Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (6. Senat) - 6 L 4/12

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts wegen der Änderung bei der elektronischen Arbeitszeiterfassung.

2

Die vom Beteiligten eingeführte elektronische Arbeitszeiterfassung ermöglichte es den Beschäftigten die Gründe für eine Abwesenheit vom Arbeitsplatz mit dem PC durch Anklicken einzugeben. Als Gründe waren „Urlaub, Dienstreise, Freizeitausgleich, Abordnung, Mutterschutz/Elternzeit, Betriebsausflug/Sommerfest/Tag der Gemeinschaftspflege/Personalversammlung, Krankheit, Krankheit nach Arbeits-Dienstantritt/ versuchte Arbeitsaufnahme, Kind krank, Berufsschule/Lehrgang/ Studium/Praktikum, Sonderurlaub mit und ohne Bezüge/THW-FFW Einsatz/Katastropheneinsatz, Telearbeit“ vorgegeben. In einer Auswahlliste hinterlegt war ebenfalls die Tageszeit („Ganztag/Vormittag/Nachmittag“) und der Tag bzw. Zeitraum, für den die Eintragung gelten sollte. Die Beschäftigten konnten ihre Arbeitszeit und Abwesenheitszeiten wegen Urlaubs, Freizeitausgleichs und Dienstreisen selbst buchen. Buchungen wegen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Krankheitstagen ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Krankheit des Kindes, Elternzeit oder Mutterschutz waren den Mitarbeitern des Internen Services vorbehalten. Für weitere Fallgruppen, wie für Dienstreisen, die an der Wohnung begannen oder endeten, wurden die Buchungen ebenfalls von Mitarbeitern des Internen Services auf der Grundlage der von den Beschäftigten erstellten Korrekturbelege gebucht.

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Mit Wirkung ab dem 01. Januar 2012 änderte die Dienststelle die Art und Weise der Erfassung der Fehlzeiten und reduzierte die vorgegebene Auswahlliste auf die Gründe „Abwesenheit mit Zeitgutschrift, Dienstreise, Freizeitausgleich und Urlaub“. Wegen der Abwesenheitsgründe Urlaub, Dienstreise und Freizeitausgleich blieben die Buchungen unverändert. Alle weiteren der bisherigen Abwesenheitsgründe waren als Abwesenheit mit Zeitgutschrift zu buchen. Die Fehlzeiten und eine Begründung waren nunmehr jeweils manuell einzugeben.

4

Nachdem der Antragsteller die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts geltend gemacht hatte, erklärte die Beteiligte, ein Mitbestimmungsrecht des Antragstellers bestehe nicht, weil der Beteiligten keine eigene Entscheidungsbefugnis zustehe. Mit der Verwendung des IT-Verfahrens „Elektronische Zeiterfassung in der Bundesagentur für Arbeit“ auf der Grundlage eines entgeltlichen Vertrages mit der Bundesagentur gehe einher, dass Programmänderungen vom Jobcenter A-Stadt „automatisch (…) zu übernehmen“ seien. Wegen des auf Beschluss der Trägerversammlung beruhenden Erwerbs des Programms seien notwendige Anpassungen zu übernehmen.

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Mit dem am 03. Februar 2012 eingeleiteten Beschlussverfahren hat der Antragsteller geltend gemacht, die Änderungen bei der Zeiterfassung seien mitbestimmungspflichtig, weil es sich um Regelungen der Ordnung in der Dienststelle handele, bzw. um die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht sei entgegen der Auffassung der Beteiligten nicht durch die Mitbestimmung des Hauptpersonalrates bei der Bundesagentur für Arbeit ausgeübt, weil aus § 44 c Abs. 2 Nr. 5 SGB II folge, dass die beteiligte Dienststelle nicht Teil einer mehrstufigen Verwaltung mit der Bundesagentur als oberster Dienstbehörde sei.

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Er hat beantragt,

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festzustellen, dass der Antragsteller (wohl: „die Beteiligte“ ) bei der Anwendung des Verfahrens „elektronisches Zeiterfassungssystem – IT Zeit/Web ab dem 01. Januar 2012 das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers verletzt hat.

