Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 LA 96/10
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 8. Kammer - vom 05.10.2010 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf
12.000,-- Euro
festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Klägerin wendet sich gegen eine Nutzungsuntersagung. Sie mietete ab 01.01.2003 eine Scheune mit Futterküche und Hackraum sowie ab 01.01.2005 ein als Pferdestall genehmigtes Gebäude. In den Mieträumen und auf dem Grundstück … betreibt die Klägerin die Entsorgung, die Aufbereitung und den Verkauf von Speiseresten zur Belieferung an eine Biogasanlage.
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Mit Ordnungsverfügung vom 09.12.2008 wurde der Klägerin die „Nutzung des ehemaligen Schweinemastbetriebes als Transportunternehmen auf dem Grundstück ... …“ untersagt. Zugleich wurde ein Zwangsgeld angedroht. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 05.10.2010 abgewiesen.
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Ihren Antrag auf Zulassung der Berufung stützt die Klägerin auf § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 VwGO.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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1) Die Richtigkeit des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts ist keinen ernstlichen Zweifeln ausgesetzt (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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a) Das Verwaltungsgericht ist zu Recht von der hinreichenden Bestimmtheit der angefochtenen Bescheide vom 09.12.2008 und vom 10.02.2009 ausgegangen. Die von der Klägerin dagegen angeführten Bedenken sind unbegründet. Dem Erfordernis hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit wird entsprochen, wenn für den Adressaten der bauaufsichtlichen Verfügung seine eigene Betroffenheit, die Verwaltungsaktsqualität der Maßnahme sowie der Inhalt der Anordnung klar und unzweideutig sind. Das ist auch der Fall, wenn der Inhalt der Regelung durch Auslegung ermittelt werden kann, wobei auf den Empfängerhorizont abzustellen ist (vgl. OVG Münster, Urt. v. 19.12.1995, 11 A 2734/93, Juris [Tn 25], m. w. N.).
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Bestimmtheit unter Einbeziehung des in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Sachverhalts und der Gründe zu prüfen ist. Soweit die Klägerin den angefochtenen Bescheiden und (auch) den Gründen des erstinstanzlichen Urteils eine „Fokussierung“ auf einen Transportbetrieb vorhält, überzeugt dies nicht, weil die Verwendung dieser Bezeichnung ersichtlich nicht der Kennzeichnung einzelner Tätigkeiten diente. Vielmehr sollte die gewerbliche Tätigkeit der als „Transport- und Entsorgungsunternehmen“ firmierenden Klägerin auf dem Grundstück untersagt werden. Das wird auch daraus deutlich, dass die Klägerin zugleich als Verhaltensstörerin nach § 218 LVwG und - in Bezug auf ihre „Eigenschaft“ als Mieterin - als Zustandsstörerin gem. § 219 LVwG in Anspruch genommen worden ist. Für diesen Regelungsinhalt ist es nicht erforderlich, dass der Beklagte die ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäude und Grundstücksteile, die jetzt gewerblich genutzt werden, im Einzelnen benennt. Ebenso wenig bedarf es einer Konkretisierung der einzelnen Tätigkeiten (Annahme, Lagerung, Behandlung von Speiseabfällen, An- und Abtransport etc.); die angefochtenen Bescheide wie auch das erstinstanzliche Urteil gehen der Sache nach zutreffend davon aus, dass die Untersagungsverfügung sämtliche im Rahmen des Gewerbebetriebes der Klägerin liegenden Tätigkeiten in Gebäuden oder auf Flächen des Grundstücks … betrifft. Das umfasst auch die gewerbliche Behandlung von Speiseabfällen, hinsichtlich derer es - entgegen der Ansicht der Klägerin - keiner gesonderten Tenorierung bzw. Untersagung im Text des Bescheides bedurfte.
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b) Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil (S. 9 d. Abdr.) der Überprüfung der angefochtenen Bescheide die Maßstäbe zugrundegelegt, die auch der Senat in ständiger Rechtsprechung anwendet; danach genügt die formelle Rechtswidrigkeit einer genehmigungsbedürftigen Nutzung für deren Untersagung, es sei denn, sie ist offensichtlich genehmigungsfähig oder genießt materiellen Bestandsschutz (vgl. Urt. v. 02.10.1996, 1 L 356/95, Juris [Tn 25]).
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aa) Aus dem Zulassungsantrag sind keine Argumente zu entnehmen, die für eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit der geänderten Nutzung sprechen (vgl. dazu den Beschluss des Senats in der Parallelsache 1 LA 98/10).
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bb) Der Klägerin ist nicht darin zu folgen, dass die aus einer „Funktionsänderung“ des (zuvor) landwirtschaftlichen Betriebes in einen (jetzt) gewerblichen Betrieb hervorgegangene Nutzung materiell bestandsgeschützt sei.
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Ausgehend von den zeitlichen Angaben der Klägerin ist die GmbH (erst) 2001 gegründet worden; die Anmietung der ehemaligen Scheune bzw. des ehemaligen Pferdestalls zur gewerblichen Nutzung erfolgte 2003 bzw. 2005 (S. 2, 3 der Klagebegründung vom 13.05.2009). Die - zur genehmigungsbedürftigen - neuen gewerblichen Nutzung der Klägerin führende „Funktionsänderung“ kann damit nicht vor 2003 eingesetzt haben. Der Bestandsschutz deckt Nutzungsänderungen, die etwas qualitativ oder quantitativ wesentlich anderes bewirken, nicht ab (BVerwG, Urt. v. 11.02.1977, IV C 8.75, NJW 1977, 1932).
