Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 18/17

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 8. Kammer - vom 6. Oktober 2017 geändert:

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.02.2017 (Baueinstellungsverfügung) und den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.03.2017 (Anordnung der Versiegelung) wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller hat im Ergebnis einer Auktion im Frühjahr 2015 das Grundstück … und den dort belegenen Bahnhof S... durch Kaufvertrag mit der Absicht erworben, das dortige Bahnhofsgebäude umzugestalten, um dort u.a. eine Nutzungsänderung zur Kultur- und Erlebnisgastronomie zu verwirklichen. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge (Bl. 263 der Beiakte B) ist die DB Station & Service AG am 22.06.2017 noch als Eigentümerin des Bahnhofs eingetragen.

2

Der Antragsteller wendet sich gegen eine unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit - ohne jegliche Konkretisierung - angeordnete Baueinstellung der Antragsgegnerin vom 02.02.2017 und eine weitere unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ergangene Bauordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 09.03.2017, mit der die Versiegelung der Baustelle … angeordnet wurde. Seine dagegen erhobenen Widersprüche wies die Antragsgegnerin im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2017 als unbegründet zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am 09.10.2017 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben (VG 8 A 775/17).

3

Bereits zuvor hat das Verwaltungsgericht seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gegen die Bescheide vom 02.02.2017 und 09.03.2017 mit Beschluss vom 06.10.2017 stattgegeben und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Zuständigkeit für die Bauaufsicht für Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 BEVVG beim Eisenbahn-Bundesamt liege. Bei dem von den Ordnungsverfügungen betroffenen Gebäude handele es sich um das Empfangsgebäude des Bahnhofs S... und damit um eine Betriebsanlage der Eisenbahnen des Bundes. Eine vollständige oder teilweise Freistellung von Bahnbetriebszwecken habe noch nicht stattgefunden und damit bestehe derzeit keine sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin.

4

Gegen diesen am 12.10.2017 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 13.10.2017 Beschwerde eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass sich ihre Zuständigkeit aus § 3 BEVVG ergebe, weil die vom Antragsteller beabsichtigte Nutzung von Räumen im Bahnhofsgebäude nicht eisenbahnbetriebsbezogen sei. Bei dem Vorhaben des Antragstellers handele es sich um einen genehmigungsbedürftigen Sonderbau, für den er nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt habe. Bereits im Oktober 2016 seien umfangreiche Bautätigkeiten festgestellt worden. Trotz eines mündlich angeordneten Baustopps sei weitergearbeitet worden. Auch in der Folgezeit habe der Antragsteller nicht alle für eine Genehmigung erforderlichen Unterlagen vorgelegt und die Bauarbeiten fortgeführt. Daraufhin sei die Baustelle in Absprache mit dem Eisenbahn-Bundesamt versiegelt worden. Weitere Anforderungen von Unterlagen, insbesondere zur Berechnung der Statik, seien fruchtlos gewesen. Im Ergebnis hätten die materiellen Voraussetzungen einer Baueinstellung vorgelegen. Die Versiegelung sei als mildestes Mittel gerechtfertigt gewesen. Mit Bescheid vom 29.06.2017 sei der Bauantrag des Antragstellers abgelehnt worden.

