Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 32/17

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 29. März 2017 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

1

Das Amtsgericht Pirmasens hat den Angeklagten auf dessen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 27. Juli 2015 mit Urteil vom 17. Mai 2016 zweier Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,-- EUR verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 29. März 2017 kostenpflichtig als unbegründet verworfen. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten ist nicht begründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts befuhr der Angeklagte mit einem PKW jeweils in A-Stadt am 4. März 2015 den B…er Ring und am 8. April 2015 die Straße Am W…. Dabei verfügte er lediglich über ein unter dem 19. November 2014 ausgestelltes tschechisches Führerscheindokument. Eine früher innegehabte deutsche Fahrerlaubnis für die Klasse B war ihm mit am 5. August 2011 bestandskräftig gewordenen Bescheid der Stadtverwaltung A-Stadt aufgrund einer Fahrt unter Drogeneinfluss entzogen worden.

3

Das Landgericht hat angenommen, dass die dem Angeklagten in Tschechien erteilte Fahrerlaubnis ihn wegen eines Verstoßes gegen das sog. Wohnsitzerfordernis (§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV) sowie im Hinblick auf den im Jahr 2011 erfolgten Fahrerlaubnisentzug (§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV) nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigte, weshalb sich der Angeklagte nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar gemacht habe. Gegen diese Würdigung wendet sich der Angeklagte im Rahmen seiner Sachrüge.

II.

4

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Schuld- und Rechtsfolgeausspruchs hat einen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Landgericht hat insbesondere ohne Rechtsfehler das Eintreten der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen und unter Heranziehung von aus dem Ausstellermitgliedsstaat herrührenden Informationen belegt. Danach berechtigte die in Tschechien unter dem 19. November 2014 erworbene Fahrerlaubnis den Angeklagten nicht, in Deutschland ein erlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug zu führen.

1.

5

Entgegen der rechtlichen Annahme des Landgerichts lässt sich die Inlandsungültigkeit des in Tschechien ausgestellten Führerscheins allerdings nicht aus § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV herleiten. Denn diese Vorschrift greift aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz nicht ein, wenn die in einem Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis nach dem Ablauf einer im Aufnahmestaat verhängten Sperrfrist erworben oder wenn - wie hier - eine Sperrfrist gar nicht angeordnet worden ist (BVerwG NJW 2014, 2214, 2215 [Rz. 22] unter Verweis auf EuGH NJW 2006, 2173 und NJW 2012, 1935; s.a. EuGH NJW 2007, 1863 sowie Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. FeV § 28 Rn. 33 f.).

2.

6

Das Landgericht konnte die Inlandsungültigkeit der Fahrerlaubnis aber auf § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV stützen.

