Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 B 859/22
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 5. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 28.894,98 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 24. Juni 2022, Az.: 2 K 2643/22, gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 3. Juni 2022 anzuordnen,
4abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Juni 2022 nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweise. An der Verfassungsmäßigkeit des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, der Ermächtigungsgrundlage für das von der Antragsgegnerin ausgesprochene Betretungs- und Tätigkeitsverbot, bestünden keine Zweifel. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner zur einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht des § 20a IfSG ergangenen Entscheidung die Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen. Es sei auch unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags der Antragstellerin zur aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnislage nicht davon auszugehen, dass die Annahme des Gesetzgebers, insbesondere eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 schütze in nennenswertem Umfang vor einer weiteren Transmission des Virus, seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unzutreffend geworden wäre. Der Bescheid sei formell rechtmäßig. Insbesondere sei die Antragstellerin mit Schreiben vom 27. April 2022 ordnungsgemäß angehört worden. Ungeachtet dessen dürfte ein etwaiger Anhörungsmangel im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes geheilt worden sein. Zudem dürfte im vorliegenden Einzelfall 8211; ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG um eine Ermessensvorschrift handele – ein etwaiger Anhörungsmangel auch unbeachtlich im Sinne des § 46 VwVfG NRW sein, da die Antragstellerin nach ihren eigenen Ausführungen das Anhörungsschreiben ungeöffnet unter Hinweis auf die Datenschutzgrundverordnung an die Antragsgegnerin zurückgeschickt habe. Schließlich sei der Bescheid auch materiell rechtmäßig. Die Antragstellerin werde als Chefarztsekretärin in einer Einrichtung im Sinne des § 20a Abs. 1 Nr. 1 IfSG tätig. Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin begegne keinen Bedenken. Sie habe die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht dadurch überschritten, dass sie der Antragstellerin neben dem Tätigwerden in der Einrichtung zugleich deren Betretung untersagt habe. Dass von dem Betretungsverbot lediglich das Betreten zum Zwecke der Verrichtung der „Tätigkeit“ im oben genannten Sinne umfasst sei, lasse sich durch Auslegung des Bescheids ermitteln. Anhaltspunkte dafür, dass es der Antragstellerin als Chefarztsekretärin möglich wäre, ihre Tätigkeit beispielsweise aus dem Home-Office heraus zu erbringen, seien weder von der Antragstellerin noch von ihrer Arbeitgeberin vorgetragen worden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das ihr gegenüber verhängte Betretungs- und Tätigkeitsverbot zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit führe, würden von der Antragstellerin nicht aufgezeigt und seien auch sonst nicht ersichtlich. Der Bescheid erweise sich auch nicht deswegen als ermessensfehlerhaft, weil die Antragsgegnerin als milderes Mittel nicht die Möglichkeit der Testung erwogen habe, da nicht ersichtlich sei, dass es sich insoweit um eine gleich geeignete Maßnahme handele. Selbst wenn man nach alledem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage als offen ansehen wollte, ginge eine dann anzustellende Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus.
5A. Die zur Begründung fristgemäß dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Juni 2022 anzuordnen.
6I. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand im Eilverfahren nicht feststellen lässt, dass die Vorschrift des § 20a IfSG gegen höherrangiges Recht verstößt.
7Im Eilverfahren sind an die Nichtanwendung eines Gesetzes im formellen Sinn wegen Annahme seiner Grundgesetzwidrigkeit mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 Abs. 1 GG) hohe Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist, dass das beschließende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften überzeugt ist. Dies bedeutet im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass der Grundrechtsverstoß offenkundig ist.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 - 13 B 1466/21 -, juris, Rn. 73 ff. m. w. N.; Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 10 ff.; Bay. VGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - 22 CS 14.2323 -, juris, Rn. 15 f.
9Zu einer dem entsprechenden Überzeugung ist der Senat nicht gelangt.
101. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 - bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung aus, die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, sei durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes ausweislich der Stellungnahmen der im dortigen Verfahren als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften nicht durchgreifend erschüttert worden. Dies gelte insbesondere auch für die gesetzgeberische Prognose, die verfügbaren Impfstoffe könnten vor einer Infektion schützen und – sollten sich Betroffene gleichwohl infizieren – zu einer Reduzierung des Transmissionsrisikos beitragen. Die zugrundeliegenden Stellungnahmen der als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften bezifferten eine Impfstoffwirksamkeit gegenüber „der Omikron-Variante“ des Coronavirus SARS-CoV-2 – vorbehaltlich wissenschaftlicher Bewertungsunsicherheiten – bei dreifach Geimpften auf 40 bzw. 50 bis 70 %; bei einer Grundimmunisierung sei die Schutzrate (teils mit 42,8 % beziffert) zwar reduziert, aber nicht bzw. erst nach Ablauf von 15 Wochen nach der Grundimmunisierung aufgehoben. Zudem bestehe eine im Allgemeinen niedrigere Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch eine geimpfte Person nach Infektion mit der Omikron-Variante. Vor diesem Hintergrund sei weiterhin davon auszugehen, dass eine Impfung jedenfalls einen relevanten – wenn auch mit der Zeit abnehmenden – Schutz vor einer Infektion auch mit der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus biete. Dabei sei auch nicht erkennbar, dass die Impfwirksamkeit so sehr reduziert wäre, dass die Verwirklichung des mit dem angegriffenen Gesetz verfolgten Zwecks des Schutzes vulnerabler Menschen nur noch in einem derart geringen Maße gefördert würde, dass im Rahmen der Abwägung den widerstreitenden Interessen der von der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht Betroffenen von Verfassungs wegen der Vorrang gebühren müsste.
11Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 184 f., 237 ff.
12Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung ist nicht festzustellen, dass sich die wissenschaftliche Erkenntnislage seit Ergehen der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts derart geändert hat, dass die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 schütze in nennenswertem Umfang vor einer weiteren Transmission des Virus, offenkundig unzutreffend geworden und deshalb nunmehr von einer greifbaren materiellen Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG auszugehen wäre.
