Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (Senat für Bußgeldsachen) - 1 OWi 2 SsBs 146/20

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Landstuhl vom 20. August 2020 im Rechtsfolgeausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Amtsgericht hat den Betroffenen auf dessen rechtzeitig erhobenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 19. Juni 2019 (Az.: 19.1000547.9) mit Urteil vom 20. August 2020 wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 98 km/h am 10. Februar 2019 zu einer Geldbuße von 1.200,-- EUR verurteilt und ein Fahrverbot von 3 Monaten angeordnet. Es hat sodann festgestellt, dass die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Verfahren vor dem Amtsgericht Kaiserslautern (Az.: 6070 Js 12532/19) für die Dauer vom 25. Juli 2019 bis zum 9. Juni 2020 auf das im hiesigen Verfahren angeordnete Fahrverbot von 3 Monaten gemäß § 25 Absatz 6 Satz 1 StVG anzurechnen ist, sodass das angeordnete Fahrverbot als vollstreckt gilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer wirksam eingelegten und rechtzeitig begründeten Rechtsbeschwerde gegen die in Ziffer 2 des Tenors getroffene Feststellung über die Anrechnung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf das angeordnete Fahrverbot.

2

Das nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG statthafte, lediglich den Rechtsfolgeausspruch des angefochtenen Urteils betreffende Rechtsmittel, ist begründet und führt zum Erfolg. Die Ausführungen des Amtsgerichts rechtfertigen vorliegend die Anrechnung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Verfahren des Amtsgericht Kaiserslautern, Az. 6070 Js 12532/19, auf das in diesem Urteil angeordnete Fahrverbot von 3 Monaten nicht. Dies entzieht dem Rechtsfolgenausspruch insgesamt die Grundlage, mit der Folge, dass die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Rechtsmittelbeschränkung auf einen Teil des Rechtsfolgeausspruchs unwirksam ist.

I.

3

Das Amtsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung folgendes ausgeführt:

4

„Das Fahrverbot gilt jedoch als vollstreckt, § 25 Abs. 6 S. 1 StVG.“

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Zusätzlich finden sich unter III. bezüglich des Vortrags des Verteidigers noch folgende Ausführungen:

6

„Der Verteidiger des Betroffenen hat wie folgt vorgetragen: das anzuordnende Fahrverbot muss als vollstreckt gelten, weil der Betroffene in anderer Sache (Dokument wurde als Anlage zum Protokoll vorgelegt) eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis über fast 11 Monate hinnehmen musste.“

II.

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1) Die Voraussetzungen des § 25 Absatz 6 Satz 1 StVG liegen nicht vor.

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Aus dem Tenor und dem dargestellten Vortrag des Verteidigers ist zu entnehmen, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen Verfahren angeordnet wurde. Regelmäßig kann die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein später angeordnetes Fahrverbot gemäß § 25 Absatz 6 Satz 1 StVG jedoch nur dann erfolgen, wenn beide Anordnungen im gleichen Verfahren – wenn auch nicht zwingend wegen derselben Tat - erfolgt sind (vgl. Haus/Krumm/Quarch, 2. Auflage, 2017, § 25 StVG Rn 62). Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Tatbestand des § 25 StVG in seiner Grundkonzeption dem Fahrverbot gemäß § 44 StGB nachgebildet ist (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 26. Aufl. 2020, § 25 StVG Rn 1). Der Gesetzgeber hat schon bei der Einführung der Anrechnungsmöglichkeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Fahrverbot im § 25 StVG ausdrücklich eine Anpassung an die diesbezüglichen Vorschriften des Strafgesetzbuches beabsichtigt (vgl. BT Drucksache V/4094, Seite 60, zu Artikel 83, zu Nummer 1). Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut besteht eine Anrechnungsmöglichkeit auf ein Fahrverbot im Sinne des § 44 StGB gemäß § 51 Absatz 5 iVm Absatz 1 StGB jedoch nur in den Fällen, in denen der Verhängung des Fahrverbots im gleichen Verfahren eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis voranging (vgl. MüKo StGB, 2020, § 51 StGB Rn 65f.). Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich die Regelung zur Anrechenbarkeit bei einem Fahrverbot gemäß § 25 StVG von derjenigen bezüglich eines Fahrverbots gemäß § 44 StGB unterscheiden sollte. Sinn und Zweck sind identisch. Die Möglichkeit der Anrechnung trägt dem Gedanken Rechnung, dass eine im selben Verfahren erlittene Entziehung der Fahrerlaubnis durch seine Verbotswirkung den Zweck eines später angeordneten Fahrverbots im Sinne einer Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme (vgl. BT-Drucksache V/1319, 90) bereits erfüllt hat und dieses daher entbehrlich macht. Eine über den gesetzlichen Wortlaut des § 51 Absatz 1 StGB hinausgehende Anwendung der Vorschrift auf verfahrensfremde Fahrverbote, nur weil sie gemäß § 25 StVG und nicht gemäß § 44 StGB angeordnet wurden, wäre vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die Beschränkung der Anrechenbarkeit von Nebenfolgen auf Anordnungen im selben Verfahren entspricht der Regel. Auch der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zum einheitlichen Fahrverbot in Bußgeldverfahren auf die Fälle beschränkt, in denen mehrere, tatmehrheitlich entstandene Fahrverbote im selben Verfahren verhängt werden müssten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2015, Az. 4 StR 227/15 in BGHSt 61, 100). Eine Verrechnung mit Fahrverboten aus anderen Verfahren ist auch hier nicht möglich.