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Die Beteiligte hat beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie hat geltend gemacht, eine Maßnahme i. S. d. § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG liege nicht vor, weil die technische Änderung keine Regelungen über die Ordnung in der Dienststelle enthalte. Das Verfahren über die Nutzung der technischen Einrichtung zur Zeiterfassung sei unverändert geblieben. Nach wie vor seien die Mitarbeiter befugt, die Arbeitszeiten, Pausen und bestimmte Abwesenheitsgründe selbst zu buchen. Die Verpflichtung zur Erstellung von Korrekturbelegen für andere Abwesenheiten etwa aufgrund eigener Erkrankung oder einer Erkrankung des Kindes bestehe in gleichem Umfang wie zuvor. Lediglich die Anzahl der zur Verfügung gestellten vorgegebenen Abwesenheitsgründe sei nunmehr eingeschränkt. Eine Befugnis zur Mitbestimmung wegen der Änderung der Zeiterfassung nach Maßgabe des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG bestehe nur, wenn es sich um eine für die Überwachung relevante qualitative Änderung der Benutzungsregelung handele. Mit der zum 01. Januar 2012 vorgenommenen Änderung bei der Zeiterfassung sei die Überwachung der Beschäftigten nicht verschärft worden. Vielmehr seien die Möglichkeiten der Auswertung wegen der Verminderung der möglichen Buchungen für Abwesenheiten und wegen der manuellen Eingaben der Begründung beschränkt worden.

11

Das Verwaltungsgericht Halle – 10. Kammer – hat den Antrag, über den im Einverständnis der Beteiligten der Vorsitzende anstelle der Kammer entschieden hat, auf die mündliche Anhörung vom 26. April 2012 mit Beschluss vom 21. Mai 2012, berichtigt durch Beschluss vom 12. Juni 2012, abgelehnt. Ein Mitbestimmungsrecht sei nicht gegeben, weil die Arbeitszeiterfassung der Sache nach unverändert geblieben sei. Geändert worden sei nur, dass eine zuvor vorgegebene Vielzahl von Abwesenheitsgründen nunmehr in größeren Gruppen zusammengefasst sei. Das lasse die Befugnis der Beschäftigten unberührt, für Fehlzeiten dieselben Gründe wie zuvor anzugeben.

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Mit der am 13. August 2012 erhobenen Beschwerde macht der Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht gehe unzutreffend davon aus, dass die Einführung des Zeiterfassungssystems nicht mit Änderungen verbunden gewesen sei. Denn nunmehr erfolge die Dokumentation von Fehlzeiten nicht mehr durch Anklicken des betreffenden vorgegebenen Feldes. Vielmehr müssten nunmehr bei fast allen Abwesenheiten die Gründe und die jeweilige Dauer einschließlich der Wegezeiten per Hand eingegeben oder mittels eines handschriftlichen Korrekturbelegs nachgewiesen werden. Der erhöhte Mehraufwand bei der Arbeitszeiterfassung führe zu einer größeren Arbeitsverdichtung, zumal das System nunmehr für einen bestimmten Fehlzeitgrund nicht mehr pauschale Abwesenheitszeiten zuordne. Diese Abkehr von einer pauschalierten Ermittlung der Abwesenheitszeiten zu einer minutengenauen Erfassung stelle eine erhebliche Änderung in der Methode der Arbeitszeiterfassung dar. Mitbestimmungspflichtig sei nicht nur die erstmalige Einführung eines Systems, das i. S. d. § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG geeignet sei, die Ordnung und das Verhalten der Beschäftigten zu regeln, weil Ziel des Gesetzes sei, Auswirkungen direktionsrechtlichen Handelns des Dienstherrn auf die Beschäftigten der Mitbestimmung zu unterwerfen. Damit sei es nicht vereinbar, wesentliche Änderungen eines bereits eingeführten Zeiterfassungssystems von der Mitbestimmung auszunehmen. Ein Mitbestimmungsrecht folge auch aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG, weil danach neben der Einführung auch die Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt seien, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen, mitbestimmungspflichtig sei und Änderungen in der Art und Weise der Erfassung von Abwesenheitszeiten eine Änderung der Anwendung technischer Einrichtungen bewirkten. Wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gar die Veränderung des Ortes, an dem ein Zeiterfassungsgerät aufgestellt sei, mitbestimmungspflichtig sei, so gelte dies erst recht für inhaltliche Änderungen des Zeiterfassungsprogramms.