13Vgl. dazu nach durchgeführter Sachverständigenanhörung auch BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 ‑ 1 WB 2.22, 1 WB 5.22 -, bislang noch nicht veröffentlicht, siehe aber Pressemitteilung, abrufbar unter https://www.bverwg.de/pm/2022/44; Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 9 ff.; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 2. September 2022 - 6 B 10723/22.OVG -, bislang noch nicht veröffentlicht, siehe aber Pressemitteilung, abrufbar unter
14https://ovg.justiz.rlp.de/de/startseite/detail/news/News/detail/corona-eilantrag-einer-ungeimpften-zahnarztmitarbeiterin-gegen-praxisbetretungsverbot-bleibt-erfolg/; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 - 29 L 1703/22 -, juris, Rn. 29 ff.; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 20. Juli 2022 ‑ 5 L 585/22.NW -, juris, Rn. 28 f.
15Die Antragstellerin legt nicht dar, dass seit dem Aufkommen der BA.5 Variante offenkundig keine relevante Schutzwirkung mehr besteht, mithin es an der Eignung der Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks fehlt, vulnerable Menschen in besonderem Maße vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen.
16Zwar trifft es (weiterhin) zu, dass es trotz Impfung zu einer COVID-19-Erkrankung kommen kann, da die Impfung keinen 100 %-igen Schutz bietet.
17Vgl. RKI, Kann es trotz COVID-19-Impfung zu einer COVID-19-Erkrankung kommen? Stand: 7. Juni 2022, abrufbar unter
18https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Wirksamkeit.html.
19Dass der Schutz vor einer Infektion und in der Folge auch vor einer Übertragung indes derart reduziert wäre, dass die Verwirklichung des mit dem angegriffenen Gesetz verfolgten Zwecks des Schutzes vulnerabler Menschen nur noch in einem derart geringen Maße gefördert würde, dass im Rahmen der Abwägung den widerstreitenden Interessen der von der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht Betroffenen von Verfassungs wegen der Vorrang gebühren müsste,
20vgl. zu diesem Maßstab: BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 239,
21legt die Antragstellerin weder dar, noch ist dies sonst ersichtlich. Dies folgt insbesondere nicht aus der Darstellung des nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufenen Robert Koch-Instituts zur Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe. Nach dessen Erkenntnissen bieten die Covid-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) sowie der Vektor-Impfstoff JCOVDEN (Johnson & Johnson) vor der Omikron-Variante weniger Schutz als vor der sog. Delta-Variante, die das Infektionsgeschehen in Deutschland zuvor dominiert hatte. Die Studienergebnisse zeigten, dass die Wirksamkeit nach zwei Impfstoffdosen (Grundimmunisierung) gegenüber jeglicher oder symptomatischer Erkrankung durch die Omikron-Variante insgesamt gering sei und zudem mit der Zeit deutlich nachlasse. Durch eine Auffrischimpfung könne die Schutzwirkung verbessert werden. Gegen schwere Erkrankungen biete die Impfung weiterhin einen guten Schutz. Die Datenlage deute darauf hin, dass auch hier die Schutzwirkung nach der Grundimmunisierung abfalle, jedoch weniger stark als im Vergleich zu jeglichen bzw. symptomatischen Erkrankungen. Nach einer Auffrischimpfung sei die Wirksamkeit gegenüber schweren Erkrankungen erneut hoch. Daten wiesen auch nach Auffrischimpfung auf einen nachlassenden Schutz vor (symptomatischer) Infektion über die Zeit hin. Die hohe Schutzwirkung gegenüber schweren Infektionen bleibe aber mindestens über sechs bis neun Monate nach der Auffrischimpfung bestehen. Über die Transmission, das heißt die Virusübertragung, unter Omikron gebe es bisher keine ausreichenden Daten; sie scheine bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt sei. Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark zeigten, dass eine Impfung auch unter vorherrschender Zirkulation der Omikron-Variante die Übertragbarkeit um ca. 6 bis 21 % nach Grundimmunisierung und nach Auffrischimpfung um weitere 5 bis 20 % reduziere.
22Vgl. RKI, Wie wirksam sind die COVID-19 Impfstoffe, Stand: 18. August 2022, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Wirksamkeit.html.
23Bestehen danach weiterhin Anhaltspunkte für eine nicht nur unwesentliche Reduzierung des Transmissionsrisikos, werden die bisherigen Annahmen des Gesetzgebers zu einer relevanten Schutzwirkung der Impfung gegenüber vulnerablen Personen nicht durchgreifend erschüttert. Soweit die Antragstellerin beanstandet, dass bei zweifach Geimpften, deren Impfung mehrere Monate zurückliegt, kein relevanter Impfschutz mehr besteht, übersieht sie, dass ab dem 1. Oktober 2022 für einen vollständigen Impfschutz grundsätzlich drei Einzelimpfungen erfolgt sein müssen (vgl. § 22a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 3 IfSG).
24Vgl. dazu auch schon BVerfG, Urteil 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 175.
25Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin vorgelegten Stellungahme der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 2022,
26abrufbar unter https://www.who.int/news/item/22-07-2022-who-releases-global-covid-19-vaccination-strategy-update-to-reach-unprotected,
27wonach die Impfstoffe die Transmission des SARS-CoV-2-Virus nicht in relevantem Umfang („not substantially“) reduziert hätten, und dem Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG vom 30. Juni 2022 zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik, wonach sich das Risiko zur Ansteckung mit und die Verbreitung von SARS-CoV-2 von geimpften und ungeimpften Personen durch die Entstehung neuer Varianten (v. a. Omikron) mit höherer Übertragbarkeit und verbesserter Immunflucht nach den ersten Monaten auf ein ähnliches Niveau angleiche und eine dritte Impfung insgesamt den Immunschutz gegen eine SARS-CoV-2-Infektion für etwa drei Monate deutlich verbessere, dann aber abnehme.