7

a) Das Landgericht hat hierbei nicht verkannt, dass nach Art. 2 Abs. 1 der hier anzuwendenden 3. Führerscheinrichtlinie (RL 2006/126/EG vom 20.12.2006; ebenso bereits die 2. Führerscheinrichtlinie - Art. 1 Abs. 2 der RL 91/439/EWG) in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnisse grundsätzlich anzuerkennen sind. Es ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs alleinige Sache des Ausstellerstaates zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, namentlich diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung (vgl. Art. 7 der 3. Führerscheinrichtlinie), eingehalten sind. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist generell als Nachweis dafür anzusehen, dass dessen Inhaber am Tag der Ausstellung die von der Richtlinie vorgesehenen (Mindest-)Voraussetzungen erfüllt hat (vgl. EuGH NJW 2010, 217; BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 - 3 C 18/12, juris Rn. 19 mwN. = BVerwGE 146, 377). Ausnahmen von der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung hat der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf die Nichteinhaltung des Wohnsitzerfordernisses lediglich dann für mit den europarechtlichen Bestimmungen vereinbar gehalten, wenn entweder aus dem Führerscheindokument selbst oder anhand von aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen fest steht, dass die von der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat nicht eingehalten worden sind (vgl. EuGH NJW 2008, 2403; 2011, 3635 [noch zur 2. Führerscheinrichtlinie] sowie die weiteren Nachweise bei Dauer aaO. FeV § 28 Rn. 26). Diese Rechtsprechung hat der deutsche Normgeber im Rahmen des § 28 Abs. 4 Nr. 2 der FeV in der bis 18.01.2009 geltenden Fassung bzw. in § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV in der ab 19.01.2009 geltenden Fassung dahingehend umgesetzt, dass nach dieser Vorschrift die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht gilt (u.a.) für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben. Denn in diesem Fall ist der von einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellte Führerschein von vornherein nicht als Nachweis dafür geeignet, dass das Wohnsitzprinzip nach Art. 7 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 9 der RL 91/439/EWG bzw. nach Art. 7 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 12 der RL 2006/126/EG bei Erteilung der ausländischen EU- oder EWR Fahrerlaubnis eingehalten wurde (vgl. BT-Drs. 851/08 S. 6). § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV greift dabei bereits dann ein, wenn aufgrund der vom Ausstellerstaat herrührenden Information festgestellt werden kann, dass der Fahrerlaubnisinhaber im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis nicht im Ausstellerstaat einen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 FeV bzw. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG begründet hatte (vgl. Senat, Beschluss vom 02.08.2016 - 1 OLG 1 Ss 55/16, juris Rn. 18; BVerwG ZfSch 2011, 710; 2015, 55; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.07.2009 - 10 B 10450/09, BeckRS 2009, 36030; VGH München ZfSch 2012, 416; VG Saarland, Beschluss vom 09.02.2011 - 10 L 16/11, juris Rn. 6; VG Augsburg, Beschluss vom 25.05.2016 - Au 7 S 16.258, juris Rn. 37; Kroehl NZV 2015, 7, 9). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist diese Ausnahme von der Verpflichtung gegenseitiger Anerkennung allerdings eng auszulegen; die von ihm zugelassenen Erkenntnisquellen, auf die sich der Aufnahmemitgliedstaat stützen kann, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern, ist als abschließend und erschöpfend anzusehen (EuGH NJW 2010, 217, 219).

8

b) Will ein Mitgliedstaat eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis die Anerkennung versagen und ergibt sich - wie hier - der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis i.S.v. Art. 7 Abs. 1 lit. e) der 3. Führerscheinrichtlinie bzw. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV nicht bereits aus der Führerscheindokument selbst, bedarf es daher stets entsprechender vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss das erkennende Gericht die vom Ausstellermitgliedstaat erhaltenen Informationen bewerten und beurteilen, ob es sich um unbestreitbare Informationen handelt, die belegen, dass der Inhaber des Führerscheins zu dem Zeitpunkt, als er diesen erhielt, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte. Im Rahmen dieser Beurteilung der vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen ist es dem erkennenden Gericht erlaubt, sämtliche Umstände des anhängigen Verfahrens einzubeziehen. Es kann insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen einen Hinweis darauf geben, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet dieses Staates nur ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (EuGH NJW 2012, 1341, 1345 [Rz. 73 ff.]).

9

c) Nach dem - soweit ersichtlich einheitlichen - Verständnis der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit von der vorgenannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sind die nationalen Gerichte bei der Prüfung eines Wohnsitzverstoßes dabei nicht auf diejenigen Informationen beschränkt, die sie vom Ausstellermitgliedstaat erhalten. Nicht erforderlich sei es, dass allein aus den von ihm herrührenden Informationen ein Scheinwohnsitz bereits abschließend erweislich sei. Vielmehr sei es ausreichend, wenn die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen auf einen solchen Verstoß lediglich hinweisen bzw. ein Indiz hierfür bieten. Die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen bildeten gleichsam lediglich den "Rahmen", innerhalb dem die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats alle Umstände eines vor ihnen anhängigen Verfahrens berücksichtigten dürften (BayVGH ZfSch 2012, 416 [unter Hinweis auf die jeweiligen Übersetzungen]; OVG Rheinland-Pfalz NJW 2016, 2052 sowie Beschluss vom 31.03.2016 - 10 A 10231/16.OVG; s.a.: BVerwG ZfSch 2013, 534 und Beschluss vom 21.04.2016 - 3 B 45/15, juris Rn. 5).

10

Diesem Verständnis der Verwaltungsgerichte von dem - außerstrafrechtlichen - Rechtsbegriffs der Gültigkeit einer Fahrerlaubnis i.S.d. FeV hat sich die strafrechtliche obergerichtliche Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 28.5.2013 - 1 Ss 18/13, juris Rn. 11 [unter ausdrücklicher Aufgabe gegenteiliger früherer Rechtsprechung]; OLG Stuttgart, Urteil vom 28.03.2014 - 2 Ss 799/13, juris Rn. 17 f.). Der Senat tritt dem bei (vgl. auch den Senatsbeschluss vom 28.08.2017 - 1 OLG 2 Ss 43/17).

