Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 A 200/20.A
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
I.
2Der nach seinen Angaben am 1. September 1994 im Irak geborene Kläger stellte am 28. August 2019 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Eine vom Bundesamt eingeholte EURODAC-Anfrage ergab, dass er am 13. Juli 2019 in Rumänien einen Asylantrag gestellt hatte.
3Ein am 2. September 2019 an die rumänischen Behörden gerichtetes Wiederaufnahmegesuch akzeptierten diese unter dem 12. September 2019 und teilten mit, dass der Kläger sich abgesetzt habe, sein Asylantrag als zurückgenommen gelte und das Verfahren am 19. August 2019 eingestellt worden sei.
4In seiner Anhörung durch das Bundesamt am 11. Oktober 2019 erklärte der Kläger, er habe in Rumänien keinen Asylantrag gestellt, keine Anhörung gehabt und sich nur für einen Tag dort aufgehalten. Sein Ziel sei Deutschland gewesen.
5Mit Bescheid vom 16. Oktober 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2.), und ordnete seine Abschiebung nach Rumänien an (Ziffer 3.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG befristete das Bundesamt auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.).
6Am 11. November 2019 hat der Kläger Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gestellt.
7Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
8den Bescheid der Beklagten vom 16. Oktober 2019 aufzuheben,
9hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgennannten Bescheides zu verpflichten, ein nationales Abschiebungshindernis bezüglich Rumänien festzustellen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19. November 2019 - 1 L 1309/19.A - abgelehnt. Die Klage hat es mit Urteil vom 20. Dezember 2019 - dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 23. Dezember 2019 - abgewiesen.
13Der Senat hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. November 2019 - 1 L 1309/19.A - durch Beschluss vom 17. Januar 2020 - 11 B 55/20.A - geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2019 angeordnet.
14Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Kläger im Wesentlichen vor:
15Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie die außergewöhnlichen Schwierigkeiten der Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erforderten die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In Rumänien drohe ihm ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK. Im Fall seiner Rücküberstellung nach Rumänien sei er dort darauf angewiesen, einen Folgeantrag zu stellen, da sein Asylverfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt worden sei. Folgeantragsteller seien in Rumänien von der Unterbringung und weiteren materiellen Leistungen ausgeschlossen. Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten Asylantragsteller erst nach drei Monaten. Dublin-Rückkehrern drohe somit die Gefahr von Obdach- und Mittellosigkeit. Leistungen würden ohnehin erst ab der Registrierung des Asylgesuchs gewährt. Berichten über die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Rumänien von staatlicher Seite könne nur ein eingeschränkter Wahrheitsgehalt zugeschrieben werden. Die tatsächlich gewährten Leistungen reichten nicht aus, um die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Dublin-Rückkehrer würden in Haft genommen. Die Haftbedingungen verstießen, insbesondere für vulnerable Personen, etwa Minderjährige, gegen Art. 4 GRCh. Es bestehe die Gefahr, dass Rumänien durch Abschiebungen nach Serbien gegen das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 der GFK verstoße. Insoweit sei auf das Verfahren 11 A 500/22.A und die vom dortigen Kläger geschilderten Geschehnisse zu verweisen. Im Fall der Anerkennung als Schutzberechtigter hätte er zwar dieselben Rechte wie rumänische Staatsbürger bezüglich Bewegungsfreiheit, Aufenthalt, Eigentum und Zugang zu Wohnraum und Wohnbeihilfen, jedoch sei er in der Praxis mit Hindernissen beim effektiven Zugang zu diesen Rechten konfrontiert.
16Der Kläger beantragt sinngemäß und schriftsätzlich,
17das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 20. Dezember 2019 abzuändern und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2019 aufzuheben,
18hilfsweise die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 16. Oktober 2019 zu verpflichten, Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
19Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört worden.
22Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte - insbesondere den Schriftsatz des Klägers vom 13. September 2022 - sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes verwiesen.
23II.
24A. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO).
