Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 29. März 2019 – 3 K 1102/18 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens trägt die Beklagte.
Gründe
I.
Der 1996 geborene Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2), seine Tochter, sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Die Kläger reisten im Mai 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten Asylanträge.
Bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrags gab der Kläger zu 1) unter anderem an, er habe 2014 Abitur gemacht und anschließend Biologie studiert. Er habe mit der gesamten Familie im August 2017 Syrien wegen des Bürgerkriegs und der unsicheren Lage verlassen. Es habe jeden Tag Explosionen gegeben. Er, seine Frau B. A., eine weitere Tochter und die Schwiegereltern hätten sich etwa fünf bis sechs Monate in Bulgarien aufgehalten. Dort sei ihm der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden. Sie hätten keinerlei Unterstützung erhalten und Arbeit habe es dort nicht gegeben. Er wolle in Deutschland sein Studium fortsetzen und sich nicht am Krieg in Syrien beteiligen.
Die Ehefrau des Klägers zu 1) beziehungsweise Mutter der Klägerin zu 2) führt ein gesondertes Asylverfahren (vgl. hierzu das beim Senat anhängige Verfahren 2 A 324/19).
Im Juli 2018 lehnte die Beklagte die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab und verneinte das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote. Gleichzeitig wurden die Kläger zur Ausreise aufgefordert und ihnen für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Bulgarien angedroht.(vgl. den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24.7.2018 – 7500789-475 –) In dem Bescheid heißt es unter anderem, die derzeitigen humanitären Bedingungen in Bulgarien begründeten auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände im Falle der Kläger keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung. Die Lebensbedingungen für Personen mit anerkanntem Schutzstatus seien ausreichend. Der Lebensstandard in Bulgarien und die wirtschaftliche Situation der einheimischen Bevölkerung unterschieden sich von den Verhältnissen in Deutschland. Bulgarien zähle zu den ärmsten Ländern der Europäischen Union. Für aus dem Ausland zurückkehrende Schutzberechtigte sei die Inanspruchnahme von „Zentren für temporäre Integration“ möglich, die übergangsweise als Unterkünfte dienen könnten und eine soziale Beratung anböten. Zusätzlich gebe es in Sofia zwei kommunale „Krisenzentren“ mit insgesamt 170 Plätzen für die Unterbringung Bedürftiger während der Wintermonate. Der Wohnungsmarkt werde durch die relativ geringe Zahl in Bulgarien bleibender Schutzberechtigter nicht überfordert und sei inzwischen nicht mehr bedenklich. Die individuelle Unterbringung sei Sache der Kommunen. Mit der Unterzeichnung einer „Integrationsvereinbarung“ entstehe eine Verpflichtung auf der Grundlage der für 2014 bis 2020 beschlossenen „Nationalen Integrationsstrategie“. Vor dem Hintergrund fehle es an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass die Kläger im Falle ihrer Rückführung nach Bulgarien unmittelbar von existenzbedrohender Obdachlosigkeit betroffen wären. Dass die praktische Ausführung gesetzlicher Integrationsangebote faktischen und finanziellen Schwierigkeiten begegne, könne allein eine menschenunwürdige Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK nicht begründen. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass mehrere Nichtregierungsorganisationen, beispielsweise das bulgarische Rote Kreuz, das Bulgarian Helsinki Committee (BHC) oder die Caritas „in Abhängigkeit von der Finanzierung“ in einzelnen Projekten Integrationsarbeit leisteten. Zwar werde durch einzelne Projekte die fehlende Integrationspolitik des bulgarischen Staats nicht ersetzt; allerdings könnten die Integrationsleistungen mehrerer nichtstaatlicher Organisationen in ihrer Gesamtheit dieses Fehlen in hinreichender Weise kompensieren und sicherstellen, dass die elementaren Bedürfnisse für die erste Zeit befriedigt werden könnten.
Im August 2018 haben die Kläger Klage, beschränkt auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) bezüglich Bulgariens, erhoben.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage im März 2019 entsprochen und die Beklagte unter Verweis auf ein textlich ausführlich wiedergegebenes Urteil des Senats vom November 2018(vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 26.11.2018 – 2 A 155/18 –) verpflichtet, im Falle der Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgariens festzustellen. In den Entscheidungsgründen heißt es weiter, der vorliegende Fall biete keine Anhaltspunkte, die Situation der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Bulgarien anders zu beurteilen.
Die Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil.
II.
Dem nach § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylG statthaften Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29.3.2019 – 3 K 1102/18 –, mit dem sie unter teilweiser Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 24.7.2018 verpflichtet wurde, im Falle der Kläger das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK hinsichtlich Bulgariens festzustellen, ist nicht zu entsprechen.
