Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (10. Senat) - 10 A 10628/11

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Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. September 2010 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt seine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit wegen Dienstunfähigkeit.

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Der im Jahre 1979 geborene Kläger ist seit Jahresanfang 1999 Soldat auf Zeit mit Dienstzeitende Mitte 2019. Er befindet sich gegenwärtig und noch bis zum Oktober 2012 in Elternzeit. Zwischen Oktober 1999 und Dezember 2005 studierte er Humanmedizin. Er ist Sanitätsoffizier und wurde zuletzt im Dezember 2005 zum Stabsarzt befördert und gehört dem Sanitätszentrum R… an.

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Seit 2005 leidet der Kläger unter Ekzemen an den Händen. Untersuchungen im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg ergaben eine erhebliche Sensibilisierung gegenüber Gummiinhaltsstoffen. Unter dem 7. November 2008 teilte das Krankenhaus – Oberfeldarzt Dr. A… – dem Sanitätszentrum R… auf Anfrage mit, dass der Kläger auf Dauer keinen dienstlichen Kontakt zu Gummiinhaltsstoffen haben dürfe und dies insbesondere bedinge, dass er keine ABC-Schutzausrüstung tragen könne; damit sei auch seine Einsatzfähigkeit im Ausland auf Dauer nicht gegeben.

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10 Tage später stellte ein Vertragsarzt des Sanitätszentrums R…. fest, dass der Kläger auf Dauer nicht verwendungsfähig sei.

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Unter dem 19. November 2008 schlug daraufhin der Disziplinarvorgesetzte des Klägers Oberfeldarzt B…. gegenüber der Stammdienststelle der Bundeswehr die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung dessen Dienstunfähigkeit vor. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte des Klägers Oberstarzt Prof. Dr. Dr. C…. schloss sich diesem Vorschlag unter dem 2. Dezember 2008 an.

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Darauf wurde der Kläger zur Begutachtung seiner Verwendungsfähigkeit an das Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz überwiesen. Das Gutachten wurde unter dem 16. Februar 2009 durch Oberfeldarzt Dr. D… erstattet. In ihm kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine Sensibilisierung auf Nickelsulfat, Colophonium, Dibromdicyanobutan und insbesondere Diphenylthioharnstoff, einen Gummiinhaltsstoff, vorliege. Aufgrund der Sensibilisierung gegenüber Gummichemikalien sei dem Kläger das Tragen einer ABC-Schutzmaske nicht möglich; von daher sei die Gesundheitsziffer VI/45 zu vergeben; der Kläger sei auf Dauer nicht im Ausland einsetzbar.

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Die Beurteilung wurde mit Schreiben vom 5. Mai 2009 nochmals durch das Bundeswehrzentralkrankenhaus – Oberstarzt Dr. E…. – bestätigt. Zugleich wurde dabei allerdings darauf hingewiesen, dass es derzeit keine gesundheitlichen Gründe gebe, die einer administrativen Tätigkeit entgegenstehen würden.

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Aufgrund dieser ärztlichen Stellungnahmen stellte der Beratende Arzt des Personalamtes der Bundeswehr – Oberfeldarzt F…. – unter dem 13. März 2009 fest, dass bei dem Kläger eine erheblich eingeschränkte Verwendungsfähigkeit bestehe. Er könne auf Dauer weder im kurativen Arztbereich tätig noch im Ausland verwandt werden. Eine Tätigkeit im administrativen Bereich sei dagegen noch möglich.

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Im April 2009 wurde die an sich vorgesehene Beförderung des Klägers zum Oberstabsarzt wegen Zweifeln an seiner körperlichen und gesundheitlichen Eignung zum höheren Dienstgrad abgesagt.

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Nachdem das Personalamt der Bundeswehr dem Kläger mit Schreiben vom 9. Juni 2009 mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen für die Einleitung eines Dienstunfähigkeitsverfahrens nicht gegeben seien, und in einem Personalgespräch vom selben Tage verschiedene Verwendungsoptionen im Bereich Führung und Organisation erörtert worden waren, beantragte der Kläger unter dem 22. Juni 2009 die Beendigung seines Dienstverhältnisses wegen Dienstunfähigkeit.