25Eine mündliche Verhandlung war nicht durch Art. 6 Abs. 1 EMRK geboten. Art. 6 Abs. 1 EMRK, der Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie strafrechtliche Anklagen erfasst, findet in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren der vorliegenden Art keine Anwendung.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2002 - 1 C 15.01 -, BVerwGE 116, 123 = juris, Rn. 6 m. w. N.; EGMR, Urteil vom 12. Juli 2001 - 44759/98 (Ferrazzini/Italien) -, NJW 2002, 3453.
27Im Übrigen kommt eine Verletzung dieser Bestimmung jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die Beteiligten - wie vorliegend - im vorherigen Rechtszug freiwillig und ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben und deshalb nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1998- 2 C 4.97 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 113 = juris, Rn. 14.
29Dass der Streitfall rechtlich oder tatsächlich besonders schwierig oder komplex ist, ist weder ersichtlich noch vom Kläger dargetan.
30B. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
31I. Die Klage ist mit dem Hauptantrag als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO zulässig. Die isolierte Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart, wenn ein Schutzsuchender die Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung seines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin-Verordnung begehrt.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 -, NVwZ 2016, 154 = juris, Rn. 13 f.
33Der zweite gegen Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids und auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Hilfsantrag ist als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1, 2. Var. VwGO zulässig.
34II. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
35Dabei ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen.
36Vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 67 f.
371. Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids ist § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Nach der Dublin III-VO ist Rumänien für das Asylverfahren des Klägers zuständig.
38a) Die Zuständigkeit Rumäniens folgt aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 lit. c) Dublin-III-VO. Demnach ist Rumänien zur Wiederaufnahme des Klägers verpflichtet, da er zuerst in Rumänien einen Asylantrag gestellt hat und das dortige Asylverfahren eingestellt worden ist. An der entsprechenden Auskunft der rumänischen Behörden, die dem Eurodac-Ergebnis entspricht, ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel aufgrund der Angaben des Klägers im Rahmen seiner Bundesamtsanhörung, er habe in Rumänien keinen Asylantrag gestellt.
39b) Die Zuständigkeit ist nicht nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO wegen Verstreichens der Überstellungsfrist auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat.
40Die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs erfolgte vorliegend am 12. September 2019, sodass Fristbeginn der 13. September 2019 war. Die sechsmonatige Überstellungsfrist endete damit grundsätzlich mit Ablauf des 12. März 2020.
41Vor Ablauf der Überstellungsfrist hat der beschließende Senat mit Beschluss vom 17. Januar 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet, wodurch die Überstellungsfrist unterbrochen wurde.
42c) Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat vorgenommen werden kann.
43Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt, insbesondere ist kein Fall des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO gegeben. Nach dieser Vorschrift setzt der prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehen Kriterien fort, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen.
44aa) Aufgrund des zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens hat jeder Mitgliedstaat - abgesehen von außergewöhnlichen Umständen - davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin-III VO die Vermutung, dass die Behandlung Asylsuchender in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - sowie der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - steht.
45Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 81 f., und - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 84 f.
46Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, jedoch ist die Widerlegung dieser Vermutung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Daher steht nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Regeln für das gemeinsame Asylsystem der Überstellung eines Asylsuchenden in den zuständigen Mitgliedstaat entgegen. Dies wäre mit den Zielen und dem System der Dublin-III VO unvereinbar.
47Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 ‑ C‑163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 84 und 91 f.
48Art. 4 GRCh steht der Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einen anderen Mitgliedstaat entgegen, sofern im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte festzustellen ist, dass sie in diesem Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.
49Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 ‑ C‑163/17 (Jawo) -, Rn. 85 und 98.
50Dies gilt aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters des Art. 4 GRCh in allen Situationen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Asylsuchender bei oder infolge seiner Überstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfährt. Dementsprechend ist es für die Anwendung des Art. 4 GRCh unerheblich, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss zu einer solchen Behandlung kommt und ob systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen des Asylsystems in dem anderen Mitgliedstaat vorliegen,
51vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87, 88 und 90, und - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 87,
52oder ob es unabhängig vom Vorliegen solcher Schwachstellen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommt.
53Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019- C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87.
54Ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh bzw. den diesem entsprechenden Art. 3 EMRK liegt aber nur dann vor, wenn die drohende Behandlung eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle ist grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
55Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 87 bis 92; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540 und 541/17 (Hamed und Omar) -, juris, Rn. 39; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 29 ff., m. w. N., wonach ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK vorliegt, wenn die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigt werden können, ferner Urteile vom 26. Januar 2021 ‑ 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 30, und - 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 32.
56Bereits ein relativ kurzer Zeitraum, während dessen sich eine Person in einer Situation extremer materieller Not befindet, reicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh zu begründen. Dabei ist auch zu beachten, dass den Rechten, die die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9, sog. Qualifikationsrichtlinie) sowie die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60, sog. Verfahrensrichtlinie) Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, einräumen, die tatsächlichen Wirkungen genommen würden, wenn sie selbst während einer relativ kurzen Zeitspanne nicht mit einer Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse einhergingen.
57Vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 46 ff. (zu Art. 20 RL 2013/33/EU); Generalanwalt Sanchez-Bordona, Schlussanträge vom 6. Juni 2019 - C-233/18 (Haqbin) -, juris, Rn. 78 f.
58bb) Ausgehend hiervon ist die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen und das Bundesamt hat den hier gestellten Antrag zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG als unzulässig abgelehnt.
59Dem Kläger droht zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) für den Fall seiner Rücküberstellung nach Rumänien nicht die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger in Rumänien weder während des Asylverfahrens (dazu (1)) noch auf absehbare Zeit nach einer - nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
60vgl. dazu: EuGH, Urteil vom 19. März 2019 ‑ C‑163/17 (Jawo), dazu: BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2019 - 2 BvR 721/19 -, juris, Rn. 20 ff.,
61mit zu berücksichtigenden Zuerkennung des internationalen Schutzstatus (dazu (2)) unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird, in der er seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht wird befriedigen können.
62(1) Die Regierung Rumäniens kooperiert unter anderem mit dem UNHCR, um Flüchtlingen, Schutzsuchenden, Staatenlosen u. a. Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen. Dieser hat bezüglich Rumänien keine wesentlichen Hindernisse hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren festgestellt.
63Vgl. BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 3; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 17.
64(a) Schutzsuchende, die kein eigenes Auskommen haben, haben ab dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Absicht erklären, Asyl zu beantragen, bis zum Abschluss des Verfahrens und gegebenenfalls bis zum Ende ihres Aufenthaltsrechts in Rumänien Anspruch auf Aufnahmeleistungen („reception conditions“).
65Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 100; Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16. März 2020, S. 2.
66Die meisten Schutzsuchenden werden in den sogenannten Regionalen Unterbringungszentren („Regional Centres for Accommodation“) untergebracht, die von der Generalinspektion für Einwanderung – Direktion für Asyl und Integration (Inspectoratul General pentru Imigrari – Directia Azil si Integrare, IGI-DAI) verwaltet werden.
67Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 100; Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16. März 2020, S. 2.
68Die Unterbringungszentren verfügen über eine ausreichende Kapazität. Zum Stichtag 1. Januar 2022 waren von den 751 zur Verfügung stehenden Plätzen nur 501 Plätze belegt.
69Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 110.
70Bislang gab es keine Situation, in der Schutzsuchende aufgrund eines Mangels an Plätzen in den Aufnahmezentren ohne Unterkunft geblieben sind. Wenn die Kapazität der Aufnahmezentren überschritten werden sollte, kann die IGI-DAI Schutzsuchenden im Rahmen der verfügbaren Mittel eine Unterbringungsbeihilfe gewähren.
71BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 7 f.
72Die im Zuge des Angriffskrieges der Russischen Föderation auf die Ukraine erfolgte Fluchtbewegung von Ukrainern auch nach Rumänien beeinträchtigt die Kapazität der Unterbringungszentren nicht. Rumänien registrierte rund 80.000 ukrainische Flüchtlinge, die aber nicht in den allgemeinen Aufnahmezentren aufgenommen wurden, sondern vor allem privat organisierte Unterkünfte gefunden haben. Über 8.000 Ukrainer wurden zudem in öffentlichen Gebäuden und Schulen untergebracht.
73Vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe an das OVG NRW vom 20. Juli 2022, S. 2 f.
74Zusätzlich zu den Regionalen Unterbringungszentren gibt es noch zwei weitere Unterbringungszentren, die von der Nichtregierungsorganisation (NGO) Ökumenische Vereinigung der Kirchen Rumäniens (Asociatia ecumenica a bisericilor din Romania, AIDRom betrieben werden.
75Vgl. Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16. März 2020, S. 3.
76Alle Schutzsuchenden, die auf der Grundlage der Dublin-Verordnung aus einem anderen Mitgliedstaat nach Rumänien überstellt werden, werden in den Zentren Vasile Stolnicu und Tudor Gociu untergebracht.
77Vgl. BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 3; Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 110.
78Die Unterbringungszentren erfüllen die Standards der EU und des UNHCR. Auch die Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Schutzsuchender werden berücksichtigt. Die rumänischen Behörden wahren das Prinzip der Familieneinheit und sichern die Einhaltung besonderer Unterkunftsbedingungen für Familien mit Minderjährigen.
79Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hamburg vom 3. August 2017, Gz. 508-516.80/49473, S. 2, und Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 4. Februar 2022, Gz. 508-516.80/54385, S. 3 f.
80Es gibt zwar bezüglich der hygienischen Zustände in einzelnen Aufnahmezentren immer wieder Beschwerden, die sich auch in entsprechenden Berichten des Ombudsmanns bzw. des Jesuit Refugee Service (JRS) widerspiegeln.
81Vgl. BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 7 f.
82Die Mängel lassen jedoch nicht auf eine Gleichgültigkeit der rumänischen Behörden schließen. Die Zustände in einigen Einrichtungen werden als „gut“ bezeichnet. Erkennbar sind auch die Bemühungen Rumäniens, in Abstimmung mit dem Ombudsmann für eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen zu sorgen. So wurden in den letzten Jahren kontinuierlich in fast allen Einrichtungen Renovierungsarbeiten durchgeführt, wodurch derzeit die Kapazität aller Einrichtungen von nominell 1.100 Plätzen auf 751 Plätze reduziert ist.
83Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 111 ff.; BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 7.
84(b) Schutzsuchende erhalten finanzielle Zuwendungen in Form einer Beihilfe für Verpflegung und Kleidung sowie ein Taschengeld für lokale Transportkosten, kulturelle Dienstleistungen, Presse, Reparatur- und Wartungsdienste und Kosten für persönliche Hygieneprodukte. Alleinstehende Erwachsene erhalten 480 Lei (104 €) monatlich. Weitere Zuschläge werden für Schwangere und Kinder gewährt. Die Sätze wurden durch eine Reform im Jahr 2015 angehoben, so dass sie nunmehr ausreichend sind, um einen angemessenen Lebensstandard zu sichern.
85Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 102 f.; BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 6 f.
86(c) Schutzsuchende haben Zugang zum Arbeitsmarkt nach drei Monaten ab Stellung des Asylantrags. Der Zugang wird unter den gleichen Bedingungen gewährt, wie sie für rumänische Staatsbürger gesetzlich festgelegt sind. Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsmarktprüfung, Branchenbeschränkung oder sonstige Einschränkung. Schutzsuchende erhalten auf Antrag von den Bezirksarbeitsagenturen (AJOFM) Vermittlungsdienste, professionelle Informationen und Beratungsdienste, um eine Beschäftigung zu finden. Schutzsuchende hatten in den letzten Jahren bei der Stellensuche keine Schwierigkeiten. Die meisten der ausgeschriebenen Stellen befanden sich im Bereich der ungelernten Arbeitskräfte. Infolgedessen hatten Schutzsuchende keine Probleme im Zusammenhang mit fehlenden rumänischen Sprachkenntnissen, Diplomen oder anderen Dokumenten, die ihre Qualifikationen belegen würden. Die Mehrheit der Schutzsuchenden waren Berichten zufolge ungelernte Arbeiter in ihrem Herkunftsland.
87Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 116 f.