9

Eine verfahrensübergreifende Anrechnung einer zuvor zu Unrecht erlittenen Nebenfolge auf eine nunmehr angeordnete Nebenfolge als Kompensation wäre überdies gesetzesfremd. Eine Entschädigung für zu Unrecht angeordnete Sanktionen erfolgt ausschließlich im Rahmen der Regelungen des Strafrechtsentschädigungsgesetzes. Auch bei anderen Entziehungsmaßnahmen kennt das Gesetz eine solche verfahrensübergreifende Kompensation nicht. Dies gilt umso mehr, weil § 25 Absatz 6 StVG keine Unterscheidung zwischen rechtmäßig und unrechtmäßig erlittener Entziehung der Fahrerlaubnis trifft, eine solche Kompensation jedoch nur in solchen Fällen angebracht wäre, in denen die entziehende Maßnahme zu Unrecht erfolgte oder über die später verhängten Maßnahmen (Fahrverbot oder endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis mit kürzer Sperrfrist) hinausging.

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2) Vorliegend kam auch keine analoge Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Anrechenbarkeit verfahrensfremder Untersuchungshaft bei potentieller Gesamtstrafenfähigkeit auf die Regelung des § 25 Absatz 6 StVG in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach klargestellt, dass mit Blick auf die Bedeutung des Freiheitsrechts aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG verfahrensfremde Untersuchungshaft über den eigentlichen Anwendungsbereich des § 51 Absatz 1 StGB hinaus jedenfalls dann auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen ist, wenn zumindest eine potentielle Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, besteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. September 1998, Az. 2 BvR 2232/94 in NStZ 1999, 24; Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1999, Az. 2 BvR 1447/99 in NStZ 2000, 277; Einstweilige Anordnung vom 25. April 2001, Az. 2 BvQ 15/01 in NStZ 2001, 501). Hiernach ist eine Anrechnung von Untersuchungshaft immer dann geboten, wenn zwischen der die Untersuchungshaft auslösende Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt, ein funktionaler Zusammenhang oder sachlicher Bezug besteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1999, aaO; Kammerbeschluss vom 15. Mai 1999, Az. 2 BvR 116/99 in NStZ 1999, 477; BGH, Beschluss vom 16.06.1997, Az. StB 30/96 in BGHSt 43, 112). Dies gilt auch bei einer Gesamtstrafenbildung bzw. einer potentiellen Gesamtstrafenfähigkeit in den Fällen, in denen eine Gesamtstrafenfähigkeit der getrennt geführten Verfahren grundsätzlich bestand, der Verurteilte in dem Verfahren, in dem er Untersuchungshaft erlitt, jedoch später freigesprochen wurde (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 15. Dezember 1999, aaO; Einstweilige Anordnung vom 25. April 2001, Az. 2 BvQ 15/01 in NStZ 2001, 501; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Oktober 2012, Az. 2 Ws 198/12 nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. Juni 2013, Az. 3 Ws 478/13, nach juris; KG Berlin, Beschluss vom 21. Juni 2018, Az. 4 Ws 75 - 76/18, nach juris). Diese Grundsätze rechtfertigen jedoch nicht die Anrechenbarkeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein später angeordnetes Fahrverbot. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts berührt die Entscheidung über die Anrechnung erlittener Untersuchungshaft auf die zeitige Freiheitsstrafe die durch Artikel 2 Absatz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Person. Dieses Freiheitsrecht beeinflusst als objektive, für alle Bereiche des Rechts geltende Wertentscheidung auch die Auslegung und Anwendung des § 51 Absatz 1 StGB, so dass ein sich lediglich auf den Wortlaut der Vorschrift berufendes, formalistisches Verständnis dieser Norm der Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht genügt. Es ist vielmehr erforderlich, die der Rechtsvorschrift zugrundeliegenden Wertung aus der gesetzgeberischen Vorgeschichte - Untersuchungshaft, soweit sie überhaupt in einem Zusammenhang mit einer verhängten Strafe steht, möglichst umfassend anzurechnen - bei ihrer Auslegung zugrunde zu legen (vgl. Begründung des BVerfG im Beschluss vom 15. Dezember1999, Az. 2 BvR 1447/99 a.o.O). Diese Ausgangslage ist mit der Anrechnung einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Fahrverbot nicht zu vergleichen. Zum einen berührt das vorübergehende Verbot ein Kraftfahrzeug auf öffentlichen Straßen zu führen – sei es in Form eines Fahrverbots oder einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis – kein verfassungsrechtlich geschütztes Freiheitsrecht, das die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Normen über ihren Wortlaut hinaus rechtfertigen würde, sondern lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG). Zum anderen liegt der Vorschrift über die Anrechenbarkeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Fahrverbot auch keine mit der Untersuchungshaft vergleichbares Gebot einer möglichst umfassenden Anrechnung zugrunde. Eine verfahrensübergreifende Anrechnung ist daher beim Fahrverbot nicht verfassungsrechtlich geboten.

