Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (2. Senat) - 2 L 37/18
Gründe
I.
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Der Kläger richtet sich gegen Auflagen zu einer Baumfällgenehmigung, mit denen ihm Ersatzpflanzungen auferlegt wurden.
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Mit Bescheid vom 07.05.2015 genehmigte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 10.12.2014 die Fällung einer Buche, mehrerer Weiden sowie eines Nussbaums auf dem Grundstück A-Straße in A-Stadt. Zugleich erteilte sie dem Kläger die Auflagen, (1.) auf dem Grundstück zwei mittelkronige heimische Laubbäume in der Pflanzqualität "Baumschulware, Hochstamm, Stammumfang 14 – 16 cm, 3 x verpflanzt, mit Ballen" in eine Pflanzfläche ab 10 m² je Baum zu pflanzen, (2.) die Pflanzung bis Ende 2016 zu realisieren und den Abnahmetermin dem Umweltamt im Vorhinein mitzuteilen, (3.) den Nachweis für die Neuanpflanzung zu erbringen und eine mindestens zweijährige Pflege zu gewährleisten sowie (4.) den Ersatz dauerhaft zu erhalten und bei Verlust zu ersetzen. Zur Begründung führte sie aus, wenn die Fällung erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen des Naturhaushalts oder des Ortsbildes zur Folge habe, werde der Antragsteller beauflagt, Ersatz bestimmter Art und Größe zu pflanzen. Die Bäume hätten das Grundstück durch ihre Größe in starkem Maße mitgeprägt. Ihre Entfernung habe das Ortsbild verändert. Dies stelle eine Beeinträchtigung sowohl des Naturhaushalts als auch des Ortsbildes dar.
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Die dem Bescheid vom 07.05.2015 zugrunde liegende Regelung der Satzung zum Schutze des Baumbestandes als geschützter Landschaftsbestandteil in der Landeshauptstadt Magdeburg (Baumschutzsatzung) vom 22.01.2009 (BSS) lautet:
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"§ 8
Ersatzpflanzungen
Hat die Beseitigung oder Veränderung von Bäumen erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes zur Folge, so soll dem Antragsteller die Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen auferlegt werden."
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Mit Urteil vom 28.03.2018 – 1 A 166/15 MD – hat das Verwaltungsgericht die im Bescheid der Beklagten vom 07.05.2015 enthaltenen Auflagen Nr. 1 bis Nr. 4 aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Rechtmäßigkeit der vom Kläger angefochtenen Auflagen beurteile sich nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der Baumschutzsatzung der Beklagten vom 22.01.2009 (BSS). Hiernach solle dem Antragsteller (einer Baumfällgenehmigung) die Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen auferlegt werden, wenn die Beseitigung oder Veränderung von Bäumen erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes zur Folge habe. Auf diese Vorschrift könne die Beklagte die im Bescheid vom 07.05.2015 erteilten Auflagen nicht stützen, denn sie sei mit höherrangigen Recht nicht zu vereinbaren. Sie verletze das aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitende Gebot der hinreichenden Bestimmtheit einer Norm. Das Rechtsstaatsprinzip verlange, dass Rechtsgrundlagen zum Erlass belastender Verwaltungsakte nach Inhalt, Gegenstand und Ausmaß hinreichend bestimmt seien, so dass die Eingriffe messbar und für den Bürger hinreichend voraussehbar und berechenbar seien. Zwar schließe dies die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus; die Auslegungsbedürftigkeit nehme einer Vorschrift noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit. Ein Verstoß gegen das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit einer Norm (auch bei Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe) liege aber dann vor, wenn es nicht mehr möglich sei, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und Gerichte ausschlössen. Es müsse sich aus dem Inhalt der Rechtsvorschrift mit ausreichender Bestimmtheit ermitteln lassen, was von der pflichtigen Person verlangt werde. Dem genüge § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS offensichtlich nicht, wenn lediglich pauschal bestimmt