Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (13. Senat) - 13 B 10806/21
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Gründe
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Der zusammen mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. April 2021 – 6 K 1015/20.TR – (13 A 10805/21.OVG) im Schriftsatz vom 14. Juni 2021 gestellte Antrag,
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die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. März 2020 aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 5. Juni 2020 – 6 L 1016/20.TR – anzuordnen,
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hilfsweise festzustellen, dass der Hauptsache weiterhin aufschiebende Wirkung zukommt,
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ist unzulässig.
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Der Antragstellerin fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für den hier gestellten Antrag nach § 80b Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –, da sich die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. März 2020 in Ziffer 5. enthaltene Abschiebungsandrohung einschließlich der gesetzten Ausreisefrist im Hinblick auf die in dem genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Trier vom 5. Juni 2020 – 6 L 1016/20.TR – von Amts wegen insoweit angeordnete aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes nach § 37 Abs. 2 Asylgesetz – AsylG – umgewandelt hat und die Ausreisefrist jetzt 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet (vgl. zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO, wenn auch ohne eine gerichtliche Entscheidung eine Vollziehung des Verwaltungsakts ausgeschlossen ist: W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 136; Bostedt, in Fehling/Kastner/Störmer [Hrsg.], Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 80 VwGO Rn. 132 ff.).
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Auch für den Fall, in dem ein Gericht eine vorherige nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangene ablehnende Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO abändert (hier von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 S. 1 VwGO) und die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnet, ist § 37 Abs. 2 AsylG anzuwenden (vgl. ebenso OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 10 LA 53/20 –, juris Rn. 24 ff, sowie Bayerischer VGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2019 – 13a ZB 19.32868 –, juris Rn. 11 f., und vom 27. September 2019 – 13a AS 19.32891 –, juris Rn. 35, jeweils zur Parallelvorschrift des § 37 Abs. 1 S. 1 AsylG; Kluth/Heusch, in: Beck-Online-Kommentar Ausländerrecht, 29. Edition Stand 1. April 2021, § 37 AsylG Rn. 3b). Zwar heißt es in § 37 Abs. 2 AsylG für die Änderung der Ausreisefrist: „Entspricht das Verwaltungsgericht im Fall eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung, ...“. Eine Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO liegt jedoch auch im Verfahren des § 80 Abs. 7 VwGO vor, denn dieser ursprüngliche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist (vorbehaltlich einer Antragsänderung durch den ursprünglichen Antragsteller unverändert) auch Streitgegenstand im Abänderungsverfahren (Puttler, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 183; Hoppe, in: Eyermann [Hrsg.], VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 129, Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier [Hrsg.], VwGO, Stand: Juli 2020, § 80 Rn. 548). Bei dem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO, das gegenüber dem vorangegangenen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ein neues, selbständiges Verfahren ohne Rechtsbehelfscharakter ist, wird lediglich eine erneute Sachprüfung der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Entscheidung vorgenommen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24. Juli 2019 – 2 BvR 686/19 –, juris Rn. 35, OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Juni 2016 – 8 B 10519/16.OVG; Nds. OVG, vom 7. Dezember 2011 – 8 ME 184/11 –, juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 14. März 2019 – 6 VR 1.19 –, juris Rn. 5; besonders geregeltes Wiederaufnahmeverfahren: Bostedt, in Fehling/Kastner/Störmer, a.a.O., § 80 VwGO Rn. 183). Prüfungsmaßstab für die Entscheidung über einen zulässigen Abänderungsantrag ist, ob nach der aktuellen Sach- oder Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2019 – 2 BvR 686/19 –, juris Rn. 36; BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2017 – 1 VR 6.17 –, juris Rn. 3). Bei einer Entscheidung – wie hier – nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO sind dieselben materiellen Gesichtspunkte maßgebend, wie sie im Falle eines erstmaligen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zum Zeitpunkt der aktuellen Entscheidung zu gelten hätten (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1994 – 4 VR 1/94 –, juris Rn. 14). Eine positive Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO ändert demnach lediglich eine zuvor nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangene Entscheidung ab (vgl. Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, a.a.O., § 80 VwGO Rn. 193 f.; vgl. auch Schoch, in: Schoch/ Schneider/Bier, a.a.O., § 80 Rn. 590). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO selbst. Letztlich handelt es sich bei einer Abänderungsentscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO um eine erneute Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2019 – 2 BvR 686/19 –, juris Rn. 38, 40) und damit über einen „Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung“ im Sinne des § 37 Abs. 2 AsylG (so auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 10 LA 53/20 –, juris Rn. 26, Bayerischer VGH, Beschluss vom 2. Dezember 2019 – 13a ZB 19.32868 –, juris Rn. 12; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll [Hrsg.], VwGO, 7. Aufl. 2018, § 80 Rn. 151) bzw. eine Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
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§ 37 Abs. 2 AsylG enthält nach seinem Wortlaut keine weiteren Einschränkungen hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen stattgebenden Entscheidung über den „Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung“ (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 10 LA 53/20 –, juris Rn. 26, auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 02.12.2019 – 13a ZB 19.32868 –, juris Rn. 12 im Hinblick auf die amtliche Überschrift), insbesondere keine Beschränkung auf erstmalige Entscheidungen über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern bezieht die Korrektur der Entscheidung von Amts wegen (Abs. 7 S. 1) oder auf Antrag (Abs. 7 S. 2) mit ein. Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO stellt nach seiner gesetzlichen Konstruktion lediglich den Weg zu einer erneuten Sachentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO dar (ausdrücklich: BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2019 – 2 BvR 686/19 –, juris Rn. 35).
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Die Anwendung des § 37 Abs. 2 AsylG bei im Abänderungsverfahren ergangenen Entscheidungen entspricht auch seinem Sinn und Zweck. Die Vorschrift bestimmt, dass ein erfolgreicher Eilantrag kraft Gesetzes allein auf der Grundlage einer vorläufigen, am Maßstab der ernstlichen Zweifel (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG) auszurichtenden gerichtlichen Überprüfung zur kraft Gesetzes erfolgenden Abänderung der Ausreisefrist führt, welche danach 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet. Damit ist eine Sicherung des Hauptsacheverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss durch die weiterhin ungefährdete Anwesenheit des Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verbunden (vgl. auch Art. 9 und 46 der Asylverfahrens-Richtlinie 2013/32/EU). Ein gegebenenfalls isoliertes Anfechtungsverfahren gegen die Abschiebungsandrohung und die dort gesetzte Ausreisefrist erübrigt sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend im Urteil vom 15. April 2021 – 6 K 1015/20.TR – (Seite 17 des Urteilsabdrucks) unter Hinweis auf die vorliegend eingetretene Wirkung des § 37 Abs. 2 AsylG festgestellt hat (vgl. zu den ebenfalls einen Hauptsacherechtsbehelf entbehrlich werden lassenden Wirkungen des § 37 Abs. 1 AsylG: BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2019 – 1 C 15.18 –, juris Rn. 26). Dieses Bedürfnis einer Verfahrensbeschleunigung und -sicherung als Zielsetzung des § 37 Abs. 2 AsylG besteht bei einer Abänderungsentscheidung im Rahmen des § 80 Abs. 7 VwGO gleichermaßen wie bei der Erstentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Eine unterschiedliche Behandlung wäre vielmehr in vielen Fällen gerade nicht sachgerecht (vgl. zu § 37 Abs. 1 AsylG gleichlaufend: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Februar 2020 – 10 LA 53/20 –, juris 27; Bayerischer VGH, Beschluss vom 2. Dezember 2019 – 13a ZB 19.32868 –, juris Rn. 12).
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Auch für den hilfsweise gestellten Antrag, festzustellen, dass der Hauptsache weiterhin aufschiebende Wirkung zukommt, fehlt der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit bedürfte es eines Anlasses, der die Annahme naheliegend erscheinen lassen würde, die Antragsgegnerin oder die für die Vollziehung der Abschiebungsandrohung zuständige Ausländerbehörde wären sich der Regelung des § 37 Abs. 2 AsylG nicht bewusst und/oder würden diese nicht berücksichtigen. Derartige Äußerungen der Antragsgegnerin oder der Ausländerbehörde ergeben sich weder aus der Akte noch werden sie oder andere hierfür sprechende Indizien von der Antragstellerin vorgetragen. Etwaige Zweifel der Beteiligten hinsichtlich der Ausreisefrist wurden bereits durch das genannte Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. April 2021 – 6 K 1015/20.TR – ausgeräumt, welches auf Seite 17 des Urteilsabdrucks von der mit Beschluss vom 5. Juni 2020 – 6 L 1015/20.TR – eingetretenen und die Ausreisefrist verlängernden Wirkung des § 37 Abs. 2 AsylG ausgeht. Im Hinblick auf die zuvor zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und fehlender entgegenstehender Judikate ist es auch nicht naheliegend, dass die Antragsgegnerin oder die Ausländerbehörde trotz der genannten Hinweise des Verwaltungsgerichts von der Vorstellung ausgingen, ein Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO sei etwas gänzlich anderes als ein solcher nach § 80 Abs. 5 VwGO, so dass § 37 Abs. 2 AsylG nicht anwendbar sei.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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