Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Landesdisziplinarsenat) - 3 A 10699/16
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2016 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Tatbestand
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Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Aberkennung seines Ruhegehaltes.
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Der 1955 geborene Beklagte stand bis zu seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit als Studiendirektor im Dienst des Klägers. Nach seinem Studium an der Universität des Saarlandes und Ablegung der ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Sport und Geschichte im Mai 1982 absolvierte er von August 1982 bis Juli 1984 das Referendariat, das er mit der Zweiten Staatsprüfung und der Gesamtnote „sehr gut“ erfolgreich beendete. Mit Ernennungsurkunde vom 23. Januar 1985 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Studienassessor und mit Urkunde vom 15. November 1985 zum Studienrat zur Anstellung ernannt. Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfolgte am 9. Juni 1986. Der Beklagte wurde am 22. März 2000 zum Oberstudienrat befördert.
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Mit Wirkung vom 1. August 2002 wechselte der Beklagte nach Rheinland-Pfalz und wurde unmittelbar zum Gymnasium in B. versetzt. Dort betraute der Kläger ihn mit der Koordinierung schulfachlicher Aufgaben und bestellte ihn zum ständigen Vertreter des Leiters des Gymnasiums. Nach Bewährung auf dieser Funktionsstelle wurde der Beklagte mit Wirkung vom 17. Januar 2006 zum Studiendirektor ernannt. Die Funktionsstelle übte er bis zu seiner im Zusammenhang mit den vorliegenden Disziplinarvorwürfen stehenden disziplinarrechtlichen Suspendierung am 16. März 2015 aus.
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Mit Schreiben vom 21. Mai 2015 beantragte der Beklagte die Feststellung seiner Dienstunfähigkeit. Nach einer amtsärztlichen Untersuchung durch die Zentrale Medizinische Untersuchungsstelle versetzte ihn der Kläger mit Wirkung vom 1. September 2015 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand.
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Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei volljährige Kinder. Bei ihm besteht ein Grad der Behinderung von 50 Prozent.
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Das vorliegende Disziplinarverfahren leitete der Kläger wegen des Ende 2013 aufgekommenen Verdachts des sexuellen Missbrauchs einer Schülerin, der Zeugin W., am 10. Dezember 2013 ein. Das Disziplinarverfahren wurde zugleich mit der Einleitung für die Dauer des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach ausgesetzt.
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Mit Verfügung vom 18. Juli 2014 stellte die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach das strafrechtliche Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Eine strafgerichtliche Verurteilung sei nach Auffassung der Ermittlungsbehörde wegen erheblicher Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der einzigen Belastungszeugin W. nicht wahrscheinlich. Die Einstellungsverfügung wurde bestandskräftig.
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Ungeachtet der Einstellung des Strafverfahrens setzte der Kläger das ausgesetzte Disziplinarverfahren fort. Ohne eigene Ermittlungen durchgeführt zu haben erhob er am 18. Dezember 2015 die vorliegende Disziplinarklage. Der Kläger wirft dem Beamten allein auf der Grundlage der in den Strafakten enthaltenen Vernehmungsniederschriften und eines von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen aussagepsychologischen Gutachtens vor, während einer schulischen Stammkursfahrt zum ...see in Italien am „Abend“ des 26. September 2013 um 00:30 Uhr sexuellen Kontakt zu der Zeugin W. aufgenommen zu haben. Er habe die Zeugin um diese Uhrzeit in einen Bungalow der Campinganlage „...“ gedrückt und hinter ihr stehend sein Becken so bewegt, dass sie ihn spüren konnte. Dann habe er die Zeugin W. gegen die Tür gedrückt, ihre Handgelenke gepackt und ihre Arme nach oben gehalten. Er habe seinen erigierten Penis durch seine Hose an ihrem Po gerieben, in ihren Nacken und ins Ohr sowie ins rechte Ohrläppchen gebissen. Sodann habe er sie an den Schultern umdreht und ihre Hand in seine Hose geschoben. Anschließend habe er die Zeugin in das Einzelzimmer des Bungalows gezogen, wo er sie aufs Bett gestoßen habe. Er habe ihr dann, als sie auf dem Bett gelegen habe, das Top und den BH hinuntergeschoben und ihr in die rechte Brustwarze gebissen. Der Beklagte habe über und zwischen den Brüsten der Zeugin W. geleckt und diese mit den Händen gedrückt. Er habe die Hose der Zeugin geöffnet und sei mit den Fingern derart in ihre Scheide gedrungen, dass sie das Gefühl gehabt habe, er wolle mit der ganzen Hand in sie eindringen. Hierbei habe er ihr möglicherweise Verletzungen im Vaginalbereich zugefügt, deren Schwere jedoch nicht habe ermittelt werden können. Der Beklagte habe sodann die Zeugin auf den Bauch gedreht und versucht, mit seinem Penis anal in sie einzudringen, was jedoch misslungen sei. Unabhängig von der nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht nachweisbaren Erfüllung eines Straftatbestandes sei durch dieses Verhalten jedenfalls ein Dienstvergehen verwirklicht.
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
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dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.
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Der Beklagte hat demgegenüber beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat zunächst gerügt, dass der Kläger gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen habe, da der Ermittlungsbericht erst ein Jahr nach Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erstellt worden sei. Zudem habe der Kläger es unterlassen, eigene Ermittlungen durchzuführen, und stattdessen lediglich auf die staatsanwaltschaftlichen Feststellungen zurückgegriffen. Schon deshalb sei die Klage abzuweisen. In der Sache bestreite er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Es gebe kein „ermitteltes Tatverhalten“. Der Kläger habe ihm auch nicht nachgewiesen, dass er ein Dienstvergehen begangen habe. Im dargestellten Sachverhalt würden Behauptungen der seinerzeit ermittelnden Staatsanwaltschaft vom Kläger schlicht ungeprüft übernommen.
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Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 28. Juni 2016 sein Ruhegehalt aberkannt. Nach Auffassung der Vorinstanz habe dieser sich eines schweren Dienstvergehens schuldig gemacht, welches unter Berücksichtigung des Umfangs der Pflichtverletzung und der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit sowie unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich mache. Zu den elementaren und im Interesse der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes unabdingbaren beamtenrechtlichen Verhaltensgeboten gehöre es, dass Beamte sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig verhielten, d. h. ihr Verhalten gesetzmäßig sei und sie insbesondere nicht gegen Strafgesetze verstoße. Gegen diese Pflicht habe der Beklagte durch seine sexuellen Handlungen in Bezug auf die zum Tatzeitpunkt in seiner Obhut stehende 19-jährige Schülerin W. verstoßen. Die Disziplinarkammer habe nach Würdigung der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Zeugenaussagen und aller Umstände, denen eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des Beklagten zukomme, keine Zweifel, dass sich der Vorfall so wie vom Kläger angegeben zugetragen habe. Zwar gebe es für das Tatgeschehen außer der Zeugin W. keine weiteren Zeugen. Die Kammer habe jedoch keine vernünftigen Zweifel, dass der Beklagte aufgrund des vorstehenden Sachverhaltes, der durch die Zeugin glaubhaft geschildert worden sei, sich eines Dienstvergehens schuldig gemacht habe.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Er verweist nochmals auf die von ihm bereits erstinstanzlich gerügten formalen Mängel der Klageschrift, die zum einen unter Verstoß gegen das disziplinarrechtliche Beschleunigungsgebot und zum anderen ohne vorherige eigene Ermittlungen gefertigt worden sei. Unabhängig von diesen formalen Mängeln, die schon für sich besehen eine Klageabweisung rechtfertigten, bestreite er nach wie vor die ihm vorgeworfene Tat.