werde, dass dem Antragsteller bei einer Genehmigung die Verpflichtung von Ersatzpflanzungen auferlegt werden solle. Es fehle bereits eine Regelung dafür, dass in bestimmten Fällen wegen des Zustandes des Baumes, den der Antragsteller beseitigen wolle, eine Ersatzpflanzung nicht verlangt werden solle. Insbesondere enthalte die Vorschrift keine Hinweise zu der Abhängigkeit des Ersatzpflanzgebotes von Quantität und Qualität des beseitigten Baums. Kriterien für Anzahl und Größe der Ersatzpflanzen fehlten ebenfalls. Die notwendige Konkretisierung dürfe aber nicht der Verwaltung überlassen bleiben, sondern sei vom Satzungsgeber selbst zu treffen. Das ergebe sich bereits aus der Kann-Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 2 NatSchG LSA a.F., auf die der Erlass der Baumschutzsatzung der Beklagten gestützt sei und wonach für den Fall der Bestandsminderung die Verpflichtung zu angemessenen und zumutbaren Ersatzmaßnahmen, insbesondere Ersatzpflanzungen, festgelegt werden könne. Daraus folge, dass der Gesetzgeber dem Satzungsgeber die nähere Konkretisierung auch der Voraussetzungen für das Verlangen von Ersatzpflanzungen aufgegeben habe. Mit der Formulierung in § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS, dass dem Antragsteller bei einer Genehmigung zur Beseitigung oder Veränderung von Bäumen, die eine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes zur Folge habe, die Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen auferlegt werden solle, werde zwar Ermessen eingeräumt. Es würden jedoch keine Kriterien zur Betätigung des Ermessens vorgegeben. Vorgaben zur Ermessensbetätigung in der Baumschutzsatzung hinsichtlich der Anordnung von Ersatzpflanzungen seien auch deshalb zwingend geboten, weil die hierin enthaltenen Verbote und Genehmigungsvoraussetzungen Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG seien. Die im Rahmen der Schaffung derartiger Inhalts- und Schrankenbestimmungen aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen privaten und sozialen Nutzen des Eigentumsgebrauchs habe zur Folge, dass die Ausgestaltung der Regelungen einer Baumschutzsatzung gewissen Anforderungen genügen müsse. Werde darauf verzichtet, schon bei der normativen Festlegung des Schutzes aller Bäume in einem bestimmten Bereich, die einen bestimmten Stammumfang überschritten, die Folgen dieses Schutzes für den jeweils betroffenen Eigentümer, insbesondere die ihn treffenden wirtschaftlichen Lasten und Einschränkungen der Nutzbarkeit seines Grundeigentums, in den Blick zu nehmen und abzuwägen, müsse gewährleistet sein, dass diese den privaten Eigentümer belastenden Aspekte bei den Genehmigungsvoraussetzungen auf der Stufe der normativen Regelungen hinreichend berücksichtigt würden. Spätestens dann, wenn es um Ausnahmen und Befreiungen von der Satzung sowie um Ersatzpflanzungen gehe, müsse gewährleistet sein, dass die bewirkten Eigentumsbindungen nicht – gemessen am sozialen Bezug, an der sozialen Bedeutung des Eigentumsobjektes und am verfolgten Regelungszweck – zu einer übermäßigen und unzumutbaren Belastung für den Eigentümer führten. Jedenfalls in der Regelung über Ersatzpflanzungen des § 8 Abs. 1 BSS seien deshalb im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit die betroffenen Eigentümerinteressen zu berücksichtigen. Dies bringe § 35 Abs. 2 Satz 2 NatSchG LSA a.F. mit der Formulierung zum Ausdruck, dass die Gemeinden Ersatzpflanzungen vorschreiben könnten, nicht jedoch müssten. Die gesetzliche Grundlage kenne gerade keinen Automatismus der Ersatzpflanzung. Den betroffenen Eigentümerinteressen sei umso eher und umso mehr Rechnung zu tragen, je geringer im konkreten Fall die Schutzzwecke der Satzung durch den Verlust eines einzelnen Baumes, etwa im Hinblick auf dessen Alter, Zustand, Standort usw., berührt würden. Entfalte ein Baum aufgrund seines Alters, Zustandes oder Standortes die typischen Wohlfahrtswirkungen, wie etwa die Verbesserung des Stadtklimas, welche seine Unterschutzstellung im öffentlichen Interesse angezeigt erscheinen ließen, nicht mehr oder nur noch in verringerten Maße, so könne dies zur Folge haben, dass sich die mit der Unterschutzstellung verbundenen Belastungen und Beschränkungen für den Eigentümer, weil nicht mehr durch einen mindestens gleichgewichtigen öffentlichen Zweck gerechtfertigt, als unverhältnismäßig und unzumutbar erwiesen. Gleiches könne dann in Betracht kommen, wenn von einem Baum aufgrund seines Erhaltungszustandes Gefahren ausgingen, die nicht durch gezielte Eingriffe oder ein ansonsten dem Eigentümer zurechenbares Verhalten hervorgerufen worden seien. Auch durch das Hinzutreten derartiger Gefahren als weitere Belastung für den Eigentümer neben den ohnehin schon regelmäßig durch die Unterschutzstellung bewirkten gewöhnlichen Belastungen und Einschränkungen könne im Einzelfall, je nach der konkreten Bedeutung des Baumes für die Schutzzwecke der Satzung, die Zumutbarkeitsschwelle überschritten werden. Im Rahmen dieser vorzunehmenden Abwägung sei gerade mit Blick auf ältere, durch Krankheit geschädigte und deshalb Gefahren verursachende Bäume bereits in der Baumschutzsatzung zu berücksichtigen, dass auch Bäume als Elemente der Natur dem Gesetz des Kommens und Vergehens unterworfen seien. Denn auch die Baumschutzsatzung könne für den einzelnen Baum nur unter diesen Einschränkungen eine Bestandssicherung vorsehen. Habe ein Baum aufgrund seines Alters oder sonstiger Ereignisse die Endphase seiner biologischen Existenz erreicht, so entspreche es natürlicher Betrachtung, ihn als abgängig zu behandeln. Diesen natürlichen Gegebenheiten könne sich die Baumschutzsatzung nicht dadurch entgegenstellen, dass sie für jeden Fall der – gleichsam nur an Stelle des weiteren biologischen Verfalls tretenden – Entfernung eines kranken, im vorgenannten Sinne abgängigen Baumes die Anlegung einer Ersatzpflanzung verlange. Schutzobjekt der Satzung sei der jeweils von der Norm erfasste einzelne Baum, denn § 35 Abs. 2 Satz 2 NatSchG LSA a.F. unterwerfe jeweils die Beseitigung eines Baumes der Genehmigungspflicht nach näherer Maßgabe einer gemeindlichen Satzung. Auf diesen sei die abwägende Einzelfallprüfung zu beziehen. Angesichts dessen könne die Aufrechterhaltung der Unterschutzstellung wie auch die Forderung nach einer Ersatzpflanzung nicht schon damit gerechtfertigt werden, dass auch ein kranker und Gefahren verursachender Baum noch einen gewissen Beitrag zu dem ökologischen Gesamtpotential leisten möge. Entscheidend sei vielmehr, ob der Baum trotz Alters oder Krankheit noch dauerhafte Wohlfahrtswirkungen mit einem derartigen Gewicht entfalte bzw. künftig erwarten lasse, dass auch unter Berücksichtigung gegebenenfalls bestehender Gefahren die mit der Unterschutzstellung ausgelösten, durch die Ersatzpflanzung fortgesetzten Beschränkungen und Belastungen für den Eigentümer noch legitimiert und zumutbar seien. Sei dies nicht der Fall und sei die Unterschutzstellung eines Baumes deshalb im Zeitpunkt seiner Entfernung nicht mehr in dem Sinne angemessen und zumutbar, dass das öffentliche Interesse am Erhalt des Baumes die privaten Eigentümerbelastungen und Einschränkungen zumindest aufwiege, so trete durch die Entfernung eines solchen Baumes mit Blick auf den Bestand der von der Unterschutzstellung im öffentlichen Interesse zu Recht erfassten Bäume kein Verlust ein, der durch eine Ersatzpflanzung, die ihrerseits gleichsam den freigewordenen Platz in diesem Bestand einnehme, auszugleichen wäre. Diese vorgenannten Kriterien und alle sonstigen relevanten Kriterien für und gegen ein Ersatzpflanzungsgebot und für den Umfang desselben hätten in § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS als Kriterien für die in der Bestimmung vorgeschriebene Ermessensbetätigung aufgenommen sein müssen, um dem rechtsstaatlichen Erfordernis hinreichender Normenklarheit und -bestimmtheit zu genügen. Das vollständige Fehlen führe zur Unwirksamkeit des § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die von der Beklagten allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.06.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris RdNr. 16). Das ist vorliegend nicht der Fall.