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Die Annahme der Klägerin, materieller Bestandsschutz der (neuen) gewerblichen Nutzung ergebe sich aus ihrer früheren Genehmigungsfähigkeit nach § 35 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB, trifft nicht zu.
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Soweit sich die Klägerin dabei auf die Entwicklung „Ende der 90er Jahre“ bezieht, lag - damals - noch ein anderer Sachverhalt vor: Die Aufbereitung von Speiseresten etc. erfolgte noch für den Schweinemastbetrieb, nicht - wie ab 2003 - zur anderweitigen Verwertung (Biogasanlage). Die Klägerin argumentiert selbst, dass die Schweinemast im Hinblick auf die langfristig gepachteten Flächen als Landwirtschaft und anzusehen war (s. Schreiben an die Beigeladene vom 06.01.2008; Anl. K 6, Bl. 56 f. d. A.).
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Soweit die Klägerin annimmt, die Nutzung der Scheune, der Futterküche und des Pferdestalls sei in „die selbständige gewerbliche Tätigkeit“ hineingewachsen, wäre an eine (erstmalige) Nutzungsänderung i. S. d. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB zu denken. Allerdings legt die Klägerin nicht dar, dass die Voraussetzungen einer Genehmigungsfähigkeit nach dieser Vorschrift gegeben waren. Das wäre gem. § 35 Abs. 2 BauGB nur der Fall, wenn keine (nicht durch § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB [teil-]privilegierten) öffentlichen Belange beeinträchtigt würden. Nach den (im Verfahren 1 LA 98/10 zu beurteilenden) Bescheiden vom 01.07. und 13.11.2009 sieht die Beklagte durch die geänderte Nutzung Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege beeinträchtigt. Diese Belange sind nach § 35 Abs. 4 S. 1 BauGB nicht (teil-)privilegiert. Das war (auch) zur Zeit des „Hineinwachsens“ bereits der Fall und gilt - unverändert - bis heute. Dagegen sprechende Gründe sind dem Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen. Ernstliche Richtigkeitszweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gegen das erstinstanzliche Urteil, das die Voraussetzungen eines materiellen Bestandsschutzes verneint, sind damit im Zulassungsantragsverfahren nicht dargelegt worden.
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c) Auch der Hinweis der Klägerin auf einen Duldungsanspruch, der eine Nutzungsuntersagungsverfügung ausschließe, führt nicht zu Richtigkeitszweifeln.
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Im rechtlichen Ansatz kommt ein solcher Duldungsanspruch nur in Betracht, wenn eine Nutzung in der Vergangenheit während eines beachtlichen Zeitraums materiell rechtmäßig ausgeübt worden ist d.h. Bestandsschutz genießt; in diesem Fall führt er zu einem Abwehrrecht gegen ein endgültiges Nutzungsverbot (VGH Kassel, Beschl. v. 10.11.1994, 4 TH 1864/94, Juris [Tn 27], m. w. N.; VGH Mannheim, Urt. v. 24.07.2002, 5 S 149/01, Juris [Tn 21]).
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Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch sind indes nach den Darlegungen der Klägerin nicht erkennbar. Die gewerbliche Annahme, Lagerung und Behandlung von Speiseabfällen sowie ihr An- und Abtransport haben erst Anfang 2003 begonnen; zuvor wurde eine - von der Klägerin als Landwirtschaft eingeordnete - Schweinemast betrieben. Die materielle Rechtmäßigkeit der Nutzung nach 2003 könnte nur in Betracht gezogen werden, wenn keine Beeinträchtigung der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege anzunehmen wäre; das ist nicht dargelegt (s. o. b).
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d) Ob gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung vorliegend ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingewandt werden kann (S. 12-13 der Antragsbegründung), kann offen bleiben, weil der Gewerbebetrieb nach dem zuvor Ausgeführten keinen Bestandsschutz für sich in Anspruch nehmen kann.
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2) Der Zulassungsgrund der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache liegt nicht vor.
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Die Klägerin versucht die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes durch Hinweis auf den „Substanzverlust“ und die „Existenzgrundlage des Betriebsinhabers, seiner Familie und der Angestellten“ darzutun. Diese Folgen kennzeichnen indes keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache. Was die Rechtmäßigkeit der „Umnutzung Ende der 90er Jahre“ und den Bestandsschutz anbetrifft, liegt die Schwierigkeit des Falles allein darin, dass die zeitliche Abfolge der landwirtschaftlichen bzw. der gewerblichen Nutzungen auf dem Grundstück genau analysiert werden muss. Diese Schwierigkeit ist indes keine „besondere“ i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Annahme, die (jetzige) Nutzung genieße Bestandsschutz, kann aus den oben zu 1 c ausgeführten Gründen nicht als Grundlage für den hier betroffenen Zulassungsgrund herangezogen werden.
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3) Der Frage, ob eine „materiell bestandsgeschützte, aber formell illegale Nutzung auch dann geschützt werden kann, wenn das Vorhaben zwar materiell durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist, eine Genehmigung aber nicht mehr verlangt werden kann und als Folge der Untersagung ein geschütztes Rechtsgut untergeht“, kommt keine Grundsatzbedeutung zu. Sie ist - in abstrakter Form - ohne Weiteres zu bejahen (s. VGH Kassel, Beschl. v. 10.11.1994, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist die Entscheidungserheblichkeit der Frage - jedenfalls - nicht dargetan, weil im Hinblick auf beeinträchtigte, nicht teilprivilegierte öffentliche Belange nicht von einem „materiell bestandsgeschützten“ Vorhaben - in Gestalt einer Nutzungsänderung - ausgegangen werden kann.
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4) Der Zulassungsantrag ist nach alledem abzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
- 23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
- 25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
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