5

Der Antragsteller tritt der Beschwerdebegründung entgegen. Der Unteren Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin fehle, wie im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu Recht dargetan, die sachliche Zuständigkeit zum Erlass von Bauordnungsverfügungen, welche Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes - hier des Bahnhofs S... - zum Gegenstand hätten. Das Empfangsgebäude des Bahnhofs S... ist und sei im Zeitpunkt des Erlasses der Bauordnungsverfügungen eine - nicht entwidmete - Eisenbahnbetriebsanlage der Eisenbahnen des Bundes im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BEVVG, die eisenbahnbetriebsbezogen genutzt werde. Werde in eine solche Nutzung eingegriffen, wie hier durch die Bauarbeiten des Antragstellers, so liege die Bauaufsicht und die sachliche Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr beim Eisenbahn-Bundesamt. Selbst wenn man der – unzutreffenden – Rechtsauffassung folge, wonach die Einstellung von Bauarbeiten zur Aufnahme einer bahnfremden Nutzung sogar innerhalb eines nach wie vor dem Bahnbetrieb gewidmeten Bahnhofsgebäudes in die sachliche Zuständigkeit der allgemeinen Bauaufsichtsbehörde falle, ändere dies nichts an der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bauordnungsverfügungen, da es nicht um eine bloße Nutzungsänderung innerhalb des Empfangsgebäudes des Bahnhofs S... gehe, sondern um dessen Umbau, welcher mit einem massiven Eingriff in die Gebäudesubstanz verbunden sei. Tatsächlich verhalte es sich so, dass der materielle Grund für die bauaufsichtlichen Aktivitäten der Antragsgegnerin darin liege, dass Zweifel an der Standsicherheit des Bahnhofsgebäudes bedingt durch die seitens des Antragstellers durchgeführten Bauarbeiten bestünden. Werde indessen unter dem Gesichtspunkt der Standsicherheit in relevanter Weise in ein Bahnhofsgebäude oder bahnbetriebsbezogene Gebäudeteile eingegriffen, so greife das eisenbahnrechtliche Rechtsregime und es sei ein Verfahren nach § 18 AEG erforderlich.

II.

6

Da der Antragsteller mittlerweile Klage gegen die streitgegenständlichen Bescheide erhoben hat, kann sich sein Begehren prozessual nicht mehr auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Widersprüche gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 02.02.2017 und 09.03.2017 richten, sondern auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen diese Bescheide. Dies war bei der Tenorierung zu berücksichtigen.

7

Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, erfordern im Ergebnis eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 06.10.2017 ist begründet und der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzulehnen.

8

1. Die Antragsgegnerin hat in den streitbefangenen Verfügungen die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinreichend und den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend begründet.

9

Der Sofortvollzug ist bei einer auf § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a LBO gestützten Maßnahme regelmäßig schon dann gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen einer Baueinstellungsverfügung vorliegen. Es besteht ein öffentliches Interesse daran, dass bei der Errichtung und Änderung von Gebäuden die Genehmigungspflicht beachtet wird; dies gilt umso mehr, wenn es sich - wie hier - um einen Sonderbau im Sinne des § 51 Abs. 2 Nr. 8 LBO handelt. Im Fall der angeordneten Baueinstellung eines formell illegalen Bauvorhabens sind bereits mit Blick auf die negative Vorbildwirkung formell rechtswidriger Änderungen eines Gebäudes sowie auf die Kontrollfunktion des Bauordnungsrechts nur geringe Anforderungen an die Begründung der Vollziehungsanordnung zu stellen (st. Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Beschluss vom 13.12.2017 – 1 MB 17/17 - m.w.N.). Die sofortige Vollziehung einer (rechtmäßigen) Baueinstellungsverfügung liegt regelmäßig im besonderen öffentlichen Interesse, weil sie die Vorbildwirkungen eines gemäß § 73 Abs. 6 LBO formell illegalen Baubeginns bekämpft, dem „Schwarzbauer“ sowie dem „Schwarznutzer“ ungerechtfertigte Vorteile gegenüber dem erst nach Erteilung einer Baugenehmigung Bauausführenden entzieht und ein Unterlaufen der präventiven Kontrolle der Bauaufsicht verhindert (vgl. dazu OVG Schleswig, Beschluss vom 13.12.2017, a.a.O., m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die in der Verfügung vom 02.02.2017 abgegebene Begründung ohne Weiteres; sie stellt im Besonderen auf die negative Vorbildwirkung bzw. die Gefahr der Breitenwirkung, die von der Bauausführung nicht genehmigter und damit illegaler Bauten ausgeht, ab. Überdies hebt sie die Notwendigkeit der Unterbindung des illegalen Baubeginns und Baufortschritts hervor, um demjenigen, der ein Bauwerk ohne Genehmigung und damit illegal errichtet, den ungerechtfertigten Vorteil gegenüber demjenigen, der eine Bauausführung erst dann beginnt, wenn die erforderliche Genehmigung erteilt worden ist, zu entziehen.