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1. Die Beklagte wendet gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein, dessen Einschätzung gehe an der Praxis vorbei und stelle Anforderungen auf, die der erforderlichen Einzelfallbeurteilung der Behörde entgegenstünden. Baumersatzpflanzungen ließen sich nicht von vornherein einem Schema zuordnen, sondern hingen immer von der jeweiligen Vorortsituation ab. Jeder einzelne Fall sei individuell zu beurteilen. Maßstab der Beurteilung sei die Bedeutung des Baumes für die Sicherung des Naturhaushaltes, einschließlich der klimatischen Situation, Belebung, Gliederung und Pflege des Orts- und Landschaftsbildes. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS solle dem Antragsteller die Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen auferlegt werden, wenn die Beseitigung oder Veränderung von Bäumen erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes zur Folge habe. Vorgegebene Ersatzpflanzungen seien somit jeweils nach der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes zu bemessen, d.h. nach dessen "ökologische Wertigkeit" und damit nach einem Kriterium, das einer unmittelbaren Bewertung im Einzelfall bedürfe. Wesentlich seien danach die Bedeutung des Baumes für die Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, einschließlich der klimatischen Situation, in dem Siedlungsgebiet, aber auch die Belebung, Gliederung und Pflege des Orts- und Landschaftsbildes.
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Hiermit kann die Beklagte nicht durchdringen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Bestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS wegen fehlender Bestimmtheit unwirksam ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die die Beklagte zutreffend hinweist, liegt ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitende Erfordernis angemessener Bestimmtheit einer Norm bei Verwendung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe nur dann vor, wenn es wegen der Unbestimmtheit nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und die Gerichte ausschließen. Aus dem Inhalt der Rechtsvorschrift muss sich mit ausreichender Bestimmtheit ermitteln lassen, was von den pflichtigen Personen verlangt wird. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift läßt noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit entfallen. Das Ausmaß der geforderten Bestimmtheit läßt sich dabei nicht allgemein festlegen. In erster Linie ist die Eigenart des zu regelnden Sachgebiets maßgebend. Der Gesetzgeber ist zwar gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Er verfügt aber, wenn er vor der Frage steht, ob er in einer Vorschrift unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder sie ins einzelne gehend fasst, über einen Gestaltungsspielraum, wobei nicht zuletzt auch Erwägungen der praktischen Handhabung seine Entscheidung beeinflussen dürfen. Insgesamt genügt es, wenn die Betroffenen die Rechtslage anhand objektiver Kriterien erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.1994 – 4 C 2.94 –, juris RdNr. 8). Verfassungsrechtlich geboten ist nicht eine Bestimmtheit "um jeden Preis", sondern eine auch unter Berücksichtigung der praktischen Handhabung in der Weise ausreichende Bestimmtheit, die eine willkürliche Behandlung durch Behörden oder Gerichte ausschließt (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.1994 – 4 C 2.94 –, a.a.O. RdNr. 17).
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Gemessen daran fehlt der Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS die hinreichende Bestimmtheit. Die Regelung enthält mit dem Tatbestandsmerkmal der "erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes" lediglich eine Umschreibung der Voraussetzungen für die Auferlegung einer Verpflichtung zu Ersatzpflanzung dem Grunde nach, also für das "Ob" einer Ersatzpflanzung. Diese "soll" bei Vorliegen der Voraussetzungen auferlegt werden. Kriterien dafür, wann bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ausnahmsweise von der Anordnung einer Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen abgesehen werden kann oder "soll", fehlen in § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS ebenso wie Vorgaben für das Maß einer Ersatzpflanzung, also für das "Wie".