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Er beantragt,

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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 21. Mai 2012, geändert durch Beschluss vom 12. Juni 2012, abzuändern und festzustellen, dass der Beteiligte bei der Anwendung des Verfahrens „Elektronisches Zeitwirtschaftssystem – IT-Zeit – Web“ ab dem 01. Januar 2012 das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers gemäß § 75 Abs. 3 Nr. 15 und Nr. 17 BPersVG verletzt hat.

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Die Beteiligte beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Sie meint, die Änderung bei der Fehlzeiterfassung sei nicht mitbestimmungspflichtig. Sie sei erfolgt, weil die vorherige umfangreiche Auswahlliste eine sehr weitgehende elektronische Auswertung der Fehlzeitgründe ermöglicht habe. Um Datenschutzbelangen der Beschäftigten Rechnung zu tragen, sei die Auswahlliste verkleinert worden. Konkrete Uhrzeiten oder Wegezeiten seien weder vor noch nach der Änderung bei der Zeiterfassung zu berechnen. Zur Nutzung hätten für die Tageszeit nur die Felder Ganztag, Vormittag, Nachmittag zur Verfügung gestanden, so dass bei Fehlzeiten, die nicht mit den Eingabefeldern Tageszeit hätten erfasst werden können, vor wie nach der Änderung der Zeiterfassung ein Korrekturbeleg zu fertigen sei. Die Änderung bei der Zeiterfassung sei keine Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten i. S. d. § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG. Die Beteiligung der Personalräte in personellen und sozialen Belangen der Beschäftigten finde ihre Grenze dort, wo die Erfüllung der Aufgaben der Dienststelle und die Dienstausübung im engeren Sinne – wie bei der Kontrolle Erfüllung der Dienstpflicht der Beschäftigten und der von ihnen zu erledigenden Aufgaben – im Vordergrund stünden. Die Änderung der Zeiterfassung sei auch als Regelung zur Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhaltungen oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen (§ 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG) nicht mitbestimmungspflichtig, weil eine Änderung bei der Anwendung einer bereits eingeführten technischen Einrichtung nach dem Zweck der Regelung nur dann der Mitbestimmung durch den Personalrat unterliege, wenn die Kontrolle gegenständlich erweitert oder eine andere Art und Weise der Kontrolle eingeführt werde. Die Änderung führe indes im vorliegenden Fall nicht zu einer Erweiterung, Verschärfung oder Intensivierung der Kontrolle, weil nur die Anzahl der vorgegebenen im elektronischen System hinterlegten Fehlzeitgründe verringert werde, so dass eine Kontrolle der einzelnen Gründe für die Abwesenheit mit Zeitgutschrift nicht mehr möglich und die individuellen Angaben zu den Fehlzeiten im Textfeld „Begründung“ elektronisch nicht mehr ausgewertet werden könnten. Soweit durch die Reduzierung der vorgegebenen Fehlzeitgründe die Fertigung eines Korrekturbeleges notwendig werde, führe dies nicht zu einer Verschärfung der Kontrollmöglichkeiten. Denn die Korrekturbelege würden nicht gespeichert.

II.

18

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet, soweit er ein Mitbestimmungsrecht wegen der Änderung bei der Anwendung der elektronischen Zeiterfassung aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG geltend macht. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

19

Dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts weder in dem Termin selbst noch in einem besonderen Termin verkündet worden ist, steht der Zulässigkeit der Beschwerde des Antragstellers nicht entgegen. Anders als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. § 116 Abs. 2 VwGO) sieht der im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gemäß § 84 Satz 3 ArbGG entsprechend anzuwendende § 60 Abs. 1 ArbGG die vom Verwaltungsgericht gewählte Möglichkeit der Zustellung anstelle der Verkündung nicht vor. Das steht der Statthaftigkeit der Beschwerde indes nicht entgegen, weil der ohne vorherige Verkündung zugestellte, in vollständiger Form abgefasste, vom Vorsitzenden unterschriebene Beschluss keinen Nicht- oder Scheinakt ohne Rechtswirkungen darstellt. Vielmehr ist der Beschluss mit einem Verfahrensmangel bei der Verlautbarung behaftet (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 02.07.1997 – 2 Sa 2326/95 – Rdnr. 27 ; Berscheid, in: Schwab/Weth, ArbGG, 3. Auflage, § 60 Rdnr. 2; Schütz, in: GK-ArbGG, Stand: November 2008, zu § 60 Rdnr. 29).

