Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 MB 4/22

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer - vom 10. Januar 2022 geändert:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 30.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller sind geschäftsansässig (… … …) im Gebäude … … in C-Stadt. Sie haben Stellplätze in einem Parkhaus in der Straße … gemietet. Das Parkhaus grenzt rückseitig an das Haus … … an; es gibt einen direkten Zugang vom Kanzleigebäude in das Parkhaus. Die Antragsteller nutzen für die An- und Abfahrt mit ihren Kraftfahrzeugen regelmäßig die ….

2

Unter dem 21. Oktober 2021 erließ die Antragsgegnerin gegenüber dem Technischen Betriebszentrum AöR eine Verkehrsrechtliche Anordnung betreffend die Straßen …, …, …, …, …, … und … in C-Stadt. Im Wesentlichen werden mit der Anordnung folgende Änderungen zur Ordnung des Verkehrs vorgenommen:

3

- …: Umkehrung der Fahrtrichtung der Einbahnstraße im Nebenarm

4

- …: Beschränkung auf Anlieger-/Linien- und Radverkehr

5

- …: Aufhebung der Einbahnstraßenregelung

6

Am 27. Oktober 2021 ließ die Antragsgegnerin zur Umsetzung der Maßnahme an der Einmündung der … in den Straßenzug …/… sowie an der ZOB-Kreuzung die Verkehrszeichen 267 der Anlage 2 zu § 41 StVO (Verbot der Einfahrt) mit den Zusatzzeichen 1020-12 (Radfahrer und Anlieger frei) und 1026-32 (Linienverkehr frei) aufstellen.

7

Am 28. Oktober 2021 legten die Antragsteller Widerspruch gegen die Verkehrsrechtliche Anordnung ein, soweit damit für die … eine Beschränkung auf den Anlieger-/Linien- und Radverkehr und zu diesem Zweck die Beschilderung der Einmündungsbereiche der Rathausstraße mit dem Verkehrszeichen 267 der Anlage 2 zu § 41 StVO (Verbot der Einfahrt) angeordnet und mit der Aufstellung der Verkehrszeichen umgesetzt worden ist.

8

Am 28. Oktober 2021 haben sie um einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht nachgesucht.

9

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Januar 2022 antragsgemäß die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verkehrsrechtliche Anordnung vom 21. Oktober 2021, soweit mit dieser der zulässige Verkehr in der … in C-Stadt auf Fahrrad-, Anlieger- und Linienverkehr beschränkt wird, und gegen die an den Einmündungen der Straßenzüge …/… und …/… in die … aufgestellten Verkehrszeichen 267 gemäß Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO (Verbot der Einfahrt) mit den Zusatzzeichen 1020-12 (Radfahrer und Anlieger frei) und 1026-32 (Linienverkehr frei) angeordnet. Zugleich hat das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin aufgegeben, diese aufgestellten Verkehrszeichen zu entfernen oder durch geeignete Maßnahmen als zurzeit nicht geltend zu kennzeichnen.

10

Zur Begründung hat das Verwaltungsgerichts ausgeführt, die Verkehrsrechtliche Anordnung vom 21. Oktober 2021 stelle sich hinsichtlich der Beschränkung des Verkehrs in der Rathausstraße auf Fahrrad-, Anlieger- und Linienverkehr als offensichtlich rechtswidrig dar. Die Beschränkung sei nicht durch die Rechtsgrundlage gedeckt. Die erforderliche, auf den besonderen örtlichen Verhältnissen beruhende konkrete Gefahr, bei der die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts das allgemeine Risiko deutlich übersteige, liege nicht vor. Die ordnende Wirkung der verfügten Maßnahmen suche die Antragsgegnerin im Wesentlichen mit den Erkenntnissen des verkehrsplanerischen Gutachtens zu belegen, wonach der Knotenpunkt …-… ebenso wie der Kotenpunkt …-… in den Nachmittagsstunden die Kapazitätsgrenze erreiche. Hieraus ziehe die Antragsgegnerin den Schluss, die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems sei nicht mehr gegeben. Dieser Begründungsansatz vermöge die Verkehrsrechtliche Anordnung, soweit sie von den Antragstellern angegriffen werde, nicht zu tragen. Die Antragsgegnerin habe keine belastbaren Tatsachen vorgetragen, wonach gerade die Beschränkung des zulässigen Verkehrs in der … auf den Fahrrad-, Anlieger- und Linienverkehr aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich sei. Die Antragsgegnerin spreche in der Anordnung selbst von einer vergleichsweise unauffälligen Unfalllage, die die Maßnahmen nicht rechtfertigen könnten.