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Die fehlenden satzungsmäßigen Vorgaben für Ausnahmen in Sonderfällen und die Bemessung des Umfangs einer Ersatzpflanzung sind auch nicht entbehrlich. Es ist anerkannt, dass nicht in jedem Fall der Entfernung eines der Baumschutzsatzung unterfallenden Baumes eine Ersatzpflanzung anzuordnen ist. Vielmehr erfordert die Entscheidung über die Anordnung einer Ersatzpflanzung eine abwägende Einzelfallprüfung unter Würdigung u.a. des Zustands, Alters und Standorts des betroffenen Baums. Insbesondere kann die Anordnung einer Ersatzpflanzung im Falle der Entfernung eines kranken und Gefahren hervorrufenden Baumes, der die Endphase seiner biologischen Existenz erreicht hat, nicht allein damit gerechtfertigt werden, daß auch ein solcher Baum noch einen Beitrag zu dem ökologischen Gesamtpotential leistet (vgl. OVG NW, Urt. v. 16.06.1998 – 7 A 759/96 –, juris RdNr. 11 ff.). Die für die Entscheidung über die Anordnung einer Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen maßgeblichen Kriterien sind in die Baumschutzsatzung aufzunehmen. Darüber hinaus ist anerkannt, dass in einer Baumschutzsatzung auch Regelungen zu Art und Umfang der Ersatzpflanzung erforderlich sind. Die Satzung muss hierfür normative Vorgaben enthalten, die eine Bestimmung im Einzelfall aufgrund sachgerechter und konkretisierbarer Kriterien ermöglichen und damit eine willkürliche Behandlung durch die Behörde ausschließen (vgl. OVG RP, Urt. v. 16.01.2008 – 8 A 10976/07 –, juris RdNr. 37). Notwendig sind Hinweise zu Anzahl und Größe der Ersatzpflanzen und der Abhängigkeit dieser Parameter zu Quantität und Qualität des beseitigten Baums. Da im Hinblick auf die Relation zwischen entfernten Bäumen und Anzahl und Größe der Ersatzpflanzen eine weite Spanne von Regelungen denkbar ist, erscheint eine nähere Konkretisierung in der Baumschutzsatzung zwingend (vgl. OVG BBg, Urt. v. 26.01.2006 – OVG 11 B 12.05 –, juris RdNr. 19 f.). Da die Baumschutzsatzung der Beklagten die hiernach erforderlichen Regelungen nicht enthält, ist sie mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam.
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Die genannten Anforderungen stehen auch nicht – wie die Beklagte meint – der erforderlichen Einzelfallbeurteilung entgegen. Die Satzung hat lediglich generell-abstrakt die für die Entscheidung über die Anordnung einer Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen maßgeblichen Kriterien zu benennen, auf deren Grundlage die Behörde im Einzelfall eine willkürfreie Entscheidung zu treffen hat. Schematische Vorgaben, aus denen sich in jedem Einzelfall zwingend ergibt, ob und in welchem Maß eine Ersatzpflanzung anzuordnen ist, sind weder sachgerecht noch geboten.
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2. Soweit die Beklagte meint, Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit für den Bürger sei eine Anforderung, die sich aus dem Rechtsstaatsgebot allerhöchstens als Nebeneffekt herleiten lasse, aber im Rechtsstaatsgebot keine Verankerung habe, so ist dem bereits im Ansatz entgegenzutreten. Es ist seit langem anerkannt, dass die Grundsätze des Rechtsstaates fordern, dass Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so daß die Eingriffe messbar und für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958 – 2 BvL 4/56 –, juris RdNr. 193).
