Entscheidung vom Sozialgericht Freiburg - S 22 R 5893/11

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Die am ... geborene Klägerin ist verheiratet und zwei erwachsene Kinder. Sie übersiedelte nach eigenen Angaben im August 1973 aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens in die Bundesrepublik Deutschland über und hat hier als ungelernte Kraft mit Unterbrechungen bis 1994 in verschiedenen Großküchen gearbeitet. Sie ist seitdem arbeitslos.
Die Klägerin stellte am 03.01.2007 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, der mit Bescheid vom 25.01.2007 abgelehnt wurde. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2007 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13.07.2009 abgewiesen (Az. S 6 R 4471/07). Die Berufung wurde mit Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30.09.2010 zurückgewiesen (L 9 R 4385/09).
Die Klägerin stellte am 25.10.2010 einen erneuten Rentenantrag mit dem Vortrag, sie sei seit 1994 erwerbsgemindert. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 29.11.2010 lehnte die Beklagte den Antrag erneut ab. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 14.12.2010 erhob die Klägerin Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde mit einfachem Brief an die Klägerin übersandt. Nach einem Aktenvermerk der Beklagten vom 30.09.2011 (Bl. 935 der Rentenakte der Beklagten) teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit, dass ihn die Klägerin informiert habe, dass der Widerspruchsbescheid ergangen sei; er bitte um Zusendung einer Kopie desselben und darum, dass die Klagefrist mit Zugang bei ihm beginne. Mit Schreiben vom 04.10.2011 sandte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten eine Kopie des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 zu. Das Schreiben enthielt folgenden Zusatz: „Nach Ihrer telefonischen Mitteilung vom 30.09.2011 haben wir den Bescheid vom 14.09.2011 (entgegen unserem Vermerk in unseren Verwaltungsakten) direkt an Ihre Mandantin gesandt. Wir bitten Sie, dieses Versehen zu entschuldigen und übersenden Ihnen anbei ein Duplikat des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 zur Kenntnis. Die Monatsfrist zur Klageerhebung beginnt mit dieser Bekanntgabe des Bescheides vom 14.09.2011.“
Mit Schriftsatz vom 07.11.2011, eingegangen beim Sozialgericht Freiburg am selben Tag, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage erhoben. Im Wesentlichen wird vorgetragen, dass die versicherungsrechtlichen Zeiten gegeben seien und daher eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2010 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr ab dem 25.10.2010 eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass bereits im vorausgegangenen Klageverfahren festgestellt worden sei, dass eine qualitative Leistungseinschränkung vor dem 12.08.2008 nicht gegeben sei; ergänzend wird auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid verwiesen.
11 
Mit Verfügung vom 28.11.2011 hat das Gericht die Beteiligten zu einer möglichen Verfristung der Klage angehört. Mit Schriftsätzen vom 05.12.2011 sowie vom 15.12.2011 und 27.12.2011 haben die Beteiligten dazu Stellung genommen.
12 
Mit Verfügung vom 22.12.2011 hat das Gericht die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Entscheidungsgründe

 
13 
Das Gericht konnte vorliegend gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher angehört wurden.
14 
Die Klage ist bereits unzulässig, da sie nicht innerhalb der Klagefrist des § 87 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben wurde, die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vorliegen und auch keine Wiedereinsetzungsgründe nach § 67 SGG gegeben sind.
15 
Die am 07.11.2011 beim Sozialgericht Freiburg gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2010 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 erhobene Klage ist verfristet erhoben.
1.
16 
Gem. § 87 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchs zu erheben. Die Berechnung der Frist richtet sich nach § 64 SGG.