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Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2009 ab; sie blieb bei ihrer Auffassung, dass mit Rücksicht auf eine mögliche administrative Verwendung eine Dienstunfähigkeit nicht gegeben sei.

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Dagegen erhob der Kläger Beschwerde, die nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des Beratenden Arztes des Personalamtes der Bundeswehr mit Beschwerdebescheid vom 15. Januar 2010 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd fähig; aufgrund der eingeholten ärztlichen Stellungnahmen stehe fest, dass er den an ihn in seiner gegenwärtigen Dienststellung und in den wesentlichen Dienststellungen seines Dienstgrades gestellten Anforderungen gewachsen sei; es gebe für ihn in ausreichender Zahl administrative Verwendungsmöglichkeiten.

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Darauf hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung er vorgetragen hat:

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Die ABC-Abwehr und der Selbstschutz seien auch im Bereich des Sanitätsdienstes Grundfertigkeiten, die jeder Soldat beherrschen müsse. Die wichtigste Aufgabe der Bundeswehr sei es nämlich, auf den Einsatz im Verteidigungsfall vorbereitet zu sein. Im Übrigen könne er aber auch nicht administrativ verwendet werden; dem stehe die Colophonium-Allergie entgegen.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Oktober 2009 und des dazu ergangenen Beschwerdebescheids vom 15. Januar 2010 zu verpflichten, ihn wegen Dienstunfähigkeit zu entlassen.

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Die Beklagte hat

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Klageabweisung

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beantragt und auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen.

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Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. September 2010 stattgegeben und ausgeführt: Der Kläger sei wegen Dienstunfähigkeit zu entlassen. Er sei aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauerhaft unfähig. Er könne nämlich den Anforderungen, die an einen Stabsarzt in wesentlichen Dienststellungen zu stellen seien, aufgrund seiner Sensibilisierung gegen Gummichemikalien nicht mehr gerecht werden. Er könne deswegen nicht mehr kurativ eingesetzt werden. Die kurative Tätigkeit sei jedoch der wesentliche Einsatzbereich eines Stabsarztes. Er sei aber auch nicht mehr vielseitig verwendbar und den besonderen Bedingungen des Verteidigungsfalles gewachsen, da er nicht in der Lage sei, eine ABC-Schutzausrüstung zu tragen, weswegen er auch nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen könne. Ein Soldat, der nur noch im Inland in Friedenszeiten und allein administrativ eingesetzt werden könne, sei dienstunfähig; anderes widerspräche dem besonderen Anforderungsprofil eines Soldaten, dessen Status auf der Verpflichtung beruhe, Wehrdienst zu leisten.

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Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 27. Mai 2011 wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung gegen das Urteil zugelassen, die die Beklagte sodann fristgemäß begründet hat.

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Dazu nimmt sie zunächst Bezug auf die Darlegungen in den angefochtenen Bescheiden sowie ihr Vorbringen im Zulassungsantrag, mit dem sie sich insbesondere gegen den rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts gewandt hatte, dass ein Soldat den besonderen Bedingungen des Verteidigungsfalles gewachsen sein müsse, und ihrerseits die Möglichkeit einer rein administrativen Verwendung eines Stabsarztes aus seiner Soldateneigenschaft hergeleitet hatte. Ergänzend trägt sie im Wesentlichen vor: Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Dienstunfähigkeit eines Soldaten auf Zeit sei als Akt wertender Erkenntnis nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Hierfür komme es maßgeblich auch auf die jeweiligen Anforderungen des ihm übertragenen Amtes und seiner Laufbahn an; der Bundesminister der Verteidigung könne jedoch im vorgegebenen rechtlichen Rahmen festlegen, welche körperliche Eignung und welche gesundheitlichen Voraussetzungen für bestimmte Verwendungen zu verlangen seien. Die Entscheidung, ob ein Soldat auf Zeit diese Anforderungen erfülle, könne dagegen gerichtlich voll überprüft werden. Da die Dienstunfähigkeit des Klägers nicht nur anhand seines Dienstgrades - Stabsarzt -, sondern auch auf der Grundlage der Anforderungen gemäß seiner Laufbahn – Sanitätsoffizier – zu bestimmen sei, folge aus der Unmöglichkeit einer kurativen Tätigkeit noch keine Dienstunfähigkeit des Klägers. Ein Soldat auf Zeit mit einer vergleichbaren Ausbildung wie der Kläger könne im Rahmen seiner Laufbahn und seines beruflichen Werdeganges in der Bundeswehr auch allein administrativ eingesetzt werden. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass zur Dienstfähigkeit des Soldaten auch gehöre, dass er den besonderen Bedingungen des Verteidigungsfalles gewachsen und vielseitig verwendbar sein müsse, stehe im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Begriff der Dienstunfähigkeit im Soldatenrecht grundsätzlich identisch sei mit dem Begriff der Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht. Eine Dienstunfähigkeit des Soldaten komme grundsätzlich erst dann in Betracht, wenn er in keiner ihm zumutbaren Verwendung innerhalb der Bundeswehr eingesetzt werden könne. Ein Soldat habe – anders als ein Beamter aufgrund der Ämterstabilität – keinen Anspruch auf eine bestimmte Verwendung und könne damit auch keine dienstgradgerechte Verwendung beanspruchen. Der Kläger sei bezogen auf seine Laufbahn und die wesentlichen Dienststellungen in seinem Dienstgrad lediglich eingeschränkt verwendungsfähig. Nur dann, wenn die neue Verwendung eine unzumutbare Härte bedeuten würde, sei ein Verwendungswechsel aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen. Schließlich hingen auch die Anforderungen an einen Soldaten im Verteidigungsfall von dem konkreten Verwendungsgebiet ab. Die Möglichkeit, eine ABC-Schutzausrüstung zu tragen, sei keine Voraussetzung für jedwede Verwendung innerhalb der Bundeswehr. Einem Soldaten im Sanitätsdienst werde das Anlegen einer solchen Ausrüstung nur äußerst selten abverlangt. An den Dienstgrad eines Stabsarztes würden keine bestimmten Tätigkeiten in den Streitkräften geknüpft. Der Soldat habe keinen Anspruch darauf, dass seine ihm zugewiesene konkrete Aufgabe von der Wertigkeit her seinem Dienstgrad entsprechen müsse. Im administrativen Bereich seien 37 Dienstposten mit Sanitätsoffizieren besetzt.

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Die Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

27

Er hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend und entgegnet: Die Beklagte berücksichtige nicht, dass die Hauptaufgabe der Bundeswehr darin bestehe, für den Verteidigungsfall vorbereitet zu sein. Er sei jedoch, wie auch die Beklagte hervorhebe, in erster Linie Soldat. Eine ABC-Schutzausrüstung tragen zu können, gehöre zu den Grundfertigkeiten zur Ermöglichung eines Einsatzes im Verteidigungsfall. Deswegen sei er auch in die Kategorie „VI nicht wehrdienstfähig, verwendungsunfähig auf Dauer“ eingestuft worden. Im Übrigen gehörten inzwischen auch Auslandseinsätze zu den Hauptaufgaben der Bundeswehr. Die von der Beklagten in den Blick genommenen administrativen Verwendungsmöglichkeiten beträfen zudem nur allgemeine Dienstposten für Sanitätsoffiziere, nicht aber speziell für Sanitätsoffiziere mit medizinischem Studium. Für diese sei eine rein administrative Verwendung die Ausnahme. Der Beklagten stehe auch kein Beurteilungsspielraum in Bezug auf die Feststellung seiner Dienstunfähigkeit zu. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass er kein Berufssoldat werden könne und somit in das zivile Erwerbsleben zurückkehren müsse. Durch eine mehrjährige rein administrative bundeswehrspezifische Tätigkeit verlöre er jedoch einen Großteil seines Berufswissens; zudem sei ihm so die Möglichkeit einer Facharzt-Weiterbildung genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zu den Prozessakten gereichten Schriftsätze sowie der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

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Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte richtigerweise dazu verpflichtet, den Kläger, wie von ihm begehrt, zu entlassen. Dieser kann gemäß § 55 Abs. 2 des Soldatengesetzes - SG - seine Entlassung beanspruchen, weil er dienstunfähig ist. Nach der genannten Bestimmung ist ein Soldat auf Zeit zu entlassen, wenn er dienstunfähig ist.

31

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend und ohne Überschreitung seiner Prüfungsbefugnis festgestellt, dass der Kläger dienstunfähig ist. Bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Soldaten besitzt die Beklagte keinen Beurteilungsspielraum (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 1978 - 2 B 8.78 -, Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 7; Vogelsang in Fürst, GKÖD, Stand Mai 2011, Rdnr. 4 zu § 55 SG; Scherer/Alff/Poretschkin, Soldatengesetz, 8. Aufl., Rdnr. 3 zu § 55 SG).

32

Der Begriff der Dienstunfähigkeit im Soldatenrecht ist derselbe wie im Beamtenrecht, so dass die im Beamtenrecht entwickelten Grundsätze zur Auslegung dieses Begriffs auch im Soldatenrecht angewandt werden können, soweit nicht die Eigenart des Militärdienstes die Anlegung eines anderen Maßstabs verlangt. Der Soldat hat zwar andere Dienstpflichten als der Beamte; aber ähnlich wie bei diesem setzen sich auch seine Dienstpflichten zusammen aus den allgemeinen Soldatenpflichten (§§ 7 ff. SG) und den besonderen Pflichten, die sich aus der Waffengattung und der durch den Dienstgrad gekennzeichneten Dienststellung ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 1982 - 6 C 71.81 -, Buchholz 238.4 § 55 SG Nr. 10; ferner z.B. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Januar 2009 - 1 O 165/08 -, NVwZ-RR 2009, 485). Ein Soldat ist danach dienstunfähig, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist (vgl. die wortgleiche Definition in § 44 Abs. 3 SG und § 26 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes - BeamtStG -). Zur Erfüllung seiner Dienstpflichten ist ein Soldat unfähig, wenn er den Anforderungen, die an ihn in seiner gegenwärtigen Dienststellung und in den wesentlichen Dienststellungen seines Dienstgrades gestellt werden, nicht ausreichend gerecht wird (vgl. Erlass des Bundesministers der Verteidigung vom 15. März 1994 VR I 1 – Az 16-02-11/09-4, VMBl. 1994, 86, Nr. 1 Abs. 3; Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O., Rdnr. 5 zu § 44 SG; Vogelsang, a.a.O., Rdnr. 24 zu § 44 SG).

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Was die – generell – an einen Soldaten gestellten Anforderungen angeht, ist von wesentlicher Bedeutung der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr (Art. 87 a des Grundgesetzes - GG -), aus dem sich als „Eigenart des Militärdienstes“ im eingangs dargestellten Sinne besondere, gegenüber einem Beamten höhere Anforderungen an die körperliche bzw. gesundheitliche Verfassung ergeben.

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Ist es mit Rücksicht auf diesen Auftrag die wichtigste Aufgabe der Bundeswehr, auf den Einsatz im Verteidigungsfall vorbereitet zu sein, müssen ihre Soldaten auch den besonderen Bedingungen eines militärischen Einsatzes gewachsen sein (vgl. dazu z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Juni 1979 - I A 2355/77 -, ZBR 1981, 38; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Januar 2009 - 1 O 165/08 –, a.a.O.; Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O.; Vogelsang, a.a.O.). Die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts geben damit zutreffend die aus der spezifischen Aufgabenstellung der Bundeswehr folgenden besonderen Bedingungen für die Dienstfähigkeit von Soldaten wieder und können keineswegs als „Versuch …. gewertet werden, eine ergebnisorientierte Begründung zu finden“ (Zulassungsantragsschrift S. 3, vorletzter Absatz). Die geforderte größtmögliche Schlagkraft der Bundeswehr im Verteidigungsfall setzt zwangsläufig voraus, dass ein Soldat nicht lediglich in Friedenszeiten zur Dienstleistung imstande ist, sondern dass er den an ihn gerade auch für den Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung in seiner zu der Zeit innegehabten Dienststellung bzw. in den unter diesen Bedingungen in Betracht kommenden wesentlichen Dienststellungen seines Dienstgrades gestellten Anforderungen zu genügen vermag. Was ihm in der betreffenden Dienststellung im Verteidigungsfall – in dem jederzeit mit unvorhersehbaren, einen Einsatz auch außerhalb der vorgesehenen Einsatzbedingungen erfordernden Ereignissen gerechnet werden kann (vgl. dazu z.B. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Juni 1979 - I A 2355/77 -, a.a.O.) – tatsächlich muss abverlangt werden können, hängt naturgemäß auch von seinem Alter ab (vgl. zur Bedeutung des Lebensalters für die Frage der Dienstfähigkeit z.B. Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O.): Je jünger der betreffende Soldat ist, umso höheren Ansprüchen an seine vielseitige Verwendbarkeit muss er genügen.

