Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 A 1558/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 95.895 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Verpflichtungsklage sei unbegründet. Für den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung für die Spielhalle fehle schon das Sachbescheidungsinteresse, da das Vorhaben in den Räumlichkeiten unter der Anschrift L.---straße 17, L1. -P. , wegen des anzuwendenden Abstandsgebots nach § 16 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes zur Ausführung des Glückspielstaatsvertrags NRW (AG GlüStV NRW) unzulässig sei; der gebotene Mindestabstand von 350 m werde hinsichtlich der Kindertagesstätte des T. -Familienzentrums C. , N. -C1. -Str. 22 mit 300 m Luftlinie und hinsichtlich der Kindertagesstätte C. des B. e. V., N1.-----weg 216, mit 330 m Luftlinie unterschritten; ein atypischer Fall, der eine Unterschreitung des Mindestabstands zulasse, sei nicht gegeben. Unabhängig davon habe die Klägerin auch deshalb keinen Anspruch auf die Baugenehmigung, weil die Bauvorlagen unvollständig seien. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei unzulässig. Die angefochtene Gebührenfestsetzung sei nicht zu beanstanden.
4Das gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Verpflichtungsantrag gerichtete Vorbringen der Klägerin führt nicht zur Zulassung der Berufung.
51. Das Vorbringen der Klägerin weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
6a) Die Klägerin rügt ohne Erfolg, § 16 Abs. 3 AG GlüStV NRW sei hier nicht anwendbar, das Verwaltungsgericht habe deshalb zu Unrecht ein Sachbescheidungsinteresse verneint.
7aa) Die Klägerin meint, die Bestimmung erfasse mit dem Begriff der (öffentlichen) Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht auch freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
8Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, eine Beschränkung des Abstandsgebots auf Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft liege schon deshalb nicht nahe, weil der Jugendschutz das ausdrückliche Ziel der Reformierung der einschlägigen Regelungen sei, Kindertagesstätten in privater Trägerschaft erfüllten zudem eine öffentliche Aufgabe, da sie subjektiv-öffentliche Ansprüche auf Förderung in Tageseinrichtungen erfüllten, zudem bedürften sie der öffentlichen Erlaubnis und unterlägen öffentlicher Überwachung.
9Diese Erwägungen des angegriffenen Urteils werden durch das Zulassungsvorbringen nicht erschüttert. Die Regelungen zum Abstandsgebot dienen, wie das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung aufgezeigt hat, dem Jugendschutz. Sie sollen zur Verhinderung der Glücksspielsucht beitragen. Indem Spielhallen in der Nähe der von ihnen besonders häufig aufgesuchten Einrichtungen aus dem alltäglichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen herausgenommen werden, wird erreicht, dass diese in geringerem Maße Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit sind; gerade bei besonders schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen kann so ein Gewöhnungseffekt durch ein stets verfügbares Angebot vermieden werden. Damit wird ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel verfolgt.
10Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12 u. a., NVwZ 2017, 1111 = juris, zu entsprechenden Abstandsgeboten im Spielhallengesetz Berlin.
11Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, dass hier vom Gesetzgeber des landesrechtlichen Abstandsgebots eine Differenzierung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Anknüpfung an die Trägerschaft der in Rede stehenden Einrichtungen beabsichtigt gewesen und in der Sache gerechtfertigt sein könnte.
12bb) Es fehlt hier entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht im Hinblick auf das Alter der in den genannten Einrichtungen betreuten Kinder an deren Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf die Ansiedlung einer Spielhalle. Auch dies hat das Verwaltungsgericht ausführlich begründet und unter Bezugnahme auf die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darauf hingewiesen, dass ein Gewöhnungseffekt und eine Senkung der Hemmschwelle zum späteren Einstieg in das Glücksspiel auch bei jüngeren Kindern eintreten kann und unerwünscht ist. Die Ausführungen der Klägerin erschüttern diese Begründung nicht.
13cc) Ebenso wenig kann sich die Klägerin auf einen atypischen Sachverhalt berufen, der eine Abweichung von dem Abstandsgebot begründen könnte.
14Zu den von der Klägerin angesprochenen topografischen Besonderheiten hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil in entscheidungstragender Weise aufgezeigt, dass sich die Einzugsgebiete der beiden genannten Kindertagesstätten nicht nur in südlicher Richtung erstreckten, sondern dass nördlich des Vorhabens auch in der Nähe der L2. -Q. -Straße ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt und in der J.-----straße Wohnbebauung vorhanden sei und daher Durchgangsverkehr der Kinder zu erwarten sei. Ob darüber hinaus auch die weiteren genannten Nutzungen (K. I. L1. sowie D. Spezialfahrzeuge T1. ) dazu führen, dass Kinder das Vorhabengrundstück passieren - das bezweifelt die Klägerin - kann hier dahinstehen, weil es sich dabei nur um ergänzende Erwägungen handelt und die maßgebliche Feststellung des Verwaltungsgerichts schon durch die vorgenannte Begründung getragen wird.