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Der Beklagte beantragt,
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das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2016 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Trier abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil, das er auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens für zutreffend hält. Das behördliche Disziplinarverfahren sei beschleunigt durchgeführt worden. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot habe keine Auswirkung auf die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Höchstmaßnahme. Von der Durchführung weiterer Ermittlungen habe nach pflichtgemäßem Ermessen keinen Gebrauch gemacht werden dürfen. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seien alle in Betracht kommenden Zeugen umfangreich und in zeitlich engem Zusammenhang polizeilich bzw. staatsanwaltschaftlich vernommen worden. Der behördlichen Ermittlungsführung habe keine darüber hinausgehende Erkenntnismöglichkeit zur Verfügung gestanden. Entsprechende Fehler in der Sachverhaltsaufklärung seien ohnehin mit den Zeugenvernehmungen durch das Verwaltungsgericht geheilt worden. Dieses habe auch sämtliche der „tatnahen“ Zeuginnen und Zeugen vernommen. Weitere Vernehmungen, etwa von Entlastungszeugen, seien dabei nicht erforderlich gewesen. Auf eine Freiwilligkeit des sexuellen Kontaktes zwischen dem Beklagten und der Zeugin W. komme es nicht an. Die vom Beklagten erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragene Störung seiner Sexualfunktion sei nicht glaubhaft. Die Zeugin W. habe nicht, wie der Beklagte vortrage, keine Verletzungen im Intimbereich und an der Brustwarze aufgewiesen. Diese seien nur nicht nachgewiesen worden. Auch unter Beachtung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ führe ein Vier-Augen-Geschehen nicht automatisch zum Freispruch, wenn Aussage gegen Aussage stehe. Die Aussagen des Zeugen X. seien in sich widersprüchlich und stimmten mit seinen früheren Aussagen nicht überein. Entgegen dem Vortrag des Beklagten seien keine Feststellungen dazu getroffen worden, ob sich die Bungalowtüre nach außen habe öffnen lasse. Üblicherweise öffneten sich insbesondere Außentüren nach innen. Bei der Zeugin W. liege keine Persönlichkeitsstörung vor.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung bzw. schriftliche Befragung der Zeugen K., Z., V., O., S., X., W., Y., M., N., H., B., C., D., F., E., A. und I. Darüber hinaus hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt durch die Dipl.-Psychologin G. und Herrn J. als sachverständigen Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift sowie die von den Zeuginnen B., H. und C. abgegeben schriftlichen Aussagen, die zu den Gerichtsakten genommen wurden, verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die Personal- und Disziplinarakte (4 Hefter) Bezug genommen. Diese waren ebenso wie die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach (Az.: 1025 Js 17141/13) Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.
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Die auf Aberkennung des Ruhegehaltes gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2, § 10 Landesdisziplinargesetz – LDG – gerichtete Klage ist abzuweisen. Dies zwar nicht, wie der Beklagte meint, bereits aus formalen Gründen (I.). Die Klage ist indessen unbegründet, weil nicht erwiesen ist, dass der Beklagte das ihm vorgeworfene Disziplinarvergehen begangen hat (II.).
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I. Die Klage ist nicht schon deshalb abzuweisen, weil der Kläger gegen das disziplinarrechtliche Beschleunigungsgebot verstoßen (1.) und zudem keine eigenen Ermittlungen angestellt (2.) hat.
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1. Keinen Erfolg hat die Rüge des Beklagten im Hinblick auf die überlange Dauer des behördlichen Disziplinarverfahrens. Dieser Vorhalt trifft zwar zu, da das Ermittlungsverfahren unter Verstoß gegen das disziplinarrechtliche Beschleunigungsgebot (§ 25 Abs. 1 LDG) von der Einstellung des Strafverfahrens am 18. Juli 2014 bis zur Klageerhebung am 18. Dezember 2015 weit mehr als ein Jahr – von der Vorlage des sog. Ermittlungsberichtes am 18. August 2015 abgesehen – nicht betrieben wurde. Hieraus kann der Beklagte jedoch nichts zu seinen Gunsten herleiten, weil ihm zur Behebung dieses Verfahrensfehlers der Rechtsbehelf des Antrags auf gerichtliche Fristsetzung gemäß § 25 Abs. 1 i. V. m. § 79 LDG zur Verfügung gestanden hatte. Insofern hätte er nach Ablauf von sechs Monaten seit der Wiederaufnahme des zuvor ausgesetzten Disziplinarverfahrens bei dem Verwaltungsgericht die gerichtliche Bestimmung einer Abschlussfrist beantragen können. Da er dies unterließ, kann er nicht schon aus formalen Gründen die Abweisung der unter Verstoß gegen das disziplinarrechtliche Beschleunigungsgebot erhobenen Disziplinarklage verlangen.
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2. Im Ergebnis keinen Erfolg hat auch die vom Beklagten im Berufungsverfahren aufrecht erhaltene Formalrüge, der Kläger habe vor Erhebung der Disziplinarklage keine eigenen Ermittlungen zur Feststellung des disziplinarrechtlich erheblichen Sachverhalts durchgeführt. Dieser Vorwurf trifft zwar gleichfalls zu. Da prozessualer Gegenstand des Berufungsverfahrens die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ist (bei der von einer Unterlassung der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes nicht die Rede sein kann), bleibt die seitens des Klägers nicht erfolgte Sachverhaltsermittlung vor Erhebung der Disziplinarklage auch in der Berufungsinstanz folgenlos, zumal der Senat über die bereits von der Vorinstanz umfänglich vernommenen Zeugen hinaus weitere Beweise erhoben hat. Die von dem Kläger unterlassene Sachverhaltsermittlung ist durch die Beweisaufnahmen in erster und zweiter Instanz geheilt worden (vgl. hierzu Köhler, in: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl. 2012, § 55 Rn. 4).
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II. Dagegen führen die vom Senat erhobenen Zeugenbeweise und ermittelten weiteren Umstände des angeblichen Übergriffs, insbesondere das Ergebnis der Begutachtung der Glaubwürdigkeit der Zeugin W., in der Sache zum Erfolg der Berufung. Das dem Beklagten vorgeworfene Disziplinarvergehen kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung der Aktenlage nicht mit der für eine Aberkennung des Ruhegehaltes erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden.
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Voraussetzung für die disziplinarrechtliche Ahndung eines Dienstvergehens im Wege der Disziplinarklage ist, dass jedes zur Entscheidung berufene Mitglied des erkennenden Spruchkörpers vom Vorliegen des vom Dienstvorgesetzten mit seiner Klage dem Beamten vorgeworfenen Dienstvergehens überzeugt ist. Das ist bei dem Sachverhalt, den der Kläger mit seiner Disziplinarklage hier behauptet, jedoch nicht der Fall.
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Nach § 85 Abs. 1 LDG entscheidet das Oberverwaltungsgericht über die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage (§§ 71, 81 LDG, wenn das Disziplinarverfahren nicht auf andere Weise abgeschlossen wird, auf Grund mündlicher Verhandlung durch Urteil. Dabei gelten gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1 LDG die Bestimmungen über das Disziplinarverfahren vor dem Verwaltungsgericht entsprechend. Somit hat auch das Oberverwaltungsgericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 21 LDG i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
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Für die richterliche Überzeugungsbildung kommt es allein darauf an, ob die mit dem Berufungsverfahren betrauten Richter vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts sowie der persönlichen Schuld des Beamten, der eines Dienstvergehens beschuldigt wird, überzeugt sind. Der Begriff der richterlichen Überzeugung schließt allerdings die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufs nicht aus; denn im Bereich der vom Richter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO festgelegten Regelung des Erkenntnisverfahrens ist es vielmehr allein Aufgabe des Richters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann. Im Gegensatz zu sonstigen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten gelten im Disziplinarrecht, das der Sanktion beamtenrechtlichen Fehlverhaltens dient, weder ein sog. Anscheinsbeweis noch wechselnde Beweislastregeln (vgl. Köhler, a.a.O., § 60 Rn. 13). Die für die Nachweis des Dienstvergehens eines Beamten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen.