17 
Für den Beginn der Frist kommt es vorliegend auf die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 an die Klägerin persönlich an. Denn wie sich aus den Verwaltungsakten der Beklagten eindeutig ergibt, wurde der Klägerin der (Original)-Widerspruchsbescheid zugesandt, wogegen ihr Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 04.11.2011 lediglich eine Kopie des Widerspruchsbescheids erhielt. Gegen den fristauslösenden Zugang bei der Klägerin spricht auch nicht, dass sie im Widerspruchsverfahren durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten wurde. Gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Lediglich ergänzend bestimmt § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X, dass in den Fällen, in denen ein Bevollmächtigter bestellt ist, die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden kann. Macht eine Behörde von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, berührt dies allerdings nicht die Wirksamkeit einer nach Satz 1 vorgenommenen Bekanntgabe an den Beteiligten persönlich. Soweit § 13 Abs. 3 1 SGB X eine Pflicht der Behörden statuiert, sich bei Bestellung eines Bevollmächtigten sich an diesen zu wenden, tritt diese Vorschrift hinter der in Bezug auf die Bekanntgabe spezielleren Vorschrift des § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X zurück (OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.08.2002 – 2 L 70/01 -, zit. in Juris m.w.N.; SG Fulda, Gerichtsbescheid v,.14.09.2009 - S 3 R 35/08 -, zit. in Juris; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, § 37 Rn. 10). Unbeachtlich ist auch, dass sich die Beklagte und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Aktenvermerks auf Bl. 935 der Rentenakte der Beklagten telefonisch am 30.10.2011 geeinigt haben, dass die Klagefrist erst mit Bekanntgabe der Kopie des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 an den Prozessbevollmächtigten zu laufen beginnen würde. Die gesetzliche Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG steht ebenso wenig zur Disposition der Parteien wie die Vorschriften des SGB X über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Einer solchen von den Beteiligten wohl gewollten Dispositionsfreiheit steht bereits der mit diesen Vorschriften verbundene Gedanke der Rechtssicherheit entgegen.
18 
Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Nach den Verwaltungsakten der Beklagten und deren Schriftsatz vom 27.12.2011 ist der Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 am 16.09.2011 in den Postlauf gegeben worden und spätestens am 19.09.2011 versandt worden. Damit ist der Widerspruchsbescheid der Klägerin persönlich spätestens am 22.09.2011 bekannt gegeben worden. Anhaltspunkte für eine spätere oder nicht erfolgte Bekanntgabe bestehen nicht. Vielmehr folgt aus dem Aktenvermerk vom 30.09.2011, dass die Klägerin den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Die Klagefrist begann daher gem. § 64 Abs. 1 SGG spätestens am 22.09.2011 zu laufen.
19 
Die Monatsfrist des § 87 SGG ist auch nicht wegen einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG auf eine Jahresfrist zu verlängern. Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung ist es, den Betroffenen über die Mittel, die getroffene Entscheidung zu überprüfen, zu belehren; sie ist als solches Ausdruck der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist Bestandteil der getroffenen Widerspruchsentscheidung, § 84 Abs. 3 Satz 4 SGG. Die dem Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 angefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist formal und inhaltlich fehlerfrei. Sie wird auch nicht dadurch unrichtig, dass die Beklagte in ihrem Schreiben vom 04.10.2011 an den Prozessbevollmächtigten ausführt, dass die Monatsfrist zur Klageerhebung mit der Bekanntgabe der Bescheidkopie an den Prozessbevollmächtigten beginnen würde. Diese Erklärung stellt keine Rechtsbehelfsbelehrung i.S.v. § 36 SGB X bzw. § 66 SGG dar. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wird dadurch nicht abgeändert. Zwar mag im Einzelfall eine nachträgliche schriftliche Äußerung einer Behörde über Rechtsbehelfe eine Abänderung der zunächst erlassenen Rechtsbehelfsbelehrung darstellen und ist diese dann im Hinblick auf den Lauf von Rechtsbehelfsfristen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Vorliegend stellt sich dies jedoch anders dar. Die Beklagte hat zum einen den Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 nicht abgeändert und neu versandt. Dem Prozessbevollmächtigten wurde nur eine Kopie des Widerspruchsbescheides zur Kenntnis übersandt. Daraus folgt, dass der Widerspruchsbescheid so gelten soll, wie er an die Klägerin persönlich bekanntgegeben wurde. Zum anderen ist dem Wortlaut des Anschreibens vom 04.10.2011 auch in keiner Form zu entnehmen, dass die Beklagte ihre Rechtsbehelfsbelehrung abändern wollte. Aus dem bereits genannten Aktenvermerk vom 30.09.2011 folgt vielmehr, dass das Hinausschieben des Fristbeginns im Anschreiben vom 04.10.2011 ganz offensichtlich auf Wunsch des Prozessbevollmächtigten erfolgte. Die Erklärung des Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 05.12.2011, wonach die Beklagte den Hinweis selbständig erteilt hätte, entspricht somit nicht den Tatsachen. Die Erklärung der Beklagten im Anschreiben vom 04.10.2011 ist daher lediglich so zu verstehen, dass sich die Beteiligten auf einen anderen als gesetzlich vorgesehenen Fristbeginn geeinigt haben. Wie jedoch bereits ausgeführt wurde, steht die gesetzliche Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zur Disposition der Parteien.
