Beschluss vom Sächsisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 L 164/17

Gründe

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1. Dem Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens analog § 94 VwGO wird nicht entsprochen. Dabei kann dahinstehen, ob eine analoge Anwendung von § 94 VwGO überhaupt in Betracht kommt, wenn - wie hier im Hinblick auf § 13b, § 18 Abs. 2 KAG-LSA - eine im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Norm gleichzeitig Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist (zum Streitstand Rudisele, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 94 Rn. 51 ; Peters/Schwarzburg, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 94 Rn. 53 f.>, jew. m.w.N.; zur möglichen Aussetzung des Verfahrens analog § 94 VwGO bei gleichzeitiger Anhängigkeit einer abstrakten Normenkontrolle OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Juni 2016 - 4 O 72/16 -, NVwZ-RR 2016, S. 891 <891>). Selbst wenn man diese Frage bejahte, läge die Anordnung der Aussetzung im richterlichen Ermessen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O., NVwZ-RR 2016, S. 891 <892>). Bei der Ausübung des Ermessens gemäß § 94 VwGO sind das Interesse an zügiger und effektiver Rechtsgewähr und die mit der Aussetzung bezweckte Prozessökonomie zu berücksichtigen (vgl. Peters/Schwarzburg, a.a.O., § 94 Rn. 16). Danach kommt eine Aussetzung des Verfahrens hier nicht in Betracht.

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Eine Aussetzung analog § 94 VwGO in Fällen, in denen die Gültigkeit einer entscheidungserheblichen Norm bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde ist, wird vor allem erwogen, wenn das Gericht sich noch keine abschließende Meinung über die Vereinbarkeit der Norm mit der Verfassung gebildet hat (vgl. Peters/Schwarzburg, a.a.O., § 94 Rn. 53). Dies ist insofern überzeugend, als die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die absehbare Klärung entscheidungserheblicher, offener verfassungsrechtlicher Fragen durch das Bundesverfassungsgericht prozessökonomisch sein kann. Eine solche Situation liegt hier jedoch nicht vor. Nach gefestigter Auffassung des beschließenden Senats sind die gegen § 13b, § 18 Abs. 2 KAG-LSA erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände nicht durchgreifend. Dementsprechend geht der Senat in ständiger Rechtsprechung von der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen aus (grundlegend OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Februar 2016 - 4 L 119/15 -, LKV 2016, S. 186 <188 ff.>; zuletzt OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2018 - 4 L 96/17 -, S. 11 ff. des Entscheidungsumdrucks, zur Veröffentlichung vorgesehen). Auch das Landesverfassungsgericht hat keinen Verstoß von § 13b, § 18 Abs. 2 KAG-LSA gegen die Landesverfassung festgestellt (vgl. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Januar 2017 - LVG 1/16 -, BeckRS 2017, 100810, Rn. 35 ff.). Allein der Umstand der Anhängigkeit einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (mittelbar) gegen eine Entscheidung des beschließenden Senats, die von der Verfassungsmäßigkeit von § 13b, § 18 Abs. 2 KAG-LSA ausgeht, vermag eine Aussetzung des Verfahrens und die damit verbundene Verfahrensverzögerung deshalb nicht zu rechtfertigen, zumal die Klägerin insoweit keine neuen Argumente vorbringt und sich mit der (verfassungs-)rechtlichen Argumentation des Landesverfassungsgerichts und des Senats bereits nicht in der gebotenen Weise auseinandersetzt (dazu sogleich unter 2.).

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2. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg hat keinen Erfolg, weil die Darlegungen, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht geeignet sind, die Annahme des geltend gemachten Zulassungsgrundes gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu rechtfertigen.

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nur dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 <83>). Dies ist nicht der Fall.

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Die Klägerin ist der Auffassung, für die streitgegenständliche Beitragserhebung fehle es an einer Rechtsgrundlage, weil § 6 Abs. 6 KAG-LSA für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an die erste wirksame Beitragssatzung anknüpfe und damit verfassungswidrig eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Abwasserbeiträgen ermögliche. Die Regelung einer gesetzlichen Ausschlussfrist für die Heranziehung zu Abwasserbeiträgen in § 13b, § 18 Abs. 2 KAG-LSA beseitige das Verdikt der Verfassungswidrigkeit von § 6 Abs. 6 KAG-LSA nicht, weil diese Regelungen selbst verfassungsrechtlichen Bedenken begegneten. Die von der Klägerin insoweit geäußerten Bedenken lassen ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung allerdings nicht zu.