88(d) Schutzsuchende haben in Rumänien den gleichen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem wie rumänische Staatsangehörige. Sie haben ein Recht auf kostenlose medizinische Erst- und Grundversorgung sowie klinische Behandlung bei lebensbedrohlichen oder chronischen Erkrankungen. Im Falle besonderer Bedürfnisse wird Schutzsuchenden Zugang zu sonstiger adäquater medizinischer Behandlung gewährt. Seit 2019 haben Schutzsuchende in allen regionalen Aufnahmezentren Zugang zu einem Allgemeinmediziner. Medizinisches Personal (Ärzte, Pfleger, Psychologen) sowie Dolmetscher und Kulturvermittler sind in den Unterbringungszentren grundsätzlich anwesend.
89Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 120 f.; BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 8; Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16. März 2020, S. 3.
90NGOs, etwa der JRS, helfen beim Zugang zu Gesundheitsdiensten oder bieten selbst - so etwa die rumänische ICAR Stiftung - kostenlose medizinische Leistungen in den Bereichen Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Kardiologie und Urologie sowie Physiotherapie an.
91Vgl. BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 9.
92(e) Es existiert in Rumänien ein rechtsstaatliches Asylverfahren. Im Fall der Ablehnung ihrer Anträge haben Schutzsuchende die Möglichkeit, dagegen gerichtlich vorzugehen. Mängel im Rechtsschutzsystem sind nicht bekannt.
93Vgl. BFA: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 1; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 5. Dezember 2017, Gz. 508-516.80/49833, S. 3, und Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 4. Februar 2022, Gz. 508-516.80/54385, S. 3 f.; in Einzelnen: Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 35 - 54.
94Schutzsuchende erhalten in Rumänien Zugang zu Rechtsberatung. Es gibt keine Einschränkungen oder Bedingungen für den Zugang zu Rechtsberatung in erster Instanz. Für das Verwaltungsverfahren bieten NGOs, finanziert durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union (AMIF) und den UNHCR, kostenlose Rechtsberatung und Rechtshilfe.
95Vgl. Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16. März 2020, S. 6 ff.; Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 54 ff.
96(f) In Rumänien sind Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Schutzsuchenden gesetzlich vorgesehen. Zunächst kann Schutzsuchenden auferlegt werden, sich in einem regionalen Aufnahmezentrum aufzuhalten und sich regelmäßig bei den zuständigen Behörden zu melden.
97Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 18.
98Zudem können Schutzsuchende für die Dauer von 60 Tagen in „besonders eingerichteten geschlossenen Bereichen“ inhaftiert werden, wenn sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen oder um den Missbrauch des Asylverfahrens zu begrenzen bzw. um die Durchführung des Asylverfahrens zu ermöglichen.
99Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 18; Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 133.
100Die rumänischen Behörden sind befugt, Schutzsuchende für maximal 18 Monate in Haft zu nehmen, wenn sie aufgrund der Dublin-Verordnung in einen anderen EU-Mitgliedstaat überstellt werden sollen und wenn ein signifikantes Risiko zur Flucht besteht. Ein solches Fluchtrisiko wird unter anderem angenommen, wenn ein Schutzsuchender nach einem Asylantrag in Rumänien die rumänische Grenze irregulär überschritten oder dies versucht hat.
101Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 18 f.; Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 134.
102Eine Inhaftierung Schutzsuchender in Strafgefangeneinrichtungen, deren Haftbedingungen als harsch, überfüllt und nicht internationalen Standards entsprechend angesehen werden,
103vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 5; s. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Januar 2022 - 2 BvR 1214/21 -, NJW 2022, 932 = juris, und Beschluss vom 1. Dezember 2020 - 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 -, juris,
104findet nicht statt.
105Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 138.
106Die Unterbringung erfolgt in öffentlichen Gewahrsamszentren, die von der IGI-DAI verwaltet werden. Gemäß der Ausländerverordnung sind die Zentren organisiert und ausgestattet, um eine angemessene Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung und Körperpflege zu gewährleisten. Die Haftbedingungen werden als gut und angemessen bezeichnet.
107Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 140 und 143.