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3. Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, dass auch die volle gerichtliche Nachprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe neben der Bestimmtheit dem Schutz vor Willkür diene. Während die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe Gesetze für die vielseitigen Lebenssituationen erst anwendbar machten, trete gegen ihre Überdehnung die gerichtliche Kontrolle auf, die die enge Anlehnung an den Grundrechtskanon gewährleiste. Träte man der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei, würden z.B. polizeirechtliche Generalklauseln, aber auch zahlreiche andere gesetzliche Regelungen bundesweit aufzuheben sein. Diese Generalklauseln seien seit ihrer Einführung immer wieder genau unter diesem Gesichtspunkt teils auch heftig diskutiert worden, seien aber in ihrer Grundrechtskonformität mittlerweile unumstritten. Auch hiermit kann die Beklagte nicht durchdringen. Wie bereits ausgeführt, liegt ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nur dann vor, wenn es wegen der Unbestimmtheit nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und die Gerichte ausschließen. Das ist vorliegend, wie oben gezeigt, bei § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS der Fall. Ob dies auf andere unbestimmte Rechtsbegriffe ebenfalls zutrifft, ist eine Frage des Einzelfalls und aus Anlass dieses Verfahrens nicht zu vertiefen. Die Tatsache, dass die Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS im Einzelfall gerichtlich voll nachprüfbar ist, ändert hieran nichts.
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4. Die Beklagte wendet gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiterhin ein, soweit nach § 35 Abs. 2 Satz 2 NatSchG LSA a.F. eine Ersatzpflanzung bei Bestandsminderung festgelegt werden könne, während nach § 8 der Baumschutzsatzung bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes eine Ersatzpflanzung angeordnet werden "soll", sei das System dieser beiden Regelungen gegeneinander zu stellen. Die Kann-Vorschrift des § 35 Abs. 2 Satz 2 NatSchG LSA a.F. habe die Bestandsminderung zum Tatbestand, gehe also zunächst nur von einer zahlenmäßigen Minderung des Bestandes aus. Es spreche nichts dafür, dass, übernähme man diese Regelung wortgetreu in eine Satzung, zur näheren Bestimmtheit ein Ermessensmaßstab festzulegen sei. Warum solle in einer Satzung dann, wenn der Wortlaut des Gesetzes übernommen werde, der Maßstab für die Bestimmtheit höher sein als im ermächtigenden Gesetz selbst, wenn beide Vorschriften deckungsgleich seien.
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Dieser Einwand ist schon nicht nachvollziehbar. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 23.07.2004 (GVBl. S. 454) (NatSchG LSA a.F.) für den Fall der Bestandsminderung die Verpflichtung zu angemessenen und zumutbaren Ersatzmaßnahmen, insbesondere Ersatzpflanzungen, festgelegt werden "kann", während gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS bei einer erheblichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder des Landschaftsbildes infolge der Beseitigung oder Veränderung von Bäumen dem Antragsteller die Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen auferlegt werden "soll", macht sie zunächst auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der der Gültigkeit der Baumschutzsatzung entgegenstehen könnte. Die Einführung einer "Soll"-Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS ist von der gesetzlichen Ermächtigung in § 35 Abs. 2 Satz 2 NatSchG LSA a.F. (jetzt: § 29 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG) möglicherweise nicht gedeckt. Soweit die Beklagte meint, die wortgetreue Übernahme der gesetzlichen Ermächtigung in die Satzung sei nicht zu beanstanden, ist dies bereits zweifelhaft (vgl. OVG BBg, Urt. v. 26.01.2006 – OVG 11 B 12.05 –, a.a.O. RdNr. 19, wonach eine Regelung über die Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen, soweit dies „angemessen und zumutbar“ sei, zu unbestimmt sei, weil sich dies auf die wörtliche Wiederholung der bereits in der gesetzlichen Ermächtigung abstrakt vorgegebenen Kriterien beschränke und es an deren näherer Konkretisierung und Ausgestaltung fehlen lasse). Dies bedarf indessen keiner Vertiefung, denn die vorliegende Baumschutzsatzung enthält keine wortgetreue Übernahme der gesetzlichen Ermächtigung, sondern im Hinblick auf die Ersatzpflanzungen, die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auferlegt werden "sollen", keine näheren Vorgaben. Die Frage, ob in einer Satzung dann, wenn der Wortlaut des Gesetzes übernommen werde, der Maßstab für die Bestimmtheit höher sei als im ermächtigenden Gesetz selbst, wenn beide Vorschriften deckungsgleich seien, stellt sich im vorliegenden Verfahren daher nicht.