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3) Vorliegend war somit die Anrechnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Verfahren des Amtsgerichts Kaiserslautern auf das im gegenständlichen Verfahren angeordnete Fahrverbot von 3 Monaten gemäß § 25 Absatz 6 StVG rechtsfehlerhaft.

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Jedoch könnte die nach der verfahrensgegenständlichen Tat eingetretene, fast elf Monate andauernde und zum Zeitpunkt des Urteils bereits beendete vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis Auswirkungen auf die Entscheidung über die Erforderlichkeit des Fahrverbots im Sinne des § 25 StVG haben. Im Hinblick auf die konkreten Umstände könnte es an der präventiven Notwendigkeit des Fahrverbots als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme fehlen. Das Urteil lässt nicht erkennen, dass das Amtsgericht sich an dieser Stelle mit den besonderen Umständen dieses Einzelfalls und der konkreten Frage, warum zusätzlich zur Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis das Fahrverbot als Erziehungsmaßnahme geboten ist, auseinandergesetzt hat.

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Darüber hinaus muss dann, wenn das Amtsgericht die Notwendigkeit der Maßnahme im konkreten Fall weiterhin bejaht, deren Angemessenheit eingehender als im angefochtenen Urteil geschehen erörtert werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass dem Betroffenen zeitnah über fast ein Jahr die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war, ist ein Absehen vom Fahrverbot bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße gemäß § 4 Absatz 4 BKatV – trotz des erheblichen Verkehrsverstoßes – nicht per se auszuschließen.

III.

14

Die danach erforderliche Urteilsaufhebung war deshalb auf den gesamten Rechtsfolgenausspruch zu erstrecken. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Rechtsbeschwerde in ihrer Begründung allein gegen Ziffer 2 des Tenors wendet und ersichtlich war, dass das Urteil nur insoweit als angefochten gelten sollte. Eine solche Beschränkung war vorliegend unwirksam. Die schriftlichen Urteilsgründe lassen eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Verfahren vor dem Amtsgericht Kaiserslautern auf die Anordnung und Bemessung des hiesigen Fahrverbots vermissen. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Bußgeld und Fahrverbot (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 28.12.2011, Az. 3 Ss OWi 1616/11, juris Rn. 14) erfasst dieser Begründungsmangel den Rechtsfolgenausspruch mit dem ihm zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt.

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Für eine eigene Entscheidung durch den Senat gemäß § 79 Absatz 6 OWiG war vorliegend kein Raum, da dem Urteil keine ausreichenden Feststellungen zum Verfahren vor dem Amtsgericht Kaiserslautern, insbesondere zeitlicher Zusammenhang, Gegenstand des Bußgeldverfahrens und Sachverhalt, zeitlicher Verlauf und Ergebnis des Verfahrens, zu entnehmen waren. Da insoweit eigene Tatsachenfeststellungen des Senats erforderlich wären, kommt eine Entscheidung gemäß § 79 Abs. 6 OWiG nicht in Betracht. Der Senat hatte keinen Anlass, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen.

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