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Nach alledem ist der Kläger unter Zugrundelegung der dem Senat mit den Verwaltungsakten vorgelegten ärztlichen Befunde und sachverständigen Würdigungen als dienstunfähig zu betrachten. Nach diesen ärztlichen Expertisen leidet der Kläger zweifellos auf Dauer unter anderem an einer erheblichen Sensibilisierung gegenüber Diphenylthioharnstoff, einem Gummiinhaltsstoff, und ist es ihm von daher dauerhaft nicht möglich, eine ABC-Schutzausrüstung zu tragen. Er ist so – auf Dauer – nicht dazu in der Lage, sich wirksam gegen atomare, biologische oder chemische Kampfmittel zu schützen. Ihm wurde deshalb die Gesundheitsziffer VI/45 zuerkannt. Dabei bedeutet die Gradationsstufe VI „nicht wehrdienstfähig, verwendungsunfähig auf Dauer“; mit der Ziffer 45 wird als Grund hierfür ein „Allergieleiden“ angegeben. Mit Rücksicht auf den medizinischen Befund und die sich daraus ergebenden Folgerungen in Bezug auf die Einschätzung der Wehrdienst- bzw. Verwendungsfähigkeit wurde abschließend festgestellt, dass die Einsatzfähigkeit des Klägers im Ausland auf Dauer nicht gegeben sei (Stellungnahmen des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg vom 7. November 2008, des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz vom 16. Februar/5. März 2009 und des Beratenden Arztes des Personalamtes der Bundeswehr vom 13. März 2009). Letztlich ergibt sich schon aus dieser Feststellung, dass der Kläger dienstunfähig ist, weil er den besonderen Bedingungen eines militärischen Einsatzes nicht mehr gewachsen ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Begriffe der Dienstunfähigkeit im Sinne von § 55 Abs. 2 SG und der Tauglichkeit gemäß § 8 a des Wehrpflichtgesetzes - WPflG - (mit den Graden wehrdienstfähig, vorübergehend nicht wehrdienstfähig und nicht wehrdienstfähig) unabhängig voneinander auszulegen und nicht vergleichbar sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 1978 - 2 B 8.78 -, a.a.O.; Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O.; Vogelsang, a.a.O.). Die Aussage, der Kläger sei als Zeitsoldat nicht mehr im Ausland einsetzbar, betrifft jedoch eine die Dienstfähigkeit berührende dauerhafte und auf seinem körperlichen Zustand beruhende Einschränkung in Bezug auf seine weitere soldatische Verwendbarkeit. Da diese nur für das Ausland ausgesprochene Unmöglichkeit eines militärischen Einsatzes des Klägers nicht etwa auf dort herrschende besondere Bedingungen – beispielsweise in Bezug auf das Klima, die Gesundheitsversorgung, Ansteckungsgefahren, Umweltverschmutzung und anderes mehr -, sondern allein darauf zurückzuführen ist, dass insofern eben militärische Einsätze in Rede stehen - die das Tragen einer ABC-Schutzausrüstung erforderlich machen können -, muss auch die Möglichkeit eines militärischen Einsatzes des Klägers im Verteidigungsfall im Inland an seinem Unvermögen zum wirksamen ABC-Schutz scheitern. Insbesondere ist es nicht etwa so, dass sich nur im Ausland, nicht jedoch im Inland die Notwendigkeit ergeben kann, ABC-Schutzausrüstung zu tragen. Nach Kenntnis des Senats ist die Bundeswehr bei keinem ihrer bisherigen Auslandseinsätze mit atomaren, biologischen oder chemischen Kampfstoffen in Berührung gekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie es einmal wird, ist aber nicht höher einzuschätzen, als die, dass es auch einmal im Verteidigungsfall im Inland dazu kommen kann. Dass der Verteidigungsfall als solcher im Inland weniger wahrscheinlich sein mag, als ein eventueller Auslandseinsatz, spielt insofern keine Rolle.

36

Die vorstehende rechtliche Würdigung entspricht im Übrigen auch dem „Wesen“ der ABC-Schutzmöglichkeit, dem, was die Möglichkeit zum wirksamen ABC-Schutz ausmacht. Dabei handelt es sich – in den Worten des Klägers – um eine „Grundfertigkeit“, die jeder Soldat beherrschen muss. Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 22. August 2011 damit im Wesentlichen übereinstimmend denn auch eingeräumt, dass es sich beim Tragen der ABC-Schutzausrüstung nicht um eine Verwendung, sondern um eine militärische Voraussetzung innerhalb einer Verwendung handele, dass die Ausbildung an der ABC-Schutzausrüstung ein Grundbaustein der militärischen Ausbildung sei, der von jedem Rekruten ungeachtet seiner späteren Verwendung in einer bestimmten Teilstreitkraft, ungeachtet einer bestimmten Verwendung innerhalb einer bestimmten Truppengattung und ungeachtet einer bestimmten Verwendung innerhalb einer bestimmten Laufbahngruppe durchlaufen werden müsse, und dass sich erst im weiteren Verlauf des Werdeganges eines Soldaten entscheide, in welcher Intensität er an der ABC-Schutzausrüstung ausgebildet werde bzw. er auf deren Einsatz zurückzugreifen habe; Angehörigen des Organisationsbereichs Sanitätsdienst werde das Anlegen der ABC-Schutzausrüstung nur äußerst selten, nur im Rahmen einer Inübunghaltung abverlangt; da der Kläger weder für den Auslandseinsatz noch im kurativen Bereich eingeplant sei, sei die Wahrscheinlichkeit, dass er unter ABC-Schutzbedingungen seinen Dienst ausüben müsse, nahezu ausgeschlossen. Diese Ausführungen belegen klar, dass es für den militärischen Einsatz eines Soldaten - auch des Sanitätsdienstes -, mag es im Ausland oder im inländischen Verteidigungsfall sein, unerlässlich ist, sich gegebenenfalls gegen atomare, biologische oder chemische Kampfmittel wirksam schützen zu können.

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Diese Ausführungen machen zugleich deutlich, dass der Kläger auch bei seiner geplanten Verwendung im nichtkurativen Bereich im Inland, in der sanitätsdienstlichen Verwaltung, wegen seines Allergieleidens nicht den besonderen Bedingungen im – inländischen – Verteidigungsfall gewachsen ist. Von daher geht auch die Berufung der Beklagten auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1979 – I A 2355/77 – (a.a.O.) ins Leere. In diesem Urteil hat es das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zwar in besonders gelagerten Einzelfällen für möglich erachtet, einen Soldaten, der die an ihn in seiner gegenwärtigen Dienststellung und in den wesentlichen Dienststellungen seines Dienstgrades gestellten Anforderungen nicht mehr ausreichend erfüllt, noch in einer anderen Dienststellung zu verwenden. Es hat dies allerdings davon abhängig gemacht, dass mit Sicherheit zu erwarten sei, dass der Soldat die an diese Dienststellung zu stellenden Anforderungen auch im Verteidigungsfall ausreichend erfüllen werde.

