Urteil vom Sozialgericht Düsseldorf - S 2 KA 19/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand:
2Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen.
3Die Klägerin ist in X als Zahnärztin niedergelassen und zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen.
4Mit Bescheid der Prüfungsstelle der Zahnärzte und Krankenkassen vom 27.05.2011 wurde ein Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung betreffend die KCH-Abrechnungen der Klägerin für die Quartale I/2007 bis IV/2007 abgeschlossen und die Beklagte darüber informiert, dass im Rahmen der Überprüfung dieser Abrechnungen festgestellt worden sei, dass in vermehrtem Umfang KCH-Behandlungsfälle abgerechnet worden seien, obwohl die Krankenversicherungskarten nicht vorgelegen hätten und die Daten der jeweiligen Versicherten daher nicht eingelesen worden seien. Hierzu und zu den Folgequartalen der Jahre 2008 und 2009 nahm die Klägerin dahin Stellung:
5Ihre Praxis liege in einem Gebiet, in dem viele sozial schwache Menschen mit überdurchschnittlich vielen Kindern, häufig mit Migrationshintergrund, lebten. Außerdem gehörten zu ihren Patienten überdurchschnittlich viele ältere Leute, unter anderem aus den nahegelegenen X Seniorenwohnhelmen. Bei den Patienten mit Migrationshintergrund bestünden häufig Verständigungsschwierigkeiten. Diese Patienten seien trotz Erläuterungen teilweise nur schwer in der Lage, Belehrungen und Formulare, in denen auf Abrechnungsmodalitäten hingewiesen werde, zu verstehen und zu unterschreiben. Insbesondere bei Kindern komme es häufiger vor, dass Versicherungskarten abhandenkämen, zu den Behandlungsterminen vergessen würden oder defekt und infolgedessen nicht mehr computertauglich seien. Außerdem komme es häufig vor, dass Eltern vor einer Behandlung ihrer Kinder telefonisch um Rat fragten, die Kinder aber gleichwohl nicht zu dem mit den Eltern vereinbarten Termin in die Praxis kämen. Die telefonische Beratung habe sie aber vorgenommen. Viele Patienten verstünden trotz Belehrung nicht, dass auch für eine telefonische Beratung eine KV-Karte benötigt werde. Bei älteren Menschen, insbesondere bei den Bewohnern von Alten- oder Pflegeheimen, sei häufig zu beobachten, dass sich die KV-Karten wegen anderweitiger Behandlungen bei einem anderen Arzt befänden. Als Medizinerin fühle sich die Klägerin verpflichtet, Patienten auch dann zu behandeln und/oder telefonisch zu beraten, wenn diese aus den verschiedenen dargelegten Gründen keine KV-Karte vorgelegt hätten. Sie habe den Patienten vertraut, die Versichertenkarte nachträglich vorgelegt zu bekommen. Dies habe sich aber leider nicht immer realisieren lassen. Wenn die KV-Karte aus den beschriebenen Gründen gefehlt habe, sei dann am Ende des Quartals im Wege des Ersatzverfahrens abgerechnet worden.
6Mit Bescheid vom 09.02.2012 hob die Beklagte die der Klägerin erteilten Honorarbescheide für die KCH-Abrechnungen der Quartale I/2007 bis IV/2009 in Höhe von insgesamt 24.012,00 EUR auf und setzte die Honorare, reduziert um den jeweiligen Quartalsrückforderungsbetrag, neu fest.
7Für die Abrechnung vertragszahnärztlicher Leistungen sei als Nachweis für die Versicherung behandelter Patienten grundsätzlich das Einlesen der gültigen Krankenversichertenkarte erforderlich. In einigen Ausnahmefällen, in denen es nicht möglich sei, die Krankenversichertenkarte einzulesen, bestehe die Möglichkeit, die Abrechenbarkeit vertragszahnärztlicher Leistungen über das sog. Ersatzverfahren zu erreichen.
8Auch für das Ersatzverfahren sei die Unterschrift des Versicherten zwingend vorgeschrieben. Bei Nutzung der elektronischen Abrechnung sei ein Abrechnungsschein mit den zuvor erhobenen Daten (Name, Anschrift, Geburtsdatum des Versicherten, Name der Krankenkasse, Versichertenstatus, ggf. Versichertennummer) in der Praxis oder von der Krankenkasse zu erstellen oder ein sonstiges Formular - z. B. Muster 16 als Vordruck für Verordnungen - mit den zuvor erhobenen Daten zu beschriften und von dem Versicherten zu unterzeichnen. Nachweise und Belege mit den entsprechenden Unterschriften der Versicherten oder der Erziehungsberechtigten habe die Klägerin nicht eingereicht.
9Die sachlich-rechnerische Berichtigung sei für den betroffenen Abrechnungszeitraum auch nicht verjährt. Bezogen auf das älteste Quartal I/2007 ergebe sich folgende Berechnung der Verjährung:
10Abrechnung Quartal I/2007 18.07.2007 Ablauf der grds. Ausschlussfrist von 4 Jahren 18.07.2011 Beginn der Hemmung der Frist 15.04.2010 Zu diesem Zeitpunkt noch verbliebene Restausschlussfrist 1 Jahr 3 Monate Ende der Hemmung der Verjährung 27.05.2011 Ablauf der Ausschlussfrist 27.09.2012 Datum des Berichtigungsbescheides 09.02.2012
11Diesem Bescheid widersprach die Klägerin.
12Die zuständige Krankenkasse hätte in jedem der beanstandeten Einzelfälle auf telefonische Nachfrage ausdrücklich bestätigt, dass der Patient versichert sei. Im Jahr 2007 und bis zu einer organisatorischen Änderung in das Jahr 2008 hinein habe insbesondere die AOK in den fraglichen Fällen zudem nahezu ausnahmslos im Anschluss an das das jeweilige Telefonat einen Abrechnungsschein übersandt. Durch die regelmäßige rechtsverbindliche Zusage der Krankenkassen sei ein Vertrauenstatbestand begründet worden, der eine Rückforderung von ca. 24.000,- EUR ausschließe. Ferner sei in mehreren Behandlungsfällen eine doppelte Belastung durch die abgeschlossenen Prüfverfahren und den Bescheid vom 09.02.2012 festzustellen. Darüber hinaus würden in diesem Bescheid für das IV. Quartal 2009 bei 4.410,60 EUR 5.080 Punkte in Abzug gebracht, während sich aus der entsprechenden Einzelfallauflistung 4.806 Punkte ergäben, also 274 Punkte weniger als im Bescheid.
13Mit Widerspruchsbescheid vom 07.01.2014 gab die Beklagte dem Widerspruch in Höhe von 2.629,54 EUR statt und wies ihn im Übrigen zurück.
14Die Abrechnungsbelege wiesen allesamt keine Unterschrift der jeweiligen Versicherten aus. Ein Versichertenbezug, nämlich die Verknüpfung der von der Klägerin erbrachten und abgerechneten Leistungen mit der Person des jeweils behandelten Versicherten, habe insofern nicht hergestellt werden können.
15Selbst wenn Mitarbeiter der AOK ein Abweichen von den Regelungen des Ersatzverfahrens tatsächlich telefonisch als rechtmäßig in Aussicht gestellt haben sollten, hätte sich die Klägerin hierauf nicht verlassen dürfen. Sie hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass von den Voraussetzungen des auf Bundesebene zwischen der KZBV und dem GKV-Spitzenverband vereinbarten Ersatzverfahrens, die der vertragszahnärztlich zugelassenen Klägerin hätten bekannt sein müssen, einseitig und überdies nur mündlich wirksam hätte abgewichen werden können. Aus diesem Grunde hätte die Klägerin auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass die KCH-Abrechnungen der Quartale I/2007 bis einschließlich IV/2009 unbeanstandet bleiben würden.
16Einzelne Abrechnungsbelege seien den Versicherten unmittelbar zur Verfügung gestellt worden, da sie von der Krankenkasse als Anschreiben an die Anschrift des Versicherten gerichtet worden seien. Unterstellt, die Versicherten hätten der Praxis diese Belege persönlich überreicht, wäre von einer persönlichen Zuordnung auszugehen. Diese Belege enthalten ausdrücklich die Begriffe "vorläufige Versichertenkarte" oder "Ersatzversichertenkarte". Hinsichtlich der Honorarkürzungen, die diese im Ersatzverfahren abgerechneten acht Behandlungsfälle beträfen, werde dem Widerspruch daher stattgegeben.
17Soweit Honorarkürzungen in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch Gegenstand des Rückforderungsbescheides vom 09.02.2012 gewesen seien, werde dem Widerspruch ebenfalls stattgegeben.
18Der Ausgangsbescheid weise bezogen auf das Quartal IV/2009 bei den zu berichtigenden Punkten eine um 274 Punkte überhöhte Summe aus. Statt 4.806 seien versehentlich 5.080 Punkte angegeben worden. In der Anlage des Bescheides betreffend die Behandlungsfälle für das Quartal IV/2009 sei die Punktesumme jedoch richtig eingetragen worden. Das insoweit ausgewiesene Honorar in Euro sei daher zutreffend ermittelt worden.
