Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz - 8 B 10771/16
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 2. August 2016 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der am 30. Mai 2016 verfügten Untersagung des Betriebs der Antragstellerin durch die beiden bisherigen Geschäftsführer zu Recht abgelehnt. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine andere Entscheidung.
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1. Dem Eilrechtsschutzbegehren ist nicht bereits durch Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 30. Mai 2016 wegen unzureichender Begründung stattzugeben. Denn die hierzu im Bescheid enthaltenen Ausführungen des Antragsgegners genügen den Anforderungen an die Begründung der Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
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Der Antragsgegner hat durch die ausführliche Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung (vgl. S. 24 bis 26 des Bescheids) zu erkennen gegeben, dass er sich der zusätzlichen Belastung durch diese Anordnung bewusst war. Die hierzu gegebene Begründung ist auch nicht bloß formelhaft, sondern vielmehr auf den vorliegenden Fall bezogen, denn die Notwendigkeit der sofortigen Vollziehung wird gerade mit den Verstößen seit dem Anhörungsschreiben vom 18. März 2016 begründet. Dies wird auch von der Antragstellerin eingeräumt. Wenn sie darüber hinaus eine Begründung dafür vermisst, warum gerade jetzt die Verfügung nach § 20 Abs. 3 BImSchG ergeht, so spricht sie die inhaltliche Berechtigung der sofortigen Vollziehung und nicht das formale Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO an.
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2. Hinsichtlich der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass durchaus einiges für die Rechtmäßigkeit der Verfügung spricht, die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache aber wegen der Komplexität des Sachverhalts und der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung letztlich dennoch als offen bezeichnet werden muss. Bei der danach über die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 30. Mai 2016 hinausgehenden Interessenabwägung überwiegt auch nach Auffassung des Senats das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Verfügung.
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a. Die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Gründe weisen nicht auf die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Verfügung vom 30. Mai 2016; im Gegenteil spricht mehr für deren Rechtmäßigkeit.
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Rechtsgrundlage für die Verfügung ist § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG. Danach kann der weitere Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage durch den Betreiber untersagt werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit dieser Person in Bezug auf die Einhaltung von Rechtsvorschriften zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dartun, und die Untersagung zum Wohl der Allgemeinheit geboten ist. Die Antragstellerin ist als Anlagenbetreiberin zutreffende Adressatin der Verfügung vom 30. Mai 2016 (vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 20 Rn. 46). Ist der Anlagenbetreiber eine juristische Person - wie hier -, kommt es hinsichtlich des Unzuverlässigkeitsurteils auf die vertretungsberechtigten Personen an (vgl. Jarass, a.a.O., § 20 Rn. 49; Hansmann, in: Landmann/Romer, Umweltrecht, Bd. III, 79. EL 2016, § 20 BImSchG, Rn. 58), hier also auf die beiden Geschäftsführer der GmbH A... und C... B....
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(1) Dennoch richtet sich die Untersagungsverfügung weiterhin gegen den Betreiber, hier also die GmbH. Soweit der Antragsgegner sich unter Ziffer I seiner Verfügung nicht darauf beschränkt hat, den Betrieb durch die Antragstellerin zu untersagen, sondern speziell die Betriebsführung „durch A... B... und C... B... als Geschäftsführer" ausgeschlossen hat, hat er bereits die Folgeregelung nach § 20 Abs. 3 Satz 2 BImSchG in den Blick genommen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Danach kann dem Betreiber erlaubt werden, die Anlage durch eine andere Person betreiben zu lassen, die die Gewähr für den ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage bietet (vgl. hierzu die Hinweise auf S. 24 des Bescheids). Für diese Konkretisierung der Verfügung bestand auch hinsichtlich der Geschäftsführerin C... B... hinreichend Anlass, ist doch auch sie nach außen hin als Vertreterin der Antragstellerin aufgetreten und hat daher ebenfalls Mitverantwortung für die der Antragstellerin angelasteten Pflichtverstöße (vgl. etwa die Teilnahme von C... B... an den Besprechungen vom 24. September 2015 zur neuen Abluftreinigungsanlage - im Beisein von Dipl.-Ing. D... - (Bl. 3403 der Behördenakte), vom 20. Januar 2016 zu Folgerungen aus der Schimmelpilzmessung (Bl. 3887 der Behördenakte) und vom 2. März 2016 zur Behandlung von Folienwaschwasser (Bl. 4028 der Behördenakte).