20 
Die Klagefrist endete mithin gem. § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGG spätestens am 21.10.2011 und war die Klage mit Eingang am 07.11.2011 verfristet erhoben.
2.
21 
Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
22 
Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gem. § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und sollen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gestellt werden.
23 
Die schuldlose Fristversäumnis setzt voraus, dass die Prozesspartei diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist und dass die Versäumnis der Frist bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar war (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 67 Rn. 3 m.w.N.). Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist der Prozesspartei zuzurechnen.
24 
Die Klägerin hat nicht glaubhaft machen können, dass sie ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Frist des § 87 Abs. 2 SGG zu wahren. Soweit die Beteiligten wohl davon ausgegangen sind, dass die Klagefrist erst mit Zusendung der Bescheidkopie beginnt, handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsirrtum. Im Übrigen bezweifelt das Gericht, dass sich der Prozessbevollmächtigte hinsichtlich des Fristbeginns in einem Irrtum befand. Vielmehr dürfte ihm bewusst gewesen sei, dass die Klagefrist mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides an die Klägerin zu laufen begonnen hatte. Denn anders lässt sich seine gegenüber der Beklagten geäußerten Bitte, dass die Klagefrist erst mit Zugang des Widerspruchsbescheides beginnen möge, nicht deuten. Einer solchen Bitte hätte es nicht bedurft, wenn er davon ausgegangen wäre, dass die Frist erst mit Bekanntgabe an ihn zu laufen beginnt. Zudem hatte er ausweislich des Aktenvermerks vom 30.09.2011 vor Ablauf der Klagefrist Kenntnis vom Widerspruchsbescheid, so dass er rechtzeitig hätte Klage erheben können. Soweit die Beteiligten der Rechtsauffassung gewesen sein mögen, Beginn und Lauf der Klagefrist des § 87 SGG seien disponibel, stellt dies ebenfalls einen unbeachtlichen Rechtsirrtum dar. Dass auch die Beklagte diesem Rechtsirrtum unterlag, führt dabei zu keiner anderen Beurteilung. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten, die Beklagte hätte selbständig die Entscheidung zum Fristbeginn getroffen (was möglicherweise bei Annahme eines Vertrauensschutzes zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geführt hätte), ist wie - bereits ausgeführt - unzutreffend.
25 
Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe

 
13 
Das Gericht konnte vorliegend gem. § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher angehört wurden.
14 
Die Klage ist bereits unzulässig, da sie nicht innerhalb der Klagefrist des § 87 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben wurde, die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vorliegen und auch keine Wiedereinsetzungsgründe nach § 67 SGG gegeben sind.
15 
Die am 07.11.2011 beim Sozialgericht Freiburg gegen den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2010 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 erhobene Klage ist verfristet erhoben.
1.
16 
Gem. § 87 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchs zu erheben. Die Berechnung der Frist richtet sich nach § 64 SGG.