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Auch der Sofortvollzug der auf § 59 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und Abs. 3 LBO gestützten Versiegelung der Baustelle ist nach den oben genannten Maßstäben regelmäßig schon dann gerechtfertigt, wenn unzulässige Arbeiten - wie hier - unter Missachtung einer verfügten Einstellung fortgeführt werden. Überdies begründet die Antragsgegnerin den Sofortvollzug der Versiegelung auch mit der Gefahr für Leib und Leben Dritter bei der Fortsetzung statisch ungeprüfter Baumaßnahmen.

11

2. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Baueinstellungsverfügung und der Anordnung der Versiegelung überwiegen in der Sache das gegenläufige Suspensiv-Interesse des Antragstellers.

12

Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Bei dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.

13

Bei Beachtung dieses Entscheidungsmaßstabes hat das Verwaltungsgericht das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung des Suspensiveffekts (§ 80 Abs. 1 VwGO) mit Blick auf die nach dem Erkenntnisstand im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehenden Erfolgsaussichten seines Anfechtungsbegehrens in der Hauptsache bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Betrachtungsweise zu Unrecht als vorrangig eingestuft. Die Erfolgsaussichten der Klage sind als offen zu beurteilen.

14

Im Rahmen der angesichts dessen gebotenen, von den Erfolgsaussichten unabhängigen Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen überwiegt hier ein für den Sofortvollzug der streitigen Verfügungen sprechendes Interesse.

15

a) Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Baueinstellungsverfügung auf der Grundlage des § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a LBO liegen hier vor. Danach können die Bauaufsichtsbehörden insbesondere die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Davon ist hier auszugehen. Der Antragsteller hat für sein Vorhaben keine Genehmigung, obwohl eine solche gemäß § 67 Abs. 1 LBO erforderlich ist. Es handelt sich damit zweifelsfrei um ein formell illegales Bauvorhaben.

16

Gleiches gilt zur Überzeugung des Senats im Hinblick auf die streitbefangene Verfügung der Antragsgegnerin vom 09.03.2017, mit der eine Versiegelung der Baustelle angeordnet worden ist. Auch insoweit besteht angesichts des formell illegalen Baubeginns, der fehlenden Genehmigung sowie der Fortsetzung baulicher Maßnahmen trotz angeordneter Baueinstellung kein Zweifel am Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Anordnung einer Versiegelung der Baustelle gemäß § 59 Abs. 3 LBO.

17

3. Zweifel bestehen allerdings im Hinblick auf die Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die getroffenen Maßnahmen.

18

a. Für die baupolizeilichen Maßnahmen der Anordnung einer Baueinstellung und Versiegelung der Baustelle ist die Antragsgegnerin als Untere Bauaufsichtsbehörde gem. § 58 Abs. 1 Nr. 2 LBO nur zuständig, wenn die LBO Anwendung findet. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 LBO findet die LBO keine Anwendung auf Anlagen des öffentlichen Verkehrs und deren Nebenanlagen. Die Vorschrift sieht zwar eine Rückausnahme für Gebäude vor. Dies kann angesichts der ausschließlichen Kompetenzen des Bundes allerdings nicht auf Anlagen der Eisenbahnen des Bundes zutreffen, soweit sie noch Betriebsanlagen der Eisenbahnen sind und bahnbetriebsspezifischen Zwecken dienen.

19

Das ist hier im Hinblick auf den Bahnhof S... der Fall. Gemäß § 4 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) sind Bahnanlagen alle Grundstücke, Bauwerke und sonstigen Einrichtungen einer Eisenbahn, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. Dazu gehören auch Nebenbetriebsanlagen sowie sonstige Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern.