19Hiergegen richtet sich die am 24.10.2013 erhobene Klage.
20Die Klägerin ist der Ansicht, die Unterschrift des Versicherten sei keine zwingende Voraussetzung für den Honoraranspruch des Zahnarztes gegenüber der Beklagten. Die Unterschrift diene lediglich dazu, den Nachweis einer bestehenden Versicherung zu erbringen bzw. zu erleichtern. Demgemäß handele es sich bei der Krankenversichertenkarte auch lediglich um ein beweiserleichterndes Ausweispapier. Gleichberechtigte Alternative sei nach § 8 Abs. 2 BMV-Z der Nachweis der Anspruchsvoraussetzung auf andere Weise. Dieser sei hier in jedem Einzelfall durch ausdrückliche und rechtsverbindliche Bestätigung der jeweiligen Krankenkasse erfolgt. Als Bestätigung der Kostenübernahme hätten die Krankenkassen einen von ihnen abgestempelten und unterschriebenen Abrechnungsschein für zahnärztliche Behandlung übersandt. Sofern dies nicht geschehen sei, hätten die Krankenkassen telefonisch die Kostenübernahme bestätigt. Da es entscheidend auf die bestehende Mitgliedschaft des Versicherten bei der Krankenkasse ankomme, reiche eine mündliche Zusage der Krankenkasse insofern aus.
21Insbesondere sei durch die praktizierte Vorgehensweise ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden. Die Beklagte habe eine bestimmte Leistungserbringung in Kenntnis aller Umstände geduldet und ohne Beanstandung Honorare gezahlt. Hierauf müsse sich die Klägerin weiter verlassen dürfen.
22Zumindest für das für 2007 zurückgeforderte Honorar greife auch die vierjährige Ausschlussfrist. Der Eintritt einer Hemmung greife nur bei Identität des Prüfungsgegenstandes. Zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und Prüfung über das Ersatzverfahren sei jedoch keine Identität gegeben. Im Übrigen sei § 204 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend anwendbar. Nach der Einlassung vom 28.11.2012 sei bis zum Erlass des Bescheides vom 07.01.2014 nichts Wesentliches passiert. Die Hemmung der Verjährung habe daher am 28.05.2013 geendet, sodass weitere 7 Monate und 9 Tage in die Ausschlussfrist einzuberechnen seien. Damit sei das Quartal I/2007 vom Ausschluss erfasst.
23Die Klägerin beantragt,
24den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.01.2014 aufzuheben.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide.
28Maßgeblich für das Ersatzverfahren sei, dass ein entsprechender Abrechnungsschein der zuständigen Krankenkasse vorgelegt werde und der Versicherte durch seine Unterschrift das Bestehen der Mitgliedschaft bestätige. An diesen Unterschriften fehle es in sämtlichen vorgelegten Abrechnungsscheinen. Insofern komme es nicht darauf an, dass die Krankenkasse das Bestehen des Versicherungsverhältnisses bestätigt habe. Vertrauensschutz stehe einer Honorarrückforderung nicht entgegen, da die von BSG hierzu entwickelten Kon-stellationen nicht vorlägen. Die von der Klägerin vorgenommene Anzahl der im Ersatzverfahren abgerechneten Fälle sei mit 11,4 % (I/2008) bis 28,9 % (IV/2009) zudem überdurchschnittlich hoch. Ab 01.10.2012 sei ein Aufgreifkriterium für die Plausibilitätsprüfung, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mehr als 7 % bzw. fünf Fälle im Ersatzverfahren abgerechnet würden.
29Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf den von der Beklagten vorgelegten, farbig markierten "Abgleich Honorarkürzungsbescheid vom 09.02.2012 mit Widerspruchsbegründungen vom 29.03. und 31.10.2012 sowie den Bescheiden der Wirtschaftlichkeitsprüfung für den Zeitraum I/08-IV/09", sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe:
31Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
32Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind.
33Die Beklagte ist nach § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragszahnärzte festzustellen. Dabei ist zu überprüfen, ob die Leistungen rechtmäßig, d.h. im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertrags(zahn)arztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 6 KA 20/13 R - m.w.N.). Daneben obliegt der Antragsgegnerin auch aus § 19 lit. a des Bundesmantelvertrages-Zahnärzte (BMV-Z) und § 17 Abs. 1 Satz 1 des Ersatzkassenvertrages-Zahnärzte (EKV-Z) die rechnerische und gebührenordnungsmäßige Prüfung und ggf. Berichtigung der von den Vertragszahnärzten vorgelegten Abrechnungen (vgl. BSG, Urteile vom 05.11.2008 - B 6 KA 1/08 R -; vom 19.10.2011 - B 6 KA 30/10 R -).
34Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheides. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -).
35Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine nachträgliche sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnung der Klägerin für den Zeitraum I/2007 bis IV/2009 sind erfüllt.
36Nach § 8 Abs. 1 BMV-Z und § 12 Abs. 1 EKV-Z weist der Berechtigte seinen Anspruch auf vertragszahnärztliche Versorgung durch Vorlage der Krankenversichertenkarte nach. Der Versicherte ist grundsätzlich verpflichtet, bei jedem Zahnarztbesuch die Krankenversichertenkarte vorzulegen (Ziffer 1.1 der Anlage 6 zum BMV-Z/EKV-Z). Das ist hier in keinem der streitbefangenen Fälle geschehen.
37Lediglich in wenigen, bundesmantelvertraglich normierten Fällen besteht die Möglichkeit der Abrechenbarkeit vertragszahnärztlicher Leistungen über das sog. Ersatzverfahren. Das sind Notfälle (Ziffer 2.2 der Anlage 6 zum BMV-Z/EKV-Z) und die in Ziffer 3 der Anlage 6 zum BMV-Z/EKV-Z genannten Situationen, insbesondere Fälle, in denen die Krankenversichertenkarte aus technischen Gründen nicht verwendet werden kann. Die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gesichtspunkte, weshalb ihr die Krankenversichertenkarten nicht vorgelegen hätten, treffen diese Fälle nur ganz vereinzelt. Es mangelt auch an schlüssigen Erklärungen der Klägerin, weshalb sie in einer sehr hohen Anzahl von Fällen an ein und demselben Tag mehrere Mitglieder einer Familie ohne Vorlage der Krankenversichertenkarte beraten hat (Bema-Pos. Ä1), ohne dass sich weitergehende Behandlungsschritte angeschlossen haben.
38Unbeschadet dessen hat jedenfalls gemäß Ziffer 5 der Anlage 6 zum BMV-Z/EKV-Z auch im Ersatzverfahren der Versicherte durch seine Unterschrift das Bestehen der Mitgliedschaft auf dem Abrechnungsschein zu bestätigen, soweit nicht in § 11 eine andere Regelung getroffen worden ist (betr. Kinder). An diesen Unterschriften fehlt es in allen berichtigten Abrechnungsfällen.
39Die Regelungen der Bundesmantelverträge sind als "Normsetzung durch Vertrag" für die Leistungserbringer verbindlich (zuletzt BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 6 KA 20/13 R -). Hierzu gehört auch die Unterschriftsleistung des Versicherten im Ersatzverfahren (LSG NRW, Urteil vom 29.10.1997 - L 11 Ka 94/97 -). Dass die Krankenkasse die "Anspruchsnachweise für zahnärztliche Behandlung" abgestempelt und unterschrieben hat, reicht nicht aus. Es geht um die Unterschrift des Versicherten selbst. Durch seine Unterschrift bestätigt der Versicherte die Richtigkeit der personenbezogenen Daten auf dem Abrechnungsschein (vgl. Ziffer 8.2 letzter Satz der Anlage 6 zum BMV-Z/EKV-Z). Nur so hat der Zahnarzt die Gewähr dafür, dass der Patient, den er behandelt, auch derjenige Versicherte ist, dessen Versicherung die Behandlungskosten über die Kassenzahnärztliche Vereinigung zu tragen hat. Die bloße Bestätigung der Krankenkasse, sei es telefonisch oder auf einem Abrechnungsschein, dass eine bestimmte Person Mitglied der Krankenkasse sei, besagt keineswegs, dass es sich bei dem vom Zahnarzt behandelten Patienten auch genau um diese Person handelt. Erst mit der Unterschrift des Patienten ist - von betrügerischem Missbrauch abgesehen - die erforderliche Klarheit hergestellt.
40Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Rückforderung nicht entgegen.