28Vgl. S. 76 des Evaluationsberichts, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/S/Sachverstaendigenausschuss/220630_Evaluationsbericht_IFSG_NEU.pdf.
29Gleiches gilt mit Blick auf die weiteren von der Antragstellerin angeführten Presseberichte und Studien, die sich ebenfalls mit der Wirksamkeit von Impfungen gegen COVID-19 sowie mit der sog. Immunflucht bei den Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 befassen. In der gebotenen Gesamtschau ergibt sich hieraus derzeit kein Bild einer wissenschaftlichen Erkenntnislage, die die Annahme, die verfügbaren Impfstoffe würden eine gerade zum Schutz vulnerabler Personen noch als relevant zu betrachtende Wirkung entfalten, offensichtlich oder mit jedenfalls hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr trägt. So geht etwa die Ständige Impfkommission in der 21. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung vom 18. August 2022,
30RKI, Epidemiologisches Bulletin 33/2022, S. 4, abrufbar unter
31https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/33_22.pdf?__blob=publicationFile,
32davon aus, dass die COVID-19-Impfung nach wie vor dem Ziel dient, insbesondere in Umgebungen mit einem hohen Anteil vulnerabler Personen und/oder einem hohen Ausbruchspotenzial die Virustransmission zu vermindern, um so einen zusätzlichen Schutz zu bewirken.
33Der Umstand, dass Unsicherheiten hinsichtlich Ausmaß und Dauer der Impfstoffwirksamkeit gegenüber insbesondere der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante bestehen, gebietet von Verfassungs wegen zum jetzigen Zeitpunkt kein Absehen von der mit § 20a IfSG eingeführten Nachweispflicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach der Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) vom 1. September 2022,
34vgl. die Pressemittelungen zum Stichwort „COVID-19 vaccines: authorised“, abrufbar unter
35www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/overview/public-health-threats/coronavirus-disease-covid-19/covid-19-latest-updates,
36an die Virusvariante BA.1 angepasste Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna von der Europäischen Kommission zur Auffrischimpfung zugelassen worden sind.
37Vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 25 m. w. N.
38Die an die BA.1-Variante angepassten Impfstoffe werden bereits an die Arztpraxen ausgeliefert. Bei ihrer Anwendung sollen nach den Angaben von BioNTech/Pfizer und Moderna auch die Titer der Antikörper gegen BA.4 und BA.5 steigen, wenngleich der Anstieg niedriger ist als gegen BA.1.
39Vgl. Paul-Ehrlich-Institut, Meldung vom 2. September 2022, abrufbar unter
="absatzRechts">40https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2022/220902-ema-omikron-virusvarianten-auffrischimpfungen.html; Kassenärztliche Bundesvereinigung, EMA gibt grünes Licht – Arztpraxen können BA.1-Impfstoff bestellen, Nachricht vom 2. September 2022, abrufbar unter https://www.kbv.de/html/1150_59730.php.
41Darüber hinaus hat die Europäische Kommission am 12. September 2022 – ebenfalls nach vorangegangener Empfehlung der EMA – einen weiteren, speziell auf die Virusvarianten BA.4 und BA.5 ausgerichteten Impfstoff der Unternehmen BioNTtech/Pfizer zugelassen.
42"absatzLin
ks">Vgl. ZDF, EU lässt weiteren Omikron-Impfstoff zu, Nachricht vom 12. September 2022, abrufbar unter https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-ema-zulassung-omikron-impfstoff-variante-ba4-ba5-100.html. 43Soweit die Antragstellerin unter Bezugnahme auf den schriftlichen Vortrag ihrer Verfahrensbevollmächtigten in dem beim Bundesverfassungsgericht (erfolglos) eingereichten Antrag nach § 32 BVerfGG zur vorläufigen Außervollzugsetzung des § 20a IfSG einwendet, erforderlich sei eine Wirksamkeit von 50 %, damit der Impfstoff als zulassungsfähig gelte, übersieht sie, dass das Bundesverfassungsgericht einen solchen Maßstab im vorliegenden Zusammenhang nicht zu Grunde gelegt hat.
442. Weiterhin ohne Erfolg bleibt der Einwand, die Ansteckungsmöglichkeiten seien bei hohen Inzidenzen auch zu Lasten der vulnerablen Personen erheblich erhöht. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob der Gesetzgeber das bestmögliche Regelungskonzept, sondern ein solches gewählt hat, das die Erreichung des von ihm gesetzten Zwecks fördert. Dies ist schon deshalb zu bejahen, weil § 20a IfSG den Kontakt mit insbesondere Ungeimpften und damit das Infektionsrisiko für vulnerable Personen in Einrichtungen, die der Nachweispflicht unterfallen, jedenfalls reduziert.
45Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 183.
463. Die Antragstellerin dringt auch nicht mit ihrem Hinweis durch auf Gefahren für die Gesundheitsversorgung wegen Personalengpässen, die auf massive Infektionswellen zurückzuführen seien und durch Herausnahme ungeimpfter Personen weiter verstärkt würden. Dieser Aspekt berührt die Verhältnismäßigkeit der streitigen gesetzlichen Regelung nicht. Vielmehr sind die Gesundheitsämter gehalten den Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit im Rahmen der Einzelfallentscheidung über ein Verbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG zu berücksichtigen.
474. Entgegen dem Beschwerdevorbingen stellt die Auferlegung einer Verpflichtung, sich vor Betreten einer Einrichtung oder eines Unternehmens – und damit vor einem möglichen Kontakt mit einer vulnerablen Person – auf eine SARS-CoV-2-Infektion zu testen, auch kein gleich geeignetes Mittel dar. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, (juris, Rn. 192 ff.) ausgeführt:
48„Der Gesetzgeber hat in der Entwurfsbegründung ausdrücklich festgestellt, dass eine regelmäßige Testung zwar in einem bestimmten Zeitfenster akute Infektionen entdecken und damit das Risiko eines Eintrags verringern könne. Eine Testung könne aber keinen gleichwertigen Schutz wie eine Immunisierung gerade bei Kontakt mit besonders vulnerablen Personen darstellen (vgl. BTDrucks 20/188, S. 37).