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Ausgehend hiervon ist der Bahnhof S... als sog. Nebenbetriebsanlage weiterhin eine Betriebsanlage im Sinne des § 4 EBO, denn der Bahnhof S... dient im Rahmen der Widmung des Gebäudes immer noch eisenbahnbetriebsspezifischen Funktionen. Der Verkauf des Bahnhofs S... an den Antragsteller ändert daran nichts, solange - wie hier - keine Freistellung iSd § 23 Abs. 1 AEG erfolgt ist.

21

Danach obliegt hier grundsätzlich dem Eisenbahn-Bundesamt gemäß § 18 AEG und § 3 Abs. 1 Nr. 3 Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz (BEVVG) iVm § 4 Abs. 1 EBO für bauliche Maßnahmen im/am Bahnhof S... auch die Aufgabe der Bauaufsicht.

22

b. Das schließt allerdings eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin als örtlich zuständige Bauaufsichtsbehörde bei bahnbetriebsfremden Nutzungen oder sog. Mischnutzungen nicht aus.

23

Die entscheidungserheblichen Kriterien, nach denen die Kompetenzen der allgemeinen Bauaufsichtsbehörden von der Kompetenz der Eisenbahnaufsicht abzugrenzen sind, sind in der Rechtsprechung geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht stellt darauf ab, ob unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse bei einer funktionalen Betrachtung die sog. Eisenbahnbetriebsbezogenheit, d. h. die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb anzunehmen ist (BVerwG, Urteil vom 27.11.1996 - 11 A 2/96 -, juris; Urteil vom 23.09.2014 - 7 C 14.13 - und Urteil vom 28.05.2014 - 6 C 4/13 -, juris).

24

Daraus folgt, dass die Nutzung eisenbahnbetriebsbezogener Anlagen der Eisenbahnaufsicht des Eisenbahn-Bundesamtes unterliegt, während nicht eisenbahnbetriebsbezogene Nutzungen von Anlagen der Eisenbahnen des Bundes, d. h. eisenbahnfremde bauliche Änderungen und nachfolgende Nutzungen, grundsätzlich auch dann der Zuständigkeit und Aufsicht der allgemeinen Bauaufsichtsbehörden unterliegen, wenn sie sich auf planungsrechtlich privilegiertem Bahngelände vollziehen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.11.1996 - 11 A 2/96 -, juris; Urteil vom 23.09.2014 - 7 C 14.13 - und Urteil vom 28.05.2014 - 6 C 4/13 -, juris; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 27.04.1998 - 7 A 3818/96 -, juris; OVG Saarland, Urteil vom 24.09.2002 - 2 R 12/01 -, juris; OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1996 - 6 L 3564/93 -, juris; VG Potsdam, Beschluss vom 14.09.2000 - 4 L 1039/00 -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 28.10.2009 - AU 4 K 08.1163 -, juris; vgl. dazu auch OLG Schleswig, Beschluss vom 09.11.2017 – 2 SsOWi 126/17 -, juris).

25

Für die bauliche Änderung von Räumlichkeiten im Bahnhof S... folgt daraus, dass eine sachliche Zuständigkeit der Unteren Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin für das Vorhaben des Antragstellers dann in Betracht kommt, wenn eine vom Widmungszweck nicht erfasste bahnfremde gewerbliche Nutzung geplant ist.

26

Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls, wobei insbesondere die Lage, Größe und Funktion des betreffenden Bahnhofs und der in Rede stehenden Nutzung von Bedeutung sind (vgl. hierzu auch Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 38 Rn. 12 m.w.N.). Insoweit ist von der Rechtsprechung beispielsweise eine bahnfremde Nutzung bei einem Lederwarenladen in einem Bahnhof (VG Potsdam, Urteil vom 14.09.2000 - 4 L 1039/00 -, juris), bei einem in einem Bahnhofsgebäude angesiedelten Drogeriemarkt mit 950 qm Nutzfläche (OVG Lüneburg, Urteil vom 31.05.1996 - 6 L 3564/93 -, juris) und einem Freizeit- und Eventcenter mit 293,85 qm Nutzfläche in einer ehemaligen Bahnhofsgaststätte (VGH München, Urteil vom 11.03.2009 - 15 BV 08.1306 -, juris) angenommen worden, während ein funktionaler Bezug zum Bahnbetrieb bei einem kleinen Laden, der mit Reiseutensilien und Reiseproviant handelt, für möglich gehalten wird (OVG Lüneburg, a.a.O.).