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(2) Der Betreiber einer Anlage ist unzuverlässig, wenn er keine Gewähr dafür bietet, dass er die Anlage künftig unter Beachtung der Vorschriften zum Schutz vor schädlichen Umweltauswirkungen führen wird. Das Unzuverlässigkeitsurteil setzt kein Verschulden voraus, sondern fordert eine durch Tatsachen untermauerte Prognose für das zukünftige Verhalten. Der Grad der Wahrscheinlichkeit hängt vom Ausmaß der drohenden Gefahren ab. Unzuverlässig ist jedenfalls, wer erkennbare Rechtsverstöße auf behördlichen Hinweis nicht abstellt (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: Hansmann, a.a.O., § 20 Rn. 61; Jarass, a.a.O., § 20 Rn. 48). Dabei kann es sich ebenso um einen gravierenden Rechtsverstoß wie um eine Häufung kleinerer Verstöße handeln (vgl. Hansmann, a.a.O., § 20 Rn. 65).
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Nach summarischer Prüfung spricht einiges für die Annahme des Antragsgegners, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit wiederholt ihre Pflichten nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz missachtet hat, was aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles die Annahme rechtfertigt, dass es unter der Verantwortung der bisherigen Geschäftsführung auch in Zukunft weiterhin zu Rechtsverstößen kommen wird.
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Dabei hängt die Annahme der Unzuverlässigkeit der maßgeblichen Personen nicht von dem Nachweis schädlicher Umwelteinwirkungen durch den Betrieb der Anlage ab. Insoweit sei lediglich angemerkt, dass die Unschädlichkeit der Emissionen aus der Anlage aufgrund der vorliegenden Emissionsmessungen entgegen der Auffassung der Antragstellerin keineswegs belegt ist. Hinsichtlich des Streits um die Validität der bisherigen gutachterlichen Aussagen kann auf die Begründung im Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 20. Juni 2016 zur Zwangsgeldandrohung bezüglich der Emissionsmessungen verwiesen werden (vgl. Bl. 4833 ff. der Behördenakte). Für das Unzuverlässigkeitsurteil ist es vielmehr ausreichend, dass die Antragstellerin den auf die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen bezogenen einzelnen Handlungs-, Nachweis- und Anzeigepflichten nicht im gebotenen Maße nachgekommen ist. Das im Eilverfahren gewonnene Bild der Betriebsabläufe deutet darauf hin, dass die Antragstellerin in einer Vielzahl von Fällen die von ihr zu erwartenden Verhaltenspflichten nicht erfüllt hat:
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Was den - nicht genehmigten - Einsatz der Siebtrommel anbelangt, ergibt sich aus dem Protokoll zum Ortstermin am 11. November 2015 (Bl. 3599 der Behördenakte), dass sie nicht bloß teilweise eingeschaltet, sondern mit Folien betrieben wurde.
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Hinsichtlich der Benutzung der Waschwasserbehälter Mosellager I und Mosellager II zeigen die - nicht substantiiert bestrittenen - Angaben in der Tabelle auf S. 12 des Bescheids vom 30. Mai 2016, dass diese Behälter entgegen der - durch Freistellungsbescheid vom 16. Oktober 2015 akzeptierten - Anzeige einer neuen Abluftreinigungsanlage nicht umgehend geleert und außer Betrieb genommen wurden, sondern bis weit in das Jahr 2016 hinein immer wieder benutzt wurden. Die vollständige Leerung wurde von der Antragstellerin erst am 7. April 2016 - nach massivem Druck der Antragsgegnerin - angezeigt (vgl. Bl. 4324 der Behördenakte).