49Diese Einschätzung des Gesetzgebers ist belastbar. Das gilt zunächst für selbst durchgeführte, so genannte Schnelltests, bei denen - vergleichbar der Einhaltung allgemeinerer Verhaltenspflichten wie etwa dem Tragen einer Schutzmaske oder dem Abstandhalten - schon das Risiko einer bewusst oder unbewusst fehlerhaften Anwendung besteht (vgl. auch BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u.a. -, Rn. 210). Zudem hat sich die Erkenntnislage dahingehend verfestigt, dass die Leistungsfähigkeit solcher Schnelltests als Baustein der Pandemiebekämpfung differenziert zu bewerten ist. Sie sind fehleranfällig. Insofern schließt ein negatives Antigentestergebnis eine SARS-CoV-2-Infektion und auch eine Kontagiosität (übertragungsrelevante Infektion) nicht aus (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 17/21, S. 15 ff.). Denn Schnelltests liefern gerade in einem frühen Infektionsstadium wegen der hier noch geringen Viruslast - selbst bei fachgerechter Anwendung - keine verlässlichen Resultate, obwohl gegebenenfalls bereits ein Ansteckungsrisiko besteht (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 8/2021, S. 5 und 8).“
50Dass diese Einschätzung überholt ist, legt die Antragstellerin weder dar noch ist das sonst ersichtlich.
515. Soweit die Antragstellerin behauptet, die Möglichkeit erscheine derzeit hoch, dass nachträglich deutlich mehr Nebenwirkungen auch schwerer Art als vom Bundesverfassungsgericht angenommen bekannt würden, macht sie schon nicht geltend, dass von einer so hohen Wahrscheinlichkeit gravierender Folgen einer Impfung auszugehen ist, dass die Nachweispflicht nicht mehr als verhältnismäßig im engeren Sinne angesehen werden könnte.
52Zu der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 230 f.
53Erst recht legt sie keine Erkenntnisse für diese nicht weiter substantiierte Behauptung vor. Solche sind auch sonst nicht erkennbar. Vielmehr führt das Paul-Ehrlich-Institut in der Zusammenfassung seines Sicherheitsberichts vom 7. September 2022, in dem es die Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen zusammenfasst, die es seit Beginn der Impfkampagne in Deutschland am 27. Dezember 2020 bis zum 30. Juni 2022 erhalten hat,
54abrufbar unter
55https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-20-bis-30-06-22.pdf?__blob=publicationFile&v=6,
56aus, dass die Melderate von Verdachtsfällen für alle Impfstoffe zusammen 1,8 Meldungen pro 1.000 Impfdosen, für Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen und Impfkomplikationen 0,3 Meldungen pro 1.000 Impfdosen betrage.
576. Der Vortrag der Antragstellerin, Art. 3 Abs. 1 GG gebiete, Ungeimpfte und Geimpfte mit einer zweifachen Impfung, die schon mehrere Monate zurückliege und deshalb nicht mehr wirksam sei, gleich zu behandeln, geht daran vorbei, dass der Gesetzgeber einer im Zeitverlauf nachlassenden Schutzwirkung der vorhandenen Impfstoffe – wie oben ausgeführt – bereits durch die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung Rechnung getragen hat.
58Soweit die Antragstellerin im Übrigen „wegen weiterer Einzelheiten in diesem Zusammenhang, insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG“ lediglich pauschal auf den von ihrer Verfahrensbevollmächtigten beim Bundesverfassungsgericht gestellten, 76 Seiten umfassenden Eilantrag vom 1. Februar 2022 verweist, genügt das Beschwerdevorbringen bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
59II. Erfolglos bleibt das Beschwerdevorbringen auch, soweit die Antragstellerin geltend macht, sie sowie ihre Arbeitgeberin seien nicht ordnungsgemäß angehört worden.
601. Der Vorhalt der Antragstellerin, dass sie nicht ordnungsgemäß angehört worden ist, weil die Antragsgegnerin ihr den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht mitgeteilt habe, verfängt nicht. Insoweit setzt sie sich nicht in der gebotenen Weise mit der Annahme des Verwaltungsgerichts auseinander (Beschlussabdruck, S. 5), wonach im vorliegenden Einzelfall – ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG um eine Ermessensvorschrift handele – ein Anhörungsmangel jedenfalls nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG NRW geheilt wäre und zudem auch unbeachtlich im Sinne des § 46 VwVfG NRW sein dürfte. Dem hält sie lediglich ihre – in dieser Allgemeinheit schon nicht zutreffende – Rechtsauffassung entgegen, wonach die Voraussetzungen für eine Heilung und Unbeachtlichkeit bei Ermessensentscheidungen nicht vorlägen.
61Zu den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO vgl. Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 76.
62Insbesondere setzt sie sich auch nicht mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander, das davon ausgegangen ist, es sei ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG um eine Ermessensvorschrift handele, auszuschließen, dass die Antragsgegnerin, hätte sie in ihrem Anhörungsschreiben detailliertere Fragen gestellt oder Ausführungen zu den ihr vorliegenden Erkenntnissen gemacht, eine andere Entscheidung getroffen hätte, da die Antragstellerin vom Inhalt des Anhörungsschreiben schlicht keine Kenntnis genommen habe und sich daher unabhängig von den Angaben der Antragsgegnerin nicht zur Sache geäußert hätte. Allein dass die Antragstellerin sich der Bedeutung der Briefe der Antragsgegnerin nicht bewusst gewesen sein will, weil diese nicht als vom Gesundheitsamt herrührend gekennzeichnet gewesen seien, ist unerheblich. Im Übrigen dürfte sich die Antragstellerin insoweit auch in Widerspruch zu ihrem Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren setzen, wo sie noch geltend gemacht hatte, dass sie sämtliche Briefe der Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Datenschutzgrundverordnung ungeöffnet zurückgesendet habe.