11

Die Antragsgegnerin hat am 21. Januar 2022 Beschwerde eingelegt, welche sie am 7. Februar 2022 begründet hat.

II.

12

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach Maßgabe der dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) sind der Antrag zu 1. (nachfolgend 1.) und der Antrag zu 2. (nachfolgend 2.) aus der Antragsschrift vom 28. Oktober 2021 zwar zulässig, aber unbegründet.

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1. Der Antrag zu 1. ist zulässig (a.), aber unbegründet (b.).

14

a) Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Der Widerspruch der Antragsteller gegen die Verkehrsrechtliche Anordnung vom 21. Oktober 2021 hat in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.11.1977 – VII B 135.77 –, juris Rn. 4).

15

Die Beschränkung des Widerspruchs und demzufolge auch des Eilantrages auf die Maßnahmen der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021, welche die Beschränkung der Rathausstraße betreffen, ist zulässig. Ob der von den Antragstellern angegriffene Bestandteil der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 isoliert aufgehoben werden kann, die Anordnung also ohne diesen Teil sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des mit dem Anfechtungswiderspruch verfolgten Aufhebungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.01.1989 – 7 C 31.87 –, juris Rn. 9). Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.

16

Die Antragsteller sind analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Zur Bejahung der Klagebefugnis reicht es aus, dass ein Verkehrsteilnehmer Adressat eines belastenden Verwaltungsakts in Form eines verkehrsbehördlich angeordneten Ge- oder Verbots geworden ist; das Erfordernis nachhaltiger bzw. regelmäßiger Betroffenheit lässt sich § 42 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen (BVerwG, Urt. v. 21.08.2003 – 3 C 15.03 –, juris Rn. 13). Die Antragsteller, die im … … geschäftsansässig sind, sind Adressaten der Beschränkung der Nutzung der … auf den Anlieger-/Linien- und Radverkehr. Die Antragsteller machen geltend, sie müssten aufgrund der Beschränkung längere Wege zu und von ihren angemieteten Stellplätzen in einem Parkhaus in der Straße … zurücklegen.

17

Die Antragsbefugnis der Antragsteller entfällt nicht deshalb, weil die Benutzung der … für den Anliegerverkehr frei bleibt. Vom Anliegerbegriff werden diejenigen Verkehrsteilnehmer erfasst, die Eigentümer oder Nutzungsberechtigte eines Grundstücks sind, welches an der Straße „anliegt“. Darüber hinaus ist auch der Verkehr mit Anliegern geschützt; zu einem Verkehr mit einem Anlieger sind alle Personen berechtigt, die zu ihm Beziehungen irgendwelcher Art unterhalten oder anknüpfen wollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.2000 – 3 C 14.99 –, juris Rn. 21).

18

Die Antragsteller sind nicht Anlieger der …. Das Ziel bzw. der Ausgangspunkt ihrer Fahrten durch die … liegen in der Straße …, die von der Verkehrsbeschränkung ausgenommen ist.

19

b) Der Antrag ist unbegründet.

20

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs hat zu erfolgen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Im Rahmen dieser Abwägung finden vor allem die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei einer summarischen Prüfung Berücksichtigung. Ist der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtswidrig, überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse, ist er hingegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in der Regel das Vollziehungsinteresse. Lässt sich bei der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides feststellen, bedarf es zur Entscheidung einer weiteren Interessenabwägung. Diese Abwägung zwischen Aussetzungs- und Vollziehungsinteresse erfordert eine Gegenüberstellung der Folgen, die eintreten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (Beschl. d. Senats v. 19.01.2022 – 5 MR 11/21 –, juris Rn. 35; OVG Schleswig, Beschl. v. 02.04.2020 – 3 MB 8/20 –⁠, juris Rn. 24).

21

Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung wird der Widerspruch der Antragsteller gegen die Verkehrsrechtliche Anordnung vom 21. Oktober 2021 voraussichtlich nicht erfolgreich sein.

22

Rechtsgrundlage der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 ist § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 3 StVO.

