Urteil vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 OLG 2 Ss 36/21

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 4. (kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 18.03.2021 aufgehoben; die insoweit getroffenen Feststellungen bleiben bestehen.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Speyer hat den Angeklagten mit Urteil vom 26.08.2020 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten, welche dieser vor der Hauptverhandlung auf die Anfechtung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt hatte, hat das Landgericht diesen unter Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe mit den Strafen aus einem weiteren Urteil des Amtsgerichts Speyer (nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt; die weitergehende Berufung hat das Landgericht verworfen.

2

Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen das Berufungsurteil mit der auf die Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.

3

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.

I.

4

Das Landgericht hat seiner Entscheidung, ausgehend von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, die Feststellungen des Amtsgerichts zum Schuldspruch zugrunde gelegt. Danach hat der Angeklagte im Zeitraum vor April 2017 an den gesondert verfolgten A 200 g Amphetamin mit einem Gesamtwirkstoffgehalt von 20 g Amphetaminbase verkauft. Auf den vereinbarten Kaufpreis von 1.000,-- EUR zahlte der A jedoch nur 50,-- EUR.

II.

5

Die Bemessung der für die Tat verhängten Einzelstrafe von sechs Monaten hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

1.

6

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er allein ist in der Lage, sich aufgrund der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, insbesondere wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht gelassen haben oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder nach unten inhaltlich löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist. Die Höhe der vom Tatrichter für den jeweiligen Fall bestimmten Strafe kann vom Revisionsgericht anhand der im Urteil dargelegten Umstände nicht ohne weiteres nachgeprüft werden. Bei der Gewichtung der einzelnen Umstände spielen vielmehr die aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und dem Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnenen Momente eine Rolle, die sich einer exakten Richtigkeitskontrolle entziehen und schon deshalb eine volle Nachprüfung des Strafausspruchs durch den Revisionsrichter ausschließen. In Zweifelsfällen muss die Strafzumessung des Tatrichters bis zur Grenze des noch Vertretbaren hingenommen werden (st. Rspr. vgl. Senat, Urteile vom 07.06.1996 - 1 Ss 51/96, juris Rn. 4 und vom 13.04.2018 – 1 OLG 2 Ss 5/18, juris Rn. 12; BGH, Beschluss vom 10.04.1987 - GSSt 1/86, juris Rn. 17 f. = BGHSt 34, 345; Urteil vom 27.01.2015 - 1 StR 142/14, juris Rn. 24; Weber, BtMG, 5. Aufl., Vor §§ 29ff. Rn. 784; Miebach/Maier in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 46 Rn. 307 jeweils mwN.).

2.

7

Gemessen hieran erweist sich die Annahme eines minder schweren Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 BtMG) als nicht tragfähig begründet. Die darauf bezogenen Ausführungen weisen Rechtsfehler auf, die sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Angeklagten wirken können (§ 301 StPO).

8

a) Ob ein minder schwerer Fall vorliegt, der die Anwendung des Normalstrafrahmens nicht mehr angemessen erscheinen lässt, ist daran auszurichten, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maß abweicht, dass die Anwendung des milderen Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (BGH, Urteil vom 15.03.2017 – 2 StR 294/16). Bei dieser Beurteilung ist eine Gesamtbetrachtung aller wesentlichen ent- und belastenden Umstände erforderlich, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (Maier in MünchKomm-StGB, 4. Aufl. 2020, § 46 Rn. 115 m.w.N.).

9

b) Die Erwägung des Landgerichts, eine lediglich zweifache Überschreitung des Grenzwertes sei bei der Strafrahmenwahl mildernd zu berücksichtigen, hält sich dabei noch innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Spielraums. Denn bei der erforderlichen Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände ist die Frage, ob die Wirkstoffmenge um ein Vielfaches der nicht geringen Menge oder nicht sehr erheblich überschritten ist, regelmäßig von Bedeutung. Je höher im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge überschritten ist, umso ferner wird im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung die Annahme eines minder schweren Falles liegen. Je geringer demgegenüber die Überschreitung des Grenzwerts ist, desto näher liegt die Annahme eines minder schweren Falles. Eine nur geringe Grenzwertüberschreitung wird – weil unterhalb des „Durchschnittsfalles“ gelegen – ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falles sein, während eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen spricht (Senat, Urteil vom 13.04.2018 – 1 OLG 2 Ss 5/18, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 15.03.2017 – 2 StR 294/16, juris Rn. 20 = BGHSt 62, 90-96, Rn. 13; Urteil vom 26.04.2017 – 2 StR 506/15, NStZ 2017, 658, 659 f.; Patzak in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, § 29a Rn. 129). Demzufolge war es der Strafkammer nicht verwehrt, das Maß der Grenzwertüberschreitung bei der Einordnung der Tat zu berücksichtigen.