632. Die Antragstellerin dringt auch nicht mit ihrer Rüge durch, die Anhörung ihres Arbeitgebers vom 10. Mai 2022 sei ebenfalls fehlerhaft.
64Zur Hinzuziehung des Arbeitgebers zum Verwaltungsverfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW vgl. Amhaouach/Kießling, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20a Rn. 83; Aligbe, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, § 20a IfSG Rn. 205 f.
65Ungeachtet der Frage, ob sich die Antragstellerin auf eine fehlerhafte Anhörung ihrer Arbeitgeberin berufen kann, hat die Antragsgegnerin jedenfalls der N. H. GmbH mit Schreiben vom 27. April 2022 Gelegenheit gegeben, zu der beabsichtigten Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots Stellung zu nehmen. Dass sie dabei nicht ausdrücklich danach gefragt hat, ob ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot zu Versorgungsengpässen führe bzw. ob die Antragstellerin anderweitig ohne Kontakt zu vulnerablen Gruppen eingesetzt werden könne, ist unbedenklich. Ungeachtet dessen, dass die Antragstellerin – wie noch auszuführen sein wird – selbst nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat, dass das ihr gegenüber verfügte Betretungs- und Tätigkeitsverbot zu Versorgungsengpässen geführt hat und/oder sie anderweitig ohne Kontakt zu vulnerablen Gruppen hätte eingesetzt werden können, ist davon auszugehen, dass ihre Arbeitgeberin dahingehende Einwände erhoben hätte, sofern sie aus ihrer Sicht dem angekündigten Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots entgegengestanden hätten.
66III. In materieller Hinsicht zieht die Antragstellerin die Beurteilung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht durchgreifend in Zweifel.
671. Zunächst dringt die Antragstellerun nicht mit ihrer Rüge durch, der angegriffene Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt. Inhaltlich hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW setzt voraus, dass für den Adressaten des Verwaltungsakts die von der Behörde getroffene Regelung so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach richten kann. Etwaige Unklarheiten sind unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots unschädlich, sofern sie sich im Wege der Auslegung des Verwaltungsakts beseitigen lassen. Dabei kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont und mithin darauf an, wie der Betroffene nach den ihm bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen den Verwaltungsakt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste.
68Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Oktober 2017 - 8 C 18.16 ‑, juris, Rn. 13 ff., vom 27. Juni 2012 - 9 C 7.11 -, juris, Rn. 11, und vom 3. Dezember 2003 - 6 C 20.02 -, juris, Rn. 17, sowie Beschluss vom 6. September 2008 ‑ 7 B 10.08 -, juris, Rn. 24.
69Diesen Anforderungen genügt der streitgegenständliche Bescheid.
70Insbesondere ist der Umfang des Betretungs- und Tätigkeitsverbots hinreichend bestimmt. Zwar heißt es im Tenor des Bescheids, dass der Antragstellerin untersagt werde, die N. H. GmbH in H. „zu betreten oder dort tätig zu werden". Aus der Begründung des Bescheids folgt aber, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat und diese beiden Möglichkeiten nicht in einem Alternativverhältnis stehen.
71Siehe insoweit auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 - 29 L 1703/22 -, juris, Rn. 43.
72Aus der Verknüpfung des Betretungsverbots mit einem Tätigkeitsverbot und vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin sich entsprechend des Anwendungsbereichs der zu Grunde liegenden Ermächtigungsgrundlage,
73vgl. Amhaouach/Kießling, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20a Rn. 85 m. w. N.,
74an die Antragstellerin lediglich in ihrer Funktion als Beschäftigte der Einrichtung der N. H. GmbH wendet (Bescheidabdruck, S. 3), wird zudem hinreichend deutlich, dass das Betretungsverbot auch nur insoweit ausgesprochen wurde, als sie diese zur Verrichtung ihrer Beschäftigung betritt, und gerade nicht, soweit sie sie lediglich als Patientin oder Besucherin aufsucht. Dass eine entsprechende Klarstellung unterblieben ist, ist vor diesem Hintergrund unschädlich.
75Vgl. auch Berneith: Die sogenannte „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ des § 20 a IfSG als weitere Herausforderung für die Gesundheitsämter, in: COVuR 2022, 135 (138).
76Genauso wenig unklar ist, ob sich das Tätigkeitsverbot auf jegliche Tätigkeiten der Antragstellerin für ihre (ehemalige) Arbeitgeberin oder nur auf solche bezieht, die in den dortigen Räumlichkeiten ausgeübt werden. Vielmehr ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Untersagungsverfügung, dass die Antragsgegnerin nur die Tätigkeit in der Einrichtung der N. H. GmbH („dort“) untersagt hat. Damit einhergehend stellt die Antragsgegnerin in der Begründung des Bescheids ausdrücklich auf den Kontakt ab, den die Antragstellerin „im Rahmen ihrer Tätigkeit“ zu vulnerablen Personengruppen hat (Bescheidabdruck, S. 3). Ein solches Verständnis entspricht im Übrigen auch dem Wortlaut des § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG („in“), dessen Anwendungsbereich schon nicht eröffnet sein dürfte, wenn ein Kontakt zu vulnerablen Personen – wie bei einer reinen Home-Office-Tätigkeit – sicher ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist ein Ortsbezug erforderlich, d.h. die normunterworfenen Personen müssen „in“ den benannten Unternehmen und Einrichtungen tätig werden und nicht nur „für“ diese.
77Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 214 m. w. N.; Aligbe, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, § 20a IfSG Rn. 65; Müller: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Arbeitsrecht, in: ArbRAktuell 2022, S. 55 (55 f.).
78Die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, inwieweit sie auch von zu Hause aus arbeiten kann, betrifft daher allein ihr Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber.
79Vgl. hierzu auch VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 20. Juli 2022 - 5 L 585/22.NW -, juris, Rn. 62; Aligbe, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, Eckart/Winkelmüller, Stand: 1. Juli 2022, § 20a IfSG Rn. 193; zu der Frage, ob die Beschäftigung im Home-Office als milderes Mittel gegenüber eine Kündigung in Betracht kommt, vgl. Weigert: Die Kündigung wegen Impfpflichtverletzungen, in: ARP 2022, 102 (103), siehe zudem Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Arbeitsrechtliche Aspekte der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nach § 20a IfSG, Ausarbeitung WD 6 - 3000 - 004/22, S. 16, abrufbar unter:
80https://www.bundestag.de/resource/blob/890516/6600e266210040eda901398a97e8e786/WD-6-004-22-pdf-data.pdf.
812. Auch der Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, verfängt nicht. Gemäß § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG kommt der Behörde bei der Frage der Verhängung der in dieser Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen Ermessen zu. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass § 20a Abs. 5 IfSG bei nicht rechtzeitiger Vorlage eines Immunitätsnachweises den Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG in der Regel nahelegt. Vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle dürfte daher für das Gesundheitsamt letztlich kein insoweit relevanter Spielraum bestehen.
82Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 85; Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 27; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 ‑ 29 L 1703/22 -, juris, Rn. 65; Amhaouach/Kießling, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20a Rn. 83.
83Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin ihr Ermessen aller Voraussicht nach fehlerfrei ausgeübt.
84a. Der Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren für unbeachtlich erklärt, was auf eine fehlerhafte Ermessensausübung in Form des Nichtgebrauchs hinweise, greift schon deshalb nicht durch, weil ihm ein unzutreffendes Verständnis des Begriffs „Ermessensnichtgebrauch“ zu Grunde liegt. Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn die Behörde nicht erkennt, dass sie Ermessen hat, oder von dem ihr zustehenden Ermessen überhaupt keinen Gebrauch macht.
85Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2009 - 6 A 3481/07 -, juris, Rn. 8; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 17 m. w. N.
86Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt (Beschlussabdruck, S. 7), dass die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen erkannt und – vor Erlass des angefochtenen Bescheids – ausgeübt habe („Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens bin ich zu dem Schluss gekommen (…)“), womit sich die Antragstellerin schon nicht auseinandersetzt.
87b. Soweit die Antragstellerin beanstandet, die Antragsgegnerin habe ihre Entscheidung auf eine veraltete Datenlage gestützt und damit einen Ermessensfehlgebrauch geltend macht, kann dem aus den unter I.1. aufgeführten Gründen nicht gefolgt werden.
88Genauso wenig dringt die Antragstellerin mit ihrer Rüge durch, die Antragsgegnerin habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und damit auf einer unvollständigen Sachverhaltsgrundlage entschieden.
89Zwar ermittelt die Behörde den Sachverhalt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW von Amts wegen. Sie hat also sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen sowie bei Ermessensentscheidungen die für die Ausübung des Ermessens maßgeblichen Umstände grundsätzlich von Amts wegen aufzuklären. Der ihr obliegenden Aufklärungspflicht trägt die Behörde wesentlich durch Anhörung des Beteiligten im Vorfeld der beabsichtigten Maßnahme Rechnung. Drängen sich infolge der Anhörung weitere Sachverhaltsermittlungen für eine sachgerechte Ermessensausübung auf, muss diesen nachgegangen werden. Unterlässt der Beteiligte indes eine zumutbare Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung (vgl. § 26 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW), muss die Behörde nicht von sich aus allen denkbaren Möglichkeiten nachgehen. Sie darf vielmehr davon ausgehen, dass der Beteiligte im Rahmen seiner Obliegenheiten ihm günstige Umstände vorgetragen oder am Nachweis ihm günstiger Umstände mitgewirkt hätte. Die Sachverhaltsermittlungspflicht endet mithin dort, wo das Vorbringen eines Beteiligten keinen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet.
90Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. April 2014 - 10 A 1018/13 -, juris, Rn. 13 ff. m. w. N.; Nds. OVG, Beschluss vom 10. Mai 2013 - 10 ME 21/13 -, juris, Rn. 80.
91Ausgehend hiervon ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin vor Erlass des angegriffenen Betretungs- und Tätigkeitsverbots nicht überprüft hat, ob die Antragstellerin für ihre Arbeitgeberin als Sekretärin entbehrlich ist und ob Möglichkeiten der Kontaktverhinderung bestehen, nachdem sie sich hierauf nicht berufen hatte, sondern – wie bereits ausgeführt – die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem beabsichtigten Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots ungenutzt ließ. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin parallel die Arbeitgeberin der Antragstellerin ebenfalls zu der beabsichtigten Maßnahme angehört, diese aber keine Einwände gegen die beabsichtigte Maßnahme erhoben hatte. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang moniert, die Gesundheitsämter seien verpflichtet, die Angaben der Arbeitgeber zu überprüfen und zumindest gegenteilige Angaben der von einem Betretungsverbot Betroffenen zu beachten, lässt sie unberücksichtigt, dass sie sich im Verwaltungsverfahren schon nicht gegenteilig eingelassen hat. Zudem hat sie weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren hinreichend substantiiert vorgetragen, dass die eingeholte Stellungnahme ihrer Arbeitgeberin, der N. H. GmbH, falsch gewesen ist. Genauso wenig macht sie im Übrigen geltend, was die Antragsgegnerin bei ihrer Ermessensentscheidung noch hätte berücksichtigen müssen.
92c. Schließlich legt die Antragstellerin auch nicht dar, dass eine Ermessensüberschreitung vorliegt. Das angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot ist bei der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach verhältnismäßig. Zudem liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.
93aa. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist das angefochtene Betretungs- und Tätigkeitsverbot verhältnismäßig.
94(1) Es spricht Überwiegendes dafür, dass das gegenüber der Antragstellerin ausgesprochene Betretungs- und Tätigkeitsverbot ein geeignetes Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels, vulnerable Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu schützen,
95vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 154 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 31,
96darstellt. Ein Mittel ist bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.
97Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2001 ‑ 1 BvR 1806/98 -, juris, Rn. 41.
98Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
99Unerheblich ist insoweit, dass es sich bei der Antragstellerin nicht um ärztliches oder pflegerisches Personal, sondern um eine Sekretärin handelt, da ausweislich der Gesetzesbegründung auch andere in einer § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG unterfallenden Einrichtung tätige Personen wie zum Beispiel Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal erfasst sind.
100Vgl. BT-Drs. 20/188, S. 38.
101Das Bundesverfassungsgericht ist davon ausgegangen, dass an der Eignung der Einbeziehung aller im Gesundheits-, Pflege- und Betreuungsbereich tätigen Personen – also auch solcher ohne direkten Kontakt zu vulnerablen Menschen – keine Zweifel bestünden. Hierzu hat es ausgeführt, dass Übertragungen des Virus vor allem in Innenräumen stattfänden und dafür nur begrenzt erheblich sei, ob ein direkter Kontakt mit einer infizierten Person bestehe, weshalb der Gesetzgeber habe vertretbar annehmen dürfen, dass eine Impfung grundsätzlich aller im Gesundheits-, Pflege- und Betreuungsbereich Tätigen, auch wenn sie keinen direkten Kontakt zu vulnerablen Personen hätten, einen Beitrag zu ihrem Schutz vor Ansteckung leisten würde und demnach zum Lebens- und Gesundheitsschutz geeignet sei. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf zeitlich aufeinanderfolgende Aufenthalte in einem Raum, sondern auch im Hinblick auf gemeinsam nutzbare Ein- und Ausgänge oder Flurbereiche und nicht zuletzt für den Fall des zufälligen direkten Kontakts innerhalb eines Gebäudes. Ungeachtet dessen bestehe auch das Risiko von Übertragungsketten, wenn etwa Personen ohne Immunschutz, die keinen direkten Kontakt mit Vulnerablen haben, mit anderen in der Einrichtung tätigen Personen in Kontakt kommen, diese infizieren und diese nachfolgend ihrerseits das Virus an Vulnerable weitergeben.
102Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 181.
103Soweit vertreten wird, dass die Art der Beschäftigung bei der Entscheidung über ein Verbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gleichwohl zu berücksichtigen ist, wenn jeglicher Kontakt zu den behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen ausgeschlossen werden kann und auch keine regelmäßigen Kontakte zu dem betreuenden Personal bestehen,
104vgl. Aligbe, in; Eckart/Winkelmüller BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, § 20a IfSG Rn. 60, wonach in den vorstehend genannten Fällen bereits eine Tätigkeit i. S. v. § 20a verneint werden kann; sowie Weigert: Der Anwendungsbereich der neuen Impfpflicht im Gesundheitswesen nach § 20 a IfSG, in: NZA 2022, 166 (167), wonach eine teleologische Reduktion des § 20a IfSG erforderlich sei, wenn Mitarbeiter zwar in einer Gesundheitseinrichtung tätig sind, aber gleichwohl keinen Patientenkontakt haben; siehe zudem auch Bundesministerium für Gesundheit, Handreichung zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten vom 22. März 2022, S. 18 f., abrufbar unter
105https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_20a_IfSG.pdf,
106legt die Antragstellerin jedenfalls schon nicht dar, dass dies auf ihren Fall zutrifft. Insbesondere macht sie nicht geltend, dass sie räumlich klar abgetrennt, beispielsweise in einem separaten Verwaltungsgebäude, arbeitet. Vielmehr räumt sie ein, dass sie – wenn auch nur selten – Kontakt zu Patienten und darüber hinaus auch zu dem betreuenden Personal, namentlich Ärzten, hat.
107(2) Zudem zieht die Antragstellerin auch nicht durchgreifend in Zweifel, dass die angegriffene Maßnahme erforderlich ist. Das Gebot der Erforderlichkeit ist verletzt, wenn das Ziel der staatlichen Maßnahme durch ein anderes, gleich wirksames Mittel erreicht werden kann, mit dem das betreffende Grundrecht nicht oder weniger fühlbar eingeschränkt wird.
108Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2001 ‑ 1 BvR 1806/98 -, juris, Rn. 44.
109Dies ist hier nicht der Fall.
110Das von der Antragstellerin vorgeschlagene Verbot gegenüber Patienten, ihren Tätigkeitsbereich zu betreten, stellt ungeachtet der von ihr nicht näher beleuchteten Frage, auf welcher Rechtsgrundlage eine solche Anordnung ergehen könnte, schon kein milderes Mittel gleicher Eignung dar. Hierdurch wird nicht verhindert, dass die Antragstellerin – beispielsweise auf dem Weg zu ihrem Büro – in Kontakt zu Patienten kommt. Zudem besteht dann jedenfalls noch der Kontakt der Antragstellerin zu dem betreuenden Personal und damit auch das Risiko von Übertragungsketten fort.
111Genauso wenig dringt die Antragstellerin mit ihrem Einwand durch, dass die angefochtene Verfügung zugleich auch ein Tätigkeitsverbot beinhalte, womit ihr jedwede Tätigkeit zugunsten ihres Arbeitsgebers untersagt werde, auch wenn diese außerhalb der Klinikräume stattfinde, in denen sich keine Patienten aufhielten. Wie bereits ausgeführt trifft dieses Verständnis des angegriffenen Bescheids nicht zu. Dass sie in der Einrichtung ihrer Arbeitgeberin einer Tätigkeit nachgehen könnte, bei der jeglicher Kontakt zu den behandelten, betreuten, gepflegten oder untergebrachten Personen ausgeschlossen werden kann, macht sie demgegenüber schon nicht geltend.
112(3) Schließlich ist das Betretungs- und Tätigkeitsverbot auch angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne. Der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung stehen nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs.
113Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot greift zwar in nicht unerheblicher Weise in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung ein. Der Eingriff ist aber – wie bereits dargestellt – grundsätzlich durch die damit verfolgten Zwecke des öffentlichen Gesundheitsschutzes und des Schutzes vulnerabler Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung gerechtfertigt.
114Nichts anderes folgt bei Berücksichtigung der von der Antragstellerin geltend gemachten Einzelfallumstände. Im Gegenteil erfährt die Belastungswirkung hier eine Milderung schon insoweit, als die Antragstellerin ihrem Beruf als Sekretärin an einem anderen Arbeitsplatz, der § 20a Abs. 1 IfSG nicht unterfällt, noch nachgehen kann. Sie ist daher nicht zu einer vollständigen beruflichen Neuorientierung gezwungen, sondern „lediglich“ zu einem Arbeitsplatzwechsel.
115Vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, juris, Rn. 209 und 261.
116Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin bei der Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbots den Aspekt der Versorgungssicherheit nicht hinreichend gewürdigt hätte. Die Antragstellerin setzt sich insoweit schon nicht in der gebotenen Weise mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auseinander, das davon ausgegangen ist (Beschlussabdruck, S. 8), dass sie keine konkreten Anhaltspunkte hierfür aufgezeigt habe und solche mit Blick auf die Stellungnahme ihrer Arbeitgeberin auch sonst nicht ersichtlich seien. Auch im Beschwerdeverfahren legt die Antragstellerin keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der N. H. GmbH infolge des ihr gegenüber erlassenen Betretungs- und Tätigkeitsverbots dar. Im Gegenteil: Auch wenn die Arbeitgeberin noch keinen personellen Ersatz für sie gefunden haben sollte, ergibt sich bereits aus ihrem eigenen Vortrag, dass ihre Tätigkeiten derzeit vom Chefarzt, einem Oberarzt und der langjährigen Vertretungskollegin erledigt würden.
117bb. Zudem hat die Antragstellerin auch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dargetan.
118Das Vorbringen der Antragstellerin, es erscheine in höchstem Maße willkürlich, wenn bei mehreren ungeimpften Mitarbeitern innerhalb ein- und desselben Unternehmens einzelne Personen bei sonst gleichem Tätigkeitsfeld mit einem Verbot belegt würden und andere nicht, weil sie – nachdem erste Verbote umgesetzt worden seien – als unverzichtbar gelten dürften, greift nicht durch. Dass die Antragsgegnerin gegenüber vergleichbaren anderen bei der Arbeitgeberin der Antragstellerin angestellten ungeimpften Mitarbeitern kein Betretungs- und Tätigkeitsverbot hat erlassen können, weil ansonsten die Versorgungssicherheit gefährdet worden wäre, macht sie schon nicht geltend.
119Genauso wenig trägt die Antragstellerin vor, dass die Antragsgegnerin gegenüber anderen Personen, die trotz der Anforderung zur Vorlage eines Immunitätsnachweises diesen nicht fristgerecht vorlegen und bei denen der Arbeitgeber keine Einwände gegen den Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots erhebt, keine Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG erlässt. Vor diesem Hintergrund legt die Antragstellerin einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.1 GG auch nicht mit ihrem erst mit Schriftsatz vom 6. August 2022 – und damit ohnehin außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) – erhobenen Einwand dar, andere Gesundheitsämter hätten aufgrund der Datenlage mittlerweile „Zweifel“ in Bezug auf die erzielbare Schutzwirkung zugunsten der vulnerablen Gruppen und daher die Anwendung des § 20a IfSG faktisch ausgesetzt. Einzelfallentscheidungen der Verwaltung müssen sich vor dem Gleichheitssatz nur in ihrem jeweiligen Kompetenzraum rechtfertigen, so dass eine abweichende Verwaltungspraxis anderer Rechtsträger in deren Kompetenzraum nicht die Pflicht begründet, auch im Verhältnis zu dieser Praxis die Gleichheit zu beachten.
120Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. August 2017 ‑ 10 S 30/16 -, juris, Rn. 50.
121Eine Ausübung des Entschließungsermessens dahingehend, dass flächendeckend keine Verbote nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG ausgesprochen werden, dürfte im Übrigen auch nicht mit dem Zweck der Vorschrift vereinbar sein.
122Vgl. Amhaouach/Kießling, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20a Rn. 83; Bekos: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach § 20 a IfSG, in: COVuR 2022, 386 (391).
123Die Antragstellerin zeigt eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung auch nicht mit ihrem Vortrag auf, in Baden-Württemberg solle symptomfreien Infizierten wegen Personalmangels gestattet werden, ihrer beruflichen Tätigkeit trotz bestehender SARS-CoV2-Infektion mit positivem Testergebnis nachzugehen, sofern sie – anders als die Antragstellerin – im medizinischen oder pflegerischen Bereich eingesetzt würden. Eine Ungleichbehandlung liegt bei gegebenenfalls unterschiedlichen Regelungen in den Coronaverordnungen der einzelnen Bundesländer aus den vorstehend genannten Gründen bereits nicht vor.
124B. Die im Hinblick auf etwaige verbleibende Unsicherheiten lediglich ergänzend vorzunehmende Folgenabwägung ergibt aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend genannten Gründen (Beschlussabdruck, S. 9 f.), denen die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegensetzt, ebenfalls, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung das private Interesse der Antragstellerin, von Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, überwiegt.
125So auch Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 39.
126Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat sich – wie das Verwaltungsgericht – an dem wirtschaftlichen Verlust der Antragstellerin orientiert. Eine Reduzierung des Streitwertes in Anlehnung an Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheint dabei angesichts der befristeten Geltung der einschlägigen Vorschriften bis zum Ende dieses Jahres nicht angemessen. Mit einer Entscheidung in der Hauptsache dürfte vor Ablauf der Frist voraussichtlich nicht zu rechnen sein, so dass die Entscheidung im Eilrechtsschutz damit in der Sache abschließend sein dürfte.
127So auch Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris, Rn. 40.
128Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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