23

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften ergibt sich, dass § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, der spezielle Bestimmungen für Beschränkungen des fließenden Verkehrs trifft, die allgemeine Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO zwar modifiziert und konkretisiert, aber nicht ersetzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.04.2001 – 3 C 23.00 –⁠, juris Rn. 21 zu § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO a.F.).

24

aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind erfüllt.

25

Inwieweit im konkret zu entscheidenden Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO vorliegen, wonach eine Gefahrenlage bestehen muss, die – erstens – auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und – zweitens – das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter erheblich übersteigt, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalles (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.01.2018 – 3 B 58.16 – juris Rn. 22).

26

„Besondere örtliche Verhältnisse“ im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO können bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.01.2018 – 3 B 58.16 – juris Rn. 21; Urt. v. 23.09.2010 – 3 C 37.09 –, juris Rn. 26).

27

Eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in § 45 StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt, liegt nicht erst dann vor, wenn ohne ein Handeln der Straßenverkehrsbehörde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zusätzliche Schadensfälle zu erwarten wären. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO setzt nur – aber immerhin – eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht. Die Beantwortung der Frage, ob eine solche qualifizierte Gefahrenlage besteht, bedarf einer Prognose (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.2010 – 3 C 37.09 –, juris Rn. 27 f.).

28

Zu den nach § 45 StVO geschützten Rechtsgütern zählen (vgl. Abs. 1 Satz 1) die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs. Hierzu gehört auch die Leichtigkeit des Verkehrs, zu deren Schutz der § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO gemäß seiner Ermächtigungsgrundlage (§ 6 Abs. 1 StVG; hierzu König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, Einleitung Rn. 6) gestattet, Verkehrsbeschränkungen anzuordnen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.04.1980 – 7 C 19.78 –, juris Rn. 22; OVG Bremen, Beschl. v. 10.11.1998 – 1 BA 20/97 –, juris Rn. 30; König, a.a.O., StVO, § 45 Rn. 28). Dies ergab sich früher ausdrücklich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO in der Fassung vom 29. März 1956 (BGBl. I S. 327, 329: „Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen aus Gründen der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs beschränken oder verbieten.“). Diese Vorschrift hat § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, bei der der Begriff „Leichtigkeit“ des Verkehrs durch den Begriff „Ordnung“ des Verkehrs ersetzt worden ist, ohne Änderung ihres Sinngehalts übernommen (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 22; BVerwG, Beschl. v. 07.01.1974 – VII B 32.73 –, Verkehrsrechtssammlung Band 46, 237).

29

„Besondere örtliche Verhältnisse“ in dem von der streitgegenständlichen Anordnung betroffenen Bereich begründen eine das allgemeine Verkehrsrisiko erheblich übersteigende Gefahrenlage im Hinblick auf die durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO geschützte Leichtigkeit (Ordnung) des Verkehrs.

30

Ausweislich der Begründung der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 (S. 1) treffen an dem verkehrsstarken Knotenpunkt …-…-… (Knoten 1) zahlreiche Wegeverbindungen und unterschiedliche Verkehrsträger/-arten auf vergleichsweise engem Raum aufeinander. Neben dem motorisierten Individualverkehr wird in größerem Umfang auch öffentlicher Personennahverkehr abgewickelt, da sich hier auch der Zentrale Omnibusbahnhof als zentraler Umsteigepunkt befindet. U.a. daraus resultierend finden hier auch Fußgängerverkehre in größerem Umfang statt. Darüber hinaus verläuft hier eine Hauptroute des Radverkehrs. Bedingt durch ein anliegendes Polizeirevier (Polizeidirektion C-Stadt, … …) fließen Einsatzfahrten der Polizei ebenso über diesen Knoten ab wie der Quellverkehr aus einem Parkhaus mit insgesamt 490 PKW-Stellplätzen (Parkhaus … …). Zwischen dem Knoten 1 und dem benachbarten Knotenpunkt …-…-… (Knoten 2) sind Aus- und Wechselwirkungen zu verzeichnen.