20

Das Verwaltungsgericht durfte durch den Vorsitzenden anstelle der Kammer entscheiden, obwohl das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren, dessen Regelungen nach § 83 Abs. 2 BPersVG anwendbar sind, anders als § 102 VwGO die Möglichkeit der Entscheidung durch den Vorsitzenden anstelle der Kammer nach Maßgabe der §§ 80 Abs. 2, 55 Abs. 3 ArbGG nur vorsieht, wenn die Parteien übereinstimmend eine Entscheidung durch den Vorsitzenden beantragen; der Antrag ist in die Niederschrift aufzunehmen (§ 55 Abs. 3 Halbs. 2 ArbGG). Ausdrücklich haben die Beteiligten eine Entscheidung des Vorsitzenden nicht beantragt. Nach Auffassung des Senats liegt der Antrag der Parteien indes in dem nach den Angaben in der Sitzungsniederschrift erklärten Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden anstelle der Kammer.

21

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Etwaige Verfahrensmängel im ersten Rechtszug haben für sich besehen auf die Sachentscheidung in der Beschwerdeinstanz keine Auswirkungen, weil das Oberverwaltungsgericht den Streitgegenstand im zweiten Rechtszug in vollem Umfang sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer eigenen Bewertung unterzieht und eine Zurückverweisung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 ArbGG unzulässig ist.

22

Im Ergebnis zutreffend hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt, soweit der Antragsteller ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG geltend macht. Nach dieser Regelung hat der Personalrat mitzubestimmen über die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten. Der Mitbestimmungstatbestand erfasst die Gesamtheit der allgemeinen Verhaltensmaßregeln, die das Miteinander der Beschäftigten und den Gebrauch der ihnen von der Dienststelle zur Verfügung gestellten Gegenstände ordnen und damit einen störungsfreien und reibungslosen Ablauf des Lebens in der Dienststelle gewährleisten sollen. Er erstreckt sich jedoch nicht auf dasjenige Verhalten, das im Hinblick auf die unmittelbar zu erfüllenden Aufgaben Gegenstand der jeweiligen individuellen Dienst- oder Vertragspflichten ist und deshalb das Arbeitsverhalten und nicht das Ordnungsverhalten der Beschäftigten regelt (BVerwG, Beschl. v. 20.05.2010 – 6 PB 3/10 –, Rdnr. 4 ; Beschl. v. 13.08.1992 – 6 P 20/91 –, Rdnr. 27 ; vgl. zu § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG: BAG, Beschl. v. 24.11.1981 – 1 ABR 108/79 –, Rdnr. 13 ; BAG, Beschl. v. 23.01.1979 – 1 ABR 101/76 –, Rdnr. 18 ; Fürst, GKÖD Bd. V, zu § 75 BPersVG, Rdnr. 107 a ). Die mit Wirkung ab dem 01. Januar 2012 geänderte Art und Weise der Erfassung der Fehlzeiten durch die Reduzierung der mit der durch das Zeiterfassungsprogramm mit der Auswahlliste vorgegebene Gründe auf die Abwesenheit mit Zeitgutschrift, Dienstreise, Freizeitausgleich und Urlaub bezweckt, wie die Einführung der elektronischen Zeiterfassung selbst, der Dienststelle eine wirksame Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeit zu ermöglichen. Sie beziehen sich auf die Erfüllung der Dienstpflicht des einzelnen Beschäftigten und die von ihm zu erledigenden Aufgaben, so dass der Antragsteller ein Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 3 N. 15 BPersVG nicht herleiten kann.

