Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 M 106/14
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 8. September 2014 – 1 B 249/14 -HAL – geändert:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird für das Rechtsmittelverfahren auf 2.500,-€ (zweitausendfünfhundert EURO) festgesetzt.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Duldung zu erteilen. Zu Recht wendet der Antragsgegner ein, dass nicht er, sondern der Heidekreis (Niedersachsen), in dessen Bezirk der Antragsteller im Rahmen des mittlerweile beendeten Asylverfahrens zur Unterbringung zugewiesen wurde, für die Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zuständig ist.
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Gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG ist diejenige Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die Person ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" hat oder zuletzt hatte. In Anlehnung an die Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Bei Ausländern setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts allerdings voraus, dass das nicht nur vorübergehende Verweilen nach den Vorschriften des Ausländerrechts zulässig ist; verlässt der Ausländer den ihm zugewiesenen Aufenthaltsbereich, kann er einen gewöhnlichen Aufenthalt an einem anderen Ort nur dann begründen, wenn dies mit Billigung der Ausländerbehörde geschieht (Urt. d. Senats v. 15.05.2014 – 2 L 136/12 –, AuAS 2014, 151, RdNr. 24 f., m.w.N.).
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Hiernach ist allein der Landkreis Heidekreis die zuständige Ausländerbehörde, auch wenn der Antragsteller im März 2014 zu seiner Ehefrau nach A-Stadt gezogen ist. Die dem Antragsteller gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zur Durchführung des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsgestattung war gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG räumlich auf den Bezirk des Landkreises Heidekreis beschränkt. Die räumliche Beschränkung bleibt gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG auch nach Erlöschen der Aufenthaltsgestattung in Kraft bis sie aufgehoben wird. Eine solche Aufhebung, die auch durch eine Duldung ausgesprochen werden kann (vgl. OVG RP, Urt. v. 15.02.2012 – 7 A 11177/11 –, juris, RdNr. 27, m.w.N.), ist bislang nicht erfolgt. Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, unter denen eine räumliche Beschränkung erlischt, liegen ersichtlich nicht vor. Die Ausländerbehörden des Landkreises Heidekreis und des Antragsgegners haben den Wohnortwechsel des Antragstellers auch nicht gebilligt.
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Solange die im Asylverfahren ergangene Zuweisungsentscheidung über den Verfahrensabschluss hinaus gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG Wirksamkeit entfaltet, hat auch nach Abschluss des Asylverfahrens ein länderübergreifender Wohnsitzwechsel nach § 51 AsylVfG zu erfolgen (OVG BBg, Beschl. v. 02.12.2009 – OVG 3 S 120.08 –, juris, RdNr. 12; Jobs, in: GK-AsylVfG II -§ 51 RdNr. 2. m.w.N.). Nach § 51 Abs. 1 AsylVfG ist, wenn ein Ausländer nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylVfG oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Verteilung Rechnung zu tragen. Gemäß § 51 Abs. 2 AsylVfG erfolgt die Verteilung nach Absatz 1 auf Antrag des Ausländers; über den Antrag entscheidet die zuständige Behörde des Landes, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist. Eine Umverteilung nach § 51 AsylVfG mag zwar dann nicht mehr in Betracht kommen, wenn dem Ausländer aus asylverfahrensunabhängigen Gründen eine Duldung erteilt worden ist (vgl. OVG RP, Urt. v. 15.02.2012, a.a.O.; RdNr. 24 ff., m.w.N.; OVG MV, Beschl. v. 17.02.2004 – 2 L 261/03 –, juris, RdNr. 6; Jobs, a.a.O., m.w.N.). Dies ist beim Antragsteller bislang aber nicht erfolgt. Erst wenn die länderübergreifende Umverteilung nach § 51 AsylVfG durchgeführt wurde, kann die Erteilung der Duldung für das aufnehmende Land durch die dort zuständige Ausländerbehörde erfolgen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG II - § 61 RdNr. 25). Solange eine solche Umverteilung des Antragstellers nicht erfolgt ist, bleibt es für die Erteilung der Duldung bei der örtlichen Zuständigkeit des Landkreises Heidekreis, der auch über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG mit Bescheid vom 30.07.2014 – seine örtliche Zuständigkeit bejahend – in der Sache (negativ) entschieden hat.
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Etwas anderes folgt schließlich nicht aus der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Senats (Beschl. v. 05.04.2006 – 2 M 126/06 –, juris, RdNr. 3, m.w.N.), nach der im Falle einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen dringender persönlicher, insbesondere familiärer Gründe die Erteilung einer weiteren Duldung (sog. Zweitduldung) durch die Ausländerbehörde, in deren Zuständigkeitsbereich der Ausländer seinen Wohnsitz verlegen will, in Betracht kommt.
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Um eine solche Zweitduldung bei Bestehen einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geht es vorliegend nicht; der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner vielmehr die erstmalige Aussetzung der Abschiebung nach Beendigung des Asylverfahrens. Insoweit ist unerheblich, ob der Landkreis Heidekreis während des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis den Antragsteller "faktisch" geduldet hat. Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit der am 26.11.2011 in Kraft getretenen Bestimmung des § 61 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Regelung geschaffen, nach der von der räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG abgewichen werden kann, wenn dies der Aufrechterhaltung der Familieneinheit dient (vgl. dazu: Funke-Kaiser, a.a.O., RdNr. 26). Durch diese Regelung wird die Ausländerbehörde am Wohnsitz des Ausländers nunmehr grundsätzlich in die Lage versetzt, die räumliche Beschränkung auf einen anderen Ort zu erweitern (vgl. OVG BBg, Beschl. v. 12.06.2013 – 3 S 32.13 –, juris, RdNr. 2). Deshalb dürfte kein Bedürfnis mehr für eine Zweitduldung bestehen, um den Gewährleistungen des Art. 6 GG und 8 EMRK Rechnung tragen zu können (vgl. OVG BBg, Urt. v. 09.04.2014 – OVG 3 B 33.11 –, juris, RdNr. 20; VG Bremen, Urt. v. 11.04.2014 – 4 K 460/13 –, juris, RdNr. 20). Dem entsprechend wird der Landkreis Heidekreis, wenn er die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachte Risikoschwangerschaft seiner Ehefrau bejahen sollte, zugleich darüber zu befinden haben, ob er die räumliche Beschränkung dahingehend abändert, dass der Antragsteller sich aus den geltend gemachten familiären Gründen im Land Sachsen-Anhalt oder im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners aufhalten darf.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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