17 
Für den Beginn der Frist kommt es vorliegend auf die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 an die Klägerin persönlich an. Denn wie sich aus den Verwaltungsakten der Beklagten eindeutig ergibt, wurde der Klägerin der (Original)-Widerspruchsbescheid zugesandt, wogegen ihr Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 04.11.2011 lediglich eine Kopie des Widerspruchsbescheids erhielt. Gegen den fristauslösenden Zugang bei der Klägerin spricht auch nicht, dass sie im Widerspruchsverfahren durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten wurde. Gem. § 37 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Lediglich ergänzend bestimmt § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X, dass in den Fällen, in denen ein Bevollmächtigter bestellt ist, die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden kann. Macht eine Behörde von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, berührt dies allerdings nicht die Wirksamkeit einer nach Satz 1 vorgenommenen Bekanntgabe an den Beteiligten persönlich. Soweit § 13 Abs. 3 1 SGB X eine Pflicht der Behörden statuiert, sich bei Bestellung eines Bevollmächtigten sich an diesen zu wenden, tritt diese Vorschrift hinter der in Bezug auf die Bekanntgabe spezielleren Vorschrift des § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X zurück (OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 07.08.2002 – 2 L 70/01 -, zit. in Juris m.w.N.; SG Fulda, Gerichtsbescheid v,.14.09.2009 - S 3 R 35/08 -, zit. in Juris; Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, § 37 Rn. 10). Unbeachtlich ist auch, dass sich die Beklagte und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Aktenvermerks auf Bl. 935 der Rentenakte der Beklagten telefonisch am 30.10.2011 geeinigt haben, dass die Klagefrist erst mit Bekanntgabe der Kopie des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2011 an den Prozessbevollmächtigten zu laufen beginnen würde. Die gesetzliche Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG steht ebenso wenig zur Disposition der Parteien wie die Vorschriften des SGB X über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten. Einer solchen von den Beteiligten wohl gewollten Dispositionsfreiheit steht bereits der mit diesen Vorschriften verbundene Gedanke der Rechtssicherheit entgegen.
18 
Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Nach den Verwaltungsakten der Beklagten und deren Schriftsatz vom 27.12.2011 ist der Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 am 16.09.2011 in den Postlauf gegeben worden und spätestens am 19.09.2011 versandt worden. Damit ist der Widerspruchsbescheid der Klägerin persönlich spätestens am 22.09.2011 bekannt gegeben worden. Anhaltspunkte für eine spätere oder nicht erfolgte Bekanntgabe bestehen nicht. Vielmehr folgt aus dem Aktenvermerk vom 30.09.2011, dass die Klägerin den Widerspruchsbescheid erhalten hat. Die Klagefrist begann daher gem. § 64 Abs. 1 SGG spätestens am 22.09.2011 zu laufen.
19 
Die Monatsfrist des § 87 SGG ist auch nicht wegen einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG auf eine Jahresfrist zu verlängern. Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung ist es, den Betroffenen über die Mittel, die getroffene Entscheidung zu überprüfen, zu belehren; sie ist als solches Ausdruck der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG). Die Rechtsbehelfsbelehrung ist Bestandteil der getroffenen Widerspruchsentscheidung, § 84 Abs. 3 Satz 4 SGG. Die dem Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 angefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist formal und inhaltlich fehlerfrei. Sie wird auch nicht dadurch unrichtig, dass die Beklagte in ihrem Schreiben vom 04.10.2011 an den Prozessbevollmächtigten ausführt, dass die Monatsfrist zur Klageerhebung mit der Bekanntgabe der Bescheidkopie an den Prozessbevollmächtigten beginnen würde. Diese Erklärung stellt keine Rechtsbehelfsbelehrung i.S.v. § 36 SGB X bzw. § 66 SGG dar. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wird dadurch nicht abgeändert. Zwar mag im Einzelfall eine nachträgliche schriftliche Äußerung einer Behörde über Rechtsbehelfe eine Abänderung der zunächst erlassenen Rechtsbehelfsbelehrung darstellen und ist diese dann im Hinblick auf den Lauf von Rechtsbehelfsfristen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Vorliegend stellt sich dies jedoch anders dar. Die Beklagte hat zum einen den Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 nicht abgeändert und neu versandt. Dem Prozessbevollmächtigten wurde nur eine Kopie des Widerspruchsbescheides zur Kenntnis übersandt. Daraus folgt, dass der Widerspruchsbescheid so gelten soll, wie er an die Klägerin persönlich bekanntgegeben wurde. Zum anderen ist dem Wortlaut des Anschreibens vom 04.10.2011 auch in keiner Form zu entnehmen, dass die Beklagte ihre Rechtsbehelfsbelehrung abändern wollte. Aus dem bereits genannten Aktenvermerk vom 30.09.2011 folgt vielmehr, dass das Hinausschieben des Fristbeginns im Anschreiben vom 04.10.2011 ganz offensichtlich auf Wunsch des Prozessbevollmächtigten erfolgte. Die Erklärung des Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 05.12.2011, wonach die Beklagte den Hinweis selbständig erteilt hätte, entspricht somit nicht den Tatsachen. Die Erklärung der Beklagten im Anschreiben vom 04.10.2011 ist daher lediglich so zu verstehen, dass sich die Beteiligten auf einen anderen als gesetzlich vorgesehenen Fristbeginn geeinigt haben. Wie jedoch bereits ausgeführt wurde, steht die gesetzliche Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zur Disposition der Parteien.
20 
Die Klagefrist endete mithin gem. § 64 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGG spätestens am 21.10.2011 und war die Klage mit Eingang am 07.11.2011 verfristet erhoben.
2.
21 
Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
22 
Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gem. § 67 Abs. 2 SGG ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und sollen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gestellt werden.
23 
Die schuldlose Fristversäumnis setzt voraus, dass die Prozesspartei diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist und dass die Versäumnis der Frist bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar war (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 67 Rn. 3 m.w.N.). Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist der Prozesspartei zuzurechnen.
24 
Die Klägerin hat nicht glaubhaft machen können, dass sie ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Frist des § 87 Abs. 2 SGG zu wahren. Soweit die Beteiligten wohl davon ausgegangen sind, dass die Klagefrist erst mit Zusendung der Bescheidkopie beginnt, handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsirrtum. Im Übrigen bezweifelt das Gericht, dass sich der Prozessbevollmächtigte hinsichtlich des Fristbeginns in einem Irrtum befand. Vielmehr dürfte ihm bewusst gewesen sei, dass die Klagefrist mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides an die Klägerin zu laufen begonnen hatte. Denn anders lässt sich seine gegenüber der Beklagten geäußerten Bitte, dass die Klagefrist erst mit Zugang des Widerspruchsbescheides beginnen möge, nicht deuten. Einer solchen Bitte hätte es nicht bedurft, wenn er davon ausgegangen wäre, dass die Frist erst mit Bekanntgabe an ihn zu laufen beginnt. Zudem hatte er ausweislich des Aktenvermerks vom 30.09.2011 vor Ablauf der Klagefrist Kenntnis vom Widerspruchsbescheid, so dass er rechtzeitig hätte Klage erheben können. Soweit die Beteiligten der Rechtsauffassung gewesen sein mögen, Beginn und Lauf der Klagefrist des § 87 SGG seien disponibel, stellt dies ebenfalls einen unbeachtlichen Rechtsirrtum dar. Dass auch die Beklagte diesem Rechtsirrtum unterlag, führt dabei zu keiner anderen Beurteilung. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten, die Beklagte hätte selbständig die Entscheidung zum Fristbeginn getroffen (was möglicherweise bei Annahme eines Vertrauensschutzes zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geführt hätte), ist wie - bereits ausgeführt - unzutreffend.
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Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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