108Von der Möglichkeit, Schutzsuchende zu inhaftieren, wird aber im Grundsatz kein Gebrauch gemacht. Die Hauptkategorien der inhaftierten Schutzsuchenden sind vielmehr diejenigen, die einen Asylantrag aus der Haft gestellt haben und deren Antrag im beschleunigten Verfahren geprüft wurde.
109Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 132.
110In der Regel erfolgt die Unterbringung von Schutzsuchenden, auch von im Dublin-Verfahren Rücküberstellten, bis zur Asylentscheidung in offenen Aufnahmeeinrichtungen.
111Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 5. Dezember 2017, Gz. 508-516.80/49833, S. 3, und Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover vom 4. Februar 2022, Gz. 508-516.80/54385, S. 3 f.
112Schutzsuchende werden zudem aus der Haft entlassen, wenn sie einen Asylantrag stellen und daraufhin Zugang zum regulären Asylverfahren erhalten.
113Vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 18 f.; Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 132.
114(g) In Rumänien sind Folgeantragsteller von der Gewährung materieller Beihilfen ausgeschlossen.
115Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 100.
116Entzieht sich ein Antragsteller dem Verfahren - z. B. indem er Rumänien vor dem Asylinterview verlässt und in einen anderen EU-Mitgliedstaat weiterreist -, gilt sein Antrag zwar nach 30 Tagen als stillschweigend zurückgezogen und das Verfahren wird geschlossen. Für nach Rumänien zurückgeführte Personen, die - wie der Kläger - zuvor nicht persönlich angehört wurden, wird das Asylverfahren aber fortgesetzt, ohne dass sie auf das Folgeverfahren verwiesen werden.
117Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 66.
118(h) Gesetzlich ist ein Schutzmechanismus gegen Refoulement vorgesehen. Abschiebungen können nur durchgeführt werden, wenn die Rückkehrentscheidung nicht im Widerspruch zum Non-Refoulement-Prinzip steht. Vor einer Abschiebung ergeht eine Entscheidung, in der begründet wird, warum der Aufenthalt auf rumänischem Territorium verweigert wird. Gegen diese Entscheidung ist eine Beschwerde statthaft, die binnen zwei Tagen nach Zustellung einzulegen ist. Über diese entscheidet das für den Bezirk zuständige regionale Gericht („Regional Court“). Das Gesetz sieht Ausnahmen vom Non-Refoulement-Prinzip nur vor, wenn begründete Hinweise darauf hindeuten, dass Ausländer (einschließlich Schutzsuchende und anerkannte Flüchtlinge) beabsichtigen, terroristische Handlungen zu begehen oder den Terrorismus zu begünstigen. Schutzsuchende, die aus Gründen der nationalen Sicherheit für „unerwünscht“ erklärt wurden, werden bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in Gewahrsam genommen und dann abgeschoben.
119Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Rumänien, 2. August 2022, S. 6; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2021, Romania, S. 17 f.; Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 89.
120Soweit von einigen NGOs im Zusammenhang mit dem Non-Refoulement-Prinzip über kollektive Überstellungen nach Serbien berichtet wird,
121vgl. Nachweise im Bericht des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Rumänien: Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Polizeigewalt, Unterbringungssituation, Zustände in Quartieren, Zugang zu Rechtsberatung, 16. März 2020, S. 1, wonach das European Council on Refugees and Exiles (ECRE) von mehreren hundert Überstellungen im Jahr berichtet, jedoch dem Jesuit Refugee Service (JRS) keine kollektiven Überstellungen bekannt seien,
122finden sich keine Berichte darüber, dass im Asylverfahren befindliche Schutzsuchende ohne rechtsstaatliches Verfahren nach Serbien zurückgeführt worden wären. Nach Auskunft von AIDA handelte es sich um die Rückführung solcher Personen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einer illegalen Grenzüberschreitung aufgegriffen, inhaftiert und nach dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Serbien über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt überstellt worden sind.
123Vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Romania - 2021 Update, S. 20 bis 23.
124(i) Ausgehend davon besteht für den Kläger nicht die Gefahr, bei einer Rückkehr nach Rumänien in eine Situation extremer materieller Not zu geraten.