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5. Ohne Erfolg bleibt schließlich das Vorbringen der Beklagten, die angefochtene Regelung der Baumschutzsatzung enthalte auf der Rechtsfolgenseite das "soll", das eine Einschränkung freien Ermessens abbildet, andererseits aber auf der Tatbestandsseite den Begriff „erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes". Zu den substanzmindernden Umständen der bloßen Fällung müsse demnach ein Momentum hinzukommen. Erst wenn, aber eben auch nur dann, wenn dieses Momentum vorliege, könne eine Einschränkung des Ermessens erfolgen. Der Begriff selbst stamme aus dem Bundesnaturschutzgesetz und unterliege der hinreichenden richterlichen Ausformung in langjähriger Rechtsprechung. Damit sei er voll justitiabel und überprüfbar. Der Tatbestand selbst stelle eine hohe Hürde für die Behörde dar, verlange er doch neben der Darstellung von Funktionsfähigkeit auch die Beantwortung des Merkmals der Erheblichkeit. Dabei beantworte das Naturschutzgesetz selbst diese Merkmale, jedenfalls in einer für Laien verständlichen Form. Im Einzelnen sei in der Rechtsprechung dabei ausreichend dargelegt, worin der Naturhaushalt bestehe, was seine Leistungsfähigkeit ausmache, worin eine Beeinträchtigung liegen könne und wann diese erheblich sei; gleiches gelte für die Prüfung des Merkmals Landschaftsbild. Die vollziehende Gewalt sei an die Begriffe im Sinne der Auslegung der Verwaltungsgerichte gebunden, so dass für Überraschungen von Antragstellern kein Raum sei. Behördliche Willkür mache sich nicht am Fehlen von formelhaften Verwaltungsvorschriften fest, sondern an der nicht grundrechtskonformen Anwendung im Einzelfall. Aus der Beantwortung der einzelnen Tatbestandsmerkmale sei auch grundsätzlich das Maß der Ausgleichspflicht erkennbar. Umgekehrt würde es der gesetzlichen Ermächtigung nicht gerecht, ginge man schematisch in formelhaften Geboten vor. Ein Blick auf die Bandbreite der deutschen Baumschutzsatzungen und den darin enthaltenen Ersatzverpflichtungen verdeutliche, dass am Maßstab des Gesetzes gemessen ein hohes Maß an Versuchen gemacht werde, einen Ausgleich summarisch zu fassen. Die Schaffung irgendeiner das Ermessen konkretisierenden Verwaltungsvorschrift lasse sich der tatsächlichen und Einzelfallsituation künftiger Antragsteller nicht anpassen, berge von daher das Risiko der Ungerechtigkeit und damit der Rechtswidrigkeit. Soweit das Verwaltungsgericht für das Bestimmtheitserfordernis der Satzungsregelung somit genaue Angaben zu Anzahl, Qualität und Größe von Ersatzpflanzungen verlange, lasse diese Ansicht die im Einzelfall auslegungsbedürftigen Begriffe „Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes“ außer Betracht, die sich aus den oben genannten Gründen nicht von vornherein schematisch regeln ließen.
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Auch diese Überlegungen stellen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Soweit die Beklagte auf die hohen Anforderungen an die Auferlegung einer Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen hinweist, ändert dies nicht daran, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 BSS weder Regelungen dazu enthält, wann von einer Auferlegung einer Verpflichtung zu Ersatzpflanzungen trotz Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen abgesehen werden kann oder soll, noch Vorgaben zu den Bemessungskriterien von Art und Umfang der Ersatzpflanzungen. Aus den Tatbestandsmerkmalen der Norm ergeben sich gerade keine Kriterien für Art und Ausmaß der Ersatzpflanzungen. Es ist auch nicht geboten, in der Satzung schematisch in formelhaften Geboten vorzugehen und genaue Vorgaben zu Anzahl, Qualität und Größe von Ersatzpflanzungen zu machen, die eine Einzelfallbeurteilung ausschließen. Erforderlich ist hingegen, dass die Satzung die bei der vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung maßgeblichen Kriterien hinreichend bestimmt vorgibt. Das ist hier nicht der Fall.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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