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a) Dies gilt zunächst für den Einwand, mit dem streitgegenständlichen „Herstellungsbeitrag II“ und der Zulassung einer „24,5 Jahresfrist“ werde der Klägerin zugemutet, auf zum Teil Jahrzehnte zurückliegende Sachverhalte und behördliche Untätigkeit nicht mehr vertrauen zu können. Der Gedanke der Rechtssicherheit laufe damit leer und finde in dem angesprochenen Urteil des Landesverfassungsgerichts keinerlei oder kaum Berücksichtigung. Der dortige Verweis auf § 197 BGB vermöge nicht zu überzeugen, weil er nur für Ausnahmefälle konstruiert worden sei und daher einen sehr begrenzten Anwendungsbereich habe.

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Der Argumentation der Klägerin ist nicht zu folgen. Sie setzt sich schon nicht in der gebotenen Weise mit der Argumentation des Landesverfassungsgerichts auseinander. Das Landesverfassungsgericht hat insoweit ausgeführt, auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts könnten Verjährungsregelungen zumindest zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes sehr weit ausgedehnt werden. Aus diesem Grunde begegnet die maximale Frist zur Festsetzungsverjährung in Sachsen-Anhalt von nunmehr 24,5 Jahren keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es könne dahinstehen, ob eine Frist von 30 Jahren hinnehmbar wäre. Zumindest für eine Übergangszeit zur Klärung der offenen Altfälle sei die Frist von bis zu 24,5 Jahren nicht zu beanstanden, zumal eine Frist von 30 Jahren der Rechtsordnung nicht fremd sei. So gelte diese Frist im Zivilrecht gemäß § 197 BGB für Ansprüche der Bürger untereinander. Aber auch das Verwaltungsrecht kenne eine dreißigjährige Verjährungsfrist (so in § 53 Absatz 2 VwVfG) (vgl. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, a.a.O., BeckRS 2017, 100810, Rn. 39; zur Berücksichtigung der Interessen der Anschlussnehmer siehe auch unter Rn. 79). Weder zieht die Klägerin die Annahme des Landesverfassungsgerichts in Zweifel, der Rechtsordnung sei eine 30-jährige Verjährungsfrist „nicht fremd“, noch setzt sie sich mit dem Argument der dreißigjährigen Verjährungsfrist im Verwaltungsverfahrensrecht auseinander. Im Übrigen hat auch der beschließende Senat die in § 13b, § 18 Abs. 2 KAG-LSA zum Ausdruck kommende Abwägung des Gesetzgebers zwischen den berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und den Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit andererseits unbeanstandet gelassen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend bemerkt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Februar 2016 - 4 L 119/15 -, LKV 2016, S. 186 <189 >). Auch hiermit hätte sich die Klägerin auseinandersetzen müssen.

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b) Weiterhin sieht die Klägerin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz in der ungleichen Verteilung der Verfristung für Alt- und Neuanschließer. Eine Auseinandersetzung mit der eingehenden Begründung des Landesverfassungsgerichts, weshalb § 18 Abs. 2 KAG-LSA „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt“ das Gleichheitsgebot des Art. 7 Abs. 1 der Landesverfassung verletze (vgl. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, a.a.O., BeckRS 2017, 100810, Rn. 69 ff.), lässt das Zulassungsvorbringen indes vermissen. Ernsthafte Richtigkeitszweifel können so nicht aufgezeigt werden.

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c) Gleiches gilt für die Ansicht der Klägerin, § 18 Abs. 2 KAG-LSA entfalte echte Rückwirkung. Auch insoweit übergeht die Klägerin gänzlich die ausführliche und überzeugende Begründung des Landesverfassungsgerichts, weshalb die Norm keine echte Rückwirkung entfalte (vgl. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, a.a.O., BeckRS 2017, 100810, Rn. 54 ff.). Auch eine Auseinandersetzung mit der im Ergebnis gleichlautenden Rechtsprechung des beschließenden Senats (OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O., LKV 2016, S. 186 <191 >) fehlt.

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d) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den Interessen der betroffenen Beitragsschuldner nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die einschlägigen, vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt (a.a.O., BeckRS 2017, 100810, Rn. 75 ff.) und des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (a.a.O., LKV 2016, S. 186 <189 >) verwiesen, mit denen sich die Klägerin nicht auseinandersetzt.

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e) Soweit die Klägerin darüber hinaus auf ihren erstinstanzlichen Vortrag Bezug nimmt und diesen - einschließlich der Beweisantritte - vollumfänglich zu ihrem Vortrag auch im Berufungszulassungsverfahren machen will, genügt eine derart allgemeine Verweisung von vornherein nicht dem Darlegungserfordernis gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 199).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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