsgegners, die sich auf ein Einschreiten wegen der Staubbelastung beziehen, könnten jedenfalls in Bezug auf die Straßenreinigung teilweise rechtlich angreifbar sein. Entgegen der Annahme des Antragsgegners im Vermerk vom 10. März 2021 dürfte seine Zuständigkeit „in Bezug auf die Restverunreinigungen der C.--straße “ nicht schon dadurch entfallen, dass die Beigeladene „die geforderten Vorsorgemaßnahmen zur weitgehenden Minderung des Austrags von Verunreinigungen erfüllt“. Diese Vorsorgemaßnahmen, mit denen die Reifenwaschanlagen und die Kehrmaschine gemeint sein dürften, müssen nicht nur vorhanden und beim Betrieb der Anlage funktionstüchtig sein, sondern auch so eingesetzt werden - auch bei Wechsel zwischen Regen- und Trockenphasen -, dass die immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen zum Schutz der Nachbarn eingehalten werden. Da die Vorgaben zur Sauberhaltung der C.--straße Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sind und es um Verschmutzungen geht, die dem Anlagenbetrieb zuzurechnen sind, handelt es sich dabei nicht um rein verkehrsrechtliche Belange, für die der Antragsgegner nicht zuständig ist.
66Auch wenn die Anforderungen an die Sauberkeit einer Straße in einem Industrie‑/Gewerbegebiet geringer sein mögen als in einem Wohngebiet, könnte es rechtlich bedenklich sein, wenn sich der Antragsgegner bei der Frage, ob er wegen einer Straßenverschmutzung gegen den Anlagenbetrieb einschreitet, auf die Feststellungen beschränkt, die in den letzten Jahren festgestellten Verschmutzungen seien nicht massiv (vgl. Vermerk des Antragsgegners vom 12. November 2018) und die Stadt H. als zuständige Straßenverkehrsbehörde sehe insoweit keinen Grund zum Einschreiten (vgl. Schreiben des Antragsgegners an die Antragstellerin vom 12. November 2020). Denn die Nebenbestimmung Nr. 3.2.6 des Bescheides vom 14. April 2004 stellt nicht auf massive Verschmutzungen des Ausfahrtbereichs bis zum öffentlichen Teil der C.--straße ab. Vielmehr müssen dort Staubablagerungen vermieden werden und dürfen beim Befahren der Straßen mittels Radlader oder Lkw keine sichtbaren Staubemissionen auftreten.
67Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind aus Gründen der Billigkeit erstattungsfähig, weil sie einen Sachantrag gestellt und sich substantiiert zur Sache eingelassen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
68Die Streitwertfestsetzung und ‑änderung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 45 Abs. 1 Satz 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 19.2 und Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei bewertet der Senat den Streitwert für den Antrag auf Stilllegung der Anlage mit 15.000 Euro und für den Hilfsantrag mit 5.000 Euro. Diese Werte werden nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG addiert, weil über den Hilfsantrag entschieden wird und die Ansprüche (Stilllegung, Erschließung) nicht denselben Gegenstand betreffen (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Da die Antragstellerin der Sache nach jeweils eine (zeitweilige) Vorwegnahme der Hauptsache begehrt, wird der Streitwert nicht nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens auf die Hälfte reduziert.
69Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
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