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Zwar ist für die disziplinargerichtliche Feststellung eines Dienstvergehens des angeschuldigten Beamten keine gleichsam „mathematische“ Gewissheit erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen und nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und erschöpfend sein. Der Richter ist dabei gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen, sowie diese Tatsachen und deren Würdigung in den Urteilsgründen darzulegen. Allein damit wird die Unschuldsvermutung, die auch im Disziplinarrecht Platz greift, widerlegt. Hängt die Entscheidung bei gegensätzlichen Aussagen des angeschuldigten Beamten und von Zeugen allein davon ab, welchen Angaben das Gericht glaubt, dann müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung aufgrund einer subjektiven Fehlbeurteilung der Zeugenaussagen kommt, alle Umstände, denen eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des angeschuldigten Beamten zukommen kann, in die Beweiswürdigung eingestellt werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Juli 2003 – 1 WD 3.03 –, Buchholz 235.01 § 91 WDO 2002 Nr. 1, vom 19. Juli 2006 – 2 WD 13.05 –, Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 2; vom 12. Mai 2011 – 2 WD 9.10 –, Buchholz 449 § 7 SG Nr. 55; und vom 28. Juni 2012 – 2 WD 34.10 –, Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 6; Weiß, in: Fürst u.a. [Hrsg.], GKÖD, Loseblattkomm., Stand 01/2017 § 60 BDG Rn. 90).
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Die vorstehend dargestellten Grundsätze der höchstrichterlichen Disziplinarrechtsprechung gelten in besonderem Maße, wenn eine disziplinarrechtliche Ahndung des Beamten auf der Grundlage der Aussage eines einzigen Zeugen, der zugleich auch das Opfer des angeschuldigten Dienstvergehens sei, erfolgen soll. Nach der insofern heranzuziehenden strafgerichtlichen Rechtsprechung ist das Tatgericht zwar nicht grundsätzlich schon dann aufgrund des im Strafrecht anerkannten Zweifelssatzes („in dubio pro reo“) an einer Verurteilung gehindert, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Im Hinblick darauf, dass auch dieser Zeuge unmittelbare eigene Wahrnehmungen wiedergeben soll, unterscheidet sich seine Aussage von derjenigen des „Zeugen vom Hörensagen“, die für sich genommen ohne zusätzliche Indizien einen Schuldspruch nicht tragen kann. Wird die angeschuldigte Tat vom Opfer selbst in einer Zeugenaussage geschildert, so kann der Beamte auf dieser Grundlage verurteilt werden, wenn das Disziplinargericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage dieses einzigen Belastungszeugen – soweit nicht der Einzelrichter entscheidet – insgesamt zumindest mit der Mehrheit seiner Mitglieder überzeugt ist (vgl. zu den insofern heranziehbaren Grundsätzen im Strafverfahren: BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98 –, BGHSt 44, 153 [158], m.w.N.).
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Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Denn der eines Dienstvergehens durch einen solchen Zeugen beschuldigte Beamte besitzt in solchen Fällen nur sehr wenige (oder auch gar keine) Verteidigungsmöglichkeiten durch eigene Äußerungen zur Sache. Hier ist deshalb eine lückenlose Ermittlung und anschließende Gesamtwürdigung der Indizien sowie aller anderen Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, von besonderer Bedeutung. Das gilt in besonderem Maße, wenn der einzige Belastungszeuge in der mündlichen Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das erkennende Disziplinargericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, die es ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.
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Gelingt dies unter Auswertung der Aktenlage sowie – vor allem – nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung (§ 108 Abs. 1 VwGO) dem erkennenden Disziplinargericht nicht, so ist der Beamte nach dem auch im Disziplinarrecht anwendbaren Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 1979 – 1 D 104.78 –, BVerwGE 63, 319 [321 f.]; vom 30. September 1992 – 1 D 32.91 –, BVerwGE 93, 294, Rn. 14; und vom 25. März 2010 – 2 C 83.08 –, BVerwGE 136, Rn. 21; BayVGH, Urteil vom 28. Januar 2009 – 16b D 07.1213 –, juris; Weiß, a.a.O., § 60 BDG Rn. 91) von dem Disziplinarvorwurf freizusprechen. Eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen kann im gerichtlichen Disziplinarverfahren daher allenfalls insoweit erfolgen, als der klagende Dienstvorgesetzte des Beamten – wie in Strafrecht – im Fall des Bestreitens den vollen Beweis für alle Umstände zu erbringen hat, die für die Verhängung einer disziplinaren Ahndung erforderlich sind (vgl. Köhler, a.a.O., § 60 Rn. 13).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen steht im vorliegenden Fall nach Auswertung der beigezogenen Strafakten und auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere des Ergebnisses der Beweisaufnahme einschließlich der dort erfolgten sachverständigen Begutachtung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin W. nicht ohne jeden vernünftigen Zweifel fest, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen sexuellen Handlungen begangen hat.
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Dieses Ergebnis des Berufungsverfahrens ergibt sich zum einen aus der vom Senat in der mündlichen Verhandlung ermittelten zeitlichen und räumlichen Einbettung des maßgeblichen Geschehens (1.). Darüber hinaus bestehen Bedenken an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin W. (2.). Schließlich steht auch kein alternativer Sachverhalt fest, der disziplinarrechtlich von Bedeutung wäre (3.).
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1. Nach dem durch die Befragung von Zeugen und Einsatz technischer Hilfsmittel (dem auf der Internet-Seite des Campingplatzes und Feriendorfes „...“ abrufbaren Grundriss des Bungalow-Typs, in dem der Vorfall stattgefunden haben soll, dem dort gleichfalls abrufbaren Lageplan der Ferienanlage und einem Satellitenbild) durch den Senat ermittelten zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der von der Zeugin W. in ihrem schriftlichen Bericht dargestellte Übergriff des Beklagten stattgefunden hat. In dem Bericht, den sie wenige Tage nach dem für den Disziplinarvorwurf allein in Betracht kommenden Tag, dem frühen Morgen des 27. September 2013, handschriftlich niederschrieb sowie nach ihren Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem sie vernehmenden Amtsrichter stellt die Zeugin zwar ein detailreiches Szenario dar. Dieses lässt indes weder in zeitlicher (a) noch in räumlicher Hinsicht (b) den Schluss zu, der Beklagte habe die ihm mit der Klageschrift vorgeworfenen sexuellen Handlungen tatsächlich begangen.