10

Soweit der Bundesgerichtshof die strafmildernde Berücksichtigung einer nur geringfügigen Überschreitung des Grenzwertes beanstandet hat (Urteil vom 15.03.2017 – 2 StR 294/16, juris Rn. 20 ff. = BGHSt 62, 90 unter Aufgabe früherer Rechtsprechung; s.a. D. Schmidt NJW 2017, 2876) bezieht sich diese Rechtsprechung auf die Strafzumessung im engeren Sinne, nicht aber bereits auf die Strafrahmenwahl.

11

c) Die Beschwerdeführer beanstandet jedoch zu Recht die mildernde Wirkung, die das Landgericht im Rahmen der Strafrahmenbestimmung dem Umstand beigemessen hat, dass die hier gehandelten Betäubungsmittel (Amphetamin) auf der Schwereskala illegaler Drogen einen mittleren Platz einnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.06.1990 – 2 StR 275/90, StV 1990, 494). Denn damit hat das Landgericht einen Umstand, der geeignet ist, dem Tatbild ein vom Gewicht eines Durchschnittsfalls nach unten hin abweichendes Gepräge zu geben, nicht belegt. Zwar hat es zutreffend erkannt, dass die Gefährlichkeit von Amphetamin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Regelfall keine strafschärfende Wirkung beigemessen werden kann (BGH, Urteil vom 22.08.2012 - 2 StR 235/12, NStZ-RR 2013, 150). Die Einordnung von Amphetamin als mittelgradig gefährliche Droge kann im Rahmen der Gesamtwürdigung der Tat aber auch kein vom Durchschnittsfall nach unten hin abweichendes Gepräge geben. Es ist vielmehr ein Gesichtspunkt, der eher die Annahme des Regelstrafrahmens, als die eines minder schweren Falles zu rechtfertigen vermag.

12

d) Die Ausführungen zur Strafrahmenwahl weisen zudem den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler auf. So hat das Landgericht im Kontext von schulderschwerend gewerteten Umständen (namentlich Vorstrafen) ausdrücklich berücksichtigt, dass „das Amphetamin nicht sichergestellt werden konnte und der Angeklagte nicht betäubungsmittelabhängig ist“ (UA S. 8). Hierbei handelt es sich um Umstände, die den Normalfall des Betäubungsmittelhandels beschreiben. Der Gesamtzusammenhang in dem diese Umstände gestellt sind, lässt somit zu besorgen, dass das Landgericht das Fehlen von Strafmilderungsgründen rechtsfehlerhaft erschwerend berücksichtigt hat (vgl.BGH, Beschluss vom 26.10.1990 – 2 StR 390/90, juris Rn. 8; Beschluss vom 22.05.2018 - 4 StR 100/18, juris Rn. 8; Urteil vom 09.10.2019 – 1 StR 39/19, juris Rn. 18).

3.

13

Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl und damit die Bemessung der Strafe auf den beiden dargestellten – gegenläufigen - Rechtsfehlern beruht. Die danach erforderliche Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafe führt zwingend auch zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

14

Weil der Aufhebung jedoch allein Wertungsfehler auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen zugrunde liegen, bedurfte es einer Aufhebung von Feststellungen nicht. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese zu den bereits getroffenen nicht in Widerspruch treten.

15

Eine etwa vollständige Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 21. August 2019 ist allerdings für die neue Entscheidung über die Bildung einer Gesamtstrafe ohne Bedeutung, weil für die Vollstreckungssituation auf den Zeitpunkt der (aufgehobenen) Berufungsentscheidung abzustellen ist (BGH, Beschluss vom 21.08.2001 – 5 StR 291/01, NStZ 2001, 645; Beschluss vom 25.02.2009 - 5 StR 22/09). Bei der Strafzumessung und der Sozialprognose ist dagegen von dem aktuellen Vollstreckungsstand auszugehen.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen