Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 K 127/15

Tatbestand

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Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA).

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Der Antragsteller ist eine anerkannte Naturschutzvereinigung im Land Sachsen-Anhalt. Zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehört u.a. die Förderung des Natur- und Artenschutzes.

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Mit Schreiben vom 12.06.2013 übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller den Entwurf der Kormoranverordnung nebst Begründung mit Stand vom 30.05.2013 zur Kenntnis. Zugleich lud er den Antragsteller zu einem Gespräch am 01.07.2013 im Dienstgebäude des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt ein. Im Nachgang zu diesem Gespräch nahm der Antragsteller mit Schreiben vom 30.07.2013 zu dem Verordnungsentwurf Stellung.

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Am 26.08.2014 wurde die Kormoranverordnung von der Landesregierung beschlossen und nachfolgend am 15.09.2014 ausgefertigt sowie am 25.09.2014 im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Sachsen-Anhalt veröffentlicht. Am 01.01.2015 trat sie in Kraft.

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Zweck der Kormoranverordnung ist der Schutz der natürlichen Fischfauna und die Abwendung erheblicher fischereiwirtschaftlicher Schäden durch Kormorane (Phalacrocorax carbo). Zu diesem Zweck dürfen die dazu berechtigten Personen Kormorane in bestimmten Bereichen bejagen und die Entstehung neuer Brutkolonien verhindern. Durch diese Maßnahmen sollen Kormorane bei drohenden Schäden aus diesen Bereichen vergrämt werden. Hierzu werden in § 2 KorVO LSA Ausnahmen vom Tötungsverbot für Kormorane zugelassen. § 5 KorVO LSA regelt die Verhinderung der Entstehung neuer Brutkolonien.

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Am 03.09.2015 hat der Antragsteller einen Antrag auf Normenkontrolle gestellt.

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Der Antragsteller macht geltend, er sei gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, da die Kormoranverordnung gegen Artenschutzrecht verstoße. Dies stelle eine Verletzung seiner Rechte dar. Im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention (AK) sei § 47 Abs. 2 VwGO dahingehend auszulegen, dass eine Verletzung des Unions-Umweltrechts eine Rechtsverletzung der betroffenen Öffentlichkeit und damit der Umweltverbände darstelle. Die Umweltverbände seien daher in Bezug auf Rechtsverordnungen, deren Gegenstand die Umsetzung von unionsrechtlich verankertem Umweltrecht sei, im Normenkontrollverfahren antragsbefugt. Art. 9 Abs. 3 AK gelte als Auslegungsdirektive auch für Rechtsverordnungen. Der in Art. 9 Abs. 3 AK geregelte Begriff "Handlungen" erfasse auch Rechtsverordnungen. Die Rechtsverordnung sei auch nicht in einer "gesetzgebenden Eigenschaft" im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Satz 2 AK erlassen worden. Mittlerweile sei seine Antragsbefugnis durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 08.11.2016 – C-243/15 – geklärt. Der Gerichtshof habe festgestellt, dass in allen Fällen, in denen Unions-Umweltrecht im Rahmen eines behördlichen Verfahrens geprüft werde, eine Pflicht zur Beteiligung der Öffentlichkeit und korrespondierend ein Recht von Umweltschutzorganisationen auf Mitwirkung und nachfolgende gerichtliche Überprüfung bestehe. Im vorliegenden Fall werde durch die Kormoranverordnung eine Dauer-Ausnahme von den Verbotstatbeständen des gesetzlichen Artenschutzes in § 44 BNatSchG erteilt, die ihrerseits Unions-Umweltrecht umsetzten. Eine Antragsbefugnis ergebe sich auch aus der Verletzung seines Mitwirkungsrechts gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG. Dieses Mitwirkungsrecht sei verletzt worden, da er keine Gelegenheit zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten erhalten habe. In der Begründung der Kormoranverordnung werde auf eine Untersuchung des Büros für Gewässerökologie und Fischereibiologie Dr. E. in D-Stadt zur Bestandssituation und Bestandsentwicklung von Fischarten in ausgewählten Gewässern Sachsen-Anhalts für den Zeitraum 2000 bis 2011 Bezug genommen. Ihm sei jedoch lediglich der in der Zeitschrift "Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt", 49. Jahrgang, 2012, Seite 26 – 39, unter dem Titel "Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) auf die Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalt" veröffentlichte Aufsatz zugänglich. Der Antragsgegner hätte ihm die dem Aufsatz zugrunde liegende Untersuchung und die darin in Bezug genommenen Daten sowie die darin zitierten, nicht öffentlich zugänglichen Untersuchungen vorlegen müssen.

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Der Antragsteller beantragt,

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die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA) vom 15.09.2014 für unwirksam zu erklären.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er trägt vor, der Normenkontrollantrag sei unzulässig, da der Antragsgegner nicht antragsbefugt sei. Eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Antragstellers durch die Kormoranverordnung sei nicht erkennbar. Der Antragsteller könne seine Antragsbefugnis auch nicht daraus ableiten, dass die streitgegenständliche Verordnung gegen Vorgaben des Artenschutzrechts in § 44 BNatSchG sowie der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG verstoße. Dies sei vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg in einem Urteil vom 25.05.2016 – 4 KN 154/13 – bestätigt worden. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.09.2013 – BVerwG 7 C 21.12 – bedürfe es für die Klagebefugnis eines subjektiven Rechts eines Einzelnen, das sich der Verband zu Eigen mache. Weder die Regelungen der Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG noch die Regelungen der §§ 44 Abs. 1 Nr. 1 – 3, 45 Abs. 7 BNatSchG entfalteten einen drittschützenden Charakter, aus dem sich eine subjektiv-rechtliche Rechtsposition ableiten ließe. Auch aus Art. 9 Abs. 3 AK ergebe sich keine Antragsbefugnis. Der Antragsteller könne eine Antragsbefugnis auch nicht aus der Verletzung eines Mitwirkungsrechts gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG herleiten. Dem Antragsteller sei hinreichend Gelegenheit zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten gegeben worden. Es bestehe kein Anspruch auf Übermittlung jeglicher Unterlagen, vielmehr sei es ausreichend, auf die Existenz einschlägiger Gutachten hinzuweisen. Zudem müssten sich die Verbände in angemessenem Umfang selbst um die einschlägigen Informationen bemühen. Der Antragsteller habe weder während des Anhörungsverfahrens noch danach um die Vorlage der fraglichen Sachverständigengutachten gebeten. Es sei folglich davon auszugehen, dass er anhand der übersandten Unterlagen vollständig informiert und in der Lage gewesen sei, eine Stellungnahme zum Verordnungsentwurf abzugeben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Gemäß § 109 VwGO kann das Gericht über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil vorab entscheiden. Die Vorschrift gilt auch im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO (vgl. OVG RP, Urt. v. 24.02.2011 – 1 C 10276/11 –, juris RdNr. 30).

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Der Senat entscheidet durch Beschluss, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 47 Abs. 5 VwGO); die Beteiligten wurden hierzu angehört.

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I. Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Nach dieser Vorschrift kann den Antrag jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen.

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1. Die Voraussetzungen, unter denen eine anerkannte Naturschutzvereinigung – wie der Antragsteller – Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung ausnahmsweise einlegen kann, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, sind vorliegend nicht erfüllt.

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Der Antragsteller ist nicht nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.04.2013 (BGBl. I S. 753), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.11.2016 (BGBl. I S. 2749) antragsbefugt. Die Vorschriften des UmwRG sind vorliegend nicht anwendbar, denn der Erlass einer Verordnung über Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen nach § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG löst nach den Vorschriften des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG – keine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung aus und stellt damit keine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG dar. Das Vorliegen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ist aber Sachurteilsvoraussetzung (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.2014 – BVerwG 4 C 34.13 –, juris RdNr. 10; BayVGH, Urt. v. 28.07.2016 – 14 N 15.1870 –, juris RdNr. 31). Eine Erstreckung des UmwRG auf Normenkontrollanträge gegen naturschutzrechtliche Rechtsverordnungen im Wege der Analogie scheidet aus, da es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt (vgl. BVerwG, Urt .v. 05.09.2013 – BVerwG 7 C 21.12 –, juris RdNr. 30 ff.; Urt. v. 19.12.2013 – BVerwG 4 C 14.12 –, juris RdNr. 20).