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a) In zeitlicher Hinsicht lässt sich das Geschehen, was schon das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, in einen zwar zunächst nur groben, dafür jedoch in den Anfangs- und Endzeitpunkten exakten Zeitrahmen, nämlich zwischen 00:20 Uhr und 00:57 Uhr eingrenzen. Anders als die Vorinstanz zieht der Senat diesen zeitlichen Rahmen jedoch noch etwas enger. Nach den Zeugenaussagen kann sich der Vorfall nämlich allenfalls in einem zeitlichen Rahmen von wenigen Minuten abgespielt haben. Dies ergibt sich aus dem nachfolgend dargestellten Geschehensablauf:
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aa) Was den Beginn des allein möglichen Tatzeitraums betrifft, so steht dem Senat zunächst die durch die Zentrale Kriminalinspektion Trier am 28. Januar 2014 vorgenommene technische Auswertung des Smartphone der Zeugin W. für die Bestimmung eines sehr sicheren zeitlichen Fixpunktes zur Verfügung. Um 22:19:43 UTC (entspricht als Ortszeit 00:19:43 Uhr MESZ) hat die Zeugin W. danach folgende Nachricht an den Zeugen E. geschrieben:
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„Ich habe gerade den Security-Mann mit meinen Augen davon überzeugt, und [gemeint ist offensichtlich: „uns“] nicht auseinander zu reißen... :-) Normalerweise würde ich sowAs nieeeee tun :-)“
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Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Beklagte die Zeugin W. noch nicht getroffen haben, als er sich zusammen mit seinem Kollegen X. auf einem seiner Kontrollgänge zwischen den Bungalows auf dem Gelände des Campingplatzes und Feriendorfes „...“ befand. Denn wie schon die Nachricht selbst unzweifelhaft belegt, befand sich die Zeugin W. zu diesem Zeitpunkt ganz offensichtlich noch in einer ausgelassenen Stimmung bei ihren Mitschülern auf der Veranda vor dem Bungalow mit der Ordnungsnummer 270. Sie hatte den eindeutigen Angaben der Nachricht zufolge nämlich um diese Uhrzeit gerade mit einem Mann des Sicherheitspersonals des Campingplatzes und Feriendorfes „...“ am ...see geflirtet. Vor diesem Zeitpunkt kann der dem Beklagten vorgeworfene sexuelle Übergriff mithin nicht stattgefunden haben.
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Wie die Zeugin W. bei ihrer Befragung durch die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach am 7. März 2014 weiter angab, erschienen der Zeuge X. und der Beklagte „in den folgenden 20 Minuten“ (Bl. 624 der Strafakte). Auch wenn die Zeugin W. diese Zeitangabe bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 – nach der seither verstrichenen Zeit ohne Weiteres nachvollziehbar – nicht mehr bestätigen konnte, so ist dennoch „in dubio pro reo“ davon auszugehen, dass der Beklagte mit dem Zeugen X. erst um ca. 00:40 Uhr an dem Tisch auf der Veranda vor dem Bungalow Nr. 270 erschien, an dem sich neben der Zeugin W. noch weitere Schüler aufhielten, sich unterhielten und dabei wohl auch in erheblichem Umfang alkoholische Getränke zu sich nahmen. Die infolge des seither fast vier Jahre umfassenden Zeitraums eingetretene Erinnerungslücke der Zeugin W. in diesem Punkt geht zu Lasten des Klägers, der das Disziplinarverfahren in dem Zeitraum vom 18. Juli 2014 (der Einstellung des Strafverfahrens) bis zum 18. August 2015 (der Fertigstellung des Ermittlungsberichtes zur Disziplinarklage) nicht nur über ein Jahr nicht betrieben, sondern vor Erhebung der Disziplinarklage am 18. Dezember 2015 sogar nicht einen einzigen Zeugen vernommen oder sonstige Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt hatte.
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bb) Aber auch der Endpunkt des allein denkbaren Zeitraums, in dem der angebliche sexuelle Übergriff in dem Bungalow mit der Ordnungsnummer 272 stattgefunden haben soll, steht mit Sicherheit fest: Spätestens um 00:57 Uhr, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sogar schon wenige Minuten vorher, muss der dem Beklagten vorgeworfene sexuelle Übergriff (wenn er stattgefunden haben sollte) abgeschlossen gewesen sein. Dies ergibt sich aus Folgenden:
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Um 22:57 UTC (entspricht als Ortszeit 00:57 MESZ) sendete die Zeugin W. – was sich wiederum aus der kriminaltechnischen Auswertung ihres Smartphone ergibt – an den Zeugen F. mehrere Nachrichten mit folgenden Inhalten:
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„Ruf mich an!!!!!“
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„Sofort bitte“
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„Ich muss dringend mit dir reden“
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Der Senat geht zunächst mit dem Verwaltungsgericht insoweit konform, als sich der Vorfall nur zwischen diesen beiden Nachrichten ereignet haben kann. Allerdings ist von diesem Endzeitpunkt (00:57 Uhr) noch diejenige Zeit abzuziehen, die verstrichen sein muss, bis sich die Zeugin W. von dem Bungalow, in dem sich die Tat ereignet haben soll, zu dem von ihr selbst bewohnten Bungalow mit der Ordnungsnummer 282 begeben hat, um – nach ihren Aussagen – ihr Smartphone aus dem Bungalow zu nehmen und anschließend mehrfach vergeblich zu versuchen, den Zeugen F. zu erreichen.
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Rechnet man hiernach von dem feststehenden Endzeitpunkt (00:57 Uhr) noch diejenigen Minuten ab, die die Zeugin W. für das Zurücklegen des Weges und die mehrfachen vergeblichen Anrufversuche benötigt haben muss, so verbleibt schließlich nur noch ein Zeitraum von 00:40 bis ca. 00.50/00:52 Uhr, in dem die den Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens bildende Tat überhaupt nur stattgefunden haben kann.
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Der danach dem Beklagten hierfür allein noch verbleibende Zeitraum von rund zehn bis zwölf Minuten wird schließlich noch durch das Gespräch der beiden Lehrer mit der Schülergruppe am Bungalow Nr. 270 und das Heraustragen der Campingmöbel durch den Beklagten verkürzt, so dass für den angeblichen sexuellen Übergriff allenfalls wenige Minuten zur Verfügung gestanden haben können. Die Angaben des Zeugen X., der schon bei seiner ersten Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft am 14. Februar 2014 von „zwei bis fünf, sicher nicht zehn“ Minuten sprach, in denen er vom Beklagten auf seinem nächtlichen Kontrollgang getrennt gewesen sei (vgl. Bl. 332 der Strafakte), ist bereits auf der Grundlagen dieser – erwiesenen bzw. unstreitigen – Tatsachen und Schlussfolgerungen realistisch.
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Zwar sind die von der Zeugin W. behaupteten sexuellen Handlungen, die der Beklagte an ihr vorgenommen haben soll, auch in einem derart kurzen Zeitraum denkbar. Aus den nachfolgenden Gründen stehen sie indes dennoch nicht ohne jeden Zweifel fest.
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b) Der Senat hat mit Hilfe der vorhandenen Zeugenaussagen sowie unter Einsatz technischer Hilfsmittel (einer während der mündlichen Verhandlung mittels Beamer im Sitzungssaal visualisierten Satellitenaufnahme des Internet-Suchdienstes „google-maps“) neben der zeitlichen auch eine räumliche Eingrenzung der näheren Umstände des angeblichen sexuellen Übergriffs vorgenommen. Hierbei zeigte sich, dass der Beklagte und der Zeuge X. maximal fünfzig Meter voneinander getrennt waren, als der angebliche sexuelle Übergriff stattgefunden haben soll.
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aa) Zunächst ist festzustellen, dass nach den unabhängig voneinander gemachten, inhaltlich aber im Wesentlichen übereinstimmenden Darstellungen des Beklagten sowie der Zeugen S. und X. der Bungalow, zu dem der Zeuge X. gerufen wurde, weil dort Wäschestücke ausgelegt gewesen seien (von ihm als „Allee aus Bettwäsche“ beschrieben) in demselben Seitenweg wie der „Tatbungalow“ mit der Ordnungsnummer 272 befindet. Es handelt sich nämlich nach den auch insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen S. und X. um den Bungalow mit der Ordnungsnummer 273. Dieser befindet sich in denselben Seitenweg, jedoch am jeweils anderen Ende des Weges (vgl. im Einzelnen den als Anlage 2 zur Sitzungsniederschrift zu den Akten genommene Ausdruck der Satellitenaufnahme mit den dortigen Eintragungen). Die Entfernung zwischen diesen beiden Bungalows hat der Senat während der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal unter Zuhilfenahme der vom Internet-Suchdienst „google-maps“ zur Verfügung gestellten Streckenmesswerkzeugs mit rund 52 Meter ermittelt.
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Nachvollziehbar und glaubhaft hat der Zeuge X. dem Senat in der mündlichen Verhandlung auch dargelegt, dass er nicht die ganze Wegstrecke von dem Punkt, an dem er sich vom Beklagten trennte, bis zu dem Bungalow mit der davor ausgebreiteten Bettwäsche zurückgelegt habe. Vielmehr habe er schon von weitem erkannt, dass der Bungalow zu der seinerzeit gleichzeitig anwesenden Schülergruppe aus L. gehörte. Seine Darstellung, er habe dem Sicherheitspersonal auf dem Weg dorthin schon vor Erreichen des Bungalows erklärt, dass es sich nicht um Schüler handele, für die er aufsichtspflichtig war, ist plausibel und glaubhaft.
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Die Darstellung des Zeugen X. wird indirekt von der Zeugin O. bestätigt. Diese hat bei ihrer Vernehmung durch den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 (ohne wissen zu können, dass es hierauf in einem anderen Zusammenhang ankommen könnte) mitgeteilt, dass sie während der verschiedenen Rundgänge ihrer Kollegen auf der Veranda vor dem Bungalow des Beklagten (dem am Ende des ersten Seitenweges befindlichen Bungalow mit der Ordnungsnummer 292) sitzen geblieben sei, weil sie von dort bereits einen guten Blick in den Seitenweg mit den Bungalows der weiblichen Teilnehmerinnen der Stammkursfahrt gehabt habe. Wenn mithin die Zeugin O. von ihrem Sitzplatz am Ende des ersten Seitenwegs den gesamten Wegbereich der vor den Teilnehmerinnen der Stammkursfahrt bezogenen Bungalows beobachten konnte, so war es auch dem Zeugen X. in dem Nachbarweg möglich, den Bungalow mit der Ordnungsnummer 273 schon von weitem zu erblicken.
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Durchgreifende „Entlastungstendenzen“ waren bei der Aussage des Zeugen X. vor dem Senat nicht erkennbar. Im Gegenteil hat der Zeuge bereits gegenüber der ihn vernehmenden Staatsanwaltschaft am 14. Februar 2014 mehrfach darauf hingewiesen, dass er bei seiner Erinnerungsfähigkeit grundsätzlich Schwierigkeiten in Bezug auf einzelne Schüler und exakte zeitliche Zusammenhänge habe, weil er bis zum Bekanntwerden der Vorwürfe keinerlei Veranlassung gehabt habe, sich Einzelheiten dieses Abends einzuprägen (vgl. Bl. 330 der Strafakte). Wenn hierbei einbezogen wird, dass der Zeuge X. von der Staatsanwaltschaft erst mehr als vier Monate nach dem 27. September 2013 befragt wurde, so sind Erinnerungslücken bzw. in Einzelheiten nicht vollständig „passende“ Angaben nachvollziehbar. Dies gilt erst recht mehr als weitere drei Jahre später in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Diese Unsicherheiten im Aussageverhalten des Zeugen gehen, wie alle anderen Unklarheiten, die der seither verstrichenen Zeit geschuldet sind, zu Lasten des beweispflichtigen Klägers, der – wie dargelegt – eine zeitnähere Aufklärung im behördlichen Ermittlungsverfahren ohne nachvollziehbaren Grund unterließ.
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Die maßgeblichen Eckpunkte stehen aber auch unabhängig von den räumlichen und zeitlichen Unsicherheiten bei den Aussagen des Zeugen X. fest: Der Zeuge hat den Beklagten allenfalls für den Gang zum Bungalow mit der Ordnungsnummer 273 verlassen. Nur wenige Minuten später traf er seinen Kollegen vor dem Bungalow Nr. 272 wieder an, als dieser die Stühle und den Campingtisch heraustrug. Dieses Szenario wird bestätigt durch den Schüler P., der bei seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft davon berichtete, dass er einen Lehrer dabei beobachtet habe, wie dieser den Campingtisch und die dazu gehörenden Stühle aus dem Bungalow Nr. 272 herausgetragen habe (vgl. Bl. 636 der Strafakte). Da dies – was aufgrund ihrer eigenen Aussagen als erwiesen anzusehen ist – weder die Zeugin W. noch der Zeuge X . oder ein anderer Mitschüler gemacht hat, kann es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur der Beklagte gewesen sein.
- 59
Dieses erste Ergebnis der Beweisaufnahme wird wiederum durch die vom Senat vernommenen weiteren Lehrkräfte, die Zeugen O. und S., bestätigt. Diese gaben wie schon bei ihren Vernehmungen zuvor und ohne erkennbare Entlastungstendenz zugunsten des Beklagten an, dass ihre beiden Kollegen nach ihrem letzten Kontrollgang gemeinsam zu der Veranda vor dem Bungalow des Beklagten zurückkehrten. Dabei hätten diese ihnen von zwei Vorfällen berichtetet: Zum einen von den im Bungalow Nr. 272 aufgestellten Campingmöbeln und zum anderen von der vor dem Bungalow Nr. 273 von Schülern einer anderen Gruppe ausgelegten Bettwäsche.
- 60
Die Darstellung des Beklagten und des Zeugen X. fügen sich nahtlos in diese Aussagen ein. Dass sich alle Lehrkräfte vor ihren Vernehmungen untereinander abgesprochen haben, um den Beklagten nach einer von ihm begangenen sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung (dies war der ursprüngliche strafrechtliche Vorwurf) ein Alibi zu verschaffen, kann – auch nach ihrem Eindruck, den sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hinterlassen haben – ausgeschlossen werden. Dies gilt umso mehr, als alle drei Zeugen durch den Senat vor ihrer Befragung ausdrücklich hinsichtlich der strafrechtlichen Folgen eines Meineides (der bei einer strafgerichtlichen Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe kraft Gesetzes zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis führt) belehrt und nach ihren jeweiligen Aussagen gefragt wurden, ob sie diese beeiden würde. Das haben alle drei Zeugen ohne Zögern und mit überzeugendem Nachdruck bejaht.
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2. Gegenüber diesem, zum Teil erstmals durch den Senat ermittelten, zeitlichen und räumlichen Geschehen steht der von der einzigen Belastungszeugin W. geschilderte Ablauf eines angeblichen Treffens mit dem Beklagten in dem Bungalow Nr. 272, bei dem es zu sexuellen Handlungen gekommen sein soll, nicht mit der für eine Aberkennung des Ruhegehaltes erforderlichen Gewissheit, d. h. ohne jeden vernünftigen Zweifel, fest. Im Gegenteil bestehen Bedenken an der Glaubhaftigkeit der entsprechenden Aussagen der Zeugin W. sowie
– darauf gründend – Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Die Zweifel bestehen zum einen wegen der Vielzahl von erkennbaren bzw. nachweisbaren Falschaussagen, sowohl im Randbereich als auch im Kerngeschehen des behaupteten sexuellen Übergriffs (a). Darüber hinaus hat das Glaubwürdigkeitsgutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. G. erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin W. aufgezeigt (b).
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a) Die Zeugin W. hat mehrfach unwahre Aussagen gemacht.