41Der Vertragsarzt kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilten Honorarbescheides grundsätzlich nicht vertrauen (st. Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 43/12 R- m.w.N.). Die Auskehrung der Gesamtvergütungsanteile durch die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung im Wege der Honorarverteilung ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass diese quartalsmäßig auf die Honoraranforderungen ihrer Vertrags(zahn)ärzte hin Bescheide zu erlassen hat, ohne dass sie - aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen - die Rechtmäßigkeit der Honoraranforderungen hinsichtlich ihrer sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Leistungserbringung bereits umfassend überprüfen konnte. Soweit gleichwohl Vertrauensschutzaspekte zu berücksichtigen sein könnten, hat das BSG hierzu Fallgruppen herausgearbeitet, in denen die Befugnis zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen begrenzt ist (zusammenfassend BSG, Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R -). Danach käme hier allenfalls der Gesichtspunkt in Betracht, dass die Beklagte die rechtswidrige Erbringung bestimmter Leistungen in Kenntnis aller Umstände längere Zeit geduldet hat, diese später jedoch insgesamt von einer Vergütung ausschließt. Ein solcher Fall ist aber bereits tatbestandlich nicht gegeben. Erst auf den Bescheid der Prüfungsstelle vom 27.05.2011 wurde die Beklagte darüber informiert, dass im Rahmen der Überprüfung der KCH-Abrechnungen der Klägerin für die Quartale I/2007 bis IV/2007 festgestellt worden sei, dass in vermehrtem Umfang KCH-Behandlungsfälle abgerechnet worden seien, obwohl die Krankenversicherungskarten nicht vorgelegen hätten und die Daten der jeweiligen Versicherten daher nicht eingelesen worden seien. Bis zu diesem Zeitpunkt musste die Beklagte davon ausgehen, dass die Abrechnungen der Klägerin rechtmäßig waren, also im Einklang mit den bundesmantelvertraglichen Regelungen standen. Ihrem gesetzlichen Prüfungsauftrag aus § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V entsprechend hat sie dann für die Quartale ab I/2007 die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Klägerin überprüft und diese entsprechend korrigiert.
42Der Rückforderungsanspruch ist auch nicht - teilweise - verjährt. Die vierjährige Ausschlussfrist für den Erlass von Honorarberichtigungsbescheiden wird durch Bescheide im Rahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung gehemmt, wenn beide Verfahren dieselbe Honorarforderung des Vertragsarztes zum Gegenstand haben (BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 40/05 R -). Das ist hier der Fall, da der Bescheid der Prüfungsstelle vom 27.05.2011 die KCH-Abrechnungen der Klägerin für die Quartale I/2007 bis IV/2007 betraf. Unter Berücksichtigung des Hemmungszeitraumes erfasst der Ausgangsbescheid über sachlich-rechnerische Berichtigungen vom 09.02.2012 auch die klägerische Abrechnung für das Quartal I/2007. Ob und inwieweit die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Vorschrift des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB vorliegen, ist unerheblich, denn diese Bestimmung findet im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren keine entsprechende Anwendung (zuletzt BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 18/12 R - m.w.N.).
43Auch die Höhe der Rückforderung begegnet keinen Bedenken, nachdem die Beklagte in ihrer farbig markierten Übersicht: "Abgleich Honorarkürzungsbescheid vom 09.02.2012 mit Widerspruchsbegründungen vom 29.03. und 31.10.2012 sowie den Bescheiden der Wirtschaftlichkeitsprüfung für den Zeitraum I/08-IV/09" die Doppelbelastungen, denen im Widerspruchsverfahren abgeholfen wurde, mit hinreichender Deutlichkeit erklärt hat.
44Die streitbefangenen Honorarberichtigungen sind schließlich auch deshalb unvermeidlich, um die Funktionsfähigkeit der vertragszahnärztlichen Versorgung zu erhalten. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG haben Bestimmungen, die die Vergütung vertrags(zahn)ärztlicher Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems die Funktion zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Das wird dadurch erreicht, dass dem Vertrags(zahn)arzt für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden. Daher steht dem Vertrags(zahn)arzt für Leistungen, die nicht gemäß den Bestimmungen des Vertrags(zahn)arztrechts erbracht worden sind, auch kein Vergütungsanspruch auf bereicherungsrechtlicher Grundlage zu. Denn die Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts über die Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen der Leistungserbringung könnten ihre Steuerungsfunktion nicht erfüllen, wenn der Vertrags(zahn)arzt die rechtswidrig bewirkten Leistungen über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Ergebnis dennoch vergütet bekäme. Könnten Verstöße gegen die für die Leistungserbringung maßgeblichen Bestimmungen nur mit Wirkung für die Zukunft sanktioniert werden, ginge deren Steuerungsfunktion verloren, weil für Vertrags(zahn)ärzte jeglicher Anreiz fehlte, sich normgemäß zu verhalten. Im Gegenteil bestünde gerade ein Anreiz zu normwidrigen Verhalten, wenn die Früchte des Handelns dem (Zahn)Arzt verblieben (BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R -).
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1, 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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