31

Im Zuge der Erstellung des Verkehrsgutachtens „Parkhaus … … in C-Stadt“ (Planersocietät, Mai 2020) wurde eine Leistungsfähigkeitsuntersuchung nach dem Handbuch zur Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS 2015, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V.) durchgeführt. Danach spitzt sich die leistungsfähige Abwicklung des Verkehrs nachmittags zu; die Knoten 1 und 2 weisen nur noch die Qualitätsstufe E auf. Das bedeutet, dass ständige gegenseitige Behinderungen zwischen den Verkehrsteilnehmern auftreten. Die Bewegungsfreiheit ist nur in sehr geringem Umfang gegeben. Geringfügige Verschlechterungen der Einflussgrößen können zum Zusammenbruch des Verkehrsflusses führen. Der Verkehr bewegt sich im Bereich zwischen Stabilität und Instabilität. Die Kapazität wird erreicht (Verkehrsgutachten, S. 14). Relevant sind hier vor allem die Links- und Rechtsabbieger aus dem Knoten …-…-… (Knoten 1) und am Knoten 2 (…-…-…) die beiden Linksabbieger aus … in Richtung Hafendamm (Verkehrsgutachten, S. 14 f. mit Abbildung 7).

32

Nach der Begründung der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 (S. 2) ist in den Spitzenstunden festzustellen, dass es zu Verzögerungen und Rückstaus in den Knotenbereichen und der Ausfahrt des Parkhauses kommt (nach dem Verkehrsgutachten, S. 15, stößt der Knoten 1 aufgrund der Rückstaulängen in der Einbahnstraße an seine Kapazitäten). Rückstaus verhindern u.a. mit Folgen für die Fahrplaneinhaltung regelmäßig das Ein-/Abfahren zum/vom ZOB. Insgesamt überlagern sich die Nutzungsansprüche aller Verkehrsteilnehmer an und um den Knoten 1 bereits heute so stark, dass die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems teilweise nicht mehr gegeben ist.

33

Hiervon ausgehend kann bereits eine nur geringfügige Zunahme des Verkehrs zu einem Zusammenbruch des Verkehrsflusses führen. Es besteht demnach eine Gefahrenlage für die Leichtigkeit (Ordnung) des Verkehrs, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung erheblich übersteigt.

34

Mit der Umsetzung der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 wird zwar auch eine Erhöhung der Sicherheit erreicht. Denn aufgrund der Entspannung der verkehrlichen Gesamtsituation am Knoten 1 (u.a. Wegfall von Fahrtbeziehungen des Kfz-Verkehrs) erfahren die querenden Fußgänger und Radfahrer eine Attraktivierung der Wegebeziehungen und eine Stärkung der Verkehrssicherheit (Verkehrsgutachten, S. 18). Die Antragsgegnerin weist indes selbst darauf hin, dass die Erhöhung der Verkehrssicherheit (allein) angesichts der im gesamten Betrachtungsbereich vergleichsweise unauffälligen Unfalllage die Maßnahmen nicht rechtfertigen kann (Verkehrsrechtliche Anordnung vom 21. Oktober 2021, S. 3).

35

bb) Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen verbleibt der Behörde für ihre Entscheidung, ob und wie sie eingreifen will, nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO („Die Straßenverkehrsbehörden können“) ein Ermessensspielraum, der nur beschränkt gerichtlich nachprüfbar ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.03.1990 – 3 B 25.90 –, juris Rn. 3).

36

Die Antragsgegnerin hat ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

37

§ 45 Abs. 1 StVO gibt mit der Formulierung „aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs“ zugleich den Zweck des Ermessens normativ vor (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 10.11.1998 – 1 BA 20/97 –, juris LS und Rn. 42). Die Vorschrift ermächtigt daher nur zur Abwehr von Gefahren, die den Straßenverkehr selbst betreffen. So deckt sie z.B. – wie vorliegend – Verkehrslenkungsmaßnahmen zum Zwecke der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 25.08.1992 – 4 L 3/92 –, juris Rn. 34).

38

Das Verkehrsgutachten „Parkhaus … … in C-Stadt“ (S. 28) hat in einer Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen verkehrlichen Auswirkungen der untersuchten Varianten die Variante 1, bei der die Einbahnstraße … gedreht, die … für den Durchgangsverkehr gesperrt und die Straße … für den Beidrichtungsverkehr geöffnet werden soll, als priorisierte alternative Verkehrsführung empfohlen. Dieser Empfehlung ist die Antragsgegnerin in der Verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 gefolgt; sie geht davon aus, dass mit der Umsetzung der Variante eine nachhaltig leistungsfähige Verkehrsführung im Betrachtungsbereich ohne unverhältnismäßige Einschränkungen für Verkehrsteilnehmer und Anwohner zu erwarten ist. Diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden.

