Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - 2 B 18/11

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 7. Januar 2011 – 10 L 12/11 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin, marokkanische Staatsangehörige, reiste illegal am 4.6.2010 ins Bundesgebiet ein und stellte unter dem 24.6.2010 einen an das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 66822 Lebach“ adressierten Antrag auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 VII 1 AufenthG, der bei dem Antragsgegner eingereicht wurde. Begründet wurde er damit, dass sie mit dem Deutschen B verlobt sei, der bei seinem Besuch in Marokko von zwei ihrer Brüder massiv bedroht worden und daraufhin ausgereist sei. Sie selbst sei ab diesem Zeitpunkt von ihren Brüdern, die streng gläubige Moslems seien, geschlagen und mit dem Tode bedroht worden, da sie sich mit einem Nichtmoslem verlobt habe. Aufgrund dieser Drohungen habe sie Marokko verlassen und sie sei zu ihrem Verlobten gekommen. Sie könne nicht mehr ins Heimatland zurück, da sie dort um ihr Leben fürchten müsse. Im Übrigen sei beabsichtigt, schnellstmöglich die Ehe zu schließen und eine ehebedingte Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.

Daraufhin befragte der Antragsgegner die Antragstellerin am 1.7.2010 auf der Grundlage eines Fragenkatalogs zu ihren Gründen und beteiligte unter dem 2.7.2010 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – nachfolgend: Bundesamt - gemäß § 72 II AufenthG am Verfahren, das mit Schreiben vom 3.8.2010 mitteilte, dass unter Zugrundelegung der übersandten Unterlagen und der Bewertung der von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 VII 1 AufenthG anzunehmen seien. Dies teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Schreiben vom 19.8.2010 mit und gab ihr Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Ablehnung ihres Antrags zu äußern; auf Wunsch der Antragstellerin übersandte er ihr die Stellungnahme des Bundesamtes unter dem 31.8.2010. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 1.10.2010, mit dem sie auch unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert wurde, legte die Antragstellerin am 29.10.2010 Widerspruch ein, für den sie eine gesonderte Begründung ankündigte; gleichzeitig beantragte sie – mit einem weiteren Schreiben - die Erteilung einer „ehebedingten“ Aufenthaltserlaubnis. In der Folge äußerte sie sich – ohne Bezugnahme auf ihren Widerspruch – zur beabsichtigten Eheschließung, für die noch nicht alle Unterlagen vorlägen.

Ein Versuch des Antragsgegners, die Antragstellerin, die sich nach ihrer und der Erklärung ihres Verlobten bei diesem aufhält, abzuschieben, scheiterte am 8.11.2010, da sie an dessen gemeldetem Wohnsitz nicht angetroffen wurde. Nach Erklärung dort wohnhafter Familienangehöriger des Verlobten erhalte er an diese Anschrift lediglich ab und zu Post, wohne aber seit langem in Frankreich.

Nachdem der Widerspruch der Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2010 zurückgewiesen worden war, erhob sie am 17.12.2010 Klage gegen den Antragsgegner auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 VII 1 AufenthG.

Der am 5.1.2011 gestellte Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung ihrer Abschiebung unter Hinweis darauf, dass bis auf den beim Antragsgegner aufbewahrten Reisepass alle Unterlagen für ihre Eheschließung beim Standesamt A-Stadt vorlägen, blieb beim Verwaltungsgericht ohne Erfolg.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 7.1.2011 – 10 L 12/11 -, mit dem ihr Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig von Abschiebemaßnahmen gegen sie abzusehen und ihr den einbehaltenen Reisepass zur Vorlage beim Standesamt auszuhändigen, zurückgewiesen wurde, ist nicht begründet.