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Der Anwendungsbereich der altruistischen naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.01.2016 (BGBl. I S. 2258), ist ebenfalls nicht eröffnet, da der Erlass einer Verordnung keine Entscheidung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 oder Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG ist. Der Bundesgesetzgeber hat sich klar gegen die Einführungen einer altruistischen Verbandsklage in Normenkontrollsachen – auch bei einem Verstoß gegen europäisches Umweltrecht – entschieden (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.2014 – BVerwG 4 C 35.13 –, juris RdNr. 62; OVG BBg, Urt. v. 02.06.2006 – OVG 11 A 11.05 –, juris RdNr. 16 ff. zur Brandenburgischen Kormoranverordnung).

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2. Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller als Teil der betroffenen Öffentlichkeit eine "prokuratorische Rechtsstellung" dahingehend innehat, dass er eine Verletzung objektiven europäischen Umweltrechts als Verletzung eigener Rechte geltend machen kann.

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Zum Teil wird angenommen, in unionskonformer Auslegung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hätten neben dem Bürger auch unmittelbar betroffene juristische Personen wie die nach § 3 UmwRG anerkannten Antragsteller bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts eine "prokuratorische Rechtsstellung" inne, individuelle unionsrechtliche Rechtspositionen zu ihrem eigenen Anliegen zu machen. Dieses Verständnis des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ergebe sich aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) sowie im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens vom 25.06.1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen ; Gesetz vom 09.12.2006, BGBl. II S. 1251) (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.07.2016 – 14 N 15.1870 –, a.a.O. RdNr. 38 im Anschluss an BVerwG, Urt .v. 05.09.2013 – BVerwG 7 C 21.12 –, a.a.O. RdNr. 46 ff.). Die den anerkannten Naturschutzvereinigungen zustehende prokuratorische Rechtsmacht verleihe diesen auch die Rechtsmacht, im Wege der Normenkontrolle eine mögliche Verletzung objektiver unionsrechtlicher Umweltvorschriften durch den Erlass einer Verordnung geltend zu machen. Das unionsrechtliche Effektivitätsgebot sowie Art. 9 Abs. 3 AK geböten es, den anerkannten Naturschutzverbänden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit einzuräumen, vor Gericht auch die mögliche Verletzung unbedingter und hinreichend bestimmter objektiver Umweltvorschriften zu rügen. Im Lichte des Art. 9 Abs. 3 AK sowie im Interesse des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots müsse anerkannten Umweltverbänden in Bezug auf Sachverhalte, die dem Unionsumweltrecht unterliegen, ein weiter Zugang zu Gericht gewährleistet werden. Daher könne die vom Bundesverwaltungsgericht in Erweiterung des Begriffs des subjektiven Rechts anerkannte prokuratorische Rechtsstellung anerkannter Umweltverbände nicht auf unbedingte und hinreichend bestimmte subjektive europäische Umweltnormen (wie § 47 Abs. 1 BImSchG) beschränkt werden. Sie müsse vielmehr auch unbedingte und hinreichend bestimmte objektive unionsrechtliche Vorschriften einbeziehen. Wären Umweltverbände lediglich Prokuratoren des (subjektiven) unbedingten und hinreichend bestimmten Unionsumweltrechts, hätte dies im Ergebnis zur Konsequenz, dass sie – jenseits der Rechtsschutzmöglichkeiten, die ihnen das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und die naturschutzrechtliche Verbandsklage eröffnen – Zugang zu Gericht lediglich in wenigen unionsumweltrechtlichen Fallgestaltungen verlangen könnten. Dies führte in vielen Fällen, in denen unbedingte und hinreichend bestimmte objektiv-rechtliche Umweltvorschriften des Unionsrechts inmitten ständen, zu einer Rechtsschutzlücke (vgl. BayVGH, Urt. v. 28.07.2016 – 14 N 15.1870 –, a.a.O. RdNr. 43 ff. unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 08.03.2011 – C-240/09 – <"slowakischer Braunbär"> im Fall einer möglichen Verletzung der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen , ABl. L 206, S. 7).