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aa) So hat die Zeugin zunächst sowohl gegenüber ihrem Vertrauenslehrer als auch gegenüber dem Schulpsychologen, dem Staatsanwalt und dem Amtsrichter – was sie zwischenzeitlich selbst eingeräumt – unzutreffende Angaben über ihr seinerzeit bestehendes intimes Verhältnis mit dem fast dreißig Jahre älteren Zeugen E. gemacht. Hat sie noch in ihrem schriftlichen Bericht und bei ihrer richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Idar-Oberstein am 18. Dezember 2013 wahrheitswidrig angegeben, bei dem Zeugen E. handele es sich um einen väterlichen Freund („er war wie eine Art Vater für mich“), so musste sie einige Zeit später, mit entsprechenden Zeugenaussagen konfrontiert, einräumen, dass ihr Verhältnis zu dem Zeugen E. über ein väterlich-freundliches Verhältnis hinausging (vgl. Bl. 636 der Strafakte). Die Zeugin W. bestätigte das frühere intime Verhältnis auch gegenüber dem Senat bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017. Auch wenn diese Falschaussage für das Kerngeschehen nicht unmittelbar von Bedeutung ist, so ergeben sich dennoch schon hierdurch erste Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin, die ganz offensichtlich dazu neigt, ihr ungünstige Tatsachen nicht der Wahrheit entsprechend darzustellen.
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bb) Als unwahr müssen des Weiteren die Angaben der Zeugin W. zu dem Geschehen unmittelbar nach dem angeblichen Vorfall angesehen werden. In ihrem schriftlichen Bericht wenige Tage nach dem angeblichen Vorfall findet sich die Wiedergabe einer Äußerung des Beklagten, die dieser unmittelbar nach dem Verlassen des Bungalows Nr. 272 gemacht haben soll. Danach soll der Beklagte zu der Zeugin W. gesagt haben „Komm mit in meine Hütte“. Dies kann der Zeugin schlechterdings nicht geglaubt werden, würde es doch bedeuten, dass der Beklagte vorhatte, sie (mutmaßlich für weitere sexuelle Handlungen) mit in seinem Bungalow zu nehmen. Auf der Veranda vor seinem Bungalow warteten jedoch zu diesem Zeitpunkt – was die Zeugin W. nicht wissen konnte – die Lehrkräfte O. und S. auf seine Rückkehr vom Kontrollgang. Dass der Beklagte tatsächlich versucht haben soll, die Zeugin W. dazu zu bewegen, mit in seinen Bungalow zu kommen, wohl wissend, dass zu diesem Zeitpunkt dort eine Kollegin und ein Kollege auf ihn warteten, kann nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden. Diese schriftlich gemachte Aussage der Zeugin W., an die sie sich in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 auch nicht mehr erinnern konnte, muss als unglaubhaft gewertet werden.
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cc) Nicht geglaubt werden kann der Zeugin W., soweit diese sowohl in ihren schriftlichen Bericht wenige Tage nach dem angeblichen Vorfall als auch bei ihrer Befragung durch die Sachverständige am 3. April 2014 angab, sie habe unmittelbar nach dem Übergriff den Bungalow, in dem sich dies abgespielt hatte, verlassen und sei sofort zu ihrem eigenen Bungalow gegangen, um dort ihr Handy zu holen. Diese Aussage ist ersichtlich unwahr, da sie ihr Smartphone jedenfalls um 00:20 Uhr noch bei sich hatte. Denn dies war der Zeitpunkt, in dem sie – wie vorstehend dargestellt – am Tisch mit der Schülergruppe vor dem Bungalow Nr. 270 sitzend eine Nachricht an ihren Freund E. versandte.
- 66
Auf diesen Sachverhalt bei ihrer Befragung durch den Senat angesprochen, erklärte die Zeugin nunmehr (erstmals), sie habe das Handy nach dem Absenden der Nachricht in ihren Bungalow verbracht und bei dieser Gelegenheit von dort auch ihre karierte Weste mitgenommen. Dieser Erklärungsversuch für den der Zeugin offensichtlich erst im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufgefallenen Widerspruch zu ihrer früheren Aussage ist gleichfalls unglaubhaft. Zum einen handelt es sich um einen völlig neuen Vortrag, den sie bis zu ihrer Befragung durch den Senat weder gegenüber der Staatsanwaltschaft noch gegenüber der Sachverständigen gemacht hatte. Darüber hinaus ist er auch schon aus sich heraus nicht nachvollziehbar. Die Zeugin hat keine Erklärung dafür geben können, warum sie ausgerechnet nach dem Absetzen einer Sprachnachricht um 00:20 Uhr ihr Smartphone in ihrem Bungalow verbracht haben will. Schließlich widerspricht ihre in diesem Zusammenhang abgegebene Erklärung, sie habe dabei auch ihre karierte Weste aus Ihrem Bungalow geholt, erkennbar dem in der Strafakte enthalten Foto, auf dem sie noch innerhalb des Bungalows Nr. 270 sitzend mit der karierten Weste zu sehen ist. Da sie ihren eigenen Angaben zufolge ab Mitternacht nur noch draußen gesessen haben will (Bl. 624 der Strafakten sowie Sitzungsniederschrift vom 7. März 2017, S. 18), kann dieses Bild nur zu einem früheren Zeitpunkt gemacht worden sein. Dann aber hat sie ihre Weste auch nicht kurz nach 00:20 Uhr aus ihrem Bungalow holen können. Sie trug sie zu diesem Zeitpunkt ja schon.
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dd) Weitere sich widersprechende Angaben hat die Zeugin bei der Darstellung der näheren Umstände während des Entsorgens der nach ihren Angaben erheblich mit Blut befleckten Wäsche gemacht. Während sie noch in ihrem schriftlichen Bericht wenige Tage nach dem angeblichen Vorfall hierzu ausführte
- 68
„Während die anderen beim Frühstück waren entsorgte ich meine blutüberströmte Jeanshose und die Unterwäsche.“ (Bl. 17 der Strafakte)
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gab sie bei ihrer richterlichen Vernehmung am 20. Dezember 2013 auf die Frage, ob sie jemand gesehen habe, wie sie ihre Wäsche entsorgt habe, folgendes an:
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„Nein das war zu früh dafür. Das war noch dunkel. Da war noch keiner wach.“ (Bl. 54 der Strafakte)
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Bei ihrer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach am 7. März 2014 führte sie hierzu aus:
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„Entsorgt habe ich sie am nächsten Morgen. […] Es war zu diesem Zeitpunkt früh. Ich denke es war so viertel vor sieben.“ (Bl. 626 der Strafakte)
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Bei ihrer psychologischen Befragung durch die Sachverständige wiederum gab die Zeugin an, sie habe „um halb sechs ein bisschen länger geduscht“ und „danach“ die Wäsche in einer Mülltonne entsorgt (S. 111 – 114 des aussagepsychologischen Gutachtens).
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Die Aussagen widersprechen sich. Entweder hat die Zeugin die angeblich in erheblichem Umfang blutbefleckte Kleidung im Dunkeln (Sonnenaufgang war zu dieser Zeit um 7:13 Uhr) oder aber während des Frühstücks, das nach ihren Angaben gegenüber dem Senat etwa um 8:00 Uhr stattfand, weggeworfen. Da hiernach beides – wenn es denn stattgefunden hat – nicht zugleich geschehen sein kann, entspricht eine der beiden Versionen nicht der Wahrheit.