39

Bei den verkehrlichen Auswirkungen auf das umliegende und weitergehende Straßennetz erwartet die Antragsgegnerin – anknüpfend an die Modellbetrachtung im Verkehrsgutachten „Parkhaus … … in C-Stadt“ (S. 18 ff.) –, dass sich die abnehmenden Verkehre von der Rathausstraße und dem … verträglich auf die Achsen Toosbüystraße-Schiffbrücke-Norderhofenden sowie Schützenkuhle-Friedrich-Ebert-Straße-Süderhofenden verlagern werden. Darüber hinaus könne von einer zumindest teilweisen Verlagerung von Verkehren auf den Tangentenring ausgegangen werden. Die im … zu erwartende zunehmende Verkehrsbelastung sei vertretbar und für den von der Beschränkung der … betroffenen Durchgangsverkehr stünden mit den genannten Achsen geeignete Ausweichrouten zur Verfügung.

40

Die Antragsgegnerin war im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens nicht dazu verpflichtet, der Variante 2, bei der die … als Einbahnstraße in westlicher Richtung ausgewiesen wird und somit für alle Verkehre in Richtung … freigegeben wird, den Vorzug zu geben. Denn die Entspannung der Gesamtsituation am Knoten 1 wäre bei der Variante 2 deutlich geringer als bei Variante 1, da die Fahrtmöglichkeit in die … hinein weiterhin gegeben wäre (vgl. Verkehrsgutachten, S. 22).

41

Die Antragsgegnerin musste die Sperrung der Rathausstraße für den Durchgangsverkehr nicht auf nachmittags beschränken. Zum einen – hierauf hat die Antragsgegnerin erstinstanzlich in ihrer Antragserwiderung vom 19. November 2021 (S. 5) zutreffend hingewiesen – kann die Überlagerung von Linienverkehr und Polizeieinsatzfahrten unabhängig von der Tageszeit aufgrund der jeweils vorhandenen Verkehrszahlen zu Rückstau und Behinderung des fließenden Verkehrs führen. Zum anderen dürfte eine zusätzliche Regelung in Form einer zeitlichen Vorgabe über die vorhandenen Verkehrszeichen hinaus für die Verkehrsteilnehmer schwer wahrnehmbar und nachzuvollziehen sein (vgl. zum Sichtbarkeitsgrundsatz BVerwG, Urt. v. 13.03.2008 – 3 C 18.07 –, juris Rn. 11).

42

Die Sperrung des Verkehrs in der Rathausstraße für den Durchgangsverkehr überschreitet schließlich nicht die Grenzen des Ermessens, weil es – wie die Antragsteller meinen – einer vorherigen Teileinziehung gemäß § 8 StrWG bedurft hätte. Dies ist nicht der Fall; ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Straßenrechts liegt nicht vor.

43

Der Vorbehalt des Straßenrechts behält die Bestimmung der zulässigen Nutzung auf der öffentlichen Straße der straßenrechtlichen Widmung vor. Eine unzulässige Einschränkung der Widmung liegt vor, wenn nach der Widmung zulässige Nutzungsarten dauerhaft ausgeschlossen werden (vgl. Hoefer, in: Wilke/Gröller, StrWG, Stand: 3.2020, § 1 Rn. 14). Das Straßenverkehrsrecht lässt aber Maßnahmen zu, die den widmungsrechtlich zugelassenen Verkehr einschränken (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1993 – 11 C 38.92 –, juris Rn. 10). So liegt es hier. Eine Sperrung für den Durchgangsverkehr – der Anliegerverkehr bleibt zulässig – ist eine Maßnahme der Verkehrsregelung, welche nicht durch (Teil-)Einziehung bewirkt werden kann (vgl. Gröller, in: Wilke/Gröller, a.a.O., § 8 Rn. 46).

44

2. Angesichts des Umstandes, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO unbegründet ist, hat auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO (Antrag zu 2. aus der Antragsschrift vom 28. Oktober 2021) keinen Erfolg (vgl. zum unselbständigen Annexverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO: VGH Kassel, Urt. v. 07.03.2011 – 8 B 217/11 –, juris Rn. 21).

45

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG (6 x 5.000 €).

46

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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