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Nach anderer Auffassung können anerkannte Umweltvereinigungen als Teil der betroffenen Öffentlichkeit eine Verletzung objektiven (europäischen) Umweltrechts, insbesondere der Art. 7 und 9 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (kodifizierte Fassung) (Vogelschutzrichtlinie – VRL) (ABl. L 20 S. 7), nicht als Verletzung eigener Rechte geltend machen. Könnte sich eine anerkannte Umweltvereinigung auf die Verletzung eigener Rechte bei einem Verstoß gegen (europäisches) Umweltrecht berufen, liefe dies in der Sache auf eine uneingeschränkte Rechtsbehelfsmöglichkeit dieser Vereinigungen hinaus, die der nationale Gesetzgeber gerade nicht eröffnen wollte. Denn die Fälle, in denen eine anerkannte Naturschutzvereinigung den Verstoß gegen Bestimmungen (objektiven) Umweltrechts ohne das Erfordernis der Verletzung eigener Rechte bzw. der Geltendmachung einer solchen Verletzung rügen könne, seien in § 2 UmwRG und in § 64 BNatSchG geregelt. Diese Regelungen wären obsolet, wenn eine anerkannte Naturschutzvereinigung den Verstoß gegen Bestimmungen des Umweltrechts grundsätzlich als Verletzung eigener Rechte geltend machen könnte (vgl. NdsOVG, Urt. v. 25.05.2016 – 4 KN 154/13 –, juris RdNr. 53 unter Hinweis auf Pfau, VBlBW 2015, 357 <362>).

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Diese Problematik bedarf keiner Vertiefung, da sich die Antragsbefugnis des Antragstellers jedenfalls aus Art. 9 Abs. 2 AK ergibt.

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3. Die Antragsbefugnis des Antragstellers ergibt sich im vorliegenden Fall unmittelbar aus Art. 9 Abs. 2 AK. Nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 AK stellt jede Vertragspartei im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die (a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ (b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gewährt Art. 9 Abs. 2 AK Umweltschutzorganisationen, die den in Art. 2 Nr. 5 AK genannten Anforderungen genügen, ein Recht auf einen Rechtsbehelf, soweit dieser gegen eine Entscheidung gerichtet ist, die in den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 AK fällt (vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – C-243/15 –, juris RdNr. 55).

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a) Die Kormoranverordnung des Landes Sachsen-Anhalt (KorVO LSA) ist eine Entscheidung, die in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK fällt.

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Art. 9 Abs. 2 AK erfasst u.a. Entscheidungen, Handlungen und Unterlassungen, für die Art. 6 AK gilt. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 AK wendet jede Vertragspartei diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Mit der Kormoranverordnung werden Ausnahmen vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG zugelassen. Dies stellt eine Entscheidung über Tätigkeiten, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Satz 1 AK dar.

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Ohne Belang ist, dass es sich um eine Rechtsverordnung und nicht um einen Verwaltungsakt handelt. Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union bezieht sich der Begriff "Handlung" i.S.d. Art. 9 Abs. 3 AK nicht nur auf Maßnahmen zur Regelung von Einzelfällen, da Art. 9 Abs. 3 AK andernfalls eine zu sehr beschränkte Tragweite hätte und nach Art. 2 Nr. 2 AK nur solche Handlungen von Gremien oder Einrichtungen von den Bestimmungen der AK ausgeschlossen sind, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft vorgenommen werden (vgl. EuG, Urt. v. 14.06.2012 – T-338/08 –, juris RdNr. 76 ff.). Gleiches gilt für den Begriff "Entscheidungen" i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK, der mithin auch Rechtsverordnungen erfasst.

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Der Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK auf die Kormoranverordnung steht nicht entgegen, dass die Vertragsparteien den Art. 6 AK "in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht" auf Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können, anzuwenden haben. Hiermit wird zwar bestimmt, dass sich die Anwendung von Art. 6 AK nach dem innerstaatlichen Recht der betreffenden Vertragspartei richtet. Allerdings ist diese Präzisierung dahin zu verstehen, dass sie nur auf die Modalitäten der Öffentlichkeitsbeteiligung abzielt, wie sie in Art. 6 geregelt wird, ohne das Recht auf Beteiligung, den dieser Artikel einer Umweltschutzorganisation verleiht, in Frage zu stellen (vgl. EuGH, Urt. v. 08.11.2016 – C-243/15 –, a.a.O. RdNr. 48).