27

Die vom Antragsteller geplanten gewerblichen Nutzungen (u.a. Sports-Bar, Music-Lounge/Restaurant, Bistro, Kleinkunstbühne, Cocktail-Bar und Galerie) befinden sich in dem Empfangsgebäude des Bahnhofs und damit in unmittelbarer Nähe zu den Bahnanlagen. Eine funktionelle Beziehung zum Bahnbetrieb (Verkehrsfunktion) liegt eindeutig nicht vor.

28

Allein der Umstand, dass das Geschäftskonzept an das Interesse von Bahnreisenden anknüpft, um die Bahnfahrt und den Aufenthalt im Empfangsgebäude während der Wartezeiten angenehm zu gestalten, genügt nicht für einen Bahnbetriebsbezug. Auch ein Konflikt der beabsichtigten bahnfremden Nutzung mit bahnbetriebsspezifischen Nutzungen und dem Widmungszweck des Bahnhofs (Bahnbetrieb) ist nicht ersichtlich.

29

Das Konzept des Antragstellers sieht bauliche Änderungen für eine nachfolgende eindeutig bahnfremde Nutzung von Räumen im Bahnhofsgebäude vor mit der Folge, dass abweichend vom o.a. Grundsatz die Antragsgegnerin für das Vorhaben des Antragstellers für baupolizeiliche Maßnahmen sachlich zuständig ist, wenn es - wie hier - um die Einstellung von Bauarbeiten zur Aufnahme einer nicht genehmigten bahnfremden Nutzung geht.

30

c. Diese im Hinblick auf bahnfremde bauliche Maßnahmen und Nutzungen im Bahnhof S... begründete sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin besteht allerdings nur so lange, wie nicht die Standsicherheit (Statik) und der Brandschutz des gesamten Bahnhofsgebäudes in Frage gestellt sind. Denn dann würde das bahnfremde Bau- und Nutzungsvorhaben des Antragstellers bahnspezifische Funktionen des Bahnhofs als Bahnbetriebsanlage betreffen. In einem solchen Fall gilt vielmehr das Rechtsregime des § 18 AEG; die sachliche Zuständigkeit für bauaufsichtsrechtliche Maßnahmen bleibt - insoweit - bei dem nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 BEVVG für die Bauaufsicht über bahnbetriebsspezifische Betriebsanlagen der Eisenbahnen sachlich zuständigen Eisenbahn-Bundesamt.

31

Bei summarischer Betrachtung spricht einiges dafür, dass die vom Antragsteller ergriffenen Baumaßnahmen - so sein eigener Vortrag - in erheblichem Maße in die Statik des Gebäudes eingreifen. Auch die Antragsgegnerin hat schon frühzeitig statische Berechnungen vom Antragsteller gefordert und bsp. in einer Pressemitteilung u.a. reklamiert, dass die umfangreichen Bauarbeiten des Antragstellers die Statik des Gebäudes beeinflusst; zuletzt hat sie im Hinblick auf die statisch ungeprüften Baumaßnahmen des Antragstellers sogar mit einer Gefahr für Leib und Leben Dritter argumentiert. Das Eisenbahn-Bundesamt hat sich andererseits in Kenntnis des Sachverhaltes im Zusammenhang mit § 18 AEG unter dem Gesichtspunkt der Standsicherheit und des Brandschutzes des Gesamtgebäudes bisher nicht abschließend geäußert. Die in einer Besprechung mit der Antragsgegnerin am 22.06.2017 vom Eisenbahn-Bundesamt für bestimmte bauliche Maßnahmen des Antragstellers erörterte eigene Zuständigkeit nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BEVVG ist - wie bereits zuvor im Verlaufe des Verfahrens – von diesem erkennbar nicht effektiv und den in Rede stehenden erheblichen Gefahren entsprechend wahrgenommen worden.