125Ihm droht nicht die Gefahr, aufgrund der Einstellung seines Asylverfahrens als Folgeantragsteller behandelt und damit von staatlichen Leistungen ausgeschlossen zu werden. Nach seinem eigenen Vortrag hat er sich vor seiner von vornherein beabsichtigten Weiterreise nach Deutschland nur einen Tag in Rumänien aufgehalten und wurde noch nicht persönlich angehört. Somit ist zu erwarten, dass sein Asylverfahren nach der Rücküberstellung fortgesetzt und er staatliche Hilfen in Form von Unterkunft, finanziellen Beihilfen sowie Integrationsleistungen erhalten wird.
126Ebenfalls ist nicht zu erwarten, dass er unmittelbar nach seiner Überstellung in Haft genommen wird. Nach der Auskunftslage werden Dublin-Rückkehrer grundsätzlich nicht inhaftiert. Soweit er vorträgt, die rumänischen Behörden würden von einer Fluchtgefahr ausgehen, weil er das Staatsgebiet Rumäniens nach Asylantragstellung verlassen habe, begründet dies nicht die Gefahr einer Inhaftierung. Denn nach den vorstehend zitierten Auskünften werden nur solche Personen, bei denen Fluchtgefahr besteht, inhaftiert, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens - von Rumänien aus in andere Mitgliedstaaten - abgeschoben werden sollen. Diese Fallkonstellation trifft auf den von einem anderen Mitgliedstaat - hier Deutschland - nach Rumänien zurücküberstellten Kläger nicht zu. Soweit der Kläger Fälle von inhaftierten Minderjährigen vorträgt, begründet dies für ihn - abgesehen von den vorstehenden Ausführungen - schon deshalb keine besondere Gefahrensituation, weil er offensichtlich nicht minderjährig ist. Andere Vulnerabilitätsmerkmale sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
127Insoweit war den Beweisanregungen des Klägers im Schriftsatz vom 13. September 2022 auf Einholung von Sachverständigengutachten bezüglich der Dauer der Inhaftierung von bis zu 18 Monaten nach rumänischem Recht, der Haftbedingungen für (Straf-)Gefangene sowie der Inhaftierung von Minderjährigen und anderen vulnerablen Personen nicht weiter nachzugehen. Die in diesem Schriftsatz genannten deutschsprachigen Erkenntnisse ziehen die vorstehenden Feststellungen nicht in Zweifel, zumal sie sich überwiegend auf dieselben Quellen (insb. Asylum Information Database (AIDA), JRS) beziehen.
128Ein Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzip ist nicht zu befürchten. Die Fälle von Abschiebungen aus der Haft nach Serbien betreffen nach den vorstehenden Auskünften insbesondere Personen, die unmittelbar an der Grenze aufgegriffen und deshalb inhaftiert wurden. Da der Kläger im Rahmen des (förmlichen) Dublin-Verfahrens nach Rumänien überstellt würde, besteht für ihn diese Gefahr nicht.
129Soweit der Kläger auf die Inhaftierung und Abschiebung eines Klägers eines Parallelverfahrens nach Serbien verweist, ergibt sich für die Beurteilung systemischer Mängel nichts Abweichendes. Individuelle Erfahrungen sind zwar in begrenztem Umfang in die Gesamtwürdigung einzubeziehen.
130Vgl. zur Berücksichtigung von Erfahrungen des Betroffenen im Zielstaat BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 2 = juris, Rn. 6.
131Die Benennung eines Einzelfalls ohne Angabe weiterer konkreter Umstände zieht die Feststellungen auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel jedoch nicht in Zweifel. Die Fallgestaltung des vom Kläger angeführten Parallelverfahrens unterscheidet sich von der vorliegenden zudem grundlegend: Der Asylantrag jenes Klägers war nach erfolglosem gerichtlichen Rechtsschutz in Rumänien unanfechtbar abgelehnt worden und er war ausreisepflichtig, bevor er nach Deutschland weiterreiste. Das Asylverfahren des Klägers im vorliegenden Verfahren kann jedoch - wie ausgeführt - fortgesetzt werden. Insofern sind auch die vom Kläger im Schriftsatz vom 13. September 2022 angegebenen Erkenntnisse zur Situation von Dublin-Rückkehrern, deren Asylverfahren in Rumänien bestandskräftig erfolglos beendet ist, für das vorliegende Verfahren unerheblich.