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Auch der in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 AK enthaltene Vorbehalt führt nicht dazu, dass die Kormoranverordnung vom Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Buchst. b AK ausgenommen ist. Nach dieser Vorschrift bestimmen die Vertragsparteien "zu diesem Zweck", ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet. Das Ermessen der Vertragsparteien im Rahmen der zu treffenden Einzelfallentscheidung über die Anwendung von Art. 6 AK ist hiernach an den Zweck des Art. 6 AK gebunden. Dessen Zweck ist es, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 AK zu verwirklichen, d.h. Art. 6 auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten anzuwenden, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Wenn geplante Tätigkeiten erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, muss die Entscheidung der Vertragsparteien folglich darauf hinauslaufen, Art. 6 anzuwenden (vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30.06.2016 – C-243/15 –, juris RdNr. 76 f.).

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b) Der Antragsteller ist auch eine Umweltschutzorganisation, die den in Art. 2 Nr. 5 AK genannten Anforderungen genügt. Art. 2 Nr. 5 AK bestimmt, dass nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren haben und Teil der "betroffenen Öffentlichkeit" sind. Der Antragsteller erfüllt die Anforderungen an eine nichtstaatliche Organisation i.S.d. Art. 2 Nr. 5 AK.

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c) Der Ableitung einer Antragsbefugnis des Antragstellers aus Art. 9 Abs. 2 AK steht auch nicht entgegen, dass nach dieser Vorschrift Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit nur dann Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht haben müssen, wenn sie entweder (a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ (b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsprozessrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert. Insoweit ist der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK maßgeblich. Hiernach bestimmt sich, was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder nichtstaatlichen Organisation, welche die in Art. 2 Nr. 5 AK genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können. Aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 AK ergibt sich somit, dass der Wertungsspielraum, über den die Vertragsparteien bei der Bestimmung dessen, was ein "ausreichendes Interesse" oder eine "Rechtsverletzung" ist, durch das Ziel begrenzt wird, der betroffenen Öffentlichkeit, zu der auch die Umweltschutzorganisationen gehören, die die Voraussetzungen nach Art. 2 Nr. 5 des Übereinkommens erfüllen, einen „weiten Zugang zu Gerichten“ zu gewähren (EuGH, Urt. v. 16.04.2015 – C-570/13 –, juris RdNr. 39; Urt. v. 08.11.2016 – C-243/15 –, a.a.O. RdNr. 58). Hiernach steht es dem nationalen Gesetzgeber zwar frei, die Rechte, deren Verletzung ein Einzelner im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, Handlung oder Unterlassung im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2011/92 geltend machen kann, auf subjektive Rechte zu beschränken, doch kann eine solche Beschränkung nicht als solche auf Umweltverbände angewandt werden, weil dadurch die Ziele dieser Vorschrift missachtet würden (vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 –, juris RdNr. 91). Diese Organisationen müssen somit zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können (vgl. EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 –, a.a.O. RdNr. 92; Urt. v. 08.11.2016 – C-243/15 –, a.a.O. RdNr. 59).

32

4. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob sich die Antragsbefugnis des Antragstellers auch aus der geltend gemachten Verletzung seines Mitwirkungsrechts gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG ergibt (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 14.08.1995 – BVerwG 4 NB 43.95 –, juris RdNr. 4; HessVGH, Beschl. v. 18.12.1998 – 11 NG 3290/98 –, juris RdNr. 15; NdsOVG, Urt. v. 25.05.2016 – 4 KN 154/13 –, a.a.O. RdNr. 36; Hesselhaus, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2011, § 63 RdNr. 47).

33

II. Die Kostenentscheidung bleibt bei Entscheidungen nach § 109 VwGO der Endentscheidung vorbehalten.

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III. Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Ein Revisionsverfahren kann zur Klärung der Frage beitragen, ob eine anerkannte Naturschutzvereinigung befugt ist, ein Normenkontrollverfahren gegen eine naturschutzrechtliche Rechtsverordnung wegen eines Verstoßes gegen europäisches Umweltrecht einzuleiten.


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