15Ebenso wenig ergibt sich eine atypische Konstellation aus der Länge der Fußwege von 460 bzw. 550 m. Hierzu hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass solche Distanzen für Kinder, die in den genannten Einrichtungen gefördert würden, noch erreichbar wären. Soweit die Klägerin rügt, diese Begründung könne wegen des "immensen Grundrechtseingriffs in ihre Grundrechte" aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verfangen, verkennt sie die im zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.3.2017 aufgezeigte verfassungsrechtliche Bedeutung der Zielsetzung, die Jugend vor Glücksspielsucht zu schützen.
16b) Auf die Ausführungen der Klägerin, die sich gegen die Begründung des Verwaltungsgerichts zu formellen Mängeln des Bauantrags richten, kommt es für die Entscheidung über die Zulassung nicht an, weil es sich dabei um eine selbstständig tragende Erwägung handelt, die mit den selbstständig tragenden Erwägungen des Urteils zu § 16 AG GlüStV NRW nicht zusammenhängt.
172. Das Vorbringen der Klägerin führt auch nicht zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
18Die Klägerin wirft folgende Fragen auf, die sie für grundsätzlich im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hält:
19"Frage 1: Werden durch § 16 AG Abs. 3 Satz 2 HS 1 AG GlüStV NRW öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft geschützt, wobei gewerbliche Einrichtungen hiervon ausgenommen sind?"
20Diese Frage ist aus den vorstehenden Gründen nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, weil sich ihre Beantwortung aus den aufgezeigten Gründen ohne Weiteres im Wege der Auslegung aus dem Gesetz ergibt.
21"Frage 2: Sind öffentliche Einrichtungen der Kinder-und Jugendhilfe, die Kinder in der Altersgruppe von 0 zu 10 Jahren betreuen, öffentliche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne des § 16 AG Abs. 3 Satz 2 HS 1 AG GlüStV NRW?"
22Auch diese Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sich ihre Beantwortung aus den vorstehenden Gründen ohne Weiteres im Wege der Auslegung aus dem Gesetz ergibt.
23"Frage 3: Wird der Fall der topografischen Besonderheit, mit der ein Abstand unter 350 m Luftlinie zu einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe gerechtfertigt werden könnte, dadurch aufgehoben, wenn in unmittelbarer Nähe sich Nutzungen befinden, die das Interesse von Kindern auf sich ziehen können?"
24Diese Frage ist aus den vorstehenden Gründen nicht entscheidungserheblich und schon deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
25"Frage 4: Gebietet es einen Fall der topografischen Besonderheit, wenn die tatsächliche Erreichbarkeit dadurch erschwert wird, dass der Fußweg zur öffentlichen Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe über 350 m beträgt?"
26Auch diese Frage ist nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Sie ist - soweit sie hier hinsichtlich eines Fußwegs von bis zu 550 m entscheidungserheblich ist - nicht in rechtsgrundsätzlicher Weise, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu klären.
273. Schließlich führt auch die Divergenzrüge (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) nicht zur Berufungszulassung.
28a) Soweit die Klägerin eine Abweichung von dem Urteil des OVG NRW vom 29.6.2016 im Verfahren - 10 A 1574/14 - rügt, ist eine Abweichung im Sinne des Gesetzes schon deshalb nicht dargelegt, weil sich diese Rüge nur auf die erstinstanzliche Begründung zu Mängeln der Bauvorlagen bezieht und die selbständig tragende Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils zum Fehlen des Sachbescheidungsinteresses nicht betrifft.
29b) Die Rüge der Klägerin zur Abweichung von dem Beschluss des OVG NRW vom 25.11.2020 -10 A 1230/19 - greift ebenso wenig durch.
30Es ist nicht aufgezeigt, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts in entscheidungserheblicher Weise von einem Rechtssatz abweicht, der dem genannten Beschluss zugrunde liegt. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr den von der Klägerin hervor gehobenen Rechtssatz des genannten Beschlusses referiert, dazu den Beschluss des OVG NRW vom 25.11.2020 zitiert und den Rechtssatz des OVG NRW auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt. Die mit der Divergenzrüge der Sache nach geltend gemachte Unrichtigkeit der Anwendung dieses Rechtssatzes - die der Senat im Übrigen auch nicht zu erkennen vermag - rechtfertigt keine Divergenzzulassung.
31Vgl. dazu etwa OVG NRW, Beschluss vom 7.2.2014 - 13 A 1900/13 -, juris.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
33Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
34Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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Referenzen
- § 16 AG 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124 4x
- § 16 Abs. 3 AG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 52 Abs. 1 und 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1314/12 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 1574/14 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 1230/19 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 1900/13 1x (nicht zugeordnet)