11

d) Nach diesen Grundsätzen erweisen sich die rechtliche Beurteilung und die dieser zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts im Ergebnis als frei von durchgreifenden Rechtsfehlern.

12

Die von den tschechischen Behörden herrührenden Informationen weisen darauf hin, dass der Angeklagte bei Erwerb der unter dem 19. November 2014 erteilten Fahrerlaubnis im Ausstellermitgliedstaat einen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 FeV (bzw. Art. 12 der 3. Führerscheinrichtlinie) nicht begründet hat. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob sich dies bereits aus dem Umstand ergibt, dass sich die von dem Gemeinsamen Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Schwandorf-Petrovice gegebenen Informationen auf die Mitteilung beschränken, dass der Angeklagte in Tschechien vom 18. Februar bis zum 18. Dezember 2014 einen melderechtlichen Wohnsitz gehabt hatte, und dass - bei gleichzeitigen ununterbrochenen Bestehens eines Wohnsitzes in Deutschland - dort offensichtlich keinerlei Erkenntnisse zur tatsächlichen Wohnsitznahme im Ausstellermitgliedstaat vorgelegen haben (in diesem Sinne: OVG Rheinland-Pfalz NJW 2016, 2052, 2053 [Rz. 6].). Denn das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der vom Angeklagten vorgelegte Gewerberegisterauszug einen Wohnsitz des Angeklagten in Deutschland auswies. Bei dieser, vom Gewerbeamt - Stadtamt Bilina - ausgestellten Urkunde handelt es sich - ebenso wie bei den Mitteilungen des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit, hierzu: BVerwG DAR 2013, 594; BayVGH ZfSch 2012, 416 - um eine von einer Behörde des Ausstellermitgliedstaats herrührende und damit als unbestreitbar einzustufende Information (vgl. EuGH NJW 2012, 1341, 1344 [Rz. 67]). Der Umstand, dass der Angeklagte bei der am 18. Februar 2014 erfolgten Anmeldung eines Gewerbes in Tschechien eine deutsche Meldeanschrift genannt hat, ist mit dem Inhalt der Mitteilungen zum melderechtlichen Wohnsitz nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen und weist darauf hin, dass die Anmeldung eines Wohnsitzes nur zum Schein erfolgt ist. Der europarechtliche Grundsatz gegenseitiger Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Fahrerlaubnisse stand einer umfassender Bewertung unter Einschluss der in Deutschland gewonnenen Erkenntnisse durch das Tatgericht daher nicht entgegen.

13

Insoweit hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei namentlich aus dem Umstand, dass der Angeklagte ununterbrochen in A-Stadt gemeldet gewesen war und dort vom 2. September 2013 bis zum 1. September 2015 ohne wesentliche Fehlzeiten eine Umschulungsmaßnahme zum Maurer erfolgreich absolviert hat, geschlossen, dass der Angeklagte in Tschechien keinen Wohnsitz i.S.v. § 7 Abs. 1 FeV bzw. Art. 12 der 3. Führerscheinrichtlinie begründet hat.

3.

14

Seine Annahme, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass ihn das tschechische Fahrerlaubnisdokument nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigte, hat das Berufungsgericht tragfähig aus dem Umstand gefolgert, dass der Angeklagte zur Vermittlung eine "auf solche Methoden spezialisierte Firma" (UA S. 9) beauftragt hat. Der Senat entnimmt den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit, dass das Berufungsgericht hierbei auf die festgestellten Verschleierungshandlungen, die dem Angeklagten nicht verborgen geblieben sein konnten - Anmeldung eines tatsächlich nicht ausgeübten Gewerbes in Tschechien, Abschluss eines Mietvertrages über eine tatsächlich nicht genutzte Wohnung -, abgestellt hat. Hiergegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

4.

15

Auch die den Rechtsfolgeausspruch tragenden Erwägungen des Landgerichts sind frei von durchgreifenden Rechtsfehlern. Im Hinblick auf den Umstand, dass der Angeklagte im Anschluss an die Fahrt vom 4. März 2015 polizeilich kontrolliert worden war, war das Berufungsgericht nicht gehindert, die Fahrt vom 8. April 2015 mit einer gegenüber jener Tat moderat erhöhten Geldstrafe zu ahnden.

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