32

Angesichts dessen ist dem Senat bei der hier gebotenen summarischen Betrachtung eine hinreichend gesicherte Beurteilung der Frage, ob die baulichen Maßnahmen des Antragstellers die Standsicherheit des Gebäudes in Frage stellen, nicht möglich, weil der Antragsteller nach Aktenlage weder mit seinem Genehmigungsantrag vom 28.09.2016 noch in der Folgezeit (einhergehend offenbar mit Planänderungen) alle für eine Genehmigung erforderlichen prüffähigen Unterlagen und - insbesondere - den erforderlichen Nachweis der Standsicherheit vorgelegt hat. Die Antragsgegnerin hat solche Unterlagen zwar mehrfach angefordert, ihre Aufforderungen jedoch ganz offensichtlich nicht mit dem gebotenen Nachdruck verfolgt; trotz einer ungenehmigten Fortführung der baulichen Maßnahmen ist zu keinem Zeitpunkt ein Zwangsmittel (Zwangsgeld o.ä.) ordnungsgemäß angedroht oder anschließend vollzogen worden. Auch das Eisenbahn-Bundesamt ist insoweit gegenüber dem Antragsteller untätig geblieben, obwohl es im Hinblick auf die mögliche Betroffenheit der Standsicherheit des Bahnhofs S... seine ihm (dann) obliegenden baupolizeilichen hoheitlichen Befugnisse wahrzunehmen hat und dazu auch nicht auf die als Bahnhofsbetreiber auftretende DB Station & Service AG, die insoweit keine behördlichen Befugnisse hat, verweisen darf.

33

Da die Frage einer Berührung der Standsicherheit des gesamten Gebäudes nicht abschließend beurteilt werden kann, muss die Frage nach der Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die ergriffenen baupolizeilichen Maßnahmen hier (noch) offen bleiben mit der Folge, dass auch die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache erhobenen Rechtsbehelfs als offen zu beurteilen sind.

34

4. Die nach den oben dargelegten Maßstäben in diesem Fall erforderliche allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen geht eindeutig zu Lasten des Antragstellers aus.

35

Der von den bisher gerade auch im Hinblick auf die statischen Auswirkungen für das Gesamtgebäude des Bahnhofs S... ungeprüften Baumaßnahmen ausgehenden Gefahr für Leib und Leben der Fahrgäste steht gegenüber, dass der Antragsteller es in der Hand hatte bzw. noch immer hat, sämtliche für eine Genehmigung bzw. den Nachweis der Standsicherheit erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Das hat er nicht getan. Die Folgen, die für ihn eintreten sind angesichts dessen, dass der von ihm begonnene Umbau des Bahnhofsgebäudes nach eigener Einlassung mit einem massiven Eingriff in die Gebäudesubstanz des Bahnhofs S... verbunden ist und er nach Aktenlage im Verlauf des Genehmigungsverfahrens weder bei dem Eisenbahn-Bundesamt noch bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde der Antragsgegnerin alle für eine Baugenehmigung erforderlichen und prüffähigen Unterlagen - insbesondere zum Nachweis der Statik des Gebäudes - vorgelegt hat, gering. Das gilt umso mehr, als der Antragsteller entgegen den Voraussetzungen des § 73 Abs. 6 LBO mit umfangreichen Bauausführungen begonnen hat, ohne im Besitz einer Baugenehmigung zu sein und diese anschließend unter Missachtung der verfügten Baueinstellung fortgeführt hat.

36

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

37

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

38

…       

…       

…       

Vizepräsident des OVG

Richter am OVG

Richterin am OVG


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