23

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt, soweit der Antragsteller eine Befugnis zur Mitbestimmung wegen der Anwendung des Verfahrens „Elektronisches Zeiterfassungssystem IT-Zeit-Web“ aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG herleitet. Nach dieser Regelung hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Ob eine technische Einrichtung dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung des Beschäftigten zu überwachen, ist anhand einer objektiv-finalen Betrachtungsweise zu ermessen (BVerwG, Beschl. v. 26.09.2006 – 6 PB 10/06 –, Rdnr. 4 ; Beschl. v. 23.09.1992 – 6 P 26/90 – Rdnr. 33 ), so dass die Einführung und Anwendung derjenigen technischen Einrichtungen der Mitbestimmung des Personalrats unterliegen, die ihrer Konstruktion oder konkreten Verwendungsweise nach eine Überwachung von Verhalten oder Leistung der Beschäftigten ermöglichen. Es unterliegt keinen Zweifeln, dass das elektronisches Zeiterfassungssystem IT-Zeit-Web aus der Sicht eines objektiven Betrachters zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung der Beschäftigen geeignet und daher grundsätzlich hierzu bestimmt ist. Es dient – wie das bis dahin verwendete Zeiterfassungssystem – der Überwachung des Zutritts und der Anwesenheitskontrolle. Es soll nach den Angaben in dem Newsletter des Bereichs Personal des Internen Service A-Stadt der Beteiligten vom 16. Dezember 2011 (Ausgabe 12/2011) „die Erfassung und Auswertung von Fehlzeiten, insbesondere unter Berücksichtigung des Datenschutzes, neu regeln“.

24

Dient das dem 01. Januar 2012 eingesetzte Betriebssystem bzw. Programm für die elektronische Zeiterfassung wie das zuvor bestehende Zeiterfassungssystem der Überwachung der Leistung und Verhaltens der Beschäftigten, so ist es für die Frage der Mitbestimmungspflichtigkeit nicht erheblich, ob das nunmehr eingesetzte Programm gegenüber dem bisher eingesetzten Programm tatsächlich eine weitergehende Kontrolle und Überwachung der Beschäftigten ermöglicht oder ob – wie dies die Beteiligte geltend macht – die Möglichkeiten einer elektronischen Auswertung der erhobenen Daten wegen der Beschränkung auf nur noch vier vorgegebene Abwesenheitsgründe und der vorgesehenen manuellen Dateneingabe tatsächlich verringert werden. Da das Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG nicht nur für die erstmalige Einführung einer zur Überwachung bestimmten Einrichtung, sondern, wie der Wortlaut verdeutlicht, auch für die Anwendung einer solchen technischen Einrichtung begründet ist, unterliegen auch Veränderungen oder Ergänzungen, die mit einer Veränderung des Betriebssystems oder der Programme einhergehen, als neuer Fall der Anwendung der Mitbestimmung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.09.1992 – 6 P 26/90 –, Rdnr. 30 ; Beschl. v. 14.06.2011 – 6 P 10/10 –, Rdnr. 16 ; Fürst, GKÖD Bd. V, zu § 75 BPersVG, Rdnr. 113 ; Kaiser, in: Richari, u. a., Personalvertretungsrecht, 4. Auflage, zu § 75 BPersVG, Rdnr. 547; Wiese in: GK-BetrVG, 9. Auflage, zu § 87, Rdnr. 570). Ist das neue Programm überhaupt dazu bestimmt, Überwachungsaufgaben zu erfüllen, so gebietet es der Zweck des Mitbestimmungstatbestandes, das Ausmaß der durch das Programm ermöglichten Überwachung im Mitbestimmungsverfahren zu klären. Die Mitbestimmungsbefugnis kann dem Personalrat nicht mit der Begründung abgesprochen werden, die durch das neue Programm ausgelösten Befürchtungen der Beschäftigten hinsichtlich einer zunehmenden Überwachung seien unbegründet. Auch wenn die Dienststelle zu Recht diesen Standpunkt einnehmen mag, ist es Sache des Mitbestimmungsverfahrens, die Befürchtungen der Beschäftigten zu zerstreuen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.06.2011 – 6 P 10/10 –, Rdnr. 18 ).