132Vor diesem Hintergrund war auch der weiteren im Schriftsatz des Klägers vom 13. September 2022 aufgeführten Beweisanregung auf Einholung eines Gutachtens zur Praxis der Abschiebungen nach Serbien nicht weiter nachzugehen.
133Soweit der Kläger im Übrigen vorträgt, der Wahrheitsgehalt staatlicher Auskünfte sei anzuzweifeln, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Abgesehen davon stützt der Senat seine Entscheidung auch auf Erkenntnisse nichtstaatlicher Organisationen. Soweit der Kläger auf Berichte und Auskünfte, von „sagwas.net“ aus dem Jahr 2015, einen Bericht der Fränkischen Zeitung vom 20. Januar 2015 und von Amnesty International von 2016 hinweist, sind diese Erkenntnismittel nicht (mehr) hinreichend aktuell, um die hier zitierten Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen.
134(2) Auch nach einer unterstellten Zuerkennung des internationalen Schutzes in Rumänien droht dem Kläger kein Automatismus der Verelendung. Mit Beschluss vom 25. August 2022 hat der Senat entschieden, dass international Schutzberechtigte in Rumänien Zugang zu Bildung, Wohnungen, Erwachsenenbildung, Arbeit, öffentlicher Gesundheitsfürsorge und Sozialleistungen haben, so dass für den Fall der Rückkehr nicht die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK droht.
135Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2022 ‑ 11 A 861/20.A -, juris m. w. N.
136An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
137Für den zu unterstellenden Fall einer Anerkennung als international Schutzberechtigter wird der Kläger insbesondere mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Lage sein, sich aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen. Er hat nach eigenen Angaben als Handwerker gearbeitet und so im Herkunftsland sich und seine Familie ernährt. Es ist zu erwarten, dass er dazu auch in Rumänien fähig sein wird.
1382. Auch Ziffer 2. des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nach den obigen Ausführungen nicht erfüllt. Aus diesem Grund ist auch die hilfsweise erhobene, auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Verpflichtungsklage unbegründet.
1393. Die in Ziffer 3. des Bescheids enthaltene Abschiebungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung zeitnah tatsächlich nicht möglich oder rechtlich nicht zulässig sein könnte.
140Einer Abschiebung steht auch nicht (mehr) eine Weigerung Rumäniens entgegen, Überstellungen aus dem europäischen Ausland entgegenzunehmen. Soweit die rumänische Dublin Unit unter dem 28. Februar 2022 gegenüber den Mitgliedstaaten erklärt hat, wegen des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine bis auf weiteres Dublin-Überstellungen auszusetzen, hat sie unter dem 11. Mai 2022 ausgeführt, trotz limitierter Kapazität weiter eingehende Überstellungen in dringenden Fällen, etwa wegen des Ablaufs von Überstellungsfristen, zu akzeptieren. In einer weiteren Mitteilung vom 24. Mai 2022 hat sie erklärt, Überstellungen würden schrittweise wieder entgegengenommen.
1414. Schließlich ist auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 AufenthG (Ziffer 4. des Bescheids) rechtmäßig. Die Beklagte kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot grundsätzlich auf bis zu fünf Jahre befristen (§ 11 Abs. 3 AufenthG). Die Befristung auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der Kläger hat hierzu auch nichts vorgetragen.
142C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
143Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.
144Die Revision war nicht zuzulassen, weil die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe nicht vorliegen.
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Referenzen
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- Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (11. Kammer) - 11 B 55/20 1x
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- 11 A 228/15 1x (nicht zugeordnet)
- § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG 1x (nicht zugeordnet)
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- 11 A 2982/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 27a AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- 540 und 541/17 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 721/19 1x (nicht zugeordnet)
- § 11 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
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