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Schließlich ergibt der Vermerk zum Ortstermin am 24. März 2016 (Bl. 4210 der Behördenakte), dass die neue Abluftreinigungsanlage mit verschmutzten Folien und mit laufender Folienwaschanlage betrieben wurde, obwohl dies in der Anordnung vom 15. März 2016 untersagt worden war. Dass die Gutachter der E... GmbH in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2016 (Bl. 4179 der Behördenakte) hinsichtlich der Abluftreinigung für den Abluftstrom der Folienwaschanlage (L 8) eine Weiterführung des Probebetriebs befürworteten, durfte die Antragstellerin nicht zur Annahme berechtigen, sie dürfe die Anlage weiter wie im Normalbetrieb führen. Denn aufgrund der Stellungnahme war klar, dass eine abschließende Beurteilung des Absorptionsgrades dieser Filteranlage noch nicht getroffen worden war. Im Übrigen hatte die Antragstellerin die Abluftführung unter Umgehung der Ionisationseinheit auch abgeändert, was von ihr erst nachträglich - nach Intervention der Behörde - angezeigt wurde (vgl. das Schreiben der Behörde vom 28. April 2016 [Bl. 4522 der Behördenakte], die Anzeige der Antragstellerin vom 2. Mai 2016 [Bl. 4544 der Behördenakte] und den Freistellungsbescheid hierzu vom 9. Mai 2016 [Bl. 4566 der Behördenakte]).
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Insgesamt bestätigt sich der - vom Senat bereits im Beschluss vom 11. September 2015 - 8 B 10875/15.OVG - angedeutete - Eindruck von begründeten Zweifeln an der Fähigkeit oder Bereitschaft der Antragstellerin, ihren Pflichten zur Vermeidung von schädlicher Umwelteinwirkungen (§ 5 Abs. 1 BImSchG) nachzukommen. Zu diesen Pflichten gehören insbesondere auch Verfahrenspflichten wie die rechtzeitige Anzeige von Anlagenänderungen oder der Nachweis von Emissionsmessungen.
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(4) Ist die Prognose weiteren pflichtwidrigen Verhaltens in der Zukunft gerechtfertigt, so ist die Betriebsuntersagung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG in aller Regel auch zum Wohl der Allgemeinheit geboten (vgl. Jarass, a.a.O., § 20 Rn. 51).
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Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand erweist sich das Vorgehen der Antragsgegnerin auch nicht als offensichtlich unverhältnismäßig. Die vorliegenden Akten bestätigen eindrucksvoll, dass die Behörde zunächst mit umfangreichen Überwachungsmaßnahmen nach § 52 BImSchG versucht hat, die im Betrieb der Antragstellerin festgestellten Defizite abzustellen. Sie hat dabei wiederholt nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG erlassen, zum Teil kombiniert mit vorübergehenden Betriebsuntersagungen nach § 20 Abs. 1 BImSchG (vgl. die Verfügung vom 15. März 2016, Bl. 4109 der Behördenakte).
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b. Spricht daher nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung eher mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 30. Mai 2016, so teilt der Senat in einer darüber hinausgehenden Interessenabwägung die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass es einstweilen sachgerecht ist, den Sofortvollzug der Untersagungsverfügung aufrechtzuerhalten.
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Die dadurch zweifellos verursachten Beeinträchtigungen für die Antragstellerin haben auch nach Auffassung des Senats deshalb ein geringeres Gewicht, weil die Fortführung des Betriebs aufgrund der von dem Antragsgegner zugelassenen Stellvertreterlösung nach § 20 Abs. 3 Satz 2 BImSchG nicht bedroht ist. Die durch die Einschaltung von Dipl.-Ing. D... verursachten Kosten sind der Antragstellerin deshalb zumutbar, weil die Einbeziehung von solcherart technischem Sachverstand auch bereits bislang nötig und - häufig gerade auch in Person von Dipl.-Ing. D... - praktiziert worden war. Mit der Verlagerung der Verantwortung auf eine gerade mit den technischen Betriebsabläufen vertraute Person besteht eine größere Gewähr für einen pflichtbewussten und effektiven Betrieb der Anlage, so wie dies im Beschluss des Senats vom 11. September 2015 bereits angemahnt worden war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 52 GKG.
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Referenzen
- §§ 47, 52 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- BImSchG § 20 Untersagung, Stilllegung und Beseitigung 7x
- BImSchG § 52 Überwachung 1x
- BImSchG § 17 Nachträgliche Anordnungen 1x
- VwGO § 146 1x
- VwGO § 80 3x
- BImSchG § 5 Pflichten der Betreiber genehmigungsbedürftiger Anlagen 1x
- VwGO § 154 1x
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