25

Die Beteiligte kann nicht mit Erfolg einwenden, ihr stehe keine eigene Entscheidungsbefugnis zu, weil mit der Verwendung des IT-Verfahrens „Elektronische Zeiterfassung in der Bundesagentur für Arbeit“ auf der Grundlage eines auf Beschluss der Trägerversammlung abgeschlossenen entgeltlichen Vertrages mit der Bundesagentur einher gehe, dass Programmänderungen vom Jobcenter A-Stadt „automatisch (…) zu übernehmen“ seien. Die Möglichkeit, Dienstleistungen der Bundesagentur auf der Grundlage eines Vertrages in Anspruch zu nehmen, ändert nichts daran, dass das Gebrauchmachen von dieser vertraglichen Möglichkeit durch die Einführung des vom Vertragspartner zur Verfügung gestellten Zeiterfassungsprogramms als Maßnahme der beteiligten Dienststelle zuzurechnen ist.

26

Anderes könnte nur gelten, wenn es sich bei dem Zeiterfassungsprogramm um zentral verwaltete Verfahren der Informationstechnik i. S. d. § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB II handeln würde. Nach dieser Regelung nutzt die gemeinsame Einrichtung die zur Erfüllung ihrer Aufgaben durch die Bundesagentur zentral verwaltete Verfahren der Informationstechnik. Gemäß § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB II ist sie verpflichtet, auf einen auf dieser Grundlage erstellten gemeinsamen zentralen Datenbestand zuzugreifen. Zwar lässt der Wortlaut der Regelung ein weites Verständnis dahingehend zu, dass jede Einrichtung für die Informations- und Datenverarbeitung und damit auch elektronische Zeiterfassungssysteme mit der Folge unter den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen, dass die kraft Gesetzes begründete Verpflichtung zur Nutzung dieser Verfahren zum Ausschluss der Beteiligungsrechte der Personalvertretungen der gemeinsamen Einrichtungen führen (vgl. BT-Drs. 17/1555, S. 31). Indes ist die Regelung ihrer systematischen Stellung entsprechend und nach dem in der Begründung zum Gesetzentwurf zum Ausdruck gebrachten Zweck einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur die Verfahren der Informationstechnik verpflichtend zur Nutzung vorgegeben werden können, die zur einheitlichen Leistungserbringung und Vermittlung, zur Gewährleistung einer höheren Transparenz auf dem Arbeitsmarkt sowie zur einheitlichen Haushaltsbewirtschaftung bereitgehalten werden (vgl. BT-Drs. 17/1555, a. a. O.). Eine solche einschränkende Auslegung entspricht auch der Gesetzessystematik. Denn die Regelung über die Verpflichtung zur Nutzung zentral verwalteter Verfahren der Informationstechnik in § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB II steht, wie die amtliche Überschrift des Paragraphen verdeutlicht, im Zusammenhang mit den Regelungen zur Datenübermittlung. Nach § 50 Abs. 1 SGB II sollen sich die dort genannten Stellen gegenseitig Sozialdaten übermitteln, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. § 50 Abs. 2 SGB II bestimmt in diesem Zusammenhang die verantwortliche Stelle für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten. § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB II verweist sodann wegen der Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personengebundenen Sozialdaten durch die gemeinsame Einrichtung auf das Datenschutzrecht des Bundes. Besteht der vornehmliche Zweck der Regelung darin, einen gegenseitigen Austausch von Sozialdaten zwischen den in § 50 Abs. 1 SGB II genannten Stellen ermöglichen, so setzt dies die Nutzung einheitlicher Verfahren der Informationstechnik voraus, weil andernfalls ein Austausch von Sozialdaten erschwert oder unmöglich würde. Unterliegen die Beschäftigten einer gemeinsamen Einrichtung einer elektronischen Zeiterfassung, so handelt es sich bei den dabei erhobenen Daten nicht um Sozialdaten i. S. d. § 50 Abs. 1, 2 und 4 Satz 1 SGB II. Sie dienen auch weder der Leistungserbringung oder der Vermittlungstätigkeit im Verhältnis zu den leistungsberechtigten Bürgern noch der einheitlichen Haushaltsbewirtschaftung, sondern allein der Überwachung und Kontrolle der in der Einrichtung beschäftigten Mitarbeiter.

27

Einer Kostenentscheidung bedarf es im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nicht.

28

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Zulassungsgründe vorliegt.


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