Zur Begründung der Beschwerde hat die Antragstellerin im Wesentlichen vorgetragen, ihr stehe ein Duldungsanspruch mit Blick auf ihre beabsichtigte Eheschließung mit ihrem deutschen Verlobten zu. Dem Standesamt A-Stadt lägen alle von ihr und ihrem Verlobten zu beschaffenden Urkunden vor. Sie seien auch dort bereits geprüft und an das Oberlandesgericht weitergeleitet worden. Ihr Reisepass befinde sich beim Antragsgegner und könne somit dem Standesamt ebenfalls vorgelegt werden. Der Vollzug der Eheschließung könne deshalb in Kürze erfolgen und hänge nur noch von innerstaatlichem Handeln ab. Soweit sie auch Abschiebungsschutz im Hinblick auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 VII 1 AufenthG begehre, sei darauf hinzuweisen, dass sie einen entsprechenden Antrag bereits am 24.6.2010 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gerichtet habe, ein Bescheid aber noch nicht vorliege.

Auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung, die den Umfang der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 IV 6 VwGO festlegt, kann der Anordnungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg haben; zur Begründung kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden.

Die vollziehbar ausreisepflichtige Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 I 1 VwGO glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung unter dem – hier allein in Betracht kommenden - Aspekt einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a II 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 I GG nach Aktenlage nicht zu. Denn ein solcher Anspruch setzt über das Bestehen – vorliegend nicht in Zweifel stehender – ernsthafter Heiratsabsichten der Antragstellerin und ihres deutschen Verlobten hinaus voraus, dass durch die drohende Abschiebung der Antragstellerin die durch Art. 6 I GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit der Verlobten in unverhältnismäßiger Weise beschränkt würde, weil nämlich die beabsichtigte Eheschließung unmittelbar bevorsteht. Von einer unmittelbar bevorstehenden Eheschließung kann nach der Rechtsprechung des Senats( Vgl. etwa OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 30.4.2008 – 2 B 214/08 -, vom 26.11.2007 – 2 B 461/07 -, vom 7.12.2006 – 2 W 33/06 – und vom 24.9.2003 – 2 W 58/03 –) grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn die Verlobten alles in ihrer Macht Stehende getan haben, um eine Eheschließung zu erreichen. Vorliegend haben die Verlobten zwar offensichtlich alle von ihnen bislang geforderten Dokumente beschafft. Nach telefonischer Auskunft des zuständigen Standesamts vom 18.3.2011 gegenüber dem Senat( Vgl. den den Beteiligten bekannt gegebenen Aktenvermerk vom 18.3.2011, Bl. 60 Gerichtsakte) hat das Oberlandesgericht jedoch bei der bereits eingeleiteten Prüfung dieser Dokumente im Rahmen der beantragten Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses (§§ 1309 BGB, 12 III PStG) vorab mitgeteilt, dass weiterer Prüfungsbedarf hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der in Marokko erfolgten Scheidung der Antragstellerin bestehe; Einzelheiten seien einem nachfolgenden Schreiben zu entnehmen. Hierzu hat die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 24.3.2011 ausgeführt, dass das Standesamt ausweislich eines geführten Telefonats mit dem Eingang dieses Schreibens kommende Woche rechne. Es gehe „nach Meinung“ der Standesbeamtin darum, dass die Antragstellerin wohl persönliche Erklärungen beim Standesamt abgeben müsse, nachdem ihr Verlobter bisher in Vollmacht gehandelt habe. Sie werde deshalb sofort nach Erhalt des Schreibens des OLG beim Standesamt vorsprechen. Aus diesen Mitteilungen des Standesamtes lässt sich jedoch nicht zuverlässig auf die von den Verlobten noch zu erfüllenden Anforderungen schließen. Zudem spricht mit Blick auf die frühere Ehe und konkrete Scheidung der Antragstellerin alles dafür, dass die beantragte Entscheidung über die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses – anders als bei ledigen Ausländern – keinesfalls eine reine „Formsache“ darstellt, sondern eine eingehende Prüfung der Rechtswirksamkeit der Scheidung erfordert. Da die Prüfungsdauer nicht nur vom Zeitpunkt der Abgabe, sondern auch vom Inhalt der dann konkret von der Antragstellerin geforderten Erklärungen und der dadurch ggf. aufgeworfenen Probleme einschließlich eventuell benötigter weiterer Dokumente abhängt, kann jedenfalls nicht von einer kurzfristig durchführbaren Eheschließung ausgegangen werden; diese ist vielmehr derzeit noch nicht absehbar.

Des Weiteren steht der Antragstellerin auch kein Abschiebungsschutz im Hinblick auf ihren Vortrag, dass sie ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 VII 1 AufenthG begehre und einen entsprechenden Antrag unter dem 24.6.2010 bereits an das Bundesamt auf Feststellung gerichtet habe, der noch nicht beschieden sei, zu. Ihrer Abschiebung steht insofern keine asylrechtliche Aufenthaltsgestattung im Sinne des § 55 I AsylVfG entgegen. Insofern ist festzustellen, dass der Antragsgegner diesen zwar an das Bundesamt adressierten, jedoch bei ihm eingegangenen Antrag( Bl. 88 Ausländerakte) nicht als Asylgesuch im Sinne des § 13 AsylVfG angesehen und ihn daher nicht an das Bundesamt weitergeleitet (vgl. § 14 II 2 AsylVfG), sondern die Antragstellerin selbst angehört, sodann das Bundesamt gemäß § 72 II AufenthG beteiligt und auf der Grundlage der von diesem abgegebenen Stellungnahme über den Antrag – negativ - entschieden hat. Ob der Antragsgegner oder – wie das Verwaltungsgericht meint – das Bundesamt für die Entscheidung über den von der Antragstellerin gestellten Antrag zuständig ist, hängt indes maßgeblich von der Frage ab, ob sie damit materiell ein Asylgesuch im Sinne des § 13 AsylVfG gestellt hat; ein „Wahlrecht“ des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland besteht nicht.(BVerwG, Beschluss vom 3.3.2006 – 1 B 126/05 –) Der Ausländerbehörde bleibt eine selbstständige Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz verwehrt, wenn die geltend gemachte zielstaatsbezogene Gefährdung thematisch dem Bereich der politischen Verfolgung zuzuordnen ist und daher gegebenenfalls, wenn sich eine entsprechende Rückkehrgefährdung im konkreten Fall tatsächlich feststellen ließe, ein Abschiebungsverbot nach § 60 I AufenthG begründen würde.(Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 1.2.2007 – 2 W 37/06 -) Berufen hat die Antragstellerin sich auf ernsthafte Todesdrohungen seitens zweier Brüder in Marokko wegen ihrer Verlobung mit einem Nichtmoslem. Ob damit die Frage politischer Verfolgung im Sinne des § 60 I 4 lit.c AufenthG angesprochen ist, hängt außer von der Anknüpfung der mutmaßlichen Verfolgung an ein asylerhebliches Merkmal davon ab, ob die Antragstellerin auch geltend macht, dass diese Verfolgung durch „nichtstaatliche Akteure“ dem – marokkanischen – Staat aufgrund fehlender staatlicher Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit zuzurechnen sei und in ihrem Heimatland keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Hierzu lässt sich dem Vortrag der Antragstellerin – auch nachdem sie durch die ihr übermittelte Stellungnahme des Bundesamts darauf hingewiesen wurde, dass sie im städtischen Bereich den Nachstellungen ihrer Brüder entgehen könne - nichts entnehmen. Aber auch wenn es sich bei ihrem Antrag um ein Asylgesuch gemäß § 13 AsylVfG handelte, stünde dies – nach Ablauf der zweiwöchigen gesetzlichen Aufenthaltsgestattung ( vgl. § 67 I Nr. 2 AsylVfG) - jedenfalls solange ihrer Abschiebung nicht entgegen, wie sie noch keinen förmlichen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylVfG gestellt hat, durch den die Aufenthaltsgestattung wieder in Kraft tritt (vgl. § 67 II AsylVfG).

Angesichts des Fehlens eines Anordnungsanspruchs kann das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dahinstehen.

Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 II VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II, 53 III, 52 II, 47 GKG, wobei eine Halbierung des in Ansatz zu bringenden Auffangstreitwerts gerechtfertigt ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

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