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ee) Eine weitere erkennbare Falschaussage beinhaltet die Darstellung der Zeugin W. in Bezug auf ihr Verhalten anlässlich der Stadtbesichtigung von Verona am Morgen nach der angeblichen Tat. Hier ist mit den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen X. und S. sowie der Zeugin N., an deren Glaubhaftigkeit insgesamt keinerlei Zweifel bestehen, davon auszugehen, dass sich die Zeugin wenige Stunden nach der angeblichen Vergewaltigung in Verona während des Wartens auf den Reisebus auf dem Busparkplatz mit dem Beklagten in lockerer Atmosphäre („Smalltalk“) unterhalten hat. Diese Aussagen haben alle drei Zeugen übereinstimmend und konstant von ihren ersten Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft (vgl. Bl. 333, 393 und 631 der Strafakte) bis zu ihrer Befragung durch den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 gemacht. Anhaltspunkte für eine Entlastungstendenz zugunsten des Beklagten oder für eine Absprache unter diesen Zeugen bestehen nicht.
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Im Gegensatz zu diesen glaubhaften und übereinstimmenden Aussagen hat die Zeugin W. bei ihrer richterlichen Vernehmung wörtlich angegeben:
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„Es war nicht so schlimm dort, denn wir haben uns in 2 Gruppen aufgeteilt, die jeweils eine Stadtführung bekommen haben, getrennt. Ich habe dann geguckt, dass ich nicht in der Gruppe bin, wo er ist. Ich war in der Gruppe von Frau O. und Herrn S.“ (Bl. 43 der Strafakte)
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Konfrontiert mit den vorgenannten Aussagen der Zeugen, die die Zeugin W. in einem lockeren Gespräch mit dem Beklagten gesehen haben, führte sie bei ihrer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach nunmehr aus:
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„Wenn ich mich jetzt nochmal erinnere, so meine ich, dass die Teilnehmer der Stadtführung von Verona überhaupt keine Wahl hatten, welcher Gruppe sie sich anschließen würden.“ (Bl. 286 der Strafakte)
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Die vorgenannten Aussagen lassen sich nicht in Übereinstimmung bringen; sie schließen sich vielmehr gegenseitig aus. Sollte der Zeugin eine Wahlmöglichkeit eröffnet worden sei, so ist nicht nachvollziehbar, weshalb sie sich für die Gruppe des Beklagten entschieden hat, obwohl dieser sie nur wenige Stunden zuvor in – wie sie mehrfach auch mit drastischen körperlichen Begleiterscheinungen bei ihren Schilderungen kundgetan hat – extrem verletzender Weise sexuell missbraucht haben soll. Erst recht ist nicht nachvollziehbar, warum sich die Zeugin W. nach dem (wie sie ihn schildert) erniedrigenden und verletzenden sexuellen Übergriff anschließend in der Form eines „Smalltalk“ mit dem Beklagten unterhalten hat.
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Sollte die Zeugin W. dagegen, wie sie auch gegenüber dem Senat bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 vorgab, keine Wahlmöglichkeit gehabt haben, so liegt gleichfalls eine unwahre Aussage vor. Denn in diesem Fall hat sie bei ihrer richterlichen Vernehmung in unzutreffender Weise angegeben, sie habe dafür Sorge getragen („geguckt“), dass sie nicht in dieselbe Gruppe gelange, in der auch der Beklagte ist. Hatte sie seinerzeit aber keine Wahl gehabt, so konnte sie auch nicht dafür Sorge tragen, dass sie nicht in dieselbe Gruppe kommt, in der sich der Beklagte befindet.
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Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeugin im Verlauf ihrer Befragungen die angebliche Aufteilung der Gruppen unterschiedlichen Lehrkräften zugeschrieben hat: Gab sie noch gegenüber der Staatsanwaltschaft am 12. Februar 2014 an, die Zeugin O. habe die Gruppen aufgeteilt (Bl. 281 der Strafakte), so soll es nach ihren Angaben gegenüber dem Senat der Zeuge X. gewesen sein (Sitzungsniederschrift S. 20). Auch dies spricht nicht für eine Erlebnisfundiertheit der diesbezüglichen Äußerungen der Zeugin W.
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ff) Zweifel an den Angaben der Zeugin ergeben sich auch, sofern sie in der psychologischen Exploration am 3. April 2014 mit Nachdruck versichert hatte, am Tattag keine Menstruation gehabt zu haben. Die Zeuginnen B. und H. haben in ihren schriftlichen Aussagen nämlich inhaltlich übereinstimmend angegeben, die Zeugin W. habe während der Stammkursfahrt Ihre periodische Monatsblutung gehabt (vgl. Bl. 381 und 385 der Gerichtsakte).
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Die Aussagen der Zeuginnen B. und H. sind glaubhaft. Sie wurden unabhängig voneinander, spontan und mit unterschiedlichen Formulierungen und geschilderten „Begleitumständen“ gemacht. Vor allem konnten die Zeuginnen nicht gewusst haben, ob und in welcher Form ihre Angaben von Bedeutung sein könnten.
- 85
b) Die vorstehend dargestellten Unstimmigkeiten hat die Sachverständige in ihrem Glaubwürdigkeitsgutachten, das sie in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 gegenüber dem Senat abgegeben hat, aufgegriffen und ist danach – in ausdrücklicher Abkehr zu ihrem schriftlichen Gutachten vom 8. Mai 2014 – zu dem Ergebnis gelangt, dass sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in aussagepsychologischer Sicht nunmehr Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin W. habe. Dieser Auffassung der Sachverständigen schließt sich der Senat vorbehaltlos an. Die Ausführungen der Sachverständigen, an deren fachlicher Kompetenz keinerlei Zweifel bestehen, stimmen nicht nur mit der vorstehend im einzelnen dargelegten Sachlage überein, sie sind auch sonst in einem sehr hohen Maße nachvollziehbar, was sich aus ihrer noch in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 abgegebenen Begründung zeigt.
- 86
Als Ausgangspunkt zur Begründung ihres aussagepsychologischen Ergebnisses wählte die Sachverständige zunächst ihr für die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach erstelltes schriftliches Glaubwürdigkeitsgutachten vom 8. Mai 2014. Dieses Gutachten entstand auf der Grundlage eines umfassenden Aktenstudiums und einer eingehenden Exploration der Zeugin am 4. April 2014 und führte schon seinerzeit dazu, dass die Sachverständige die Aussagen der Zeugin W. als nicht glaubhaft ansah, soweit es um die Frage der Unfreiwilligkeit des angeblichen Sexualkontaktes ging. Zwar hat die Sachverständige seinerzeit noch einen freiwilligen Sexualkontakt zwischen der Zeugin W. und dem Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen.
- 87
Diese „hohe Wahrscheinlichkeit“ hätte indessen schon für sich besehen nicht ausgereicht, dem Beklagten ohne weitere Ermittlungen das Ruhegehalt abzuerkennen. Erforderlich für eine disziplinarrechtliche Verurteilung auf der Grundlage von bloßen Indizien und/oder Angaben von Zeugen ist nämlich, wie oben im Einzelnen ausgeführt, die Überzeugungsgewissheit in einem Maße, dass jeder vernünftige Zweifel schweigt. Eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ reicht demgegenüber nicht aus. Von einem, wie der Kläger meint, zweifelsfrei feststehenden Sachverhalt kann dabei schon aufgrund der vorstehend im Einzelnen dargestellten Ungereimtheiten keinesfalls ausgegangen werden. Dies gilt umso mehr, als die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach seinerzeit das Strafverfahren ausdrücklich wegen Glaubwürdigkeitszweifel bei der einzigen Tatzeugin eingestellt hatte und keinerlei Indizien für die Richtigkeit ihrer Schilderung vorhanden sind.
- 88
Wie die Sachverständige in ihrem mündlichen Gutachten weiter überzeugend darlegte, musste sie, nachdem sie der mündlichen Verhandlung am 7. März 2017 über den ganzen Verlauf beiwohnte und – was sie als besonders bedeutsam hervorhob – dort erstmals eine Äußerung des Beklagten mit seiner Darstellung des angeblichen Geschehens erfuhr, ihre ursprüngliche Einschätzung hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugin W. insgesamt revidieren. Nunmehr seien nach der Einschätzung der Sachverständigen auch Zweifel am Wahrheitsgehalt der weiteren Angaben der Zeugin W. angebracht.