Das den Prüfungsumfang im Zulassungsverfahren begrenzende umfangreiche Vorbringen in der Begründung des Antrags (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) gebietet nicht die von der Beklagten begehrte Zulassung des Rechtsmittels wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Die Rechtssache hat erkennbar keine grundsätzliche Bedeutung. Das ist allgemein nur der Fall, wenn sie eine im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
Nach diesen Maßstäben lässt sich dem Antragsvorbringen der Beklagten keine in dem angestrebten Berufungsverfahren weiter klärungsfähige Grundsatzfrage entnehmen. Insoweit hält sie eine obergerichtliche Klärung für erforderlich,
„ob (weiterhin) generell allen nach Bulgarien zurückkehrenden dort Schutzberechtigten derart schwere Nachteile drohen, dass eine Abschiebung dorthin ausgeschlossen ist.“
Der Senat hat zwar in mehreren Urteilen entschieden, dass einer Abschiebung anerkannt Schutzberechtigter nach Bulgarien mit Blick auf die dortige Situation das von den jeweiligen Klägerinnen und Klägern geltend gemachte nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegensteht und dass die Betroffenen dann einen Anspruch gegen die Beklagte (Bundesamt) auf entsprechende Feststellung haben.(vgl. dazu OVG des Saarlandes, Urteile vom 19.4.2018 – 2 A 737/17 –, AuAS 2018, 131, und 2 A 1102/17 –, bei juris) Die Entscheidungen des Senats gehen im Grundsatz davon aus, dass die Abschiebung dort anerkannter Schutzberechtigter nach Bulgarien gegenwärtig regelmäßig eine sehr ernstzunehmende Möglichkeit der Verelendung wegen Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit und fehlender staatlicher Unterstützung zur Folge hat, und dass der bulgarische Staat dieser Situation abgesehen von rein legislativen Vorgaben gleichgültig gegenübersteht. Desungeachtet ist nach der Rechtsprechung des Senats immer der Einzelfall in den Blick zu nehmen und gegebenenfalls im Ergebnis anders zu beurteilen. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein anerkannter Schutzberechtigter einzelfallbezogen auf besondere Umstände und Möglichkeiten für seine Integration in Bulgarien zurückgreifen kann. Die Frage, ob für einen in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigen bei der Rückkehr eine Situation besteht, in der der Schutzbereich des Art. 3 EMRK in einem generell nicht mehr zumutbaren Ausmaß beeinträchtigt ist, ist einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zugänglich, weil die Bewertung, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat, hier in Bulgarien, drohenden Gefahren ein "Mindestmaß an Schwere" erreichen, von einer Vielzahl individueller Umstände und Faktoren wie etwa dem Alter, dem Geschlecht, dem Gesundheitszustand, der Volkszugehörigkeit, der Ausbildung, dem Vermögen und familiären oder freundschaftlichen Verbindungen abhängig ist.(vgl. entsprechend bereits OVG des Saarlandes, Beschluss vom 3.6.2019 – 2 A 162/19, 2 A 173/19 und 2 A 179/19 –, AuAS 2019, 151) Insoweit bedarf es stets einer Würdigung jedes Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht.(vgl. ebenso auch BVerwG, Beschluss vom 8.8.2018 – 1 B 25.18 –, NVwZ 2019, 61, wonach ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, Art. 3 EMRK voraussetzt, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird und diese Frage einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung nicht zugänglich ist, es vielmehr insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls bedarf) Daher lässt sich die von der Beklagten angestrebte Klärung nicht abstrakt und allgemein „für alle nach Bulgarien zurückkehrenden“ international Schutzberechtigten losgelöst von den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalls mit der Durchführung eines weiteren Berufungsverfahrens erreichen.
Dementsprechend hat der Senat zum Beispiel die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Bulgariens in einem Fall abgelehnt, in dem drei Brüder des – dortigen – Klägers seit 2015 in Sofia/Bulgarien lebten, von denen zwei in einem Restaurant und einer bei einer „Game-Firma“ Arbeit gefunden hatten. Von daher war aus Sicht des Senats davon auszugehen, dass der betreffende Kläger, der selbst als Koch arbeiten wollte, bei einer Überstellung nach Bulgarien von den erwähnten Schwierigkeiten nicht in gleicher Weise wie andere Schutzberechtigte betroffen war und er bei einer Rückführung dorthin auf familiäre Kontakte, Hilfen oder Anknüpfungspunkte zurückgreifen konnte, um dort Fuß zu fassen. In diesem Fall hat der Senat die Abschiebungsandrohung daher als rechtmäßig beurteilt.(vgl. dazu im Einzelnen OVG des Saarlandes, Urteil vom 19.4.2018 – 2 A 784/17 –, nicht veröffentlicht) Dies zeigt, dass die von der Beklagten im Zulassungsantrag ausformulierte Grundsatzfrage von der unzutreffenden Prämisse ausgeht, dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes anzunehmen sei, dass „generell allen“ nach Bulgarien zurückkehrenden beziehungsweise zurückgeführten Personen Nachteile solchen Ausmaßes drohten, dass ihre Abschiebung „dorthin ausgeschlossen“ wäre. Das trifft – nach dem zuvor Gesagten – in dieser Allgemeinheit schon nicht zu.
Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 4.6.2019 des Weiteren die „Tatsachenfrage“ als grundsätzlich erachtet, ob „gemessen an den Urteilen des EuGH vom 19.3.2019 (C-163/17, C-297/17 u.a.) bezüglich Bulgarien eine generelle Gefährdung im Sinne von Art. 3 EMRK/Art. 4 GRC angenommen werden kann“, muss darauf nicht weiter eingegangen werden, da diese Frage und das darauf bezogene Vorbringen erst nach Ablauf der für die Begründung des Zulassungsantrags geltenden Monatsfrist (§ 78 Abs. 4 AsylG) beim Gericht eingegangen sind. Abgesehen davon ändern auch das angeblich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abzuleitende Regel-Ausnahme-Prinzip und die von der Beklagten vertretene Ansicht, es sei „im Einzelfall zugunsten des Betroffenen darzulegen, dass ein konkretes Risiko in Abweichung von der Regelvermutung tatsächlich vorliegt“, nichts daran, dass es für die Beantwortung der Frage, ob die einem Ausländer im Abschiebezielstaat drohenden Gefahren ein Mindestmaß an Schwere erreichen, maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls ankommt.
Gleiches gilt – sowohl in verfahrensrechtlicher Hinsicht mit Blick auf den § 78 Abs. 4 AsylG, als auch inhaltlich – für den Vortrag in dem Schriftsatz vom 3.9.2019, soweit die Beklagte unter Verweis auf eine Entscheidung des VGH Mannheim,(vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 29.7.2019 – A 4 S 749/19 –, DÖV 2019, 885 und Juris) die im konkreten Fall übrigens eine beabsichtigte Überstellung nach Italien betraf, die Auffassung vertritt, die Berufung sei zuzulassen, um „Maßstäbe festzulegen, anhand derer die Rechtmäßigkeit einer Überstellung nach Bulgarien gemessen werden“ könne. Auch dem zitierten Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs(vgl. EuGH – Große Kammer – Urteil vom 19.3.2019 – C-163/17 –, NVwZ 2019, 712) lässt sich die Anforderung entnehmen, dass das mit einem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung befasste Gericht – hier das jeweilige Verwaltungsgericht – für die Gewährung eines Abschiebungsschutzes mit Blick auf den drohenden Verstoß gegen Art. 4 GRC ausnahmsweise feststellen müsse, dass das erforderliche ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung für „diesen Antragsteller“ gegeben ist, weil „er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände“. Auch dem ist unschwer zu entnehmen, dass der jeweilige Ausländer beziehungsweise die jeweilige Ausländerin vom Verwaltungsgericht in den Blick zu nehmen ist. Das zeigt, dass die geforderte „Neubewertung“ durch den Senat ebenfalls nur einzelfallbezogen erfolgen könnte. Die weiter von der Beklagten angeführten Erkenntnisse des OVG Lüneburg(vgl. OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 6.8.2018 – 10 LB 109/18 – und vom 20.12.2018 – 10 LB 201/18 –, beide bei Juris) betreffen die Rückkehrsituation in Italien und sind daher hier nicht hilfreich.
Durch den Einzelfall aufgeworfene und insoweit individuell zu beantwortende Fragen rechtfertigen keine Zulassung des Rechtsmittels wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).(vgl. dazu auch OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 29.3.2018 – 2 A 113/18 –, vom 4.4.2018 – 2 A 123/18 – und vom 5.4.2018 – 2 A 133/18 – (alle Bulgarien), vom 4.4.2018 – 2 A 93/18 und 2 A 95/18 – sowie vom 5.4.2018 – 2 A 128/18 – (alle Rumänien), vom 16.4.2018 – 2 A 59/18 – (Griechenland)) Die im gerichtlichen Asylverfahren geltenden, stark eingeschränkten Zulassungsgründe sind abschließend der Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG zu entnehmen. Die dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO zugrundeliegende Frage einer Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung beziehungsweise einer „Einzelfallgerechtigkeit“ stellt danach im asylrechtlichen Zulassungsverfahren kein Kriterium dar. Das gilt nicht nur für Rechtsbehelfe von Asylbewerbern und Asylbewerberinnen, sondern auch für solche der Beklagten.
Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG. Der Gegenstandswert des Verfahrens ergibt sich aus dem § 30 Abs. 1 RVG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.