38

Ist der Kläger nach alledem schon wegen seines Unvermögens, eine ABC-Schutzausrüstung zu tragen, nicht mehr dienstfähig, stellt sich im vorliegenden Verfahren letztlich nicht mehr die Frage, ob er auch allein mit Rücksicht darauf dienstunfähig ist, dass er als Stabsarzt – aus welchem Grunde auch immer – nicht mehr kurativ tätig sein kann. Gleichwohl sei hier klargestellt, dass nach Auffassung des Senats auch dies zu bejahen ist. Die für den Kläger vorgesehene rein administrative Tätigkeit kann schwerlich als eine wesentliche Dienststellung seines Dienstgrades angesehen werden. Soweit die Beklagte in dem Zusammenhang bemängelt, dass das Verwaltungsgericht die wesentlichen Dienststellungen anhand des konkreten Dienstgrades „Stabsarzt“ definiert habe (Zulassungsantragsschrift S. 4), ist ihr entgegenzuhalten, dass das Abstellen auf den Dienstgrad der Definition der Dienstunfähigkeit im Erlass des Bundesministers der Verteidigung vom 15. März 1994 (a.a.O.) entspricht. Es geht darum, ob der Soldat seine Pflichten erfüllen kann, die sich aus der durch den Dienstgrad gekennzeichneten Dienststellung ergeben. Vor dem Hintergrund des Verteidigungsauftrags der Bundeswehr und der daraus folgenden Verpflichtung zur Gewährleistung ihrer größtmöglichen Schlagkraft im Verteidigungsfall und mit Rücksicht darauf, dass es um die Erfüllung der hierauf ausgerichteten soldatischen Pflichten geht, kann es sich auch bei einem solchen „hilfsweisen“ Betätigungsfeld des Soldaten nur dann um eine wesentliche Dienststellung seines Dienstgrades handeln, wenn auch diese Tätigkeit „Verteidigungsrelevanz“ hat. Davon wird aber jedenfalls für die meisten der im Schriftsatz der Beklagten vom 28. Oktober 2010 angesprochenen Dienstposten nicht die Rede sein können. Abgesehen davon setzt, wie eingangs bereits hervorgehoben worden ist, die Soldatendienstfähigkeit um der größtmöglichen Schlagkraft der Bundeswehr willen eine gewisse Breite an Verwendbarkeit voraus, die umso höher zu veranschlagen ist, je jünger der Soldat ist. Wenn der gerade einmal 32-jährige Kläger als Stabsarzt nicht mehr im kurativen Bereich, sondern allein auf einigen Dienstposten in der Sanitätsdienstverwaltung tätig sein kann, fehlt es jedoch an der geforderten Vielseitigkeit der Verwendbarkeit.

39

Nach alledem erweist sich der Kläger als dienstunfähig.

40

Gemäß § 55 Abs. 2 SG ist er deshalb zwingend zu entlassen. Wie sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt, ist der Beklagten für die Entlassung eines dienstunfähigen Soldaten kein Ermessensspielraum eingeräumt (so auch ausdrücklich z.B. BVerwG, Beschluss vom 14. August 1978 - 2 B 8.78 -, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Juni 1979 - I A 2355/77 -, a.a.O.; Vogelsang, a.a.O., Rdnr. 4 zu § 55 SG; Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O., Rdnr. 3 zu § 55 SG). Das Oberverwaltungsgericht Münster hebt in der genannten Entscheidung zu Recht hervor, dass dies auch seinen guten Grund hat, weil die im Verteidigungsfall erforderliche größtmögliche Schlagkraft der Bundeswehr nur gewährleistet ist, wenn alle ihre Soldaten dienstfähig sind. Von daher gibt es auch keinen „Verkraftungsprozentsatz“, d.h. die Möglichkeit, in bestimmtem Umfang dienstunfähige Soldaten im Dienst zu belassen (vgl. dazu ebenfalls das vorgenannte Urteil des OVG Münster sowie Scherer/Alff/Poretschkin, a.a.O., Vogelsang, a.a.O.).

41

Eine dem § 194 Abs. 1 letzter Halbsatz des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-Westfalen entsprechende Regelung – die den Dienstherrn ermächtigt, einen polizeidienstunfähig gewordenen Beamten unter bestimmten Voraussetzungen weiter im Polizeivollzugsdienst zu verwenden und den von der Beklagten angesprochenen Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. August 2003 - 6 A 1579/02 - (IÖD 2003, 247) und vom 13. November 2006 - 6 B 2086/06 - (juris) sowie des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2005 - 2 C 4.04 - (DÖV 2006, 79) zugrunde liegt, fehlt im Soldatenrecht. Von daher geht das Vorbringen der Beklagten, das sich auf die genannten Entscheidungen stützt, ins Leere.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

44

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur grundsätzlichen Klärung der Frage geben, unter welchen Umständen ein Sanitätsoffizier (Stabsarzt) als Soldat auf Zeit dienstunfähig ist.

45

Beschluss

46

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 29.000,-- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 47 des Gerichtskostengesetzes - GKG -).

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