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Die Aussagen der Zeugin seien von erheblichen Schwächen gekennzeichnet. So habe sie nicht unmittelbar nach der angeblichen Tat in zusammenhängender Weise von dem Vorfall berichtet, sondern zunächst von späteren Schilderungen abweichende Angaben gemacht, nach denen der Beklagte lediglich versucht habe, sie zu küssen. Diese Version des Tatgeschehens habe sie später nicht mehr angegeben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der erste zusammenhängende, in seiner Detailliertheit besonders deutliche Bericht, den die Zeugin W. wenige Tage nach dem 27. September 2013 niedergeschrieben habe, unter einem hohen Erwartungsdruck seitens ihrer beiden Freunde, des Verbindungslehrers sowie des Zeugen A., dem sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits anvertraut hatte, abgefasst worden sei. Es sei nicht sicher auszuschließen, dass sie in ihrer damaligen Situation, in der sie sich zwischen zwei Männern habe entscheiden müssen, sich zu derart dramatischen Schilderungen veranlasst gesehen und die ganze Angelegenheit danach eine Art „Eigendynamik“ entwickelt habe. Hierfür spräche auch ihre in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 7. März 2017 gemachte Äußerung, sie habe die Dinge möglicherweise damals „intensiver empfunden habe als heute“. Insgesamt sei aufgrund dieser besonderen Drucksituation und der bei ihr vorhandenen Persönlichkeitsmerkmale nicht ausgeschlossen, dass die Zeugin nicht nur zur Frage der Freiwilligkeit des von ihr angegebenen sexuellen Kontaktes, sondern auch insgesamt nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht haben könnte, ohne dass ihr dies bewusst gewesen sei.
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Die Sachverständige begründete ihr Ergebnis weiter mit dem Fehlen des sog. Realkennzeichens eines „in sich stimmigen“ Sachverhalts. Hierzu verwies sie in ihrer mündlichen Begutachtung vor allem auf die vorstehend beschriebenen Unstimmigkeiten.
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Die Sachverständige betonte schlussfolgernd die bereits in ihrem schriftlichen Gutachten ausführlich besprochene Tendenz der Zeugin W., ihr unangenehme Tatsachen unrichtig darzustellen. Hierbei verwies sie auch nochmals darauf, dass die Schilderungen der Zeugin W. im Verlauf der seit dem 27. September 2013 verstrichene Zeit an „Dramatik“ einbüßten. Auch dieser Gesichtspunkt trat in der mündlichen Verhandlung am 7. März 2017 deutlich zutage, als die Zeugin W. gefragt wurde, ob sie in Anbetracht der Verletzungen durch den Beklagten aufgeschrien habe. Hier meinte die Zeugin nun, es sei „mehr ein innerliches Schreien“ gewesen (vgl. die Sitzungsniederschrift vom 7. März 2017, S. 21).
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Die Sachverständige hinterfragte Ihr Ergebnis sodann in Bezug auf die beiden einzigen für die Glaubhaftigkeit der Aussage sprechenden Gesichtspunkte, die Originalität und Konstanz der Aussagen der Zeugin W. Die Sachverständige führte überzeugend aus, dass selbst diese nicht in voller Ausprägung vorhanden seien, da die Zeugin Ihre Schilderungen im Laufe der Zeit immer weiter abschwächte. Dies begründete die Sachverständige an den Beispielen der extremen Verletzungen, die die Zeugin W. noch in ihrem schriftlichen Bericht schilderte. Während dort noch von „blutgetränkter Kleidung und der „Angst, zu verbluten“ die Rede war, finden sich derart drastische Schilderungen bei ihren späteren Darstellungen nicht mehr.
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Der Senat folgt der Sachverständigen auch, soweit diese auf weitere Verhaltensweisen abstellte, die bei vorgeblichen Opfern einer Vergewaltigung gegen eine Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen sprächen. So sei sie (die Sachverständige) stets besonders skeptisch, wenn Kleidung, anhand derer der angebliche Täter mit kriminaltechnischen Methoden nahezu zweifelsfrei überführt werden kann, von den angeblichen Opfern einer Sexualstraftat weggeworfen werde. Gerade bei der Zeugin W. habe sie dies als besonders bemerkenswert angesehen, da es sehr ungewöhnlich sei, wenn eine junge Frau mit sehr geringen finanziellen Mitteln eine komplette Kleidergarnitur – nach der Formulierung der Sachverständigen –„einfach so“ wegwerfe.
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Allerdings folgt der Senat der Sachverständigen auch insoweit, als diese aufgrund ihrer eigenen Exploration am 4. April 2014 sowie unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung am 7. März 2017 davon ausgeht, die Zeugin W. sei sich nach der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit und ihren Befragungen durch Verbindungslehrer, Schulpsychologen, Schulleiter, Staatsanwalt, und drei verschiedenen Gerichten nicht mehr bewusst, inwiefern ihre Aussagen nicht erlebnisfundiert seien. Vielmehr könne ihr aus aussagepsychologischer Sicht zugutegehalten werden, dass sie selbst davon überzeugt sei, dass der von ihr geschilderte Vorfall am frühen Morgen des 27. September 2013 tatsächlich stattgefunden hat.
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3. Steht aus diesen Gründen nicht mit der für eine disziplinare Ahndung erforderlichen Sicherheit fest, dass der sexuelle Übergriff in dem Bungalow Nr. 272 auf dem Campingplatz und Feriendorf „...“ am ...see in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2013 tatsächlich stattgefunden hat, so lässt sich – vor allem wegen der Glaubwürdigkeitszweifel in Bezug auf die Zeugin W. – auch kein Alternativsachverhalt herleiten. Lässt man nach Abzug des nicht glaubhaften Kerngeschehens noch Teile übrig, bei denen jedenfalls eine Möglichkeit besteht, dass diese der Wahrheit entsprechen, so müssten diese wegen der insgesamt bestehenden Unglaubwürdigkeit der Zeugin W. noch durch andere Beweismittel als die Aussagen dieser Zeugin belegt werden. Das ist indes, wie vorstehend im Einzelnen dargestellt, nicht der Fall.
- 96
Der Senat hat insofern insbesondere erwogen, ob es wenigstens zu einem der Schilderung der Zeugin W. „ähnlichen“ sexuellen Kontakt zwischen ihr und dem Beklagten gekommen sein kann. Auch dies lässt sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Nach allen hierzu befragten Zeugen fanden sich weder auf dem Bett des Zeugen K. noch auf dem Bett der Zeugin W. Blutspuren. Die Zeuginnen, die gemeinsam mit der Zeugin W. den Bungalow Nr. 282 belegt hatten, haben unmittelbar nach dem angeblichen Vorfall auch übereinstimmend angegeben, keine Wesensveränderungen bei der Zeugin W. festgestellt zu haben. Außer der Zeugin C. und dem Zeugen D. haben danach keine weiteren Personen am Morgen oder Vormittag des 27. September 2013 oder auf der Rückfahrt bedeutsame Verhaltensänderungen bei der Zeugin W. festgestellt. Die Zeugin W. hat, wie dargelegt, die einzigen Beweismittel weggeworfen. Die rechtsmedizinische Untersuchung hat keine Verletzungen feststellen können. Sonstige Beweise für das von ihr vorgetragene Geschehen gibt es nicht, so dass die Disziplinarklage abweisungsreif ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 99 Abs. 2 Satz 1 LDG.
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- 1 StR 94/98 1x (nicht zugeordnet)